Bürgerlicher Antiimperialismus und bürgerlicher Kommunismus als Revolutionsblockade. Zur Rojava-Debatte


Mit Amis, Russen, Regime und Opposition gleichzeitig??



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Mit Amis, Russen, Regime und Opposition gleichzeitig??

Dass sich die kurdischen Kräfte auch wirklich entsprechend ihrer Statements verhalten, sprich taktisch vorgehen und zwischenimperialistische Widersprüche im Sinne ihrer eigenen Interessen versuchen auszunutzen, kann man ganz einfach sehen, wenn man sich einmal anschaut, was sie im Syrien der letzten paar Jahre gemacht haben und was ihnen deshalb von verschiedenen Kräften vorgeworfen wurde und all das im Vergleich dazu betrachtet, was die PKK-nahen kurdischen Kräfte in Syrien strategisch verfolgen.

So waren die PKK-nahen kurdischen Kräfte von Anfang an nicht an der FSA oder der offiziellen Opposition (Etilaf, SNC, etc. etc.) beteiligt und lehnen eine Teilnahme bis heute ab. Stattdessen haben sie sich mit anderen zumeist sozialistischen, nasseristischen und teils offen pro-Assad Parteien im NCC zusammengeschlossen. Dies und der Umstand, dass das syrische Regime 2012 die Gebiete, die heute Rojava oder nordsyrische Föderation genannt werden, ohne Konflikte räumte, sorgt seitdem dafür, dass die PKK-nahen kurdischen Kräfte von den Barzani-nahen Kräften (ENKS) wie auch von der gesamten restlichen syrischen Opposition als Marionetten des syrischen Regimes bezeichnet werden. Auch der türkische Geheimdienstchef Hakan Fidan und der (damalige) türkische Außenminister Ahmet Davutoğlu bezichtigten Anfang 2014 die Kurd*innen der Zusammenarbeit mit dem syrischen Regime und sagten den kurdischen Kräften Hilfe zu, sofern sie sich vom Regime abwenden und mit den anderen Oppositionellen zusammenarbeiten sollte. Öcalan lehnte die Vorschläge erzürnt ab.55 Großes Geschrei gab es auch, als Salih Müslim im Juli 2015 sogar vorschlug, dass die YPG/J Teil der syrischen Armee sein könnten – vorausgesetzt natürlich, Syrien wäre ein anderes als das heutige.56 Assads wohlwollende Reaktion auf diesen Vorschlag Ende 201557 war wieder ein ausschlaggebender Grund für die restliche Opposition und die Türkei, um zu kreischen: Die Kurden, das sind Marionetten des syrischen Regimes!

Als dann die PKK-nahen kurdischen Kräfte mit der Schlacht um Kobanê Ende 2014 anfingen, auch US-amerikanische Hilfe anzunehmen, da fing dann das gegenteilige Geschrei an: Die Kurden, das sind Marionetten des US-Imperialismus! Die nationalistischen Antiimperialist*innen/„Kommunist*innen“ in der Türkei verrenkten sich damals die Hälse darüber, das Verhältnis der USA zur Türkei und zu den Kurd*innen zu erklären. Denn die türkische Regierung (AKP) ist ja nur ein verlängerter Arm des säkularen Gottes namens USA oder NATO, wie kann es dann sein, dass der Gott auch seinen Widersacher, also die Kurd*innen, unterstützt? Bar jeder materialistischen Dialektik und d.h. jeden Verständnisses von (zwischenimperialistischen) Widersprüchen vollbrachten damals z.B. die Chefideologen der sich kommunistisch nennenden Partei der Türkei (KP) die Glanzleistung, all das als ein großes Szenario zu beschreiben! Im Ernst verstiegen sie sich in eine Verschwörungstheorie davon, dass die USA die Auseinandersetzung zwischen AKP und Kurd*innen nur inszenierten, um davon abzulenken, dass sich durch alle diese Scheinwidersprüche hindurch die Interessen des US-Imperialismus durchsetzten und dass eben AKP und Kurd*innen beide pro-imperialistisch seien. Meinte man es gut mit diesen „Kommunist*innen“, konnte man nur Mitleid empfinden mit ihrer Ersetzung ihres Marxismus-Leninismus durch bürgerliche Metaphysik.

Revolutionär*innen, die anderer Meinung waren, hoben das hervor, was auch dieser Artikel hier hervorhebt, nämlich dass sich die Kooperation zum Großteil auf militärische Unterstützung beschränkte und dass die USA das machen mussten, wenn sie nicht mitansehen wollten, wie ein NATO-Partnerland in ein unkontrolliertes Chaos versinkt, und die Kurd*innen ihrerseits so handeln mussten, wollten sie in Kobanê nicht zu Tausenden massakriert werden. Die Kooperation bestand fast ausschließlich aus Kleinwaffen, Munition und Luftschlägen (die US-Sondereinsatzkommandos sind vor allem dafür da, die Luftschläge zu koordinieren, sie mischen selbst nicht in den Kämpfen mit). Natürlich rechneten und rechnen sich die US-Imperialisten seitdem aus, dass sie die Revolution eben mit softeren Mitteln ersticken würden: nämlich dadurch, dass die kurdischen Kräfte militärisch und hegemonial zunehmend vom westlichen Imperialismus abhängig werden und pro-imperialistische Kräfte unter den Kurd*innen (z.B. die Barzani-nahe ENKS) erstarken. Jene Revolutionär*innen hoben, im Gegensatz zu unseren ahnungslosen deutschen Nahostexpert*innen und ML-Heroes, schon damals das eigentliche Instrument des US-Imperialismus zwecks Unterhöhlung der Revolution in Rojava hervor: das Abkommen von Dohuk vom Oktober 2014.58 Darin wurde beschlossen, dass unter den Kurd*innen ein Rat erschaffen werden sollte, wo sich PKK-nahe und Barzani-nahe Kräfte die Waage halten sollten. Aber die PKK-nahen Kräfte sind ja nicht dumm und dämlich, die wussten schon sehr genau, was der US-Imperialismus da versucht zu machen und was die eigenen Spielräume sind. Die Rätestrukturen in Rojava blieben erhalten (dazu mehr im Abschnitt „Die Revolution in Rojava und ihre Probleme“) und die YPG/J galt weiterhin unangefochten als einzige „offizielle“ kurdische Armee in Rojava. Zusätzlich erkämpften sich die PKK-nahen Kräfte mit der Schlacht um Schengal eine Anerkennung in den Gebieten der nordirakischen KRG, wo sie mittlerweile viel aktiver geworden sind und strategischere Bündnisse mit der Goran-Bewegung und der PUK von Talabani eingehen. Die Barzani-nahen Kräfte hingegen konnten aufgrund ihrer sektiererischen anti-PKK Haltung die wenigen Zugeständnisse nicht ausnutzen und stellen in Rojava eine politisch, militärisch und hegemonial betrachtet schwache Kraft dar und verlieren auch im Nordirak immer mehr an Boden.

Unter dem Schlussstrich kann man sagen, dass das Abkommen von Dohuk bisher mehr den PKK-nahen Kräften genutzt hat. Was die militärische Zusammenarbeit mit den USA angeht, kann man sehen, dass sich die kurdischen Kräfte mal in Zusammenstimmung und Koordination mit den Interessen der USA bewegen (Kobanê, anti-IS, usw.), oft aber auch einfach ohne Zustimmung, ja teils sogar gegen die Interessen der USA (Mare, Azaz, Carablus), wo sie dann auch problemlos bereit sind, militärisch alles selbst zu stemmen. Es ist dann jedes Mal die türkische Reaktion, die sie bisher stillhalten gemacht hat, nicht der Entzug von US-Unterstützung.

Jedenfalls: Die Debatte in der Türkei darum, ob die PKK-nahen Kräfte in Rojava jetzt objektive Agenten des US-Imperialismus sind oder nicht, war kaum am Abebben, da fing die offene und direkte russische Intervention im Syrienkrieg an. Die bürgerlichen Antiimperialist*innen und Kommunist*innen begrüßten zurecht, obzwar aus falschen – nämlich bürgerlichen – Gründen (Antiimperialismus, nationale Souveränität, Erhaltung des Völkerrechts, bla bla bla), die Einmischung Russlands in den Krieg. Der Witz an der Sache: Auch die angeblichen US-Marionetten, die PKK-nahen kurdischen Kräfte, unterstützten die russische Einmischung!! Und zwar aus den richtigen Gründen: weil es die zwischenimperialistischen Widersprüche vertiefen und somit Handlungsspielräume eröffnen würde. Salih Müslim, Co-Vorsitzender der PYD, begrüßte die russische Intervention als Garant gegen eine mögliche türkische Invasion59, am 21. Oktober 2015 wurden Kontakte mit dem russischen Außenministerium geknüpft (die PYD Co-Vorsitzende Asya Abdullah und der Vorsitzende des Kantons Kobanê Enver Müslim besuchten den stellvertretenden russischen Außenminister Bogdanov) und am 24. Oktober deklarierte Salih Müslim, dass sie Außenstellen in Berlin, Moskau und Paris zu öffnen gedenken.60 Beim Treffen in Russland machten Salih Müslim und Selahattin Demirtaş noch einmal klar, dass es „ernsthafte Konsequenzen“ geben würde, wenn die Kurd*innen weiterhin als Verhandlungsobjekt zwischen den internationalen Kräften behandelt würden.61 Der stellvertretende russische Außenminister Meschkow hingegen machte gegenüber der Türkei im Dezember 2015 klar, dass die Kurd*innen nicht vom Friedensprozess und dem Kampf gegen den IS ausgeschlossen werden dürfen62, d.h. er sprach den kurdischen Kräften somit seine Unterstützung zu. Im Februar 2016 wurde eine PYD-Stellung in Moskau eröffnet usw.

So erhielten die Kurd*innen also plötzlich militärische und politische Unterstützung von den USA und gleichzeitig politische sowie militärische Unterstützung von den Russen.63 Die bürgerlichen Antiimperialist*innen und Kommunist*innen ignorierten das souverän und enthielten sich jeden Kommentars. Wahrscheinlich galten ihnen die Kurd*innen mittlerweile eh als gesamtimperialistische Hydra, Ausgeburt der Hölle, Dreizack des Neptuns oder etwas dergleichen. Es waren stattdessen „die westlichen Imperialisten“ und ihre Handlanger, deren Verlängerung die Kurd*innen ja angeblich sein sollten, die polterten: Der britische Außenminister Hammond sprach von „disturbing evidences“ darüber, dass die Kurd*innen in Koordination mit dem syrischen Regime und Russland handelten, türkische Medien und die „offizielle“ syrische Opposition klagten die Kurd*innen ebenfalls der Zusammenarbeit mit Russland an.64

Mit dem syrischen Regime und der „offiziellen“ Opposition wiederum ging es hin und her. Während die kurdischen Kräfte mit Teilen der nicht-jihadistischen Opposition und kurzzeitig auch mit islamistischen Gruppierungen gegen den IS kooperierten, bekämpften sie sich großteils in Damaskus, Aleppo und Nordsyrien. Was das Regime angeht, stellten sich Verhältnisse ein, die das schematisierte Hirn bürgerlicher Antiimperialist*innen glatt sprengten, ließen sie sich denn mal darauf ein, darüber nachzudenken.65 Von den Oppositionellen als Assad-Handlanger bezeichnet lieferten sich die Kurd*innen mit eben demselben Regime Gefechte in Sheikh Maksoud (Viertel von Aleppo unter kurdischer Kontrolle) in den Jahren 2012, 2013 und 2015 (hier gab es auch Luftschläge der SyAAF), nur um während der Belagerung von Aleppo 2016 hier wieder gemeinsam mit dem Regime gegen die islamistischen Banden zu arbeiten. Und während kurdische Kräfte und Verbündete mit Regimekräften und Verbündeten 2015 gemeinsam die Provinz Hasêke vom IS säuberten, eskalierte das Regime eine Woche vor dem türkischen Einmarsch (offensichtlich mit der Türkei und dem Iran abgesprochen) die Situation und ging in eine große, von der syrischen Luftwaffe unterstützte Offensive in der Stadt Hasêke. Die kurdischen Kräfte waren vorbereitet. Zusätzlich blockierte die US-Luftwaffe das Agieren der syrischen Luftwaffe nach ein paar Tagen, so dass die kurdischen Kräfte und Verbündete nun 95% der Stadt halten. Dabei hatten kurdische Kräfte und Verbündete sowie Regimekräfte und Verbündete noch vor der Belagerung von Aleppo im Norden der Stadt offensichtlich miteinander kooperiert: Zur gleichen Zeit, als Anfang 2016 Regimekräfte und Verbündete den Kessel um Aleppo verschärften, gingen die kurdischen Kräfte vom Kanton Afrîn aus im Norden Aleppos in die Offensive und schnitten den „Rebellen“ die Zufuhr ab. Regime wie Kurd*innen wurden von Russland mit Luftschlägen unterstützt, während die Kurd*innen keine paar Hundert Kilometer im Osten Unterstützung von den USA im Kampf gegen den IS erhielten.

Die Perspektive eines demokratischen Syriens und die SDF

All dieses Taktizieren entsprang hierbei keinem kurzfristigen Opportunismus, dem es nur um Macht und Geld geht; sondern das kluge Taktizieren half den Kurd*innen dabei, ihr eigenes Programm umzusetzen. Das war von Anfang an eigentlich recht durchdacht und änderte sich im Wesentlichen nicht mehr.

Öcalan hält in den Gesprächen schon ab 2013 sehr präzise und konsequent bis ins Jahr 2015 fest:66 Es könne ihnen in Syrien aber auch in der Türkei nicht darum gehen, zu versuchen einen eigenen nationalen Staat wie Barzani zu gründen, das würde nur in einem blutigen Massaker enden und ein möglicher kurdischer Staat würde nur noch unterdrückerischer sein als der schon bestehende türkische. Die PYD müsse sich schleunigst darum bemühen so etwas wie eine Syrische Demokratische Einheit im Norden zu gründen, einer Art politischer Mechanismus, wo auch die dort lebenden Araber*innen, Assyrer*innen, Turkmen*innen usw. in ihrer eigenständigen Art und Weise würden teilnehmen können. Sie dürften auch keinen Monopolkapitalismus wie Barzani errichten, sondern müssten sich auf die Errichtung einer kommunalen Ökonomie mit Kooperativen und eines kommunalen Politikmodells konzentrieren. Damals kritisierte er noch Salih Müslim von der PYD, weil er sich zu sehr auf die kurdische Problematik fokussiere. Er forderte, dass man auf einen kurdischen Namen verzichtet, wo es um das gemeinsame Projekt eines demokratischen Nordsyriens geht. Erst wenn dies glücke und man sowohl den IS als auch Regimekräfte aus dem Norden vertreiben könne, könne man sowohl Assad wie auch die Opposition an den Tisch bringen und ihnen das Programm eines demokratischen Syriens aufzwingen, innerhalb dessen auch die Kurd*innen ihre Anerkennung und Eigenständigkeit finden und der Krieg beendet würde. Öcalan amüsiert sich darüber, dass Assad mal gesagt haben soll „ich habe mir da eine Schlange rangezüchtet“ (sprich er habe die PKK in Syrien „toleriert“ und diese Schlange beiße jetzt ihn). Dabei habe er, Öcalan, dem türkischen Staat von Anfang an gesagt dass „Assad bleiben muss“.67 Denn wenn kein Übergang zu einem demokratischen Syrien gelinge, würde sich Syrien in eine „Massakerlandschaft“68 verwandeln.

Dass auch die PKK-Führung diese Perspektive pi mal Daumen teilt, geht aus den oben zitierten Äußerungen derselben hervor: Karayılan redet dort davon, dass sie die Perspektive eines demokratischen Syriens mit einer demokratischen Autonomie für die Kurd*innen verteidigen, Sabri Ok pointiert noch, dass sie dieses System mit jedem auszudiskutieren bereit sind, während Duran Kalkan ihre Perspektive als einen 3. Weg (unabhängig von Regime und offizieller Opposition), der eine demokratische Einheit Syriens anvisiert, bezeichnet.

Dass sie das Programm eines gemeinsamen Vorgehens mit den anderen Völkern und religiösen Gemeinschaften der Region ernst meinen, geht recht eindeutig aus ihrer Praxis hervor. Schon seit 2012 schlossen sich einige FSA-Gruppierungen, die nichts mit den Jihadisten zu tun haben wollten, der YPG an, flohen vor dem IS zu den Kurd*innen oder schlossen Bündnisse mit ihnen.69 Das erste größere Bündnis entstand Ende 2014 während der Belagerung Kobanês und nannte sich Burkan El-Fırat (der Vulkan vom Euphrates), an dem außer der YPG/J noch 8 andere Gruppen beteiligt waren.70 Ende 2015 dann entstand die gereiftere Formation: Gemeinsam mit dem Militärrat der Assyrer und der Syrischen Arabischen Koalition (bestehend aus Burkan El-Fırat, El Sanadid, El Cezire Brigaden und Jaysh al-Thuwar) gründeten die YPG/J die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF oder QSD abgekürzt).71 Mittlerweile übernehmen arabische und gemischte Formationen des SDF wichtige Schlüsselaufgaben: So hält z.B. die aus 12 Brigaden bestehende arabische-kurdisch-turkmenische Koalition Jaysh al-Thuwar (Armee der Revolutionären) die Grenzstadt Tel Abyad.72 Politisch betrachtet wiederum wird Tel Abyad von einem Stadtrat regiert, der, entsprechend der Bevölkerungszusammensetzung der Stadt, aus 7 arabischen, 4 kurdischen, 2 turkmenischen und 1 armenischen Ratsmitglied besteht.73 Während laut der Einschätzung des Sprechers des Weißen Hauses Josh Earnest die SDF mittlerweile bis zu 40% aus nicht-Kurd*innen bestehen,74 ist es bei der politischen Formation der SDF, dem Syrischen Demokratischen Rat (SDC oder MSD abgekürzt), der Fall, dass der Großteil der Ratsmitglieder nicht-kurdisch sind und die Doppelspitze aus einem Araber (Heysem Menaa) und einem PYD-nahen Kurden (Ilham Ahmed) besteht.75 Auch der Gesellschaftsvertrag von Rojava aus dem Jahre 201476, quasi das Grundgesetz, spricht eindeutige Worte: in Art. 3 a) und 12 wird für ein föderales, demokratisches Syrien optiert, die Grenzen des heutigen Staates Syrien anerkannt und deklariert, dass die demokratisch-autonome Verwaltung von Rojava Teil eines solchen zukünftigen föderal-demokratischen Syrien ist/sein wird.

Letztlich wurde im März 2016 die Föderation Nordsyrien-Rojava ausgerufen und im Juni die erste Verfassung der Föderation verabschiedet.77 Diese Föderation wurde sofort von Syrien, der USA, Russland, der FSA, dem HNC, dem SNC etc. pp. verworfen als „Verletzung der territorialen Integrität Syriens“, obwohl, wie gezeigt wurde, die PKK-nahen kurdischen Kräfte und Verbündete von Anfang an eine Spaltung Syriens ablehnten.

Jedenfalls tappt der arme Stoodt auch hier ahnungslos im Dunkel seiner in ML-Worten gekleideten Bewusstseinslosigkeit herum: Er fabuliert von einer möglichen israelisch-kurdischen Allianz auf Grundlage dessen, dass die kurdischen Kräfte an der „produktiven Zerstörung“ der Staaten des Nahen Ostens im Sinne des US-Imperialismus und zwecks eigenem nationalen Gemeinwesen mitmachen. Die Ahnungslosigkeit besteht darin, dass es dieses Bündnis schon längst gibt, nämlich zwischen den USA, Israel und der Barzani-Fraktion. Und jetzt der Witz an der Geschichte: Es sind gerade diese Kräfte in der Region, die die Föderation Nordsyrien-Rojava ablehnen! Und zwar weil ihnen die Föderation nicht unabhängig und kurdisch-national genug, dagegen aber zu feministisch und kommunistisch [sic!] ist!78

Taktik, Strategie und Programm der PKK-nahen kurdischen Kräfte in Syrien

Hinter der Überlegung also, Assad nicht sofort per Gewalt und als erstes Ziel zu stürzen, sondern für eine Demokratisierung Syriens gemeinsam mit den anderen Völkern, Ethnien und religiösen Gemeinschaften der Region zu kämpfen, liegen strategische und programmatische Überlegungen, keineswegs opportunistische, wie Kritiker*innen meinen, die der YPG/J und PYD vorwerfen die SDF usw. nur als Tarnorganisation zu nutzen. Wenn Karayılan im oben zitierten Interview aus dem Jahre 2012 festhält, dass sie nicht gegen das Regime Krieg führen werden, weil das die kurdischen Gebiete in einen Konflikt reinziehen wird, der nicht der ihrige ist, dann liegen dem die selben Überlegung zugrunde wie bei Öcalan und allen anderen PKK-Führungspersonen: Den PKK-nahen kurdischen Kräften ist es wichtig, dass sie die nationalen Rechte der Kurd*innen einfordern können und gleichzeitig eine rätedemokratische Politikstruktur installieren, in der die Werktätigen die Hauptstützen der Macht bilden. Der Weg eines unabhängigen Nationalstaates scheint für sie nach dem Ende der Sowjetunion nicht mehr möglich, zumindest solange sie sich nicht zum Gehilfen des Imperialismus machen, der wiederum eine Ermächtigung der Werktätigen nicht zulassen und stattdessen in Blutbäder führen wird. Andererseits geht für sie die nationale Befreiung der Kurd*innen in einem multiethnischen Gebiet wie Syrien nur dadurch, dass auch die anderen Völker und Religionen an einem politischen System der Ermächtigung der Werktätigen teilhaben. Die „offizielle“ Opposition in Syrien schätzen sie als verlängerten Arm des westlichen Imperialismus ein und sind sich sehr klar darüber, dass sie nicht alleine Assad stürzen und ein neues Syrien errichten werden können. Ihnen ist klar, dass sich das gesamte Syrien in ein Blutbad rivalisierender Warlords und Interessenvertreter oder Kollaborateure imperialistischer und subimperialistischer Mächte verwandeln wird wie Libyen, wenn Assad und das derzeitige staatliche System auf Grundlage der derzeit bestehenden Kräfteverhältnisse gestürzt werden. Denn es gibt derzeit keine gesamtsyrische Alternative, die mächtig genug wäre, ein neues Syrien zu schaffen und sich gleichzeitig der imperialistischen und subimperialistischen Interessen zu erwehren. Deswegen gehen sie den Weg, dass sie die provisorische Föderation Nordsyriens mit rätedemokratischen Elementen und der Beteiligung der unterschiedlichen dort lebenden Völker, Ethnien und religiösen Gemeinschaften als einen eigenen Machtpool erschaffen, der versucht, die anderen Kräfte zu einer Mitte zu zwingen und währenddessen seinen hegemonialen Raum auf weitere Gebiete Syriens ausweitet.



Taktisch betrachtet bieten die PKK-nahen kurdischem Kräfte und Verbündete allen was an und gehen partiell auf deren Interessen ein, solange es auch der Entwicklung ihrer Interessen dient. Strategisch gesehen findet eine sehr eindeutige Positionierung und Abgrenzung gegen alle regionalen und internationalen Mächte statt. Ihnen ist auch klar: Betreffs ihrer strategischen Zielen sind alle bürgerlich-kapitalistischen Akteure der Region sowie international gegen sie und umso erfolgreicher ihr strategisches Projekt (demokratische Autonomie/Konföderalismus) ist, umso mehr feinden die regionalen und internationalen bürgerlich-kapitalistischen Akteure sie an. Sie sind deshalb auch bereit, den offenen Krieg mit jenen Kräften anzunehmen, wenn ihnen keine andere Wahl bleibt, bevorzugen diese Option aber realistischerweise (bisher) nicht oder nur im sehr eingeschränkten Format.

Der Vowurf unserer Antiimp-Helden und Möchtegern-MLer ist ihnen also zurück zu geben: Es sind nicht die kurdischen Kräfte und Verbündete in Syrien, sondern viel mehr jene deutschen „Kommunist*innen“ und Antimperialist*innen, die vor lauter Taktizieren die eigene Identität schon längst aufgegeben haben und vor der herrschenden Bourgeoisie im Rumpfstaat Syrien den Kotau machen. Selbstverständlich ist es derzeit als Revolutionär in Syrien vernünftig, nicht direkt und absolut gegen das syrische Regime vorzugehen. Nur in einigen (post-)trotzkistischen Phantasiewelten ist es der Fall, dass eine angeblich revolutionäre FSA bereit steht, die Macht im Sinne der Revolution zu übernehmen in dem Moment, in dem Assad stürzt, und dann auch noch in der Lage ist, den IS und den Imperialismus zu vertreiben. Realiter ist es der Fall, dass im Prinzip alle Kräfte (außer Kurd*innen und Verbündete), die auf eine Demokratisierung und potenziell Revolutionierung Syriens ausgerichtet sind, zerschlagen, inhaftiert, vertrieben, umgebracht und demoralisiert oder schlicht nicht mächtig genug sind. Diese Kräfte sind derzeit leider weit davon entfernt, die Macht zu übernehmen und den Imperialismus und seine Schergen sowie den IS zu besiegen. Die Kurd*innen und die SDF können das derzeit nur im begrenzten Maße für Nordsyrien leisten und das wissen sie selbst sehr gut. In einer solchen Kräftekonstellation ist klar, dass der Wahnsinn und das blutige Chaos einkehren werden, wenn Assad seitens islamistischer Banden gestürzt wird, was niemand, der alle Sinnen beisammen hat, wollen kann. Genau das sehen die Kurd*innen und Verbündete und fordern sowas deshalb nicht und handeln auch nicht dementsprechend. Daraus folgt aber nicht, dass man sich – ob nun objektiv (bürgerliche Kommunist*innen) oder subjektiv-bewusst und offen deklariert (bürgerliche Antiimperialist*innen) – zum Speichellecker der syrischen Rumpfbourgeoisie macht. Lenin, einer der größten Revolutionäre der Weltgeschichte, ging beizeiten in einer ähnlichen Situation noch weiter als die kurdischen Kräfte und Verbündete: In einer Situation, wo klar war, dass die Bolschewik*innen die Macht nicht übernehmen können, nämlich als der Erste Imperialistische Verteilungskrieg losging, empfahl er Sabotage und Defätismus gegenüber der eigenen Bourgeoisie, obwohl es doch klar war, dass es viel schlimmer kommen würde unter einer eventuellen deutschen Besetzung Russlands. Der Vorschlag Lenins ging zu weit und wurde deshalb abgelehnt. Was aber für Lenin und seine Genoss*innen klar war, war eine Sache: Eine Politik des „kleineren Übels“ wurde nicht verfolgt, immer nur eine des Ausnutzens von zwischenimperialistischen und innerbürgerlichen Widersprüchen bei stetiger Wahrung der eigenen organisationsförmigen, ideologischen und praktischen Unabhängigkeit und Aktivität mit Blick auf die Möglichkeit der Revolution. Das geht unseren bürgerlichen „Antiimperialist*innen“ abhanden, wenn sie Assad und Putin zu Heroen des Weltfriedens hochstilisieren und dabei ganz offen jede proletarische Eigenständigkeit aufgeben genau so wie wenn sogenannte „MLer“ objektiv im Sinne eines kleineren Übels argumentieren, der in der Praxis auf eben dasselbe hinausläuft: Verzicht auf die Revolution im Namen eines – „Völkerrechtssubjekts“ (Stoodt)!!

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