Bürgerlicher Antiimperialismus und bürgerlicher Kommunismus als Revolutionsblockade. Zur Rojava-Debatte


Die Revolution in Rojava und ihre Probleme



Yüklə 176,69 Kb.
səhifə4/5
tarix08.12.2017
ölçüsü176,69 Kb.
#34210
1   2   3   4   5

Die Revolution in Rojava und ihre Probleme

Kommen wir nun zum Kern der Angelegenheit, dem revolutionären Charakter von Rojava. Bei Stoodt heißt es, bezugnehmend auf zwei Texte beim UZ-Pressefest, dass sich Positionen, die sich positiv auf Frieden, Internationalismus, Antiimperialismus und für ein emanzipatorisches Projekt Rojava einsetzen, anfällig sind für offen rechte Position und zur Unterordnung unter die Interessen der USA; Klara Bina meint, etwas vorsichtiger, dass die Frage, inwiefern sich die PKK Richtung „westlicher Demokratie“ bewegte, noch offen sei.

Nicht offen ausgesprochen aber mittels Rhetorik wird suggeriert: Die Kurd*innen setzen (potenziell) nur das durch, was auch die Imperialisten wollen (ein emanzipatorisches Projekt Rojava, „westliche Demokratie“). Das ist schon außerordentlich blöd. Wenn es darum geht, bürgerlich-demokratische Errungenschaften im imperialistischen Zentrum zu thematisieren, dann heißt es: große glorreiche Errungenschaften der Arbeiter*innenklasse, die der Bourgeoisie aufgezwungen wurden! Wenn nun die Kurd*innen ähnliches in Syrien und sonst wo verlangen und dafür kämpfen, dann sind das plötzlich keine großen Errungenschaften mehr, die man der Bourgeoisie noch kapitalismusintern aufzwingen kann, nein, dann ist das eine proimperialistische Agenda. Obwohl alle Welt inklusive der Kurd*innen weiß, dass überall dort, wo der Imperialismus – unter welchen Vorwänden und schönen Floskeln auch immer – einmarschierte, gerade keine Demokratie, gerade keine Frauenrechte und gerade keine Rätedemokratie erschaffen wurde! Ich rede gar nicht erst vom Selbstbestimmungsrecht der Nationen, einem urleninistischen Prinzip, das jene Antinationalen, über die sich Klara Bina in ihrem Text beschwert, negieren und das Klara Bina gegen die Antinationalen verteidigt – solange es nicht wirklich um eine nationale Befreiungsbewegung geht, im vorliegenden Fall nämlich um die PKK-nahe kurdische Befreiungsbewegung. Eine solche koloniale Mentalität, die „denen da an den Rändern“ proimperialistische Mentalität vorwirft, weil sie dasselbe erkämpfen wollen, was der Arbeiter*innenbewegung im Zentrum gelungen ist, bringe ich gern ohne jede rhetorische Finte und offen auf den Begriff: Diese Einstellung ist nichts anderes als die Rationalisierung eines Sichausruhens auf Errungenschaften der Arbeiter*innenklasse und imperialistischer Rente, die sich in ML-Worten hüllt.

Falls man sich aus marxistisch-leninistischer Perspektive ernsthaft für die Umwandlung der PKK und den derzeitigen Revolutionsprozess in Rojava interessiert, dann wird man die präzise auf ihren Begriff bringen, namentlich auf den Begriff einer Theorie und Praxis des Zustands der Doppelmacht. Der Zustand der Doppelmacht ist ja nach Lenin ein Zustand, in dem innerhalb der bestehenden bürgerlichen Ordnung und relativ autonom zu ihr die Keime einer Gegenmacht, die Macht der Werktätigen, aufblühen und sich die Waage halten mit den dominierenden kapitalistischen Verhältnissen, die allerdings weiterhin bestehen. Es ist klar, dass dieser Zustand nicht ewig dauern kann, sondern früher oder später in die eine oder andere Richtung kippt. Für Lenin stellen die frühen Sowjets im Russland des Jahres 1917 den Pol der Gegenmacht im Zustand der Doppelmacht dar. Die Theorie des demokratischen Konföderalismus und die Revolutionspraxis in Rojava stellen nun genau ein Moment der Doppelmacht in Kopplung mit einer demokratischen Revolution dar.

Einerseits optieren die PKK-nahen kurdischen Kräfte in allen Ländern, in denen sie aktiv sind, für eine demokratische Revolution, die die Aufgaben der bürgerlichen Revolutionen, die in diesen Ländern im besten Fall nur zum Teil demokratisch verliefen, vollenden. Zu den Aufgaben der bürgerlich-demokratischen Revolution gehören alle die Dinge, die man aus den Zentren des Imperialismus mehr oder minder gewohnt ist: innerhalb des bürgerlichen Rahmens die Erlangung weitestgehender politischer Freiheiten, das Recht auf Ausleben jedweder nationalen, religiösen79, ethnischen usw. Identität, im mindesten Chancengleichheit der Geschlechter, Demokratisierung der Staatsstrukturen usw. Andererseits ist die Einsicht von Lenin noch vorhanden, dass nämlich die Bourgeoisien der jeweiligen Länder, in denen sich die kapitalistische Produktionsweise erst später als in den imperialistischen Zentren entfaltete, die demokratische Revolution aus gutem Grund nicht vollenden, weil das ihrem Charakter nicht entspricht, und dass deshalb der Bourgeoisie die demokratische Revolution aufgezwungen werden muss. Hier kommt das Moment der Doppelmacht ins Spiel: die Rätedemokratie. Lenin verbringt nicht umsonst gefühlt das halbe Jahr 1917 damit, Dutzende von Seiten darüber zu schreiben, wie wichtig die Entwicklung der narodnaja vlast (also die Volksmacht) in Form der Sowjets, also der Räte, im Prinzip ist. Es sind dies die ureigensten politischen Formen der Werktätigen, innerhalb derer die bürgerliche Trennung von geistiger und manueller Arbeit, von Politik und Gesellschaft aufgehoben und eine Ermächtigung der Werktätigen stattfindet – und, das hebt Lenin eigens hervor, es sind Formen, die die bisherige bürgerliche Staatsmaschinerie zunehmend durch eine proletarische ersetzen und eine Verselbständigung der Staatsbürokratie verhindern können. Öcalan und die kurdische Befreiungsbewegung, wie übrigens viele andere revolutionäre Strömungen auch, entnehmen einer Kritik der Mängel der Sowjetunion – nebst einigen irreführenden Schlüssen, die ich gleich anführe – die Überzeugung, dass die Bildung und Stärkung der Rätedemokratie und vor allem ihre Ausweitung auf alle gesellschaftlichen Verhältnisse geradezu zentral ist für eine Revolution, die erfolgreich von den Werktätigen geleitet werden soll. Dahinter steht die Überzeugung, dass der Kapitalismus stets eine Totalität von gesellschaftlichen Verhältnissen und somit auch eine Totalität von Unterdrückungs-, Ausbeutungs- und Marginalisierungsformen ist und dass dementsprechend die Gegenmacht der Revolution ebenfalls eine gesellschaftliche Totalität sein muss, sprich alle gesellschaftlichen Verhältnisse durchdringen muss, will sie nicht den toten Ballast der alten bürgerlichen Ordnung in die neue Ordnung mit hineintragen und somit eine Blockade der Revolution riskieren.

Nun sehen wir genau die Keime einer solchen Gegenmacht mit der Revolution in Rojava blühen: Es werden autonome Frauenräte und -militäreinheiten gebildet, was ein unglaublich großer Schritt der Frauenbefreiung ist in Syrien und vor allem in den kurdischen Teilen Syriens, wo noch Überreste feudaler Geschlechterverhältnisse vorhanden sind und die Frau selten mehr als ein Objekt und als Hausfrau betrachtet wird. Politisch betrachtet werden die jeweiligen Städte angefangen von der kleinsten Einheit von Kiezräten bis hin zum Stadtrat von der jeweiligen Bevölkerung räteförmig organisiert, wobei die höheren Räte stets gegenüber den unteren Räten verantwortlich und gegebenenfalls ersetzbar bleiben. Aber auch z.B. die zivile Verteidigung der Viertel wird von den jeweiligen Viertelsräten, die von den jeweiligen Bevölkerungen gestemmt werden, organisiert und ist von Polizei (Asayish) und Militär (YPG/J) unabhängig, wobei auch Polizei und Militär räteförmig organisiert werden. Inwieweit die Räte der Basis die höchsten politischen Strukturen wie z.B. den Kantonalrat oder die Föderation kontrollieren und organisieren, scheint allerdings noch nicht vollständig geklärt zu sein.

Auch in den Produktionsstätten sehen wir die Ausweitung von Kooperativen und Kommunen, sprich die Umsetzung von Prinzipien der Arbeiterselbstverwaltung: Laut dem Wirtschaftsminister des Kantons Cizire, Ahmad Yousef, werden 33% aller Unternehmen in Rojava von Arbeiterräten verwaltet, während 75% alles bisherigen Privateigentums als Gemeineigentum verwaltet werden (25% alles Eigentums befindet sich im Privatbesitz durch Nutzung).80 Laut demselben Yousef gibt es derzeit 400 Kommunen mit jeweils 20-35 Kommunenmitgliedern im Kanton Cizire.81 Aufgrund des Umstands, dass die Revolution im Prozess begriffen ist und zugleich demokratische Revolution wie auch Doppelmacht ist, sind kapitalistische Verhältnisse nicht abgeschafft. Schon im Gesellschaftsvertrag von Rojava 2014 wird das Recht auf Privateigentum zugesichert (Art. 41). Das wird allerdings eingeschränkt: Einerseits werden Bodenschätze und natürliche Ressourcen als Besitz der Gesellschaft proklamiert (Art. 39), andererseits in ähnlicher Manier Grundbesitz und Boden als Besitz der Bevölkerung deklariert (Art. 40). Als Zweck der wirtschaftlichen Entwicklung werden die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse und das würdevolle Leben bestimmt, legitime Konkurrenz geduldet, aber Monopole verboten (Art. 42). Die Widersprüchlichkeit läuft auf den Schluss hinaus: Hier geht es darum, innerhalb des Kapitalismus alternative und antikapitalistische Prinzipien parallel zum Kapitalismus aufzustellen, eine Übergangsökonomie also (entweder Übergang zurück zum Kapitalismus oder vorwärts zum Bruch). Das geht ja auch aus Öcalans neuen Schriften hervor: Öcalan lehnt das Prinzip des Profits und der Profitmaximierung ab und optiert für ökologische Kommunen und andere sozialen Entitäten, die sich nach den Bedürfnissen der Gesellschaft richten und nicht nach dem Profit, wobei er aber gleichzeitig meint, dass sie es vielleicht nicht schaffen werden, den Kapitalismus vollständig zu überwinden.82

Es ist ebenfalls klar, was die prinzipiellen Probleme des Revolutionsprojekts sind (d.h. einmal davon abgesehen, dass sich das Gebiet im permanenten Kriegszustand befindet, was die Entfaltung der Revolution massiv erschwert und ein permanentes Taktizieren entlang zwischenimperialistischer und innerbürgerlicher Widersprüche erzwingt). Und zwar sind dies dieselben Probleme, die jedem Zustand der Doppelmacht entspringen kombiniert mit ideologischen Problemen: Es ist klar, dass allein durch die Entwicklung der Elemente von Doppelmacht und der Rätedemokratie die sozialistische Revolution nicht vollendet werden kann, weil die Bourgeoisie unmittelbar und die kapitalistische Produktionsweise strukturell die Keime der Gegenmacht bedrohen, einengen und permanent angreifen werden. Der Zustand der Doppelmacht ist immer einer, der vorübergehend ist: Irgendwann geht’s zurück in die strukturell uneingeschränkte Dominanz kapitalistischer Verhältnisse oder vorwärts Richtung revolutionärem Bruch. Andererseits, und das ist das Problematischere, werden ideologisch falsche Schlüsse aus der Kritik der Sowjetunion gezogen, namentlich dass die Funktion des Staates innerhalb kapitalistischer Verhältnisse sowie beim Übergang in den Kommunismus und der Klassenantagonismus unterschätzt werden. Eine revolutionäre staatliche oder staatsähnliche Ordnung wird nötig sein gegen die massive und auf Vernichtung der Revolution gerichtete Opposition des Klassenfeindes im Inneren wie außen, die sich einstellen und umso mehr an Fahrt aufnehmen wird, umso mehr die Revolution den Charakter der demokratischen Revolution übersteigt und sozialistische Elemente, Elemente der Macht der Werktätigen ausbildet.83 Die (falsche) Gegenüberstellung von Staat und Gesellschaft, wobei der Staat als das bloß Despotische und die Gesellschaft als das bloß Soziale, Freie und „Natürliche“ begriffen werden, kann mittelfristig und langfristig dazu führen, dass diese im strengeren Sinne sozialistische Perspektive und das auf die Spitze treiben der durch die gesamte Gesellschaft hindurchgehenden Antagonismen aufgegeben werden und dass somit also die Revolution bei der Vollendung der demokratischen Revolution steckenbleibt – was, vergleicht man die Umstände und alle anderen realen Alternativen, auch gar nicht so schlecht wäre. Die Kurd*innen und die anderen Völker kämen dann in den Genuss all derjenigen Rechte und Freiheiten, die alle anderen Völker der imperialistischen Zentren schon haben und vielleicht würde das Blutbad im Nahen Osten oder zumindest in Syrien aufhören.



Die Kommunist*innen und die Revolution in Rojava

Kommunistische Revolutionäre würden sich mit so etwas nicht zufrieden geben und weiterhin dafür optieren, dass die Revolution einen sozialistischen Charakter annehmen sollte und dass dies der Beginn des eigentlichen Prozesses ist bzw. sein kann, der alle Ausbeutungs-, Unterdrückungs- und Marginalisierungsverhältnisse abschafft. Einerseits wäre aber eine vollendete demokratische Revolution sicherlich eine bessere Grundlage für die Ausbildung der sozialistischen Perspektive. Andererseits finden sich in der derzeit stattfindenden Revolution in Rojava mehr als genügend Momente, die über eine bloß bürgerlich-demokratische Perspektive hinausweisen oder hinausweisen können und allein deshalb schon für ein organisches Verhältnis der Kommunist*innen zur Revolution in Rojava sprechen: Im Gegensatz zur eigenen Theorie und zur Tradition des libertären Anarchismus kann die kurdische Befreiungsbewegung etwas vorweisen, was dem klassischen Marxismus-Leninismus zuzuordnen ist: eine stramm disziplinierte, militante Kaderpartei, die PKK, die beizeiten in mehreren Ländern gleichzeitig den revolutionären Volkskrieg führte und den Prozess der demokratischen Revolution koordiniert und sich bisher immer sehr direkt und offen von bürgerlichen kurdischen Parteien abgegrenzt hat. Öcalan bezeichnet sich selbst an vielen Stellen als Sozialist und Antikapitalist, der für einen „demokratisch verstandenen Sozialismus“ (damit meint er eine anarchistische Ordnung ohne Staat) eintritt. Auch wichtige Führungspersönlichkeiten der PKK wie Duran Kalkan oder Sabri Ok – der in dem oben erwähnten Interview darauf hinweist, dass es grundlegende Probleme mit der ökonomischen Revolution in Rojava gibt und davor warnt, dass einfach die Ausbeuter wieder einkehren, falls sie nicht gelingt – weisen immer wieder auf die Bedeutung der Befreiung der Arbeit hin. Noch in einem Artikel zum 1. Mai 2015, in der Duran Kalkan die HDP dafür kritisiert, dass sie nicht bestimmt genug als Arbeiter*innenpartei auftritt, spricht er ganz klar folgende Worte: „Es ist hervorzuheben, dass weder das Konzept der Avantgardepartei noch die der Arbeiter- und Werktätigenorganisation abgelehnt wird. Im Gegenteil: Es dominiert die Vorstellung, dass das Verständnis der Avantgardepartei einem Paradigmenwechsel [also Öcalans neue Theorien, K.Y.] unterzogen wird und dass auf dieser Grundlage die Organisation der Arbeiter und Werktätigen inklusive der Avantgardepartei noch viel stärker und tiefer entwickelt werden.“84



Unter den Hunderten revolutionären Internationalist*innen aus allen Herren Ländern der Welt, die an der Revolution in Rojava teilhaben, dominiert ein mal marxistisch, mal anarchistisch, mal sozialrevolutionär verstandenes Verständnis von Kommunismus. Auch viele der „einheimischen“ kurdischen Kämpfer*innen verstehen sich ganz selbstverständlich als Kommunist*innen. Zu all dem kommt hinzu – und das ist gewissermaßen der Dreh- und Angelpunkt –, dass eine Ermächtigung der Werktätigen in Rätestrukturen innerhalb der Produktion, Zirkulation, des Alltags und unterschiedlichen Sphären der Politik stattfindet, ergo eine für einen erfolgreichen Sozialismus unabdingbare Umstrukturierung der gesellschaftlichen Totalität in Angriff genommen wird.

Die Existenz eines widersprüchlichen Revolutionierungsprozesses, die Perspektive einer demokratischen Revolution, die zugleich eine nationale Befreiung beinhaltet und mit sozialistischen Elementen ausgestattet ist, eine Ideologie, die zwar sicher nicht marxistisch-leninistisch ist, aber viele Elemente der historischen revolutionären Arbeiter*innenbewegung enthält – all das ist für Klara Bina nicht das Thema, für sie gilt: Das sind alles Anti[sic!]-Kommunisten!85 Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Die PKK-nahen kurdischen Kräfte werden nicht als nicht-marxistisch-leninistisch, nicht-marxistisch oder vielleicht meinetwegen als nicht-kommunistisch bezeichnet, sondern als anti-kommunistisch! Anti-Kommunismus, das ist die NATO, die Gladio, das sind die Faschisten der MHP genau so wie die putschistischen Faschisten in ML-Kleidern wie Doğu Perinçek. Anti-Kommunist*innen sind die allerreaktionärsten Elemente des Klassenfeindes, die Speerspitze der bis an die Zähne bewaffneten Konterrevolution. Nun stellt sich Klara Bina hin und bezeichnet sozialrevolutionäre Antikapitalist*innen als anti-kommunistisch! Hier paart sich der bürgerliche Kommunismus mit einem spezifisch kleinbürgerlich-terroristischen Element in der kommunistischen Bewegung, der im engeren Sinne Stalinismus genannt wird. Nach dem Motto „alle, die nicht absolut auf meiner Seite sind, sind Feinde von mir und der Revolution überhaupt“ wird hier allen Sozialrevolutionär*innen und sich selbst offen als Antikapitalist*innen bezeichnenden Personen vorgeworfen, sie seien Feinde der Revolution (denn nichts anderes als das beinhaltet der Vorwurf des Anti-Kommunismus).86 Zu welchen fatalen Säuberungsaktionen und innerlinken Bürgerkriegen solche Logiken in der Geschichte der kommunistischen Revolutionen geführt haben und wie dadurch Revolutionsprozesse beendet oder gestoppt wurden ist hinreichend bekannt. Ebenso, dass solche Positionen nie Revolutionen geleitet haben, weil gemäß einer solchen Perspektive so etwas wie Hegemonie und Bündnisarbeit schlicht unmöglich ist. Man stelle sich vor der Lenin hätte wie eine beleidigte Leberwurst die Arme überkreuzt und trotzig den Kopf schüttelnd „Nee nee, da machen wir nicht mit, da sind wir noch nicht führend, die Produktionsmittel sind noch nicht komplett vergesellschaftet, es sind noch nicht alle Werktätigen des Landes stramme Marxisten-Leninist*innen, die sozialistische Revolution ist noch nicht eindeutig, es führen die bürgerlichen, opportunistischen und sozialrevolutionären Kräfte“ etc. gesagt, nur weil die Menschewik*innen, Kadetten und Sozialrevolutionär*innen die erste bürgerlich-demokratische Regierung nach der Februarrevolution stellten und bis zum September 1917 die Mehrheit in den Sowjets innehatten. Solche kleinbürgerlich-terroristischen Positionen innerhalb der kommunistischen Bewegung konnten sich nur auf schon erfolgreich stattfindende Revolutionen drauf setzen, den Revolutionierungsprozess normalisieren und in geordnete Bahnen lenken, ihn dadurch aber auch nicht mehr weitertreiben und zum Stillstand bringen.

In der derzeitigen Rojava-Debatte sehen wir wieder einen Beweis für diese Feststellung. Die bürgerlichen Antiimperialist*innen haben jede proletarische Perspektive schon längst aufgegeben und kuscheln mit irgendwelchen drecksreaktionären Bourgeoisien und sehen kein Problem darin, mit putschistischen Faschisten wie Doğu Perinçek zusammenzuarbeiten (Antiimperialist*innen im SKFS) oder eine Zusammenarbeit mit „Teile[n] des Politischen Islams“ (Ulrich) zu befürworten. Die bürgerlichen Kommunist*innen hingegen reden sehr viel in ML-Termini und von Klassenperspektiven, machen aber im mindesten objektiv den Kotau vor der syrischen Rumpfbourgeoisie, indem sie den einzig wirkmächtigen und vernünftigen, wenn auch widersprüchlichen, Revolutionsprozess vor Ort als pro-imperialistisch brandmarken und sich dabei gleichzeitig in kolonialer, imperialer Manier ganz besonders marxistisch gerieren.

Diese Elemente der Arbeiter*innenaristokratie und Kleinbourgeoisie, die sich dazu entschieden haben87 sich auf den Errungenschaften der Arbeiter*innenbewegung in den imperialistischen Zentren und auf der imperialistischen Rente auszuruhen, fungieren, zumindest diskursiv, aktiv als Revolutionsblockaden und stiften viel Verwirrung innerhalb der revolutionären Linken. Für Kommunist*innen und Sozialrevolutionäre muss hingegen klar sein, dass die Perspektive eines strategischen Bündnisses mit der PKK-nahen kurdischen Befreiungsbewegung angestrebt werden muss, was Rojava/Syrien, die Türkei und den Nahen Osten angeht. Das heißt, dass die Kommunist*innen, sofern sie die organisatorischen Kapazitäten und Ressourcen hierzu haben, wie üblich ihre organisatorische, ideologische und gegebenenfalls militärische Eigenständigkeit (obzwar in Rojava natürlich unter dem Oberkommando der YPG/J) bewahrend, aktiv und organisch am Revolutionsprozess Seite an Seite mit der kurdischen Befreiungsbewegung teilnehmen und dafür wie für ihre eigene Sache kämpfen oder sich zumindest mit diesem Kampf solidarisieren müssen – schlicht und ergreifend deshalb, weil es ihre eigene Sache ist!

Selbstverständlich beinhaltet ein solches strategisch-organisches Bündnis einen wechselseitigen Prozess solidarischer Kritik und Selbstkritik. Aber nur dadurch, dass Kommunist*innen eine wirkmächtige Kraft im Revolutionierungsprozess werden und aufzeigen, dass es in der Praxis und realiter (nicht allein in Worten und schlauen Belehrungen) ihre Perspektive und ihre Methoden sind, die die strukturellen Probleme, mit der die Revolution in Rojava unweigerlich konfrontiert werden wird und schon wird, überwinden und eine noch umfassendere Ermächtigung der Werktätigen herstellen können, nur dann können die kommunistischen Kräfte daran mitarbeiten, die sozialistischen und kommunistischen Potenziale der Revolution in Rojava zur Entfaltung kommen zu lassen und mit dafür sorgen, dass die demokratische Revolution plus nationale Befreiung in eine sozialistische Revolution übergeht. Das auf Unwissen gründende, ignorante und arrogante Belehren von Außen hingegen wird nur dazu führen, dass die kommunistischen Kräfte glatt an allen Entwicklungen vor Ort abprallen und als elitäre Schnösel wahrgenommen werden.



Ein möglicher Erfolg der popularen demokratischen und eventuell sozialistischen Revolution in Rojava wird nicht zuletzt große Wirkungen auf den gesamten Nahen Osten und die Türkei haben. Nur dadurch, dass diese Revolution an Fahrt aufnimmt und siegt und somit einen popularen Machtpool im Nahen Osten darstellt, wird es möglich sein, das revolutionäre Potenzial in anderen Ländern des Nahen Ostens (wieder) zu stärken, z.B. die libanesische Hizbullah und die Sadr-Bewegung im Irak von den Fittichen des Iran befreien und zu ihren potenziell revolutionär-demokratischen, antiimperialistischen Wurzeln zurückführen. Gleichzeitig werden sozialistisch-revolutionäre Bündnispartner wie die PFLP in Palästina und der Revolutionsprozess in der Türkei gestärkt und wer weiß, vielleicht auch die Revolutionsbewegung in Ägypten revitalisiert werden. Nicht zuletzt deshalb sollte einer unser Slogans Biji berxwedane Kobanê! sein und unsere Grüße und unser Dank an die hunderten Internationalist*innen, an die Kader Ortakayas, Suphi Nejat Ağırnaslıs, Ashley Johstons, Ivana Hoffmans, Kevin Jochims, Günther Kelstens und viele mehr gehen, die im Kampf für die Revolution gefallen sind und an alle die mutigen Kommunist*innen, Anarchist*innen, Sozialrevolutionäre, Autonomen, revolutionären Demokrat*innen und andere, vor allem die kurdischen Kräfte, die weiterhin dort kämpfen und die revolutionären, internationalistischen Prinzipien hochhalten. Dem selbstvernichtenden Defätismus Stoodts, der, ganz im Sinne des rechten Flügels der Arbeiter*innenbewegung seit Kautskys Motto à la „der Klassenfeind hat nun einmal viel zu viele starke Waffen, deshalb sind Revolutionen nicht mehr möglich“, mehrmals die Übermacht des US-Imperialismus hervorhebt und dem Revolutionsprojekt in Rojava keine Chance einräumt, braucht niemand zu verfallen. Auch der US-Imperialismus ist nur ein Papiertiger im Angesicht der fortschreitenden Revolution. Hauptsache sie schreitet voran!

  • Von Kader Yıldırım

 

1http://217.113.46.216/de/4836/29/3475/Krach-in-der-imperialistischen-Pyramide.htm.

2http://news.dkp.suhail.uberspace.de/2016/06/antinationaler-internationalismus/.

3https://www.jungewelt.de/m/artikel/292500.türöffner-für-intervention.html.

4http://www.antiimperialista.org/de/node/244861.

5Der folgende Artikel bezieht sich vor allem, aber nicht nur, auf die oben zitierten Artikel.

6http://www.bbc.com/turkce/36875209.

7Für die Präsentation einer „kaukasischen“ Position innerhalb des Militärs, vgl. folgendes Interview mit dem ehemaligen Vizeadmiral Cem Gürdeniz: http://t24.com.tr/haber/emekli-tumamiral-cem-gurdeniz-tanki-durdurana-sahip-cikarim,351771,

8Hier beschreibt er das Treffen mit den russischen Verantwortlichen: http://www.ulusalkanal.com.tr/rusya-da-kritik-saatler-makale,5661.html.

9http://t24.com.tr/haber/emekli-tumamiral-cem-gurdeniz-tanki-durdurana-sahip-cikarim,351771.

10http://www.aydinlik.com.tr/vatan-savasinda-turkiye-tayyip-erdogani-yonetiyor.

11http://www.diken.com.tr/new-york-timesa-konusan-perincek-erdogani-vatansever-gucler-ele-gecirdi/.

12http://www.aydinlik.com.tr/oso-kiminle-birlikte-kime-karsi-savasiyor.

13http://www.al-monitor.com/pulse/originals/2016/08/turkey-iran-honeymoon-what-is-next.html.

14Genau das ist der pragmatische Tenor des ehemaligen Admirals der US Navy, James Stavridis: http://foreignpolicy.com/2016/07/18/turkey-and-nato-what-comes-next-is-messy-coup-erdogan-incirlik-air-base-nuclear-weapons/.

15Abdullah Öcalan,
Yüklə 176,69 Kb.

Dostları ilə paylaş:
1   2   3   4   5




Verilənlər bazası müəlliflik hüququ ilə müdafiə olunur ©muhaz.org 2024
rəhbərliyinə müraciət

gir | qeydiyyatdan keç
    Ana səhifə


yükləyin