Evangelisches Gemeindelexikon



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Rettungshäuser Wiehern

Revolution, Theologie der



  1. Der Begriff der Revolution (R.) meinte ursprünglich den gesetzmäßigen Umlauf der Gestirne um die Sonne. Er hat dann die Be­deutung einer tiefgreifenden Umwälzung bestehender Verhältnisse angenommen, meint also mehr als Putsch oder Staats­streich, bloße Revolte oder Palastrevolution. So ist es sinnvoll, von einer geistigen (z.B. —> Reformation) oder auch von einer naturwis­senschaftlich-technischen »R.« in der Neu­zeit zu sprechen. Der politisch-soziale Be­griff der R. bezeichnet im Bereich des Rech­tes und des Staates, der Wirtschafts- und Ge­sellschaftsordnung einen geschichtlich be­deutsamen Bruch mit der Tradition und Vergangenheit. Während Jahrtausende lang R.n zwar stattfanden, aber nicht geplant wurden, sind sie, besonders im Einflußge­biet marxistischen Denkens, in den Bereich des langfristig Plan- und Machbaren gerückt.

II. Durch die ökumenische Konferenz für Kirche und Gesellschaft (im Juli 1966 in Genf) ist das Thema einer Theologie der r. stark in den Vordergrund getreten. Ein

Hauptgrund dafür war die intensive theolo­gische Beschäftigung mit dem Marxis­mus, der durch die Philosophie von Ernst Bloch neue Akzente bekommen hatte. Große Beachtung fand der Beitrag des Ame­rikaners Richard Shaull, der fahre seines Le­bens in Südamerika gelebt hatte und dort Zeuge einer revolutionären Situation ge­worden ist.



Zum Verständnis des Anliegens von R. Shaull in jenen Jahren ist wichtig a) das Er­lebnis der Krisen und Spannungen, des tiefen Elends und des Leidens der land- und gro­ßenteils arbeitslosen Massen in den latein­amerikanischen Ländern, b) die Anlehnung an gewisse neomarxistische Ideen, beson­ders bei Herbert Marcuse, c) ein revolutionä­res Gottesbild: »Der Gott, der alte Struktu­ren niederreißt, um die Bedingungen für eine menschlichere Existenz zu schaffen, ist selbst mitten im Kampf... In diesem Kon­text ist der Christ aufgerufen, sich in der Re­volution, wie sie sich entwickelt, einzuset­zen. Nur in ihrem Zentrum können wir be­obachten, was Gott tut...» (Shaull), d) die Empfehlung der Strategie des Guerillakrie­ges, d.h. der Aktion kleiner festgeschlosse­ner und beweglicher Gruppen, die unerwar­tet hier und dort Schlüsselpositionen und Schlüsselinstitutionen in der Gesellschaft unter Druck setzen, um sie schrittweise zu Gesellschaftsänderungen zu zwingen, e) der Appell an die Christen, durch ihre Gegen­wart und Teilnahme die Humanität des re­volutionären Prozesses zu erkämpfen. - Au­ßer R. Shaull haben sich auch andere Theo­logen, z.T. mit unterschiedlichen Akzentu­ierungen, zur Theologie der R. bekannt, so neben dem russischen Erzpriester Vitalij Bo- rovoj die Deutschen H. D. Wendland und H. Gollwitzer.

  1. Würdigung

i) Eine Theologie der R. ist abzulehnen, so­weit sie von einem unbiblischen Verständ­nis des Wesens und Handelns Gottes aus­geht. Der -» Gott der Bibel handelt plötz- lich-verändernd in —* Heil und —» Gericht, aber auch stetig im Erhalten und Segnen. Das biblische Gottesbild läßt sich nicht auf einen einzigen Nenner bringen. Die Behaup­tung, daß sich Gott - ständig—im Herzen der Revolution offenbart, ist nicht vereinbar mit dem Bekenntnis zu Gottes abschließender Offenbarung in —* Jesus Christus, sie ist letztlich »natürliche Theologie« (—» Gott).

  1. Eine Theologie der R. ist abzulehnen, wenn sie das Kommen des —» Reiches Gottes in eins setzt oder verbindet mit dem Verlauf der —> Geschichte bzw. mit unseren Bemü­hungen zur Vermenschlichung gesellschaft­licher Zustände. Die Unterscheidung zwi­schen Kirchen und Welt, Reich Gottes und sozialem Engagement der Christen ist un- aufgebbar (vgl. Luthers —> Zwei-Reiche-Leh- re).

  2. Das Problem von Gewaltanwendung und Gewaltlosigkeit ist keineswegs ein »Scheinproblem« (J. Moltmann). Die An­wendung revolutionärer Gewalt läßt sich christlich nicht durch die humanen Ziele der R. legitimieren. Christen können weder zum Einsatz revolutionärer Gewalt aufru- fen, noch mit Gruppen Zusammenarbeiten, die solche Gewalt praktizieren. Dies gilt nicht nur deshalb, weil die Folgen gewalt­samen Vorgehens immer wieder unabsehbar sind und der Weg der Gewalt eine Kettenre­aktion von Gegengewalt zu provozieren pflegt (M. L. —» King). Es würde auch gelten, wenn dies so nicht der Fall wäre. Auch muß darauf hingewiesen werden (was hier nicht im einzelnen begründet werden kann), daß weder innerstaatlicher Einsatz von Gewalt zur Wahrung des Rechtes noch das einge­schränkte Ja zum —» Kriegsdienst der Chri­sten, nicht einmal eine Erfahrung wie die der Mitarbeit D. Bonhoeffers an der Vorberei­tung des Attentats auf A. Hitler (20.7.44) in Richtung auf die Anwendung revolutionärer Gewalt verallgemeinert werden können. Ein politisch-soziales Handeln aus dem Glauben an Jesus Christus geht von anderen Voraus­setzungen aus, benutzt weithin andere Me­thoden und verfolgt auch nur teilweise die­selben Ziele wie Gruppen, die nicht mit Gott rechnen (vgl. auch Punkt 4 und Lit. Bockmühl).

  1. Noch immer nicht befriedigend beant­wortet ist die Herausforderung, die der Mar­xismus für die Christenheit darstellt und auf welche die Theologie der R. nur eine mögli­che Antwort geben kann. Es geht um das Problem: welchen Beitrag leisten die Chri­sten aus ihrem geistlichen Potential heraus zur notwendigen Humanisierung der Ge­sellschaft? Denn von Gott zugelassene ge­sellschaftliche Zustände sind nicht gleich­zusetzen mit gottgewollten! Hier ist nach der Lebensqualität der christlichen —* Ge­

meinde gefragt. U.a. muß, neben der übli­chen Forderung nach Proklamationen und Aktionen der Kirchen und Christen folgen­des bedacht werden: a) An welchen Stellen der Gemeinde tauchen die großen gesell­schaftlichen Probleme, möglicherweise un­ter anderen Etiketten, wieder auf? Wie gehen Christen mit ihnen um? Finden sich im ei­genen Bereich Lösungen, die lebensmäßig erprobt sind? b) Welche Opfer verlangt das Mitleiden am Leid der Gesellschaft von den Gläubigen? c) An welchen Stellen ist eine Zusammenarbeit mit Nichtchristen zur Lö­sung gesellschaftlicher Nöte möglich? Wo ist sie uns untersagt, weil eine Überein­stimmung hinsichtlich der Ziele und Me­thoden (!) der Veränderungen sich nicht er­reichen läßt? d) Wie groß ist unser Vertrauen auf Gottes helfendes Eingreifen, wenn wir für Menschen und Gruppen beten? Welche Bedeutung hat eine an Mk 11,22-24 orien­tierte Fürbitte als politische Diakonie?

Die Alternative zur Theologie der R. kann nur in einer schriftgemäßen Theologie christlich-gesellschaftlichen Engagements einerseits, einer gesellschaftsbezogenen geistlichen Lebenspraxis andererseits beste­hen.

Lit.: T. Rendtorff/H. Eduard Tödt, Theologie der R., Analysen und Materialien, 1968 - E. Feil/R. Weth (Hg.), Diskussion zur -Theologie der R.<-, 1969 - K. Bockmühl, Herausforderungen des Marxismus, 1977

Kopfermann




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