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'Schlechsen'

'Krögel'
Lungenfische
Strahlenflosser

Tetrapoden
Knorpelfische

Knochenfische


Knochentiere
Kieferlose Fische
(Neunauge u.a.)


Bekieferte
Urfisch kieferlos, knorpelig)


Wirbeltiere

Abb. xx: Cladistische Grobklassifikation der Wirbeltiere (gemeinsame Vorfahren in Klammern)

Kieferlose

Knorpelfische

Knochenfische

Amphibien

Reptilien

Vögel

Säugetiere




Wirbeltiere

Abb. xx: Gängige Klassifikation der Wirbeltiere
Wie Mayr (230) betont, ignoriert der Cladismus, dass die evolutionäre Entwicklung nicht nur aus (a) evolutionären Spaltungsprozessen besteht, sondern auch aus (b) Änderungen vor bzw. nach einer Spaltung bzw. ganz ohne Spaltung. Allgemeiner gesagt, die Cladistik betrachtet nur den synchronen bzw. 'räumlichen' Prozess der Aufspaltung  sie ignoriert aber, inwieweit Spezies oder höhere Taxa in der Evolution zeitlich gleich geblieben sind oder sich verändert haben. Beispielsweise passiert es oft, dass sich von einer großen Spezies oder Speziesfamilie eine Spezies abzweigt und eine neue adaptive Zone erobert und dort gänzlich andere Merkmale erwirbt als die alte Spezies (Familie), ohne dass sich die alte Spezies verändert hätte. Dies geschah, als sich die Vögel von den Sauriern abspalteten. In diesem Fall, so Mayr, ist es unevolutionär, zu sagen, die alte Spezies hätte sich ebenfalls verändert, bloß weil eine neue Spezies davon abgezeigt ist. Mayr schlägt dagegen die evolutionäre Taxonomie vor, welche diese zeitliche Änderungsdimension mitberücksichtigt. Siehe Abb.

Vögel Reptilien Vögel Reptilien

Evolut. Taxonomie Cladistik
Da die Reptilien nicht deswegen andere wurden, weil sich die Vögel abspalteten, ist Mayr zuzustimmen, dass die Cladistik 'unevolutionär' sei  und die evolutionäre Taxonomie ist vorzuziehen. Umgekehrt muss der Cladistik zufolge, wenn eine Spezies oder Familie aufgrund gänzlich anders werdender Bedingungen ganz andere Merkmale annimmt, ohne aber sich zu spalten, immer noch von einer Spezies/Familie gesprochen werden, während die evolutionäre Taxonomie auch eine zeitliche Identitätsveränderung zulässt  so wie das z.B. beim ursprünglichen Vorfahren der Menschen passierte, der dritten Schimpansenspezies (wie Diamond sie nannte), die bis vor 2-3 Millionen Jahren den Schimpansen wohl viel ähnlicher war als den heutigen Menschen, sodass man die heutigen Menschen und den dritten Schimpansen nicht unbedingt als dieselbe Spezies bezeichnen möchte:

steinzeitlich bis

moderner Mensch
dritter Schimpanse
Evolut. Taxonomie Cladistik

Abb. xx
Zusammengefasst ist daher der scheinbare Vorteil des Cladismus zugleich sein größter Nachteil, nämlich dass er das Problem der Identität von Spezies und höheren Taxa (biologischen Kategorien) in der Zeit komplett ignoriert, und daher ist die evolutionäre Taxonomie grundsätzlich vorzuziehen, die bisher allerdings noch nicht annähernd so scharf ausgearbeitet wurde wie der Cladismus.


1.9 Dem Common Sense fremd: die missverständliche gesellschaftliche 'Darwinismus'-Rezeption bis in die Gegenwart
Die darwinistische Revolution kam und kommt mit traditionellen Weltanschauungen und Weltanschauungen insgesamt an vielen Stellen in Konflikt. Die Funktion von religiösen Weltanschauungen, auf deren evolutionäre Selektionsgeschichte wir in Kap. xx näher eingehen, und von Weltanschauungen insgesamt, besteht ja (nach Topitsch xx und anderen) darin, gleichzeitig ein verständliches deskriptiv-explanatives Bild der Welt zu vermitteln und mit Hilfe dessen dem Leben der Menschen ein objektiv fundiertes Ziel, einen Sinn, eine Moral und eine seelische Absicherung zu geben. Die Welt ist 'mehr' als bloß dasjenige, was naturwissenschaftlich und letztlich 'materiell-mechanisch' erklärbar ist  in gewisser Weise ist dies nicht nur die Implikation religiöser ,sondern mehr-oder-weniger aller Weltanschauungen. Nun ist aber die darwinsche Revolution nichts anderes als der Triumphzug des naturwissenschaftlichen Denkens, welches dieses von mechanisch-nichtlebenden auf alle lebenden Prozesse und in der verallgemeinerten Evolutionstheorie sogar auf alle kulturellen Prozesse überträgt. kein Wunder, dass sich die Evolutionstheorie hartnäckig so schwer mit den Weltanschauungen des Common Sense vereinen lässt, und dass sie daher immer wieder und von so vielen Seiten angefeindet wird. Hinzu kommt, dass die Evolutionstheorie zugleich von so vielen Autoren missverstanden wurde, also falsch interpretiert wurde, etwa vom Sozialwahrnisten Herbert Spencer, der in die Evolution einerseits eine notwendige Fortschrittslehre hineinlas, und andererseits dieselbe mit einem sehr inhumanen Bild vom Überleben des Stärken verbunden hat, womit man anscheinend viele soziale Ungerechtigkeiten rechtfertigen kann. Solche missverständliche Bilder von Evolutionstheorie wurden immer wieder als Strohmänner benutzt, um die Evolutionstheorie insgesamt herunterzumachen.

Mayr (501) fasst die großen Umwälzungen des Weltbildes, welches die darwinsche Revolution bewirkte, so zusammen: 1.) die statistische Welt wurde durch evolvierende ersetzt, 2.) der Kreationismus wurde unwahrscheinlich, 3.) die kosmische Teleologie sowie (4.) der Anthropozentrismus wurde zurückgewiesen, 5.) scheinbare Zweckmäßigkeit konnte 'mechanisch', d.h. ohne Teleologie und ohne intentionale Agenten erklärt werden, 6.) der Essentialismus wurde durch Populationsdenken ersetzt.

1.) und 2.) waren voralledem ein Schlag gegen alle religiösen Weltbilder, und da Religionen auch in hochmodernen Gesellschaften verbreitet sind, ist dies Grund genug für die nachhaltige Opposition. Punkt 3.) ein Affront gegen eine viel umfassendere Klasse von Weltanschauungen, da auf jedwede sinnstiftende Teleologie als ontologisch fundamentale Kategorie verzichtet wird, weil dem nichts empirisch-wissenschaftliches entspricht. Damit werden alle modernen versteckt teleologischen Entwicklungslehren, von Spencers Sozialdarwinismus bis zu Marxens Diamat, angegriffen. Durch 4.) wird aber ebenso der moderne Anthropozentrismus angegriffen, der behauptet, der Mensch als Zentrum und Spitze der Evolution könne beliebig über die Natur regieren, wie es schon die Bibel lehrt, oder sich völlig von Naturzwängen befreien, wie es z.B. der Marxismus lehrt.

Punkte 5.) und 6.) stehen in Konflikt mit tiefsitzenden kognitiven Denkmustern der Menschen. Das betrifft insbesondere Punkt 5.) Wenn gewisse Prozesse gerichtet sind und sich auf einen Endzustand hinbewegen, so deutet dies die natürliche Kognition des Menschen als echt-zielgerichteten Prozess, wobei das Ziel entweder schon in der Natur selbst angelegt ist (Teleologie), oder aber der Intention eines 'schuldigen' Agenten entspringt (Intentionalität). In beiden Fällen ist das Ziel vorher schon da  das Ziel ist eine ontologisch primär und nicht abgeleitete Kategorie; eine aus-sich-selbst-heraus wirksame, eine kausal aktive Entität. In der Evolutionstheorie wird das Ziel dagegen eine ontologisch abgeleitete bzw. 'supervenierende' Kategorie; wenn sie wollen, ein Konstrukt  denn das Ziel leitet sich ab aus den nachhaltig wirkenden Selektionsbedingungen für evolutionäre Systeme, welche deren Entwicklung in eine gewisse Richtung drängen; das Ziel ist ein kausaler Effekt, aber keine kausale Ursache für irgendetwas. Sobald entweder die Systeme ihre evolutionären Eigenschaften verlieren (Reproduktion, reproduzierte Variation), oder aber die Selektionsbedingungen aufhören zu wirken, sich rapide ändern, oder chaotisch randomisieren, gibt kein Ziel mehr. Nur wer sich die naturwissenschaftliche Denkweise zu eigen gemacht hat, wird bereit sein, diesen Punkt grundlegend nachzuvollziehen.

Insbesondere steht Punkt 5.) im Gegensatz zur handlungstheoretischen Modellvorstellung, welche historische Ereignisse aus der verkürzten Perspektive individueller Handlungsabsichten sieht  menschliche Evolution sei die Geschichte von machtvollen Herrschern oder Gruppen, so wie es auch noch der Marxismus und die Mehrheit der heutigen linken Intellektuellen sehen, sodass also alles negative in dieser Welt irgendwelche Übeltäter oder Ausbeuter als 'Ursachen' haben müsste, gegen die man demonstrieren müsste, die man beseitigen oder politisch ablösen müsste, um die Probleme zu lösen  aber dieses im Grunde magisch-intentionalistische Denken, demzufolge es für alle einen oder mehrere Schuldige geben müsste, hatten ja schon die hungernde Bevölkerung auf den polynesischen Inseln oder die Maja angewandt, als sie ihre gottgleichen Könige dafür verantwortlich machten, dass der Boden erodiert war, der Wald hinüber war, nichts mehr wuchs, und sie ihre Könige deshalb stürzten, und eine Militärdiktatur schufen, die es nicht besser machte (DiamondKollaps xx). Wie wir in Kap. xx näher ausführen lassen, ist kulturelle Evolution, obwohl sie sich aus vielen intentionalen Einzelhandlungen und den dadurch ausgelösten Prozessen zusammensetzt, eben keinem globalen Plan, und sehr viele evolutionären Trends der Weltgeschichte sind derart, dass man kaum sagen kann, irgend jemand hätte sie explizit gewollt  sodass auch die herkömmlichen Geschichtsdarstellungen, welche Geschichte vorwiegend als Sequenz von politischen Entscheidungen darstellen, wenig zur Erklärung solcher evolutionären Trends beitragen können.

Mary betont auch (490), dass die Evolutionstheorie und speziell die Wirkungsweise der natürlichen Selektion grundsätzlich nur in statistischer Weise zu verstehen sind; es gibt keine Automatismen, sondern nur Wahrscheinlichkeiten, und zu jedem statistischen Trend gibt es Ausnahmen, ja Ausnahmen kommen in der Evolution sogar eine wichtige Rolle zu. Auch das statistische Denken ist dem Common Sense des Menschen fremd, wie zahlreiche kognitionspsychologische Studien belegen (KahnemannTversky xx). Der Versuch, irgendeines der evolutionären Prinzipien statt statistisch als Determinismus zu lesen, führt unweigerlich zu einer Fehldarstellung, die in irgendeiner Art von versteckter Teleologie endet.

Ein Faktum scheint mir in Mayrs Auflistung aber übersehen zu sein, und es vielleicht der schwierigste Konflikt der Evolutionstheorie mit aktuellen Weltanschauungen  denn dieser Konflikt tritt auch auf, wenn man ein aufgeklärtes nicht-religiös-fundiertes Weltbild vertritt. Es ist der Konflikt mit der Moral und speziell der humanistischen Moral. Sedgewick lehnte den Darwinismus nicht deshalb ab, weil Paleys Design-Argument bedroht war, sondern weil der Darwinismus den Menschen unmoralisch mache  ihm jede Moral nehme, und dies sei eine große Gefahr (Mayr 515). In der Tat, wenn die Moral nicht in der Natur begründet ist, wo liegt dann ihre Basis? Die dominante aufgeklärte Basis für die Moral ist der moderne Humanismus, und dieser scheint zu lehren, dass alle Menschen von Geburt an gleichwertig sind, dass soziale Ungleichheiten prima facie etwas Negatives sind, und dass es das Ziel der Menschheitsentwicklung sein müsste, sozialen Unterschiede auszugleichen. Dagegen scheint die Evolutionstheorie, speziell wenn man sie auch die kulturelle Evolution überträgt, unweigerlich mit Ungleichheit zwischen Menschen zu tun haben, und mit Selektion der Erfolgreicheren  wenn es keine unterschiedlich erfolgreichen Menschen oder kulturellen Muster gibt, scheint es keine Evolution gegen zu können. Ich werde diese Auffassung den Sozialdarwinismus im weiten (oder 'neutralen') Sinn nennen, und von dem Sozialdarwinismus im engen (oder 'antihumanistischen) Sinn abgrenzen, den etwa Spencer vertrat, und in gewisser Schriften auch Nietzsche (Dennett 647).

Immer wieder hat diese sozialdarwinistische 'Moral' in der Geschichte eine Rolle gespielt – z.B. in der gesamten Periode der Kolonialisierung fremder Vöker durch die überlegene westliche Zivilisation war es eine Grundüberzeugung, dass diese Völker den anderen Völkern oder 'Menschenrassen' überlegen sei. Dieses Ideengut hat auch den völkischen Nationalismus und Nationalsozialismus gespeist, der beim Ausbruch des 1. und speziell des 2. Weltkrieges eine entscheidene Rolle spielte. Andererseits scheint der Humanismus bislang die wohl wichtigste Grundlage aufgeklärter Moral zu sein. Nach landläufiger und zumindest überwiegend zutreffenden Auffassung ist der Humanismus die beste Methode, um Gewalt und Krieg unter Menschen zu verhindern. Führt nun die verallgemeinerte Evolutionstheorie unweigerlich zum negativen Bild des Sozialdarwinismus, zum SIzialdarwinismus im engeren Sinn, also zu folgender alternativen 'aufgeklärten Moral': das einzige Naturrecht ist das Recht des Stärkeren bzw. Erfolgreicheren, und es ist gut so, dass die Erfolgreicheren mehr besitzen und mehr soziale Macht haben als die Erfolgloseren?

So hat es z.B., schon Marx gesehen, der behauptete, Darwin und Wallace hätten die Ethik der laissez faire Kapitalisten von der Gesellschaft (gemäß Malthus) auf ganze Natur ausgedehnt (Mayr 492). Ähnlich behaupten noch heute viele Sozialwissenschaftler (xx)  ein Beispiel ist die Kritik der kritischen Theorie am Sozialdarwinismus (xx). Wie Mayr betont, wird damit der Zusammenhang natürlich auf den Kopf gestellt  dass Darwin kapitalistisch-intentionalistische Metaphern benutzte, kann nur jemand behaupten, der alles von vornherein in die intentionalistische Perspektive stellt. Aber unabhängig davon, wie steht es mit der Antwort auf unsere Grundfrage?

Die einzige Antwort, die ich sehe, liegt in der evolutionären Analyse von Moral  und dies ist die Analyse von Kooperation. Nicht dass ich damit die logische Analyse von Moral abwerten möchte; die Einsicht, dass vom Sein nicht logisch auf das Sollen geschlossen werden kann, oder dass es mehrere kohärente aber inkompatible Vorstellung von Moral oder Gerechtigkeit gibt, usw.  solche Einsichten setze ich vielmehr voraus, bzw. streue sie, wo sie relevant werden, ein  doch die logische Analyse von Moral liefert keine Antwort auf unsere Grundfrage. Wie wir in mehreren Kapiteln (xx) sehen werden, ist kooperatives Verhalten von Mitglieder einer Gruppe ein evolutionär häufig auftretendes Prinzip, das gehäuft bei höheren Wirbeltieren, aber auch in anderen Komplexitätsebenen und sogar bei den RNS-Molekülen auftritt. Es gibt verschiedene Arten kooperativen Verhaltens, auf welche ich später näher eingehe, aber alle dienen sie dazu, den Vorteil des Überlebens einer sozialen Gruppe, und das heißt, den langfristigen Überlebensvorteil aller Mitglieder, zu erhöhen, auf Kosten einer gewissen Senkung des kurzfristigen Überlebensvorteils von einigen Individuen dieser Gruppe, die aber aufgrund der Reziprozität immer wechseln. Wenn beispielsweise eine Familie der oder den anderen Familien der Dorfgemeinschaft dann Nahrung abgibt, wenn sie Vorräte hat und die anderen Hunger leiden, kommt das langfristig allen zugute, auch wenn in jedem einzelnen Kooperationsakt ein Individuum einen geringen Nachteil in Kauf nimmt, um dem anderen einen vergleichsweise höheren Vorteil zu gewähren  die Etablierung einer solchen Kooperationsregel als Reziprozität sichert, dass dies irgendwann allen zugute kommt. Dan nun Moral die evolutionäre Funktion hat, Kooperation zu generieren und zu stabilisieren, ergibt sich ein neues Bild gegenüber der Alternative Sozialdarwinismus im engen bzw. negativen Sinn versus Humanismus, wenn man in die Evolution nicht nur die Entfaltung von Konkurrenz, sondern ebenso die Entfaltung von Kooperation sieht. Natürlich wird dadurch die von uns gestellte Frage nicht grundsätzlich gelöst, denn zwischen den sozial kooperierenden Gruppen besteht ja ebenso wiederum Konkurrenz, besser kooperierende werden gegenüber schlechter kooperierende selektiert  man spricht hier von Gruppenselektion  und das Thema Ungleichheit und Konkurrenz verschwindet in dem, was wir SOzialdarwinismus im weiten Sinn nennen, nicht endgültig; aber dennoch wird das Bild in Hinblick auf Kompatibilität mit humanistischer Moral wesentlich verändert. In Kap. xx werden wir herausarbeiten, dass letztlich jede menschliche Ethik eine Balance sein muss zwischen einem die Evolution vorantreibendem Prinzip der Leistungsgerechtigkeit (belohne den Erfolgreicheren) und einem Prinzip der kooperativen Solidarität (helfe dem Erfolgloseren). Hier geht es uns nur darum, inwieweit Kooperation ein grundlegendes evolutionäres Prinzip sein kann.

Dass es immer als ein solches vermutet bzw. diskutiert wurde, geht daraus hervor, dass schon Darwin in "The Descent of Man" ausführt, dass altruistisches Verhalten der Menschen einer Gruppe Selektionsvorteile bringt (Sober 91). Viele Beispiele von kooperativem und altruistischem Verhalten haben Verhaltensbiologen wie Lorenz und Wickler belegt (xx). Dennoch wurde innerhalb der Evolutionstheorie auch immer wieder bezweifelt, ob genuin altruistisches Verhalten in der Evolution wirklich Selektionsvorteile besitzen könne  schon Haldane stellte 1932 dieses Problem auf (Mayr 598). Als sich die Soziobiologie entwickelte, welche vom ihrem Begründer Wilson sie in Anlehnung an die 'modern synthesis' als new synthesis bezeichnete wurde (1975: Sociobiology. The New synthesis), wurde das Problem noch intensiver diskutiert. Die Frage wurde diskutiert, was denn eigentlich die primäre Einheit der Selektion sei, und insbesondere Williams und Dawkins (1994xx) gaben die überzeugende Antwort darauf, dass dies weder die biologische Art sei  ein ganz veralteter Gedanke, denn unterschiedliche Varianten dieser Art konkurrieren miteinander  noch aber das Individuum  Individuum opfern sich auf und riskieren den Tod, nur um sich fortpflanzen zu können  sondern vielmehr das Gen (Ridley 316). Gene sind es, die in der biologischen Evolution am direktesten selektiert werden; die sich über Generation hinweg reproduzieren, wenn sie Selektionsvorteile bringen; und Gene werden durch die sexuelle Reproduktion weitervererbt, während ihre Träger, die Individuen, vergessen werden. Auch wenn das zutrifft, so ist es dennoch nicht so einfach, zwischen 'primären' und 'sekundären' selektierten Entitäten zu unterscheiden (Sober xx), denn sekundär werden mit Genen natürlich auch gewisse Merkmale selektiert, und wenn sich ein Gen für kooperatives Verhalten Selektionsvorteil brachte, dann wird eben auch Kooperation selektiert.

Der Grund, warum die meisten Soziobiologen den Selektionsvorteil genuin altruistischen Verhalten bezweifelten, ist einfach: da dieser den Selektionsvorteil des altruistischen Individuums und daher seiner Gene senkt, und stattdessen den Genen eines anderen Individuums Vorteile bringt, müsste das altruistische Individuum langfristig aussterben  es sei denn, es ist durch gewisse Mechanismen gesichert, dass der Altruismus reziprok zustande kommt. Ein Altruismus, der nur dann ausgeübt wird, wenn sich das Individuum sicher sein kann, dass es später eine Gegenleistung dafür erhält, ist aber kein genuiner Altruismus, sondern ist eine Variante des reziproken Egoismus oder uneigentlichem Altruismus. Jedenfalls haben Soziobiologen die überwiegende Meinung vertreten, echter Altruismus trete nur unter biologisch eng Verwandten auf (kin selection). Insbesondere Hamilton argumentierte, dass wenn ältere Geschwister, statt eigene Nachkommen zu zeigen, den Eltern helfen, ihre jüngeren Geschwister zu versorgen, dann geben sie damit ihren Genen dieselbe Chance, weiterzuexistieren, als wenn sie selber Nachkommen zeugen  nämlich die Chance 1/2 (Ridley 308). In der Tat konnte bei einigen Spezies, z.B. bei Floridas Buschhäher (srub jay) beobachten, dass ein brütendes Paar von etlichen Vögeln helfend unterstützt wird, die aber alle mit dem brütenden Paar verwandt sind, und im Regelfall dessen (meist männliche) Nachkommen sind. Allgemein gilt bezüglich des speziesvariablen Anteils der Gene aufgrund der sexuellen Reproduktion, dass Eltern ihren Kindern mit Wahrscheinlichkeit 1/2 oder zu 50% ihre variablen Gene weitergeben; Geschwister sind ebenfalls zu 1/2 genetisch verwandt (für jedes meiner Allele ist die Wahrscheinlichkeit, dass es auch mein Geschwister besitzt, 1/2); und für jede Generation multipliziert sich der Prozentsatz weitergegebener Gene wieder mit 1/2; also 1/4 für die Großeltern, 1/4 ebenfalls für Onkeln und Tanten, 1/8 für Urgroßeltern sowie für Cousinen, usw.

Dies Argument klingt überzeugend, und es mag die enge Solidaritätsbande erklären, die die Verwandtschaft auch unter Menschen knüpft (jedenfalls bis vor kurzem)  aber es zeigt noch nicht, dass es nicht möglich ist, dass solch kooperatives Verhalten auch sozusagen überspringt auf nicht verwandte Individuen einer Gruppe. Dass dies der Fall sei, haben ebenfalls viele Autoren vertreten  und am offensichtlichsten ist es ja beim Menschen in der kulturellen Evolution der Fall, worauf wir noch eingehen. Dabei mag es zunächst offengelassen werden, ob kooperatives Verhalten auch eine genetische Grundlage besitzt, oder rein kulturell erworben wurde. Maynard-Smith zeigt, dass altruistische Gruppen höhere Überlebensvorteile besitzen und langfristig somit selektiert werden können, aber nur, wenn sie durch egoistische Gruppen nicht unterwandert werden  das so genannte Trittbrettfahrerproblem, worauf wir noch eingehen (Mayr 312; Maynhard-Smith xx). Somit hat Kooperation jedenfalls dann eine Chance, wenn sich die Individuen der Gruppe gegen äußere Eindringlinge abschotten. Dies haben Menschengruppen, Stämme, und Reiche in der Tat in der Menschheitsgeschichte immer wieder gemacht. Heute in der Zeit der Globalisierung ist dies anders geworden, insofern die Menschheit beginnt, eine einzige 'Gruppe' zu werden, und kein Land sich vor anderen Ländern abschotten kann. Sober (xx) zeigt sogar, dass genuin altruistisches Verhalten auch in offenen Gruppen einen Selektionsvorteil besitzen kann, aber nur unter der Bedingung, dass eine ständige Migration zwischen den Gruppen stattfinden  und wir gehen auf diese Probleme in Kap. xx näher ein.

Jedenfalls ergibt sich aus moderner Sicht, dass kooperatives Verhalten evolutionär eine wichtige Rolle spielt und auch (nicht nur verwandtschaftliche) Selektionsvorteile besitzen kann, und die Frage dreht sich darum, jene Bedingungen herauszufinden, unter denen das der Fall ist.

Daher ist das soziobiologische Herunterspielen der Kooperation keine adäquate Sichtweise  derzufolge, wie es Ruse und Wilson 1985 formulierten, Ethik eine Illusion sei, welche unsere Gene uns angetan haben, um uns zur Kooperation zu veranlassen (Dennett 660). Die Soziobiologie hat auch, trotz ihrem bedeutenden Leistungen, der Evolutionstheorie in anderer Hinsicht unnötig eingeschränkt oder verzerrt. beispielsweise glaubt Wilson, dass alle wesentlichen Eigenschaften der menschlichen Kultur letztlich auf den Einfluss der Gene des Menschen zurückgehen (Wilson 1987xx). Wie in Kap. xx auszuführen ist, ist diese Auffassung nicht haltbar  und genau diese Erkenntnis war es, welche die verallgemeinerte kulturelle Evolutionstheorie entstehen ließ, und damit der Evolutionstheorie einen ganz neuen nicht-reduktionistischen nicht-biologistischen Sinn gibt. Was aber eben nicht heißt, dass es nicht viele interessante Zusammenhänge zwischen gewissen kulturellen Erfindungen, z.B. im Paarungsverhalten der Menschen, gibt, welche auch genetische Gründe besitzen, und welche Soziobiologen herausgefunden haben (s. Kap. xx; Wilson xx). Die Kehrseite der Medaille ist, dass viele linke Intellektuelle heute es immer noch in faktenignoranter Weise als inakzeptabel finden, wenn man sagt, dass Menschen aufgrund ihrer genetischen Anlagen unterschiedliche Fähigkeiten besitzen. Sie lehren vielmehr einen völligen Umweltabhängigkeit  alle Fähigkeiten des Menschen sind Resultat der Sozialisation, und nichts ist angeborenes Talent; jeder könnte Mozart oder Einstein werden, wenn man ihn richtig sozialisieren würde  was mindestens ebenso unsinnig ist wie die Annahme, alles wäre genetisch vorprogrammiert. Sober spricht hier von der ideologisch hochbeladenen nature-nurture bzw. angeboren-erlernt-Debatte (näheres in Kap. xx).

Der Soziobiologie wurde auch immer vorgeworfen, sie hätte eine ideologische Funktion, insofern sie es ermöglicht, egoistische oder gar gewalttätige inhumane Verhaltensweisen zu rechtfertigen, insofern sie Folgen genetischer Anlagen sind (s. Sober 195; näheres Kap. xx). Natürlich ist dieser Schluss nicht logisch gültig; aber wären gewisse inhumane Verhaltensweisen wirklich die notwendigen Folgen genetischer Anlagen, so könnte mithilfe des Sollen-Können-Prinzips ("was du sollst, muss du auch können", bzw. in logisch äquivalenter Form: "was du musst, das darfst du auch", s. Schurz 1997 xx) eine solche Rechtfertigung versuchen. Aber eine notwendige genetische Determination ist ja nicht gegeben. Die kulturelle Evolution und darauf basierende Sozialisation bremst solche genetischen Anlagen zu Recht ein, wie z.B. die Eindämmung von Aggression und Gewalt, und in Kap. xx werden wir die Frage diskutieren, bis zu welchem Grad sich kulturelle Evolution von biologischen Vorgaben loslösen bzw. emanzipieren kann. Hier soll nur gezeigt haben, dass so wie die Sozialdarwinismus-Kontroverse auch die Soziobiologie-Kontroverse nicht mehr dem aktuellen Stand der Evolutionstheorie entspricht. Auch auf einen weiteren grundlegend-konfliktträchtigen Aspekt, nämlich die Frage der Eugenik, gehen wir hier nicht näher ein: Francis Galton (1870-1950) schlug – vor Hitler - Eugenik im positiven Sinn vor (Mayr 623), als Methode, um schlechte, d.h. krankheits- bzw. leiderzeugende Allele zu reduzieren und die Menschen glücklicher zu machen. Wie Mayr ausführt, ist es seit Hitler unmöglich geworden, Eugenik überhaupt zu diskutieren. Genauso wie im Fall der Euthanasie ist natürlich auch im Fall der Eugenik zwischen freiwilliger, unfreiwilliger und nichtfreiwilliger Eugenik zu unterscheiden; und die drei Dinge sind moralisch völlig unterschiedlich zu bewerten; moralisch diskutabel wäre allenfalls (wenn überhaupt) die dreiwillige Eugenik. Aber das Worte "Eugenik" ist emotional derartig besetzt, dass darüber öffentlich kaum sachlich diskutiert werden kann (mit Ausnahme von Sloterdijk, der in der Zeit die These vertrat, gegen eine positive Eugenik, d.h. freiwillige genetische Verbesserung des Menschen, würde im Grunde nichts sprechen).


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