Philipp fakob Spener
Münster; 20 Jahre Pfarrer an der Barfüßerkirche in Frankfurt/Main und zugleich Senior; fünf Jahre Oberhofprediger an der Schloßkapelle in Dresden und 14 Jahre Pfarrer und Propst an St. Nikolai in Berlin mit einem weitreichenden Einfluß auf die bran- denburgisch-preußischen Kirchen- und Universitätspolitik, zugleich Seelsorger Ungezählter in ganz Deutschland aus allen Ständen. Für diesen äußerst umfangreichen Briefwechsel erhielt er ein kaiserliches Privileg der Portofreiheit. In der Wappenkunde (Heraldik) galt er früh als eine anerkannte internationale Autorität, so daß er über weitreichende Beziehungen zu der noch tonangebenden Adelswelt verfügte. Zahllos sind seine theologischen Veröffentlichungen, noch weiter reichte der Einfluß seiner Predigtbücher in den »»Lerngemeinden« der damaligen Zeit. In den »Pia desideria« aus dem Jahre 1675 sprach der Senior der lutherischen Kirche in der freien Reichsstadt Frankfurt/Main ein Programm aus, das richtungsgebend für den vielgestaltigen P. wurde und blieb. Um diese Reformvorschläge gruppierte sich der P. und gewann gewisse gemeinsame Züge. Sie zu verwirklichen, wurde sein innerstes Bemühen, nämlich: Intensivierung des Bibelstudiums der Laien angesichts einer Bibelkritik bzw. Bibelferne; Praktizierung eines allgemeinen Priestertums der durch mitverantwortliche Aktivi- tat mündig gewordenen Laien im kirchlichen Leben, um die reine Pastorenkirche in einer von Luther nicht gewollten Aufblähung des Amtes zu korrigieren; Verwirklichung eines allein überzeugenden Christentums der Tat, damit es nicht zur leeren Deklamation werde; Reform des Theologiestudiums (—» Ausbildung, theologische) im Blick auf die —» Gemeinde; Ausrichtung der Predigt vom rein Lehrhaft-Verstandesmäßigen auf das Missionarisch-Seelsorgerliche unter Zurückdrängung alles theologischen Prunkes und Zügelung des rein Polemischen mit seiner abstoßenden Auswirkung. Nicht zuletzt, - und hier setzte der Widerstand der Orthodoxie ein -, schlug er »collegia pieta- tis« vor, besondere Versammlungen derer, »die mit Ernst Christen sein wollten« (Luther) um die Bibel mit freigestellter Aussprache zwischen Laien und Geistlichen. Damit wollte Spener zugleich die damals noch weithin üblichen Hausandachten mit dem Hausvater in seinem Priesteramt unter den Seinen stärken und nicht hintansetzen. Als in Frankfurt das Konventikeltum einer separatistischen Geheimbewegung Vorschub leistete, ließ er diesen Vorschlag und die Bemühung um die —» Stunden zurücktreten. Nur in Württemberg konnten sich schließlich die Stunden nach erfolgter kirchenbehördlicher Regelung frei entfalten. Spener überraschte seine Generation mit seinem Ruf nach einer Umkehr in die Zukunft. Auf alle sich in der Orthodoxie ausbreitende Resignation antwortete er herausfordernd mit der »Hoffnung zukünfig besserer Zeiten«, die er aus dem NT herauslas. Durch sein intensives Lutherstudium und durch den Willen, das Kirchentum nach dem urchristlichen Vorbild einer »familia Dei« zu formen, besaß er die Kraft, die lutherische Orthodoxie zu kritisieren und als Epoche zu überwinden. Er verstand es, im Blick auf die ganze Christenheit in allen Zonen und zu allen Zeiten die großen Verheißungen noch als bevorstehend darzustellen. Das galt im Blick auf die Juden nach Rom 9—n. Die katholische Kirche wird sich wandeln (freilich kam es nicht so, wie er es in einem »Fall des Papsttumes« sehen wollte). Für die Heidenmission gab er, wenn auch noch nicht in den »Pia desideria«, den Anstoß: Die Kirche wird sich über den ganzen Erdboden ausbreiten. Die getrennte Christenheit wird Zäune abbrechen und aufeinander zugehen. Das wird alles unter der Wirkung des lebendigen Gottesgeistes geschehen. Wenn auch die Kirche bleibend mit der Kreuzesgestalt ihres Herrn in ihrem Dasein verhaftet bleibt, so kann sie doch unerschrocken und getrost sein. Diese eschatologisch gestimmten Aussagen Speners besitzen zweifellos ihren Wurzelgrund in seiner lebendigen Gotteserfahrung, in der Wiederentdeckung des 3. Glaubensartikels. Von hier aus wird jetzt alles dynamisiert. Ein Aktivismus wurde in den Laienkreisen wach. Die Werke der Äußeren Mission, der Judenmission, der ersten freien Liebesarbeit begannen zeichenhaft einzusetzen. Selbst der Adel begeisterte sich für die Ziele des Reiches Gottes und übernahm oft zusammen mit den Pastoren die Führung in dieser Aktivierung.
Zugleich entwaffnete Speners Reformschrift die Kirchenkritik des Separatismus. Die Kirche war kein hoffnungsloser Fall. Speners und später Franckes wie Zinzendorfs Behutsamkeit im Umgang mit den separatistischen Kräften verdrängte die Träumereien von einer separatistischenGeheimkirche der Gemeinde der »Heiligen«. In der Wiederentdeckung der Realitäten, von denen der 3. Glaubensartikel zeugt, zeigt sich, wo Speners »Chiliasmus« wurzelt, mit dem er die starre Fixierung auf das »Tausendjährige Reich« zu überholen suchte. Ungeachtet mancher Bedenken blieb für ihn und den ganzen kirchlichen P. als Ort neuer Erfahrungen und missionarisch-diakonischer Aktion die Massen-Basis der —» Volkskirche. Die biblische Illusionslosigkeit über das Wesen der vergehenden Welt, die doch Gottes Welt bleibt, ließ ihn nüchtern klare Ziele anstreben. So hat er wirksam die allgemeine Judenbefreiung in Deutschland eingeleitet. Unvergessen sollte auch seine ntl. Widerlegung des unter den lutherischen Theologen noch grassierenden Hexenglaubens bleiben. Sein Blick heftete sich auf die —» Alte Kirche. Ohne ihre Erscheinung kritiklos zu verherrlichen, erkannte er in ihr eine Liebesglut, die das ganze Leben an Christus band und sich ihm auslieferte. Als großes Beispiel, nicht als eine Wiederholungsmöglichkeit sollte sie neu aufleuchten.
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AUGUST HERMANN FRANCKE (i 663 -I 727). Als eine ebenfalls charismatische Persönlichkeit faßte er die Fülle der Spener'schen Anregungen zu einem »geschlossenen und wirkungsmächtigen Ganzen« zusammen.
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