Jesus Christus Erlöser
Peter Geyer. D 2008. 84 Min.
Berlin, Deutschlandhalle, 20. November 1971. Auf einer leeren Bühne, einsam im Kegel der Scheinwerfer, tritt Kinski auf. Schulterlanges Haar, einfache Jeans, ein Hemd mit Blumen- und Punktmustern. Er rezitiert seinen eigenen Text „Jesus Christus Erlöser“ und realisiert damit ein Projekt, mit dem er sich schon über zehn Jahre beschäftigt. Es ist die Zeit der Hippiebewegung, und in Andrew Lloyd Webbers Musical „Jesus Christ Superstar“ wird Jesus gerade zu Popikone erhoben. Doch der Jesus von Klaus Kinski ist kein Hippie-Happening. Es soll eine hochemotionale, ganz auf die Stimme des Schauspielers reduzierte Erzählung werden – ihr Inhalt die laut Kinski „erregendste Geschichte der Menschheit“: Das Leben von Jesus Christus als einem der „furchtlosesten, freiesten, modernsten aller Menschen, der sich lieber massakrieren lässt, als lebendig mit den anderen zu verfaulen. Der Mann, der so wie wir alle sein will. Du und Ich.“ Der Auftritt in der Berliner Deutschlandhalle sollte der Auftakt zu einer geplanten weltweiten Tournee sein. Aber er geriet schnell zu einem kuriosen Debakel: Als Kinski auftritt, mit leiser, intensiver Stimme den in Steckbriefform („Gesucht wird Jesus Christus“) verfassten Textbeginn rezitiert, dauert es gerade mal fünf Minuten, bis die ersten Zwischenrufe kommen. Kinski reagiert und pöbelt zurück, schnell hat sich das Publikum auf den Schauspieler eingeschossen. Zuhören will hier kaum jemand; heute diskutiert man, betritt selbstbewusst die Bühne und fordert Mitspracherecht. Kinski steht einem Publikum gegenüber, das mit dem Muff von tausend Jahren auch die Integrität des Künstlers abgeschafft hat – eines Künstlers überdies, den die meisten der Aufbegehrenden lediglich als Bösewicht aus Edgar-Wallace-Filmen kennen und von dessen großartiger Karriere als Theaterschauspieler und Rezitator sie nichts ahnen. So ist dieses Protokoll einer immer wieder abgebrochenen und immer wieder neu begonnenen Rezitation nur oberflächlich lustig, wenn Kinski wütet: „Das ist ja wie vor 2000 Jahren. Dieses Gesindel ist noch beschissener als die Pharisäer. Die haben Jesus wenigstens ausreden lassen, bevor sie ihn angenagelt haben.“ Dahinter offenbart sich ein Abgrund der Ignoranz. – Peter Geyer, Verwalter des Kinski-Nachlasses, hat aus allen ihm zugänglichen Bild- und Tonmaterialien dieses faszinierende Stück Zeitgeschichte rekonstruiert. In endloser Puzzlearbeit ist es ihm gelungen, den Ablauf des Abends akustisch lückenlos wieder herzustellten und dem Text die aus diversen Perspektiven aufgenommenen Filmclips zuzuordnen. Und anders als die meisten der 5000 Zuhörer kann das Kinopublikum das Ende des Abends erleben. Deswegen: Nach dem Beginn des Abspanns unbedingt sitzen bleiben – es kommt noch was!
Do, 22.5. - So, 25.5.
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