Ausgewählte Artikel der VdK-Zeitung, Ausgabe September 2015
***Neues Pflegegesetz trägt VdK-Handschrift
Mascher: Verbesserte Leistungen des Pflegestärkungsgesetzes müssen bei Betroffenen ankommen
Am 12. August hat das Bundeskabinett das Pflegestärkungsgesetz II verabschiedet. Damit ist der Weg endlich frei für Verbesserungen für Pflegebedürftige. Besonders Demenzkranke werden ab 2017 profitieren. Der Sozialverband VdK sieht einige seiner Kernforderungen umgesetzt, mahnt aber Änderungen an.
„Nach 20 Jahren werden Menschen mit Demenz in der Pflegeversicherung endlich gleichgestellt“, sagt Ulrike Mascher, Präsidentin des Sozialverbands VdK. Für diese und andere Verbesserungen hat der VdK jahrelang gekämpft. Ausdrücklich bedankt sich Mascher bei allen Mitgliedern, Mitarbeitern und Unterstützern, die den VdK dabei aktiv unterstützt haben.
Schon die VdK-Kampagne „Pflege geht jeden an“ 2011 hat große Aufmerksamkeit, insbesondere für die Situation pflegender Angehöriger, erzielt. Mit der Kampagne „Große Pflegereform – jetzt!“ 2014 rückte der VdK gemeinsam mit der Deutschen Alzheimer Gesellschaft die Anliegen der Menschen mit Demenz in die Öffentlichkeit. Ein besonders starkes Signal war, dass in nur knapp vier Wochen im April 2014 über 200 000 Unterschriften für eine VdK-Petition an den Bundestag für eine große Pflegereform zusammenkamen. Und nicht zuletzt hat die im November 2014 eingereichte Verfassungsbeschwerde des VdK für menschenwürdige Pflege in stationären Einrichtungen viel Wirbel im politischen Berlin verursacht. „All dies schlägt sich im neuen Pflegegesetz nieder“, ist die VdK-Präsidentin überzeugt.
Kernpunkt ist die neue Beurteilung von Pflegebedürftigkeit, von der 500 000 mehr Menschen als bisher profitieren sollen. Künftig werden zur Beurteilung der Pflegebedürftigkeit der Grad der Selbstständigkeit herangezogen und nicht nur körperliche Einschränkungen. Der VdK begrüßt, dass jeder, der heute pflegebedürftig ist, mindestens dieselben Leistungen erhalten wird wie aktuell, auch wenn die Neudefinition möglicherweise zu weniger Anspruch führen würde. Er fordert jedoch einen ausdrücklich unbefristeten Bestandsschutz.
Leider kommt die Anerkennung für pflegende Angehörige im Gesetz immer noch zu kurz. Zwar wurde die rentenrechtliche Bewertung für häusliche Pflege etwas verbessert, sie ist aber noch weit von der vom VdK geforderten Gleichstellung mit Kindererziehungszeiten entfernt.
Um der weiteren Entwertung des Pflegegelds vorzubeugen, muss es jährlich automatisch an das Preis- und Einkommensniveau angepasst werden. Auch hier muss nachgebessert werden, fordert der VdK.
Außerdem verlangt der VdK ein Mitspracherecht im künftigen Ausschuss zur Qualitätsberichterstattung in der Pflege, in dem bisher keine Vertreter der Betroffenenverbände vorgesehen sind.
Neu ist, dass bei noch geringer Pflegebedürftigkeit durch frühe Beratung die Weichen für eine optimale Versorgung gestellt werden sollen. Noch ist aber nicht gewährleistet, dass in jeder Kommune qualifizierte, barrierefreie und vor allem unabhängige Beratungsstellen erreichbar sind, die auch aufsuchende Beratung anbieten.
Einen möglichst hohen Grad an Selbstständigkeit für Pflegebedürftige zu bewahren oder zurückzugewinnen, soll ein zentrales Ziel des neuen Gesetzes sein. Mascher: „Wir hoffen, dass dies bei den pflege- und gesundheitspolitischen Akteuren verinnerlicht wird und die Leistungen tatsächlich bei den Betroffenen ankommen. Bisher wurden beispielsweise kaum Anträge auf geriatrische Rehabilitationen genehmigt.“ Und noch etwas trübt die Bilanz: Die Misere der Pflegekräfte wird auch das neue Gesetz nicht verändern. Nach wie vor steht das Pflegepersonal oft unter enormen Druck – bei schlechter Bezahlung und unwürdigen Arbeitsbedingungen. „Mit erschöpften und frustrierten Pflegekräften kann eine Pflegereform aber nicht wirklich gelingen“, erklärt die VdK-Präsidentin.
Dr. Bettina Schubarth
***Unabhängige Patientenberatung in Gefahr
Die jetzigen UPD-Träger könnten von Callcenter-Unternehmen ersetzt werden
Seit 2006 ist die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD) telefonisch und persönlich für Fragen und Beschwerden von Krankenversicherten da. Zu den UPD-Trägern zählt auch der Sozialverband VdK. Nun könnte die turnusgemäße Neuvergabe die erfolgreiche Arbeit ab 2016 beenden.
80 000 Anfragen pro Jahr landen bei den etwa 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der 21 bundesweiten UPD-Servicestellen. Diese beraten bei Entscheidungen über geeignete Therapien, prüfen Zahnarztrechnungen auf ihre Rechtmäßigkeit, informieren über Krankheitsbilder oder geben Einschätzungen zu vermuteten Behandlungsfehlern. Die Beratungsstatistiken, die im jährlichen „Monitor Patientenberatung“ veröffentlicht werden, zeigen nicht selten Schwachstellen des Gesundheitssystems auf. So etwa bei IGeL-Leistungen oder der Terminvergabe für einen Facharztbesuch.
Der jetzige gemeinnützige Träger, ein Zusammenschluss aus Sozialverband VdK, Verbraucherzentrale Bundesverband und Verbund unabhängige Patientenberatung, hat sich beim Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherungen und dem Patientenbeauftragten der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann, für eine Fortsetzung der Trägerschaft ab 2016 beworben. Nun deutet einiges darauf hin, dass die Sanvartis GmbH stattdessen zum Zug kommen könnte. Das Unternehmen betreibt bisher schon einige Callcenter im Auftrag von gesetzlichen Krankenkassen.
Sollte Sanvartis den Zuschlag erhalten, sehe man die Unabhängigkeit der Beratung in großer Gefahr, so die bisherigen UPD-Träger, die deshalb einen Nachprüfungsantrag an die Vergabekammer gestellt haben. Proteste gab es auch von Gesundheitspolitikern aller Parteien, Gesundheitswissenschaftlern und der Bundesärztekammer. Die endgültige Entscheidung der Vergabekammer stand bis Redaktionsschluss noch aus. Mehr dazu in der nächsten VdK-Zeitung. bsc
***Kommentar: Würde bis zuletzt
Zum Leben gehört das Sterben dazu. Auch am Ende des Lebens ist die Würde des Einzelnen nicht verhandelbar. Egal, wie alt er ist, wie krank er ist und wo er wohnt. Etwa 2450 Menschen sterben täglich in Deutschland, davon leider viele unter unwürdigen Bedingungen: einsam, in steriler und anonymer Umgebung eines Krankenhauses. Aber gerade in seinen letzten Wochen und Tagen braucht der Mensch mehr als eine medizinisch perfekte Behandlung.
Im Bundestag wird derzeit teils sehr leidenschaftlich über ein Gesetz debattiert, das die Sterbehilfe regeln soll. Dies hat eine breite gesellschaftliche Debatte über das selbstbestimmte Ende des Lebens ausgelöst. Die Kontroversen entzünden sich vor allem am „assistierten Suizid“, also dem von einem anderen Menschen unterstützten Selbstmord auf Verlangen.
Wegen dieser Auseinandersetzungen gerät ein wichtiges aktuelles Gesetzesvorhaben beinahe in Vergessenheit: das Hospiz- und Palliativgesetz. Es soll die Versorgung Schwerkranker und Sterbender verbessern. Ziel ist eine ganzheitliche, medizinisch und sozial betreute Begleitung, die eine Sterbephase mit möglichst wenig Schmerzen und in Ruhe ermöglichen soll.
Die Palliativmedizin kennt viele Behandlungsmöglichkeiten, damit auch das Lebensende in Würde und selbstbestimmt gestaltet werden kann. Sensibilisierte Ärzte und Pflegekräfte, die Schwerkranke betreuen, wissen beispielsweise, dass hinter geäußerten Sterbewünschen oft Depressionen oder akute Schmerzen stecken. Mit einer richtigen Behandlung kehrt dann oft auch wieder der Lebenswille zurück.
Umso bedrückender ist es für Betroffene und ihre Angehörigen, dass wir von einer flächendeckenden palliativen Versorgung in Deutschland weit entfernt sind. Derzeit gibt es hierzulande nur 228 stationäre Hospize und 841 ambulante Hospizdienste. Gerade der ländliche Raum ist katastrophal unterversorgt.
Dabei haben gesetzlich Versicherte schon seit 2007 einen rechtlichen Anspruch auf eine ambulante Versorgung zu Hause. Doch die Anträge werden oft von den Krankenkassen abgelehnt. Und in dieser Phase des Lebens ist es für die Betroffenen verständlicherweise schwer, für ihr Recht zu kämpfen. Umso mehr ist der Gesetzgeber aufgefordert, den Ausbau der palliativen Versorgung mit Nachdruck voranzutreiben.
Insbesondere in Pflegeheimen, wo immerhin 40 Prozent aller Menschen sterben, besteht größter Nachholbedarf. Denn meist sind diese Einrichtungen weder personell noch fachlich in der Lage, die Pflegebedürftigen am Lebensende palliativ zu versorgen. Stattdessen werden Heimbewohner in ihrer letzten Lebensphase oft mehrfach aus dem Pflegeheim ins Krankenhaus geschafft, statt in Frieden dort sterben zu dürfen, wo sie zuletzt zu Hause sind. Hier muss im Gesetz noch dringend nachgebessert werden. Ulrike Mascher
***Versorgungsstärkungsgesetz: Was bringt es?
Wichtige Verbesserung: Lücke beim Krankengeld ist endlich geschlossen
Seit dem 23. Juli 2015 ist das Versorgungsstärkungsgesetz in seinen wesentlichen Teilen in der Gesetzlichen Krankenversicherung in Kraft. Dadurch verbessert sich für Patienten vieles, zum Beispiel beim Krankengeld. Ziel ist es, die medizinische Versorgung bedarfsgerecht, flächendeckend und gut erreichbar sicherzustellen. Doch was bedeutet dies?
Krankengeld
Ein wichtiger Fortschritt für Patienten sind gesetzliche Klarstellungen beim Krankengeld, die der VdK seit Langem gefordert hat. Bisher hatten Patienten, die etwa im Anschluss an einen Klinikaufenthalt am Wochenende arbeitsunfähig blieben, Probleme, eine Krankschreibung zu bekommen. Das hatte für Betroffene fatale Auswirkungen, weil sie aus dem Krankengeldbezug herausfielen. Versicherte behalten seit dem 23. Juli 2015 den Anspruch auf Krankengeld, wenn die Folgebescheinigung für die Arbeitsunfähigkeit am nächsten Arbeitstag, der ein Werktag ist, ausgestellt wird. Samstage gelten übrigens nicht als Werktage. Zudem können Krankenhäuser jetzt auch die Arbeitsunfähigkeit bescheinigen. Es fehlt aber immer noch die Möglichkeit, rückwirkend krankzuschreiben. Dadurch verlieren weiterhin viele Menschen ihren Anspruch auf Krankengeld.
Termin-Servicestellen
Die Kassenärztlichen Vereinigungen werden verpflichtet, bis spätestens zum Januar 2017 Termin-Servicestellen einzurichten. Sie sollen Versicherten mit einer Überweisung innerhalb von vier Wochen einen Termin bei einem Facharzt vermitteln. Die Entfernung zwischen dem Wohnort des Versicherten und dem vermittelten Facharzt muss zumutbar sein. Gelingt es nicht, die Wartezeit auf maximal vier Wochen zu begrenzen, müssen die Servicestellen dem Versicherten eine ambulante Behandlung in einem Krankenhaus anbieten. Keine Pflicht zur Vermittlung binnen vier Wochen soll bestehen, wenn eine Behandlung medizinisch nicht zwingend in dem Zeitraum erforderlich ist. Ein Anspruch auf die Vermittlung eines Termins bei einem bestimmten Arzt besteht nicht. Versicherte können den angebotenen Termin ablehnen und auf ihren „Wunscharzt“ warten. Der Grundsatz der freien Arztwahl bleibt unberührt.
Medizinische Rehabilitation
Nach geltendem Recht bestimmt die Krankenkasse nach den jeweiligen medizinischen Erfordernissen Art, Dauer, Umfang, Beginn und Durchführung der ambulanten und stationären Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sowie die Rehabilitationseinrichtung. Wer nach einer Operation oder einem längeren Krankenhausaufenthalt eine medizinische Reha bekam, wurde bislang in Kliniken vermittelt, mit denen die Krankenkassen Versorgungsverträge abgeschlossen haben. Neu ist, dass Versicherte jetzt auch jede andere zertifizierte Einrichtung wählen können. Sie müssen jedoch eventuell anfallende Mehrkosten selbst tragen. Dadurch wird das Wunsch- und Wahlrecht der Versicherten gestärkt. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber die Bedeutung der mobilen Rehabilitation als besondere Form der ambulanten Reha gestärkt. Wenn eine ambulante Reha nicht ausreicht, hat der gesetzlich Versicherte Anspruch auf eine mobile, wohnortnahe Versorgung.
Ärztliche Zweitmeinung
Bei planbaren Eingriffen soll ein Rechtsanspruch auf eine unabhängige ärztliche Zweitmeinung eingeführt werden. Die Regelung soll jedoch nur für solche Eingriffe gelten, bei denen der Verdacht besteht, dass sie „zu häufig“ durchgeführt werden. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) soll bis 31. Dezember 2015 festlegen, welche planbaren Eingriffe Berücksichtigung finden. Die Zweitmeinung dient dazu, die medizinische Notwendigkeit und Sachgerechtigkeit des vorgesehenen Eingriffs zu beurteilen. Ärzte müssen den Patienten über den Rechtsanspruch auf eine Zweitmeinung mindestens zehn Tage vor dem Eingriff aufklären.
Entlassmanagement nach Krankenhausbehandlung
Die Krankenhäuser legen die medizinisch unmittelbar erforderlichen Anschlussleistungen fest. Sie erhalten ein Verordnungsrecht und können den Patienten zukünftig die notwendigen Arzneimittel (in kleinster Packung) selbst verordnen. Häusliche Krankenpflege und Heilmittelversorgung können für eine Dauer von maximal sieben Tagen verordnet werden. Die Krankenkasse hat gemeinsam mit dem Krankenhaus die für die Umsetzung des Entlassplans erforderliche Versorgung zu organisieren. Die Rahmenbedingungen dafür sollen bis 31. Dezember 2015 feststehen.
Mundgesundheit von Pflegebedürftigen
Pflegebedürftige, Menschen mit Behinderung und Menschen mit eingeschränkter Alltagskompetenz haben seit dem 23. Juli 2015 einen Anspruch auf Leistungen zur Verhütung von Zahnerkrankungen, unabhängig davon, ob sie zu Hause oder in einer Pflegeeinrichtung betreut oder gepflegt werden. Die Leistungen umfassen insbesondere die Erhebung eines Mundgesundheitsstatus, die Aufklärung über die Bedeutung der Mundhygiene, die Erstellung eines Plans zur individuellen Mund- und Prothesenpflege sowie die Entfernung harter Zahnbeläge. Ines Klut
***Bedürfnisse Älterer nicht berücksichtigt
Umfassende Gesundheitsvorsorge wird durch Präventionsgesetz nicht erreicht
Das Präventionsgesetz, das am 24. Juli 2015 in Kraft getreten ist, bringt aus Sicht des Sozialverbands VdK nur kleine, punktuelle Verbesserungen. Eine umfassende und vor allem nachhaltige Gesundheitsvorsorge der Bevölkerung wird dadurch nicht auf den Weg gebracht.
Der Schwerpunkt von Präventionsangeboten liegt per Gesetz in der Arbeitswelt sowie in Schulen und Kindertagesstätten. „Bevölkerungsgruppen wie Ältere, Menschen mit Behinderung und Langzeitarbeitslose bleiben außen vor“, kritisiert VdK-Präsidentin Ulrike Mascher. Dabei würden diese besonders von Vorsorge und Prävention profitieren. Es sei hinreichend bewiesen, dass dadurch Pflegebedürftigkeit vorgebeugt oder zumindest abgemildert und so enorme Kosten für die Pflege- und Krankenkassen eingespart werden könnten.
Hausärzte als Lotsen
„Um Ältere und chronisch Kranke für Präventionsmaßnahmen zu erreichen, müssten die Hausärzte eine Lotsenfunktion übernehmen“, fordert Ulrike Mascher. Neben der Beratung in der Sprechstunde sollten deshalb auch präventive Hausbesuche in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen werden.
Begrüßenswert sei es zwar, dass die Pflegekassen ab 1. Januar 2016 Präventionsleistungen in voll- und teilstationären Einrichtungen erbringen müssen. „Es ist aber nicht nachvollziehbar, dass der Präventionsauftrag der Pflegeversicherung nur auf diesen Bereich beschränkt wird. Zwei Drittel der Pflegebedürftigen werden von Angehörigen oder ambulanten Pflegediensten zu Hause versorgt“, so die VdK-Präsidentin. Auch im häuslichen Umfeld sei Prävention notwendig. Angebote, wie etwa die Sturzprophylaxe, müssten noch häufiger bei den Betroffenen ankommen.
Zwar sollen Krankenkassen ab dem Jahr 2016 pro Versichertem im Jahr sieben Euro statt bisher rund vier Euro für Präventionszwecke ausgeben, aber die Verteilung der Mittel stellt der VdK in Frage. „Die Hauptlast beschränkt sich weiterhin auf die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung, während anderen Akteuren, wie der Rentenversicherung oder der Agentur für Arbeit, nur eine beratende Funktion zukommt. Dies werde dem Stellenwert der Prävention als gesamtgesellschaftliche Aufgabe in keiner Weise gerecht.
„Mit dem Präventionsgesetz haben wir leider keine Strategie zur Reduzierung der ungleich verteilten Gesundheitschancen“, kritisiert die VdK-Präsidentin. Im Bereich der Gesundheitsvorsorge weise der VdK seit Langem mit Vehemenz auf die wachsende soziale Kluft hin.
Ungleichheit wächst
„Arm und Reich driften weiter auseinander. Das führt auch zu einem Anstieg der sozial bedingten Ungleichheit der Gesundheitschancen“, so Ulrike Mascher. Präventive Gesundheitsangebote dürften aber keine Frage des Geldbeutels oder Alters sein, sondern müssten allen Menschen gleichermaßen offen stehen. Ines Klut
***Junge Krebskranke trotzen stürmischen Zeiten
Die „Segelrebellen“ bieten der Krankheit die Stirn – Marc Naumann träumt von einem eigenen Schiff für sein Selbsthilfe-Projekt
Marc Naumann ist 33 Jahre alt, Jurist, Journalist, Skipper. Ein junger Mann, der das Leben und das Abenteuer liebt. Erst recht seit der Schockdiagnose Hirntumor vor fünf Jahren. Sein Anker während der Krankheit: das Segeln. Heute ist er gesund. Das Gefühl von Freiheit trotz Krebs teilt der Münchner inzwischen mit anderen jungen Erwachsenen aus ganz Deutschland. Die „Segelrebellen“ treffen sich nicht im Stuhlkreis, sondern auf hoher See.
Es ist heiß. Endlich Sommer. Marc Naumann verzieht das Gesicht. Hitze ist nichts für ihn. Laue Lüftchen schon gar nicht. Er liebt es stürmisch. Wenn der Wind die Segel aufbläht, die Wellen hochschlagen, das Boot schwankt, wenn er Schildkappe gegen Mütze und T-Shirt gegen Friesennerz tauscht. Der 33-Jährige ist ein Kämpfer, keiner, der sich seinem Schicksal fügt.
Eine Eigenschaft, die vor fünf Jahren gewaltig auf die Probe gestellt wurde. Als die Ärzte einen Hirntumor entdecken. Krebs. Mit 28 Jahren. Plötzlich gerät alles durcheinander: das Jura-Studium, die berufliche und die private Zukunft. Trotzdem lässt sich Marc Naumann nicht unterkriegen. Noch vom Krankenhaus aus meldet er sich für den Segelschein an. Das Segeln tut ihm gut, hilft ihm, die Therapie zu überstehen.
Zwei Jahre später kommt der Krebs zurück. Mit ihm die Angst, die Ungewissheit. Und wieder ist es die Zeit auf See, die ihn stärkt. Kurz nach der anstrengenden Chemotherapie hilft er, ein Schiff aus Cuxhaven nach Calais zu überführen – trotz körperlicher Schwäche. „Beim Segeln zählt die mentale Stärke“, erklärt er. Und: „Auf See gerät alles in Vergessenheit: Welcher Tag ist und was zu Hause wartet.“ Den Ärzten erzählt er nichts von seinem Törn. Davon abhalten hätte ihn sowieso keiner können. Als sein Onkologe aber im Nachhinein davon erfährt, ist er begeistert. Begeistert von der psychischen Stabilität seines Patienten. „Das Eine ist, medizinisch gesund zu sein, das Andere, wie es in einem drin aussieht“, sagt Marc Naumann.
Leinen los
Das Gefühl, gleichwertiges Crew-Mitglied zu sein, nicht geschont, nicht bemitleidet zu werden, macht ihm Mut. Trotz Krankheit frei sein – dieses Gefühl will der Münchner mit anderen Betroffenen teilen und gründet im Sommer vor einem Jahr die „Segelrebellen“. Schnell finden sich junge Erwachsene aus ganz Deutschland, die ebenso wenig von Selbsthilfegruppen im Stuhlkreis halten. Die sich lieber eine frische Brise um die Nase wehen lassen, als stickige Luft einzuatmen. Obwohl die meisten Teilnehmer noch nie übers Segeln nachgedacht haben. Doch genau das ist der Reiz: etwas Neues zu wagen. Leinen los, alles auf Anfang.
Ist das nicht gewagt? Eine Crew ohne Segelerfahrung, teilweise geschwächt von einer schweren Krankheit? Marc Naumann lacht, das hört er oft. Er schüttelt den Kopf. „Es sind ja zwei Profis an Bord. Die anderen vier bis sechs Teilnehmer wachsen mit ihren Aufgaben.“ Anpacken statt ausruhen. „Unser Anspruch ist nicht, möglichst viel Komfort zu haben. Wir wollen was erleben!“ Jeder Teilnehmer muss vorher selbst entscheiden, ob er fit genug ist und das eventuell mit seinen Ärzten besprechen. Denn die gibt es an Bord nicht. Die Erfahrung der ersten beiden Fahrten übers Mittelmeer: Alle „Segelrebellen“ haben die zehn Tage gut überstanden. Mehr noch. Sie fühlen sich so gut wie schon lange nicht mehr, haben wieder Vertrauen zu sich selbst. „Das ist besser als ein Monat Therapie“, sagt der 33-Jährige.
Das Ziel: ein eigenes Schiff
250 Euro kostet ein zehntägiger Törn pro Teilnehmer. „Es kostet bewusst etwas. Die Reise hat einen Wert.“ Wer das Geld nicht aufbringen kann, kann sich für ein Segelstipendium bewerben oder die Summe abzahlen. Auf der Internetseite der gemeinnützigen Organisation können sich Interessierte über die nächste Reise informieren und anmelden. Marc Naumann setzt sich dann mit den jungen Erwachsenen in Verbindung. Eine festgezurrte Altersgrenze gibt es nicht. „Das ist eine Typsache“, sagt der Skipper. Ihm ist es wichtig, vorher mit den Teilnehmern zu reden. Ihnen zu erklären, was sie erwartet.
Bisher haben sich die „Segelrebellen“ die Schiffe geliehen. Sponsoren haben das möglich gemacht. Jetzt ist Marc Naumann auf der Suche nach Förderern, die einen Traum Wirklichkeit werden lassen: ein eigenes Segelschiff für die „Segelrebellen“. Mit dem man nicht an eine Tour, an einen Termin gebunden ist. Mit dem man Mittelmeer gegen Nordsee und T-Shirt gegen Friesennerz tauschen kann. Caroline Faltus
Weitere Informationen gibt es auf der Internetseite www.segelrebellen.com. Hier finden sich unter anderem Berichte der ersten Törns, Fotos und ein Fan-Shop.
***Für ein gutes Leben in Deutschland
Bürgerdialog der Bundesregierung in Würzburg wurde vom Sozialverband VdK Bayern organisiert
Was macht Lebensqualität aus? Das will die Bundesregierung von den Deutschen wissen. Überall im Land finden deshalb gerade „Bürgerdialoge“ statt. In Würzburg organisierte der VdK Bayern auf der Festung Marienberg die einzige VdK-Veranstaltung dieser öffentlichkeitswirksamen Reihe. Zu den 64 Gästen zählte auch VdK-Präsidentin Ulrike Mascher.
Auf den bunten Kärtchen an der Pinnwand steht, was die Teilnehmer rund um das Thema „Lebensqualität“ bewegt: „Soziale Spaltung stoppen“, „Angst vor Verlust der Menschenwürde im Alter“, „Pflege bezahlbar, gerechter Lohn, keine Minutenpflege“ und „Keine Zweiklassen-Medizin“. Das sind die Ergebnisse einer Diskussionsrunde an diesem Nachmittag.
Der Bürgerdialog in Würzburg ist eine von deutschlandweit 190 Veranstaltungen, bei denen die Bundesregierung Meinungen der Menschen sammelt. Die Ergebnisse der Debatten werden auf der Webseite www.gut-leben-in-deutschland.de dokumentiert und mit Unterstützung eines unabhängigen wissenschaftlichen Beirats ausgewertet. Sie sollen in einen Aktionsplan einfließen, der von der Bundesregierung erarbeitet wird.
Der bayerische VdK-Bezirk Unterfranken hat sich als Gastgeber einer solchen Veranstaltung zur Verfügung gestellt, die hier in Form eines Workshops stattfindet. Der Einladung folgten eine bunte Mischung von Gästen: ehren- und hauptamtliche VdK-Mitarbeiter, Nichtmitglieder, Menschen mit und ohne Behinderung, sozial benachteiligte Menschen, Junge und Alte. Kurz: ein ganz normaler Querschnitt der Bevölkerung.
Die Teilnehmer werden per Los in verschiedene Gruppen aufgeteilt. Mit Sebastian Petzold vom Bundesfamilienministerium und Vivien Stein vom Bundesarbeitsministerium sind zwei Vertreter der Bundesregierung mit dabei, die von Gruppe zu Gruppe gehen, zuhören und sich Notizen machen.
Angeleitet durch Dr. Hannah Büttner vom IFOK-Institut, diskutieren die Teilnehmer zunächst, was für sie persönlich für ein gutes Leben wichtig ist. In der zweiten Runde geht es um die Lebensqualität in Deutschland allgemein, in der dritten wird es konkret. Auf Kärtchen schlüsseln die Gruppen zentrale Begriffe wie „Teilhabe“, „Chancengleichheit“, „Soziale Sicherheit im Alter“ oder „Solidarität“ auf. Die Teilnehmer wägen ab, debattieren miteinander und notieren die Ergebnisse. „Das Entscheidende ist, ob es gelingt, konkrete Vorschläge zu machen, mit denen man weiterarbeiten kann“, betont Büttner.
Solidarität, Toleranz, Vielfalt
Diese Aufgabe ist gar nicht so einfach. Denn wenn es beispielsweise darum geht, zu bestimmen, in welchen Bereichen gesellschaftlicher Zusammenhalt notwendig ist, verwirren ähnliche Begriffe. Ist „Respekt für andere Religionen“ ein Zeichen von Solidarität oder von Toleranz und Vielfalt? Die Gruppe holt schließlich Moderatorin Büttner zur Hilfe, danach geht es wieder weiter. Bei der abschließenden Präsentation bekommen die erarbeiteten Vorschläge wie „Hilfe im Freundeskreis“, „Aktive Unterstützung von hilfsbedürftigen und vereinsamten Menschen“ und „Stärkung des Ehrenamts“ viel Applaus.
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