VG Berlin 17 A 493.99 v. 23.12.1999; GK AsylbLG § 1a VG Nr. 21;
www.fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/docs/C1506.pdf Das Sozialamt Prenzlauer Berg wird verpflichtet, dem Antragsteller Leistungen bei Krankheit nach § 4 AsylbLG, Barleistungen nach § 3 Abs. 2 AsylbLG und den Barbetrag nach § 3 Abs. 1 AsylbLG zu gewähren.
Sachverhalt: Der Antragsteller ist jugoslawischer Staatsangehöriger und nach seinen Angaben albanischer Abstammung und muslimischer Volkszugehörigkeit und stammt aus Novi Pazar im Sandzak. Er reiste am 17.5.99 aus Sarajevo kommend mit gültigem Visum nach Deutschland ein. Er gab bei der Ausländerbehörde an, seine Heimat wegen eines Einberufungsbefehls verlasen zu haben und sich sodann zwei Monate in Sarajevo aufgehalten zu haben. Er wolle seinen Lebensunterhalt in Deutschland von Sozialhilfe bestreiten. Beim Sozialamt gab er an, wegen des Kriegszustandes den Militärdienst verweigert zu haben. Er könne wegen der Wehrpflicht nicht zurückkehren. Das Sozialamt gewährte “auf der Grundlage des "1a Abs. 1 AsylbLG" ab 2. September 1999 nur noch Unterkunft mit Vollverpflegung und einen Bargeldbetrag von 20.- DM. Der Antragsteller meldete sich daraufhin bei Herrn X. an und lehnte die Unterbringung mit Vollverpflegung ab, da er "diese Bedingungen als unwürdig empfinde." Das Sozialamt stellte ab 8. Oktober aufgrund § 45 SGB X die Hilfe ganz ein, da der Antragsteller mit Touristenvisum eingereist sei und deshalb keinen Anspruch auf Leistungen nach AsylbLG habe.
Der Antragsteller beantragte daraufhin den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, ungekürzte Barleistungen nach AsylbLG zu erhalten. Er habe am 9.3.99 einen Einberufungsbescheid für den Kovovo-Krieg erhalten. Am 11.3.99 sei die serbische Polizei von Haus zu Haus gegangen, um männliche Personen von 18 bis 60 Jahre zum Kriegsdienst zu holen. Die Polizei habe Kontrollen durchgeführt, auf Leute eingeschlagen und junge Männer mitgenommen. Er sei mit dem Bus nach Sarajewo geflohen und habe dort bei seiner Cousine gewohnt. Er habe gegen Bezahlung Kinder betreut. Nach dem dies nicht mehr möglich gewesen sei, habe er nach Hause zurückkehren wollen. Sein Vater habe ihm hiervon abgeraten, da täglich Kontrollen wegen der Kriegsdienstverweigerung stattfänden und das Militärgericht mit Gefängnis drohte. Daraufhin sei er nach Deutschland geflohen. Zur Glaubhaftmachung hat er eine Vorladung zum Militärdienst vom 11. November 1999 vorgelegt.
Der Antragsteller behauptet, wegen einer psychischen Erkrankung sei ihm die Unterbringung in einem Wohnheim und die Rückkehr in die Heimat nicht zumutbar. Zur Glaubhaftmachung hat er eine Stellungnahme einer Psychologin des Roten Kreuzes vom 1.11.1999 sowie ein Attest einer Fachärztin für Psychiatrie vorgelegt. Danach leidet der Antragsteller an einer akuten paranoid-halluzinatorischen Psychose.
Der Antragsteller gibt an, dass ihm Herr X. Unterkunft gewähre. Dieser habe ihn jede Woche mit 50.- unterstützt. Frau Y. habe ihn mit Nahrungsmitteln unterstützt. Vom DRK habe er 20.- DM und vom Berliner Flüchtlingsrat 150.- DM erhalten. Ferner gibt er an, dass er dringend Krankenscheine benötige.
Das Sozialamt ist der Ansicht, dass der Antragsteller nur Anspruch auf Leistungen gemäß § 1a AsylbLG habe. Der Antragsteller habe diese Leistungen (Unterkunft mit Vollverpflegung) abgelehnt, daher bestünden Zweifel an seiner Hilfebedürftigkeit. Dem Antragsteller sie eine Rückkehr in die Heimat zumutbar. Die psychologische Stellungnahme sei wenig glaubhaft und nicht nachvollziehbar.
Das VG hat das Sozialamt am 16.11.99 und am 3.12.99 gebeten, den Antragsteller dem sozialpsychiatrischen Dienst vorzustellen. Nachdem das Sozialamt hierauf nicht reagiert hat, hat das Gericht am 16.12. eine gutachterliche Stellungnahme der behandelnden Fachärztin für Psychiatrie eingeholt, die am 21.12.99 abgegeben worden ist.
Gründe: Der Antrag war so auszulegen, dass der Antragsteller insbesondere Barleistungen gem. § 3 Abs, 2 Satz 1 Satz 2 Nr. 1 AsylbLG begehrt, da er eine Unterbringung im Wohnheim mit Vollverpflegung ablehnt. Kosten der Unterkunft hat der bei einem Bekannten privat untergekommene Antragsteller nicht geltend gemacht. Der Antragsteller verfügt über eine Duldung gemäß § 55 Abs. 2 AuslG und gehört damit zu den Leistungsberechtigten nach AsylbLG. Darauf, dass er ursprünglich mit Besuchsvisum eingereist ist, kommt es nicht an, zumal das Sozialamt an die Entscheidung der Ausländerbehörde über die Duldung gebunden ist.
Dass der Antragsteller seine Heimat Sandzak in der BRJ wegen der Einberufung im März 1999 verlassen hat und aus diesem Grunde zwei Monate später von Bosnien weiter nach Deutschland gereist ist, lässt nicht die Annahme zu, dass die Erlangung von Sozialleistungen das prägende Motiv der Einreise bildete. Seine Schilderung in dem Verfahren ist detailliert und deckt sich mit Berichten über den Zustand im Sandzak im Frühjahr 1999. Für die Glaubhaftmachung spricht auch sein Gesundheitszustand, der im Zusammenhang mit der Einberufung unter akuten Verfolgungsängsten leidet.
Die Kriegsdienstverweigerung bildete auch das Motiv für die Weiterreise nach Deutschland. Zwar lässt sich bei zweimonatigem Aufenthalt in einem Drittland zwischen den Motiven der Ausreise aus der Heimat und der Einreise nach Deutschland trennen. Der Antragsteller hat aber überzeugend dargelegt, dass er in die Heimat zurückkehren wollte, nachdem er aus wirtschaftlichen Gründen nicht mehr in Sarajevo bleiben konnte. Für den Entschluss, nach Deutschland weiterzureisen, waren dieselben Gründe maßgeblich, die bereits im März 1999 zur Flucht geführt hatten. Wegen der Folgen der Kriegsdienstverweigerung konnte der Antragsteller zu einem Zeitpunkt, als der Krieg im Kosovo noch andauerte, nicht in seine Heimat zurückkehren.
Da der Tatbestand des § 1a Nr. 1 nicht erfüllt ist, hat der Antragsteller Anspruch auf Leistungen nach §§ 3ff. AsylbLG. Zwar muss sich ein Leistungsberechtigter grundsätzlich auf Sachleistungen und damit auf eine Heimunterbringung mit Vollverpflegung verweisen lassen. Dem Antragsteller ist aber aufgrund seiner Erkrankung eine Unterbringung im Wohnheim mit Vollverpflegung derzeit nicht zumutbar, so dass er Anspruch auf Barleistungen hat. Durch die Atteste und die gutachterliche Stellungnahme der Fachärztin für Psychiatrie ist ausreichend glaubhaft gemacht, dass der Antragsteller an einer akuten halluzinatorischen Psychose leidet und deshalb derzeit nicht in einem Heim untergebracht werden kann. Der Antragsteller leidet unter Angstzuständen. Wird er aus der mittlerweile vertrauten Umgebung mit Bezugspersonen, die ihn betreuen, herausgerissen, so entstünde eine Situation der Reizüberflutung mit einer massiven Verschlechterung des psychischen Zustandes und der Gefahr von eigen- und fremdgefährdenden Verhalten. Die psychologischen und ärztlichen Stellungnahmen schildern detailliert und konkret die Syptomatik und leiten daraus nachvollziehbar und schlüssig Diagnose und Therapie ab. Die allein auf Plausibilitätserwägungen beruhenden Einwände des Sozialamts können die Diagnose nicht entkräften. Diese fachlichen Einschätzungen hätten nur durch eine weitere fachärztliche Begutachtung in Zweifel gezogen werden können. Das Sozialamt hat von einer Begutachtung durch den sozialpsychiatrischen Dienst trotz richterlichen Hinweises aber abgesehen.
Der Umstand, dass der Antragsteller während des laufenden Verfahrens von Dritten unterstützt wurde, begründet keine Zweifel an seiner Hilfebedürftigkeit für die Zukunft. Denn die Hilfe lässt nicht den Schluss zu, dass der Antragsteller auf Dauer unterstützt wird.