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Ganz anders in der Naturwissenschaft. Es hat nie verschiedene 'Newtonschulen ' gegeben; Newtons Principia sprechen eine klare mathematisch-empirische Sprache und benutzen keine interpretationsbedürftigen Metaphern. So wie Newtons Physik heute noch exakt reproduziert werden kann, ist ebenso klar, in welchen Hinsichten seit Newton physikalische Fortschritte gemacht worden sind  die klassische bzw. 'Newtonische' Physik wurde in vielfacher Weise vereinfacht, systematisiert etc. (vgl. Mach xx), sodass kein heutiges Lehrbuch der klassischen 'Newtonischen' Physik Newton interpretieren würde, sondern die 'Newtonische Physik' so konzise wie möglich darstellt. Ebenso ist es z.B. mit Gödels Beweis, der von Gödel zwar mustergültig aber im Vergleich zu dessen Präsentation in heutigen Logiklehrbüchern viel zu seitenaufwendig entwickelt wird.10 Die Analytische Philosophie, die erst im 20. Jahrhundert entstand, versucht dagegen ähnlich den exakten Wissenschaften zu verfahren  was ihr bislang nur teilweise gelang. Näheres dazu in Kap. xx.

2.3.5.3 Gerichtete Variation: Ein Hauptargument gegen die Übertragung der darwinschen Module auf die KE liegt darin, dass kulturelle Variationen nicht 'blind', sondern rational geplant und zielintendiert sind (Boyd and Richerson sprechen von "guided variation"; 1985, 9). Auch Hull sah (1982, 307-14) in der Intentionalität individueller 'Variationen' die Hauptkluft zwischen biologischer und soziokultureller Evolution (mittlerweile ist seine Meinung KE-freundlicher geworden; s. Aungerxx). Insofern wir bereits betont haben, das echte Zielgerichtetheit nur im Falle bewusst-intendierter menschlicher Absicht vorliegt, während die 'Ziele' gerichteter Evolution nur kausal superveniente Quasi-Ziele sind, stimmen wir dem Unterschied zu  wir sehen darin jedoch kein Gegenargument. Denn in der rational-intentionalen Gerichtetheit kultureller Variationen liegt kein Hinderungsgrund für die Anwendung der Evolutionstheorie. Technische Erfindungen beispielsweise sind keine ‚blinden‘ Mutationen, aber sie sind in vielfältiger Weise fehlerhaft und inperfekt, und daher einer systematisch optimierenden Selektion fähig  und dasselbe Argument trifft auf die meisten Bereiche der KE zu (vgl. Bigelow/Pargetter 1987, 185).



Dass Variationen nicht völlig ‚blind‘, sondern‚ rational zielgerichtet‘ erfolgen, bedeutet im besten Fall lediglich, dass die Evolution schneller verläuft, weil weniger disfunktionale Variationen durchlaufen werden müssen. Im schlechtesten Fall kann es auch bedeuten, dass gewisse Variationen, die sich gegen unser aller Dafürhalten letztlich als sehr erfolgreich erweisen würden, nie zum Zug können. So gesehen hat trial-und-error, trotz seiner Langsamkeit, auch gewisse Vorteile in Hinblick auf Unvoreingenommen­heit. Dies hat vermutlich auch Campbell im Sinn, wenn er betont, dass Variationen  auf allen Ebenen der Evolution  letztlich blind sind (57), wobei er mit blind nicht völlig zufällig bzw. statistisch gleichverteilt meint, sondern nur unabhängig von den Selektionsbedingungen. Jede Gerichtetheit von Variationen ist nach Campbell eine induktive Abkürzung des Suchprozesses aufgrund von höheren kognitiven Mechanismen (wie induktives oder abduktives Schließen), welche aber, zumindest auf irgendeiner 'Metaebene', selbst wieder Subjekt einer blinden Variation sind (56f). In dem Drang aller jungen Generationen, Neues auszuprobieren, bloß um der Neuheit wegen, scheint tatsächlich der menschlichen Art eine gewisse kulturelle Variationsfreudigkeit angeboren zu sein, die für die kulturelle Evolution von großer Wichtigkeit ist  bei aller Betonung von Tradition: das ist in der Evolutions­theorie eben kein Widerspruch.

2.3.5.3 Gerichtete Makromutation: Ein wesentlicher Unterschied zwischen biologischer und kultureller Evolution ergibt sich jedoch aus der gerichteten Variation in Bezug auf die simultane Variation von größeren Repronenkomplexen in Form von Makromutationen. Wenn ein Individuum mehrere unterschiedliche Gedanken oder Ideen kombiniert bzw. zusammenfügt, dann passiert dies durch-und-durch gerichtet. Es auf diese Weise kann zu geistigen 'Umstürzen' bzw. Paradigemwechseln, also memetischen Makromutationen kommen. Vergleichbares ist in auf der Genomebene nicht der Fall, obwohl es auch hier, wie erläutert, einige makromutationale Mechanismen gibt, die aber ganz anders funktionieren und nichts mit intendierter Simultanität von Variationen zu tun.

2.3.6 Detailprobleme der kulturellen Selektion. Wir kommen zur Diskussion des dritten darwinschen Moduls für die KE. Auch hier ist die Fitness eines Mems definiert als seine Reproduktionsrate, d.h., seine relative Akzeptanzhäufigkeit unter den Mitgliedern der gegebenen Gesellschaft. Selektion besteht also einfach darin, dass sich einige kulturelle Merkmale öfter imitiert, gelernt bzw. übernommen werden als andere und sich daher stärker ausbreiten (Boyd/Richerson 1985, 9-11; Sober 1993, 214). Hull (Aunger 63) erblickt in der Tatsache, dass sich ähnlich denkende Menschen oft zusammenschließen, sogar ein kulturelles Analogon der biologischen kin selection. Aber nach welchen Kriterien wird selektiert?

2.3.6.1 Fertilitätsfitness und Vitalitätsfitness von Memen: In der Biologie unterscheidet man zwischen Fertilitätsselektion und Vitalitätsselektion (Sober xx). Hohe Fertilität, d.h. Nachkommensrate, kann einen Vorteil bringen, der jedoch schnell gegen Null geht, insofern zu viele Neugeborene lediglich als Futter für in der Nahrungskette Höherstehende dienen (Insekten, Fische oder auch Schildkröten legen Tausende von Eiern; Millikan xx). Entscheidend ist die Vitalitätsselektion. In der Biologie können zumindest die Ziele der Vitalitätsselektion klar charakterisiert werden: für die für das Überleben nötigen Bedingungen zu sorgen, nämlich Nahrung, Schutz vor Feinden, sexuelle Fortpflanzung und Nachkommensbehütung  wenngleich die optimalen Mittel hierzu in unterschiedlichen ökologischen Nischen unterschiedliche Fähigkeiten erfordern und daher keine allgemeine erfolgsunabhängige Definition von 'Fitness' möglich ist. In der KE kann unabhängig vom Kontext, vom Bereich der KE, nur schwer gesagt werden, was überhaupt die Ziele der Vitalitätsfitness eines Mems sind, d.h., was für die Beibehaltung eines Mems wichtig ist. Nur die Fertilitätsfitness in der KE kann allgemein charakterisiert werden  hohe kulturelle Fertilität hat jemand, der seine eigenen Meme bzw. Überzeugung vielfältigst reproduzieren kann, etwa über geeignete Medien, sodass sie von anderen Personen zumindest wahrgenommen werden. Beachte: jemand, dessen Publikationen fast nicht gelesen werden  was in der Fachwissenschaft öfter vorkommt  kann trotz hoher Publikationsrate eine geringe kulturelle Fertilität haben. (Hinweis: ob dieser Wiss. fertil ist, hängt davon ab, ob meme in gehrinm lokalisiert sein müssen, oder extern.) Ob, wenn er gelesen bzw. gehört wird, die anderen Personen dann diese Meme attraktiv genug finden, um sie zu übernehmen, entspräche dagegen der Vitalitätsfitness  und nach welchen Kriterien dabei selektiert hier, ist gänzlich abhängig vom jeweiligen Bereich der KE. Im Bereich der Technik ist es in der Erfindungs- und späteren Erprobungsphase zunächst der Konstrukteur selbst, der selektiert, in der Absatzphase jedoch der ökonomische Markt. Selektiert wird hier explizierbaren  obwohl historisch sehr wandelbaren  nach relativ klaren Kosten-Nutzen-Kriterien. Im Bereich der Naturwissenschaft bzw. empirischen Wissenschaft gibt es relativ klare Standards (Schurz 2006), aufgrund derer der Erfolg wissenschaftlicher Theorien und Modelle beurteilt werden kann, allerdings reichen diese Standards oft nicht wirklich aus, um zwischen unterschiedlichen aber cum grano salis ähnlich leistungsstarken Ansätzen zu unterscheiden, weshalb auch hier externe Kriterien greifen. In anderen Bereichen wie Religion, Moral und Konvention sind die Selektionskriterien wesentlich stärker von sozialen Traditionen und Konventionen abhängig und können nicht so wie in Technik und Wissenschaft objektiviert werden  wie wir gleich ausführen werden, liegt dies zumindest teilweise daran, dass hier ein spieltheoretische Fitnessstruk­tur vorliegt, d.h., die Vitalitätsfitness eines Mems ist von der kulturellen Umwelt, d.h. der Häufig­keits­verteilung von Memen desselben Bereichs abhängig; im einfachsten Fall wirkt einfach ein sozialer Konformitätsdruck.

Kulturelle Fertilität hängt eng mit Werbung zusammen und ist dort wichtig, wo jene wichtig ist. Es gibt in der KE keine 'Memfresser'  aber es gibt Memfilter, aufgrund deren Menschen die Mem- bzw. Informationsflut selektieren (Dennett 487f, Aunger 134; Rose 1998). Viele Mensch lesen gewisse Zeitschriften grundsätzlich nicht; und den finanziellen Aufwand Werbung, die ein Millionenpublikum erreicht, können sich nur die ganz mächtigen Memvertreter leisten. Insbesondere in den heutigen Informationsgesellschaften, im Zustand der Informationsüberflutung, konkurrieren viele Meme um nur wenige Nistplätze in Gehirnen. Es kommt zu einer kulturellen Koevolution von Zahl der Memfilter und immer mehr Reklame-Meme (Dennett 488).



2.3.6.2 Fundamentalismus, Aufklärung Weltanschauungen als Selektionsmechanismen: Eine weitere Strategie von Memen, ihre Ausbreitung zu erhöhen, besteht in Immunisierungsmechanismen gegenüber Kritik, was in der 'Memsprache' heißt, dass das Eindringen rivalisierender Meme in den Rezipienten verhindert wird. Als Beispiel hierfür führt Dennett (485) das Glaubensmem an, das so erfolgreich ist, weil jede Religion lehrt, dass man Gott nicht prüfen soll, sondern nur der aus voller Überzeugung Glaubende könne Gott erfahren  die für die Wissenschaft grundlegende Methode der kritischen Überprüfung wird also ausgeschlossen. Damit ist aber auch das verbunden, was in Kap. xx der verallgemeinerte Placebo-Effekt des Glaubens genannt wird  die Tatsache, dass allein der Glaube an einen behütenden Gott, unabhängig vom Wahrheitswert des Glaubens, den Menschen psychisch und physisch bestärkt. Wir werden in Kap. xx sehen, dass in der Evolution von Gedanken und Weltanschauungen nicht nur nach Wahrheitseffekten, sondern auch Placebo-Effekten selektiert wurde. In diesem Zusammenhang muss natürlich auf das aufgeklärt-rationale Weltbild angeführt werden, welches die Selektionskriterien der sachlichen Begründbarkeit gegenüber Placebo-Effekten und emotioneller Vereinnahmung, welche fundamentalistische Glaubenssysteme mit absoluten bzw. gottgegebenen Wertmaßständen besitzen, strikt bevorzugt. Daher sich dieses Weltbild nicht jede Methode der Memübertragung als berechtigt an; Meme sollen durch Überzeugung, nicht durch Werbung oder Indoktrination übermittelt werden, denn nur diese Methode ist mit dem Anspruch der Aufklärung auf Selbstbestimmung und Kritikfähigkeit vereinbar. Das aufgeklärte Weltbild  so wie jedes Weltbild  leistet also eine Restriktion von Selektionskriterien. Die Vorzüge seiner Selektionskriterien gegenüber älteren religiös-absoluten Glaubenssystemen haben insbesondere mit der Abwehr der Gefahr von Fundamentalismus, Indoktrination und Glaubenskriegen zu tun; in Kap. xx werden wir dieser Vorzüge, aber auch einige damit einhergehenden Nachteile, näher besprechen. Ganz allgemein besteht eine Funktion einer Weltanschauungen bzw. eines Paradigmas (unter anderem) darin, Selektionskriterien für Meme vorzugeben  d.h. eine Weltanschauung ist nicht nur auf der 'Objektebene' selbst ein Memkomplex, sondern sie hat auch die Metafunktion, Meme zu selektieren, bzw. andere wegzufiltern.

2.3.6.3 Kopplung von Variation und Selektion, und Autoselektion: Wir haben mehrere Beispiel dafür kennen gelernt, dass in der KE jene Entitäten, die variieren, also die Einstellungen von Menschen, zugleich auch in der Selektionsfunktion mitwirken. Toulmin (1972), Cohen (1973, Hull 'naked meme' 311f) und andere Autoren haben daher darauf hingewiesen, dass in der KE Mutationen und Selektionen gekoppelt sind, während dies in der BE (biologischen Evolution) nicht der Fall ist. Nun tritt, wie wir sehen werden, in der BE auch gelegentlich eine solche Kopplung auf  aber dazu später. Hull (1982, naked meme, 311) hat argumentiert, dass das Auftreten von Autoselektion eine Besonderheit der KE gegenüber der BE sei: hier können dieselben Individuen, welche bestimmte Memvariationen herbeiführen, auch diese Variationen selektieren. So ist es in der schon erwähnten Konstruktionsphase technischer Produkte der technische Konstrukteur, der zugleich diverse Variationen ersinnt und sie zugleich, nach derer Erprobung, selektiert  indem er nur die besten beibehält und weiter zu optimieren versicht. Hull (318f) betont, dass der technische Konstrukteur sogar gute Variationen zurückhalten kann, weil er weiß bzw. glaubt, dass noch bessere Varianten kommen werden  d.h. nicht in die weitere Erprobungsphase am Markt laufen. All dies muss kein Hinderungsgrund für das Zustandekommen gerichteter Evolution gemäß den drei darwinschen Modulen sein. Wenn beispielsweise für lange Zeit Automobile in Hinblick auf sparsamen Energieverbrauch hin optimiert werden, so ist das Resultat einer solchen Evolution unabhängig davon, wodurch bzw. von wem diese Selek­tions­kriterien vorgegeben werden, entscheidend ist, dass sie wirksam sind. Wesentlich ist also nur, dass die Selektionskriterien, nach denen selektiert wird, für längere Zeit  zumindest wesentlich länger als die Dauer einer Generation  vergleichsweise stabil oder zumindest regulär-voraussagbar sind  und das ist nur möglich, wenn sie unabhängig sind von den vorhandenen Varianten und deren Häufigkeiten, denn genau diese werden durch Selektion ja verändert. Mit anderen Worten, für 'normale' Evolution  auch das Wort normal wird gleich evolutionstheoretisch präzisiert werden  ist neben den drei darwinschen Modulen eine weitere Bedingung nötig, die wir allerdings als ein Constraint auffassen, nämlich das Constraint der Umgebungsstabilität, im Hinblick auf die selektierenden Parameter.

Wenn das nicht der Fall ist, dann spricht man auch von häufigkeitsabhängiger Fitness (Sober xx). Da dann eine Variante die Selektionsbedingungen ihrer Umgebung tendenziell ändert, und umso mehr, je häufiger sie ist, hängt dann die Fitness bzw. der Reproduktionserfolg einer Variante von ihrer eigenen Häufigkeit und /oder der Häufigkeit anderer Varianten ab. Man kann hier weiters wie folgt unterscheiden:

2.3.6.3.1 Interaktive Häufigkeitsabhängigkeit (Abhängigkeit von anderen Varianten) und evolutionäre Spieltheorie: Die von Neumann/Morgenstern und anderen begründete Spieltheorie untersucht, als Erweiterung der Entscheidungstheorie, solche Interaktionen von Individuen bzw. 'Spielern', bei denen der Nutzen einer Handlung eines Individuums wesentlich davon abhängt, wie die anderen handeln. Dies ist z.B. nicht der Fall, wenn individuelle Leistungen im Vordergrund stehen  beispielsweise hängt der Nutzen eines Korbes zum Nahrungssammeln nicht davon ab, wie die anderen ihre Nahrung sammeln, oder der Nutzen einer richtigen Voraussage nicht davon, wie die anderen voraussagen. Aber in allen sozialen Interaktionen, speziell wenn Kooperation versus Egoismus bzw. Betrug im Spiele sind, ist dies der Fall: beispielsweise nutzt es mir nur dann, dem anderen in einem Tauschgeschäft meine Wate zu überreichen, wenn ich sicher sein kann, dass ich von ihm auch das Geld dafür erhalte. Oder es nutzt mir nur dann, jemanden zu helfen, wenn ich auch von ihm Hilfe erwarten kann, wenn ich sie brauche. Usw. In solchen Fällen kann es dazu kommen, dass sich gewisse soziale Strategien, wie z.B. Betrug, nur eine Zeit lang selektiv bewähren, weil sie von leicht ausbeutbaren Strategien profitieren, diese dann aber zum Verschwinden bringen, und durch die Änderung dieser Häufigkeit nimmt dann auch die Häufigkeit der Betrugsstrategien wieder ab, weil Betrugsstrategien wenn sie gegen sich selbst spielen sehr wenig nutzen bringen, wogegen sich andere  z.B. zugleich kooperativ und revanchieren spielende Strategie wie das berühmte "Tit for Tat" (Wie du mir, so ich dir) erfolgreicher sind, weil sie sich einerseits nicht ausbeuten lassen, aber andererseits auch gegen sich selbst sehr gut spielen. Aber auch der langfristige Erfolg von Tit for tat tritt nicht generell ein, und insgesamt bewirkt Häufigkeitsabhängigkeit der Fitness, dass sich die Grundstabilität von einfacher gerichteter Evolution  solche, welche die Umgebungsstabilität erfüllt  nicht mehr gegeben ist  kein Wunder also, weshalb in diesem Bereich allgemeine Voraussagen bzw. Theoreme so schwer möglich sind. Die evolutionäre Spieltheorie wurde von John Maynard-Smith (xx) begründet und ist heute ein wichtiger Teil der VE, der insbesondere zur Untersuchung der evolutionären Chancen von Kooperation herangezogen wird; näheres dazu in Kap. xx.

2.3.6.3.2 Reflexive Häufigkeitsabhängigkeit (Abhängigkeit von sich selbst): Hier gibt es wiederum zwei einfache Fälle: erstens der Fall des positiven Feedbacks, wo die Fitness einer Variante ansteigt, wenn diese Variante häufiger wird  etwa dadurch, dass diese Variante die Selektionsbedingungen so verändert, dass sich ihre Überlebenschancen verbessern. Dies ist wie erläutert bei 'ideologischen' Memem der Fall, welche zugleich die Fähigkeit ihrer kritischen Überprüfung im Rezipienten dadurch zum Erliegen bringen, dass sie alle gegensätzlichen Meme von nun an nicht mehr in en Rezipienten eindringen lassen. In gewissem Grade entspricht dem bereits die bekannte kognitive Dissonanzregel Festingers (Gadenne xx), wonach speziell ältere Menschen bevorzugt jene Informationen aufnehmen, welche ihren bereits vorhandenen Glauben bzw. ihre 'Vorurteile' bestärken; aber glücklicherweise gibt es auch ein dem Menschen angeborenes Neugierverhalten, welches dem entgegenwirkt. Das positive Feedback führt allerdings nur dazu, dass sich eine bestimmte Evolutionsrichtung noch schneller durchsetzt und gewissermaßen in einem 'Deadlock' gefangen wird, da neue Meme dann keine Möglichkeit mehr haben, sich auszubreiten, solange die Abwehrfilter perfekt sind.

Im übrigen scheint etwas ähnliches auch in der biologischen Evolution (BE) aufzutreten, nämlich in der sexuellen Selektion: hier sind es die Männchen bzw. Weibchen, welche aufgrund ihrer genetisch bestimmten Partnerpräferenzen bestimmte Partnertypen bevorzugen und damit auch bei der Selektion von Genen mitwirken. Die nähere Untersuchung in Kap. xx wird zeigen, dass reine sexuelle Selektion allein, zusammen mit Geschlechtergleichverteilung, keine positiven Feedback erzeugt; und wir werden die analoge Situation bei Memen besprechen.

2.3.6.3.3 Negatives Feedback: Wenn andererseits die Fitness eines Mems mit zunehmender Häufigkeit abnimmt, kommt es im einfachsten Fall zu periodischen Schwankungen  prototypisch hierfür sind Kleidermoden oder andere Modephänomene, bei denen etwas Neues, eine 'neue Mode' nur dann attraktiv ist, solange sie noch nicht jeder trägt; dann wird sie ein 'alter Hut' und niemand interessiert sich mehr dafür.

Die Häufigkeitsabhängigkeit, sowohl von anderen Varianten wie von sich selbst, kann aber auch zu anderen irregulären und schwer voraussagbaren Entwicklungen führen.

2.3.6.4 Kulturelle Nischenkonstruktion und Umweltinduktion: Für das Studium der KE ist natürlich das Studium der Entstehung von kulturellen Nischen  dem Analogon ökologischer Nischen  zentral; denn solche Nischen erklären ja die Diversifizierung der Kulturen. Zumindest vor der gegenwärtigen hochtechnologischen Zivilisationsstufe haben typische Landschaftsformationen, Vegetationsformen und andere nicht-kulturelle Umgebungsbedingungen dazu geführt, dass sich unterschiedliche Völker in kulturell eigener Weise spezialisieren. Handelsbeziehungen zwischen Völkern entsprechen dann symbiotischen Interak­tionen verschiedener Spezies, in denen jeweils das tauschten, was sie nicht hatten, aber die anderen. Insbesondere Diamonds Buch informiert über diese Zusammenhänge, denen wir in Kap. xx nachgehen, aber auch einige Hypothesen der älteren Geographie lassen sich evolutionstheoretisch so erklären.

Aufgrund der erwähnten Koppelungseffekte haben eine Reihe von Autoren hervorgehoben, dass gerade in der KE ein beträchtlich Teil der selektiv relevanten Nische von den Individuen bzw. den Varianten selbst konstruiert wird. In diesem Sinn sprechen Laland und Odling-Smee von Erfordernis einer Theorie der sozialen Nischenkonstruktion (Aunger 16, 131). Wie Guglielmino et al (1995) anhand von Variationen in 227 afrikanischen Stämmen herausfand, korrelierten die Mehrzahl kultureller Variationen nicht mit ökologischen Umweltvariablen; diese Eigenheiten waren also kulturell konstruiert. Teilweise lässt sich die kulturelle Divergenz gut damit erklären, dass so genannte Koordinationsspiele mehrere gleichoptimale Gleichgewichte besitzen. In jedem Fall bedeutet die Tatsache, dass in der KE gewisse Individuen bzw. deren Meme, welche die Selektion bestimmen, gezielt solche Varianten befördern, welche ihren Selektionskriterien entsprechen, dass es in der KE auch das gibt, was wir Umweltinduktion genannt haben  also der gerichtete Einfluss der selektiven Umwelt, jene Varianten zu erzeugen, die ihnen am besten entsprechen.

Umweltinduktion ist somit das duale Gegenstück der gerichteten Variation, wo Varianten erkennen, wie sie sich ändern müssen, damit sie der Umgebung gut angepasst sind. Wie erläutert gibt es in der BE weder gerichtete Variation noch Umweltinduktion. Ersteres wäre gegeben, wenn die Pferdefüsse die Steppe erkennen und sich so ändern, dass sie Hufe werden; letzteres, wenn die Steppe die Pferdefüße dazu bewegt, sich in Hufe umzuwandeln  was beides in der BE unabgebrachte Teleologie wäre, findet in der KE ständig statt. Zusammen mit der viel größeren Variationsrate sind gerichtete Variation und Umweltinduktion verantwortlich dafür, dass die KE viel schneller evolviert als die BE, aber auch dafür, dass es in der KE viel leichter als in der BE zu aus evolutionärem Zeitfenster betrachten explosionsartigen Veränderungen kommen kann, zu Prozessen des Überschiessens über Optima hinaus durch diverse Feedbacks, durch chaotische Prozesse aber auch Zusammenbrüche  dazu näheres in Kap. xx.

2.3.7 Blending Inheritance und kulturelle Abstammungsgraphen. Ein wichtiger Unterschied zwischen biologischer und kultureller Evolution hat mit der blending inheritance, der Möglichkeit der Vereinigung bzw. Synthese von aus verschiedenen kulturellen Eltern herrührenden Memen zu tun, so wie mit der Tatsache, dass es intrinsische kulturelle Infertilität (bzw. Separation) so gut wie nicht gibt. Er wurde schon von Gould hervorgehoben (Aunger 4). Karl Marx, so berichtet die Ideengeschichte, vereinigte beispielsweise die Hegelsche Dialektik, die Smith-Ricardosche Ökonomie, den naturwissenschaftlichen Materialismus und die Lehren des utopischen Frühsozialismus zu einem Gesamtsystem. In ähnlicher Weise verschmelzen immer wieder verschiedene kulturelle Traditionen zu einer neuen Kombination, sei's in der Kunst oder Architektur (Stichwort: Postmoderne), in der Technik oder der Wissenschaft. Es gibt in der kulturellen Evolution zwar geographische oder politische Separation  bzw. hat es diese gegeben, bis heute wo die Erde global zu werden beginnt (dazu später)  und in dem Maß, in dem es solche Separation gab, haben sich kulturelle Traditionen spezialisiert in Form einer Verzweigung entwickelt. Ein Beispiel dafür ist insbesondere die Auseinanderentwicklung von Sprachen durch Separierung der Sprechergruppen. Aber es gibt keine intrinsische kulturelle Fortpflanzungsbarriere, noch nie haben sich Menschengruppen sich soweit auseinander entwickelt, dass sie sich überhaupt nicht mehr verstanden haben und das kulturelle Gegenstück einer Fortpflanzungsbarriere geschaffen worden wäre. Letztlich liegt das daran, dass die Menschen ein- und derselben biologischen Spezies angehören, mit sehr starken gemeinsamen genetischen Anlagen. Jedenfalls kommt es aus diesem Grund in der KE immer wieder, nicht nur zu Spaltungen, sondern auch zu Neuverbindungen bzw. Verschmelzungen von Entwicklungslinien  der Stammbaum der KA ist gar kein Baum, sondern ein (azyklischer) Graph. Der gesamte Anteil der darwinschen Theorie, welcher mit evolutionären Verzweigungen zu tun hat, ist in dieser Form auf die KA nicht anwendbar  siehe Abb. xx.


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