7.5 Flüchtlinge aus Kosovo/Serbien/Montenegro haben Anspruch auf eine förmliche Duldung
VGH Ba-Wü 13 S 2185/95, B.v. 03.11.95, IBIS e.V.: C1240, NVwZ-RR 6/96, 356. Vollziehbar ausreisepflichtige Flüchtlinge aus dem Kosovo haben Anspruch auf Erteilung einer Duldung. Der Anspruch kann im Eilverfahren nach § 123 VwGO durchgesetzt werden. Der Duldungsanspruch nach § 55 Abs. 2 AuslG steht nicht unter dem Vorbehalt der erfolglosen Durchführung eines Asylverfahrens. Der Duldungsanspruch nach § 55 Abs. 2 AuslG setzt nicht voraus, daß auch die freiwillige Ausreise unmöglich ist. Nach derzeitige Sachlage muß davon ausgegangen werden, daß eine Abschiebeversuch in die BR Jugoslawien mangels Aufnahmebereitschaft der Behörden zum Scheitern verurteilt wäre, es sei denn es handelt sich um Straftäter oder Personen mit Aufenthaltsrecht in Deutschland.
VG Berlin 35 A 153.94, B.v. 23.03.95, IBIS e.V.: C1241. Der aus Serbien-Montenegro/Bundesrepublik Jugoslawien-BRJ (Kosovo) stammende Antragsteller hat Anspruch auf Erteilung einer Duldung.
Dies folgt nicht aufgrund eines Abschiebehindernisses gem. § 53 Abs. 1-4 AuslG, insbesondere nicht aus der Gefahr der Heranziehung zum Wehrdienst. Das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung (Art 4 Abs. 3 GG) schützt nur vor Heranziehung zum deutschen Militär. Darüber hinaus liegen keine Erkenntnisse über einen völkerrechtswidrigen Einsatz der jugoslawischen Bundesarmee im bosnischen Bürgerkrieg vor. Selbst die Gefahr der Bestrafung wegen Entziehung vom Wehrdienst hindert gem § 53 Abs. 5 die Abschiebung nicht, sofern sich die Strafe im Rahmen der dort geltenden Gesetze hält. Sollte der Antragsteller aufgrund der allgemeinen Lage im Kosovo, wegen Wehrdienstentziehung oder wegen politischer Aktivitäten bei der Heranziehung zum Wehrdienst oder bei einer etwaigen Verhaftung und Bestrafung Willkürmaßnahmen seitens der Polizei, Justiz oder Armee wegen seiner albanischen Volkszugehörigkeit ausgesetzt sein, ist er mit diesem Vorbringen auf das BAFl zu verweisen, weil die Ausländerbehörde für die Prüfung politischer Verfolgung nicht zuständig ist (§ 51 Abs. 2 Satz 2 AuslG, ein Asylantrag ist bisher nicht gestellt worden). Eine erhebliche konkrete Gefahr gemäß § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG ist weder dargetan noch ersichtlich.
Ein Duldungsanspruch folgt jedoch aus § 55 Abs. 2 AuslG, weil die Abschiebung aus tatsächlichen Gründen derzeit unmöglich ist. Am 2.1.95 hat das BMI der Senatsverwaltung für Inneres mitgeteilt, daß hinsichtlich direkter Luftabschiebungen nach Belgrad von einer gegen Null gehenden Rücknahmebereitschaft der jugoslawischen Behörden auszugehen sei. Soweit das Auswärtige Amt der Kammer am 8.2.95 "ergänzend" mitgeteilt hat, daß auch Direktabschiebungen nach Belgrad immer wieder gelängen, wird offenbar auf nicht belegte "positive Erfahrungen" Bezug genommen, die einzelne Bundesländer im Rahmen von Bund-Länder Besprechungen angedeutet, aber nicht belegt hätten. Am 13.3.95 hat der BGS Koblenz dem OVG Berlin mitgeteilt, daß seit etwa Anfang November 94 im Luftverkehr nach Belgrad ein faktischer Abschiebestopp besteht und abgeschobene Jugoslawen an der Einreise gehindert und nach Deutschland zurückgeflogen werden. Auch hat Berlin - wie die Überführungsstelle der Polizei mitgeteilt hat - in den vergangenen Monaten keine einzige Abschiebung nach Belgrad durchgeführt. Hintergrund ist die Forderung der Belgrader Regierung nach einem Rückübernahmeabkommen sowie nach finanzieller Unterstützung, was jedoch von deutscher Seite strikt abgelehnt wird (vgl das Schreiben des BMI v. 2.1.95). Aus diesen Gründen werden von den Botschaften der Bundesrepublik Jugoslawien, sofern die Betroffenen keinen rechtmäßigen Aufenthalt in Deutschland nachweisen, auch keine Passersatzpapiere mehr ausgestellt (vgl Verbalnote v. 18.1.95 an das Auswärtige Amt).
Bei angeblich gelungenen Abschiebungen über Drittländer, insbesondere Ungarn und Bulgarien handelt es sich um "kontrolliert freiwillige Ausreisen", weil diese Länder ausschließlich freiwillig ankommenden Touristen die Einreise gestatten. Ob diejenigen, die nach Sofia ausgereist sind, überhaupt ihr Heimatland erreicht haben ist nicht bekannt.
Schließlich scheitert der Duldungsanspruch nicht an der von der Rechtsprechung des OVG Berlin entwickelten Einschränkung, daß eine freiwillige Rückkehr möglich sei (wenn man überhaupt die Vorschrift des § 55 Abs. 2 AuslG um dieses Tatbestandsmerkmal erweitern darf). Es muß davon ausgegangen werden, daß in Deutschland abgelehnten Asylbewerbern die Einreise verweigert wird, als abgelehnte Asylbewerber werden alle Personen ohne deutsche Aufenthaltserlaubnis behandelt (Auskunft des Auswärtigen Amtes an die Kammer v. 1.3.95 über ein Gespräch von Botschaftsvertretern im Jugoslawischen Außenministerium, sowie telefonische Auskunft des BMI). Die Einreiseverweigerung erscheint im Hinblick auf die Vertreibungsabsicht der Jugoslawiens nur konsequent. Angebliche Möglichkeiten einer illegalen Einreise auf den Landweg stehen einem Duldungsanspruch nicht entgegen - Versuche, Grenzkontrollen zu umgehen, erscheinen nicht zumutbar.
Wenn demnach grundsätzlich Flüchtlingen aus Serbien/Montenegro unabhängig von ihrem persönlichen Schicksal Duldungen erteilt werden müssen, so folgt dies letztlich aus einem völkerrechtlichen Spannungsverhältnis zwischen den Regierungen in Belgrad und Bonn, das nur über die derzeit laufenden Verhandlungen gelöst werden kann, nicht jedoch durch das Abdrängen Tausender von Flüchtlingen in einen Zustand strafbarer Illegalität.
Der Anordnungsgrund folgt aus dem Interesse des Antragstellers an der Regelung seines aufenthaltsrechtlichen Status, ohne den sein weiterer Verbleib in Deutschland strafbar, der Bezug von Sozialhilfe zumindest erheblich erschwert und die Aufnahme einer Arbeit unzulässig wäre.
Anmerkung: Das OVG Berlin 8 B 4.95, B.v. 04.04.95, IBIS e.V.: C1242 - hat trotz dieser überzeugenden Begründung einen gegenteiligen Beschluß gefaßt, und dabei auf angeblich doch vorhandene Möglichkeiten einer freiwilligen Rückkehr verwiesen haben. Die Begründung liegt mir bisher nicht vor.
VG Berlin 35 A 2865.96, B.v. 23.01.97, IBIS e.V.: C1243, InfAuslR 4/97, 182. Dem Antragsteller aus dem Kosovo ist bis zu einer Zustimmung zu seiner Übergabe gemäß Rückübernahmeabkommen eine schriftliche Duldung zu erteilen.
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