4.4 Anwendbarkeit der "Um-Zu" Regelung nach § 120.3 BSHG in Verbindung mit § 2 AsylbLG
VG Frankfurt/M 8 G 378/94, B.v. 23.02.94, NVwZ-Beilage 3/94, 21, ebenso VG Frankfurt/M 8 G 362/94, B.v. 23.02.94, www.fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/docs/C2067.pdf Kriegsflüchtlinge aus Bosnien mit einer Duldung haben nach § 2 AsylbLG Anspruch auf Leistungen in Höhe des Sozialhilferegelsatzes. § 120.3 BSHG ("Um-Zu"-Regelung) kann entgegen der Auffassung des VGH Hessen nicht mit dem Hinweis angewandt werden, es sei die Ausreise in einen Drittstaat möglich. § 120.3 BSHG ist darüber hinaus generell auf Berechtigte nach § 2 AsylbLG nicht anwendbar, weil dies zu dem Ergebnis führen würde, daß Leistungsberechtigte, die gerade privilegiert werden sollen, von Leistungen gänzlich ausgeschlossen würden.
VGH Hessen 9 TG 2902/93, B.v. 11.02.94www.fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/docs/C2067.pdf § 120.3 BSHG ("Um-Zu"-Regelung) kann auf Kriegsflüchtlinge aus Bosnien mit einer Duldung angewandt werden, weil sie sich bei ihrer Flucht in Slowenien für zwei Monate aufgehalten haben.
VGH Hessen 9 TG 369/94, B.v. 23.03.94, NVwZ-Beilage 4/94, 27; EZAR 463 Nr. 1; AuAS 15/94, 177; Info Also 3/94, 157; FEVS 45/95, 238www.fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/docs/C1082.pdf zu §2 AsylbLG. Hält § 120.3 BSHG ("Um-Zu"- Regelung) für entsprechend anwendbar. Eine Ermessensabwägung, ob Sozialhilfe dessenungeachtet gerechtfertigt ist, ist vorzunehmen. Eine Mutter mit drei Kindern aus Bosnien, die einen kroatischen Paß besitzt, hat dennoch keinen Sozialhilfeanspruch. Sie sei eingereist um Sozialhilfe zu erlangen, da sie selbst ohne weiteres in Kroatien hätte Schutz finden können. Ihre Kinder hätten dort die kroatische Staatsbürgerschaft erwerben und auf diese Weise ebenfalls Schutz finden können.
Anmerkung: Mit diesen Entscheidungen des Hessischen VGH wird quasi die Regelung des sicheren Drittstaates aus dem Asylrecht ins Sozialhilferecht übertragen und Kroatien und Slowenien zu "sicheren Drittstaaten" für bosnische Flüchtlinge erklärt. Sozialämter in und um Frankfurt/M. verweigern auf dieser Grundlage zunehmend die Sozialhilfe und stellen statt dessen für bosnische Kriegsflüchtlinge Gutscheine für eine Fahrkarte - einfach - der Deutschen Bundesbahn nach Bosnien aus. Kriegsflüchtlinge werden dadurch gezwungen, (von vornherein aussichtslose) Asylanträge zu stellen. Etwas relativiert wurde diese Rechtsprechung des Hessischen VGH durch die Entscheidung 9 TG 659/94, B.v. 9.6.94 www.fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/docs/C1179.pdf und 9 TG 2067/94, B.v. 26.8.94, www.fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/docs/C1084.pdf.
VGH Hessen 9 TG 659/94, B.v. 09.06.94www.fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/docs/C1179.pdf Die ausländerbehördliche Duldungserteilung bindet die für die Leistungsgewährung zuständige Behörde, Leistungen nach § 2 AsylbLG zu erbringen. Die "Um-Zu"Regelung ist hier nicht anwendbar, weil die bosnischen Flüchtlinge mit ihrer Familie zunächst nach Kroatien geflüchtet sind, von dort jedoch aus Furcht vor einer Zwangsrekrutierung durch kroatische Militärs zum Zwecke des Kriegseinsatzes in Bosnien nach Deutschland gekommen sind.
VGH Hessen 9 TG 2067/94, B.v. 26.8.94,www.fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/docs/C1084.pdf (gegen Hochtaunuskreis) zu §2 AsylbLG. Hält § 120.3 BSHG ("Um-Zu"- Regelung) für entsprechend anwendbar auf bosnische Kriegsflüchtlinge, die sich nach der Flucht aus Bosnien zunächst etwas 1/2 Jahr bei Verwandten in Zagreb aufgehalten haben, dort wegen äußerst beengter Wohnverhältnisse nicht bleiben konnten und dann auf Einladung einer Gastfamilie nach Deutschland gekommen sind. Die Flüchtlinge mußten wegen der auf drei Monate begrenzten Unterhaltsgarantie und weil das Einreisevisum eine Arbeitsaufnahme ausschloß damit rechnen, auf Sozialhilfe angewiesen zu sein. Der Antragsgegner hat jedoch im Rahmen seines Ermessens zu entscheiden, ob dennoch Sozialhilfe zu gewähren ist (vgl Hess. VGH 9 TG 369/94 www.fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/docs/C1082.pdf). Angesichts der gegebenen Verhältnisse hat der Antragsgegner zumindest das zu gewähren, was §§ 3-7 AsylbLG vorsieht, hierbei handelt es sich um Leistungen, die nach den Vorstellungen des Gesetzgebers das zum Lebensunterhalt Unerläßliche umfassen. Eine darunterliegende Leistung wäre nicht ermessensfehlerfrei, insbesondere kann nicht auf eine Rückkehr nach Zagreb verwiesen werden, da ihnen diese Möglichkeit zur Zeit verwehrt ist, da nach Auskunft des kroatischen Generalkonsulats in absehbarer Zeit hierfür kein Einreisevisum erteilt werden kann.
VGH Hessen 9 TG 333/95, B.v. 21.03.95, NVwZ-Beilage 6/95, S.41www.fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/docs/C1011.pdf, § 120.3 BSHG ("Um-Zu"-Regelung) steht dem Leistungsbegehren nicht entgegen, denn die Antragsteller sind mit ganz überwiegender Wahrscheinlichkeit vor dem Bürgerkrieg geflohen und nicht nach Deutschland eingereist, um hier Sozialhilfe zu erlangen, wobei es reicht, wenn dieses Motiv prägend für den Einreiseentschluß gewesen ist, auch wenn daneben weitere Motive bestanden haben mögen. Nach eigenen Angaben haben sie nach Erhalt der Verpflichtungserklärung gemäß § 84 AuslG am 29. Januar ihren Heimatort verlassen und die kroatische Grenze erreicht, wo sie für acht Tage in die Obhut von UNPROFOR und einer Hilfsorganisation genommen wurden. Nach Ausstellung bosnischer Pässe und Erteilung der deutschen Visa am 9. Februar sind sie dann am 10. Februar in die Bundesrepublik eingereist. Aus der Tatsache, daß die Antragsteller sich seither in der Bundesrepublik aufhalten, läßt sich entgegen der Auffassung des Antragsgegners kein Anspruchsausschluß i. S. von § 120.3 BSHG begründen, weil der Wortlaut der Vorschrift an die Einreise und nicht an den Aufenthalt knüpft.
VG Sigmaringen 3 K 1391/94, B.v. 09.06.94www.fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/docs/C2202.pdf Keine Streichung der Sozialhilfe für bosnische Bürgerkriegsflüchtlinge aufgrund der "Um-zu-Regelung" des § 120 Abs. 3 BSHG.
VGH Ba-Wü 6 S 1843/94, B.v. 26.08.94, VBlBW 4/95, 149, IBIS e.V.: C1198; 6 S 1846/94, B.v. 26.08.94, FEVS 45/95, 457 www.fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/docs/C1199.pdf; 6 S 1844/94, B.v. 06.09.94 sowie 6 S 1845/94, B.v. 06.09.94, NVwZ Beilage 3/95, 19,www.fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/docs/C1200.pdf
Die "Um-Zu" Regelung des § 120.3 ist nicht anwendbar auf geduldete Flüchtlinge aus Bosnien, die sich auf der Flucht zunächst einige Zeit in einen Drittstaat (Kroatien bzw. Frankreich) aufgehalten haben und dann nach Deutschland gekommen sind. Die Antragsteller befinden erst dann nicht mehr auf der Flucht vor den Folgen des Bürgerkriegs, wenn der Drittstatt eine rechtliche oder faktische Aufenthaltsbefugnis erteilt bzw. in Aussicht gestellt hat, und wenn dort eine Unterkunft nicht nur kurzfristig bezogen wurde. In einem Fall war zudem der Wunsch nach Zusammenleben mit engen Familienangehörigen in Deutschland als Einreisegrund von so maßgeblicher Bedeutung, daß eine etwaige Absicht, erforderlichenfalls Sozialhilfe zu erlangen, nicht von prägender Bedeutung war.
Das Sozialamt ist beweispflichtig, daß die Voraussetzungen des § 120.3 BSHG vorliegen, dieser Beweis wurde hier nicht erbracht. Das Gericht hat Zweifel, ob § 120.3 BSHG überhaupt auf den Personenkreis des § 2 AsylbLG anwendbar ist, lässt diese Frage aber offen: Die Frage der Anwendbarkeit des § 120.3 BSHG auf den Personenkreis des § 2 AsylbLG lässt sich nicht ohne weiteres anhand des Gesetzes beantworten, so ist nicht geklärt, ob das gesamte BSHG oder lediglich dessen Leistungsinhalt ("Art, Form und Maß", vgl BT-Drs 12/5008 S. 15) anwendbar ist. Gründe der Gleichbehandlung sprechen für eine Anwendbarkeit des § 120.3 BSHG, da auch Bürgerkriegsflüchtlinge mit Aufenthaltsbefugnis dieser Regelung unterworfen sind, gleichwohl bestehen aber gerade unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung auch Bedenken dagegen. Denn Leistungsberechtigte im Sinne des § 1 AsylbLG, die nicht unter § 2 AsylbLG fallen, unterliegen keiner dem § 120.3 BSHG vergleichbaren Regelung.