Evangelisches Gemeindelexikon



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Erweckungspredigt

Die —> Erweckungsbewegungen des 18. und 19. Jh.s sind eine Frucht erwecklicher —» Predigt gewesen. Hatten Aufklärung und Rationalismus dem »Kanzelvortrag« eine überwiegend sozialpädagogische und allge­mein belehrende Aufgabe zugewiesen, so brach sich in den Erweckungsbewegungen ein anders geartetes Predigtverständnis Bahn, das sich am Modell der Urgemeinde orientierte. Sieben charakteristische Merk­male der E. lassen sich - bei aller theologi­schen und regionalen Unterschiedlichkeit im einzelnen - erkennen: 1. E. ist schriftge­bundene Rede. Das Zeugnis der Heiligen Schrift ist maßgebend, nicht Erwartung der Hörer oder aktuelle Zeitproblematik. In al­ler Regel ist E. missionarische Bibelausle­gung. 2. E. ist christozentrische Rede. Chri­stus wird als der alleinige Retter aus ewiger Verlorenheit verkündigt, nicht als Vorbild für Unbekehrte. 3. E. ist werbende Rede. Ge­richts- und Gnadenpredigt dienen dem Ziel, »Seelen« für Jesus zu gewinnen. Ohne —» Wiedergeburt und -» Glauben gibt es kein —> Heil. Dazu sollen Menschen aus dem Todes­schlaf der —» Sünde »erweckt« werden. 4. E. ist betende Rede. Da der Glaube allein Got­tes Geschenk ist, kann er nicht durch raffi­nierte menschliche Methoden erreicht, son­dern nur erbeten werden. E. wird getragen und begleitet vom Gebet und leitet zur Bitte um den Heiligen —» Geist an. 5. E. ist persönliches Glaubenszeugnis. Glaubenser­fahrung und Glaubensgehorsam des Predi­gers werden als unentbehrliche Vorausset­zung für die Vollmacht (nicht für den Inhalt) der Verkündigung angesehen. 6. E. ist kon­krete Rede. Nicht allgemeine Richtigkeiten, sondern konkrete Wege werden (missiona- risch-seelsorgerlich-lehrhaft) aufgezeigt, die zur persönlichen —» Heiligung, zum Leben in der Gemeinschaft der Gläubigen, zum Zeugnis und Dienst für Christus (-» Prie­stertum aller Gläubigen) führen sollen. 7. E. ist bevollmächtigte Predigt. Nicht die oft er­staunlich phantasievoll angewandten Me­thoden (field-preaching; erweckliches -► Liedgut; verständliche Sprachgestaltung etc.), sondern das Wirken des Heiligen Gei­stes gibt der —» Predigt —> Vollmacht. E. rechnet mit dieser Verheißung.

Lit.: A. Haarbeck, Ludwig Hofacker und die Frage nach der erwecklichen Predigt, 1961 - O. Riecker, Das evangelistische Wort, 1974I - F. Hauß, Erwek- kungspredigt, 1967

Haarbeck


Erziehung

Begriffsbestimmung

E. im weiteren Sinne ist als eine notwendige Lebenshilfe zur Personwerdung des —> Men­schen zu verstehen und schließt alles päd­agogische Handeln und Geschehen, erzie­hende wie bildende, schulische und außer­schulische Vorgänge, Individual- und So­zialerziehung sowie alle Institutionen, In­halte, Mittel und Methoden, die der E. die­nen, ein. Je nach Ort und Träger bzw. inhalt­lichem Schwerpunkt wird zwischen Famili- en-E., Vorschul-E., Heim-E., schulischer E. (bzw. Bildung), Berufs-E. usw., zwischen sittlicher, musischer, politischer, religiöser E. usw. unterschieden. In der Regel wird Bil­dung als Geistes-Bildung (mit besonderer Nähe zu allen Formen schulischer Bildung) dem Begriff E. untergeordnet.



  1. E. in der Bibel

Vor allem anderen bezeugt die Hl. Schrift Gottes Handeln an seinem Volk und am Menschen zu deren Rettung und Erlösung und enthält deshalb Aussagen über E. (hebr. musär, griech.paideia; erziehen: hebr. jasar, griech.paideuo) nur im Zusammenhang der Führung des Volkes Israel und des Lebens der ntl. christlichen Gemeinden. Gottes Handeln wird immer wieder auch als E. er­fahren und verstanden. II III

  1. . Die Mittel und Wege zu diesem Ziel sind so vielfältig wie das menschliche Leben und Gottes Führungen (2Kor 6,9; 11,23 ff)- Da Gott uns »in Christus« erzieht, tragen seine Wege das Zeichen des Kreuzes (2Kor

  1. . Selbst Christus »lernte Gehorsam an dem, was erlitt« (Hebr 5,8). Dabei dürfen wir für uns und die uns anvertrauten Kinder wis­sen, daß Gottes Fürsorge unser ganzes Le­ben, jeden Tag und jedes Werk umfaßt (Ps 139,16; Eph 2,10), daß er alles prüft, was uns begegnet (iKor 10,13), daß er weiß, was wir bedürfen (Mt 6,32). Und Gottes Treue gibt Zuversicht, »daß er das Werk, das er ange­fangen hat, auch vollenden wird« (Phil 1,6).

  1. Grundlage der biblischen Aussagen über die elterliche E. bildet Eph 6,4: Ihr Väter er­zieht eure Kinder »in der Zucht und Ver­mahnung des Herrn«. In Luthers Auslegung heißt es dazu, beides soll »nach der Art Got­tes« geschehen, »damit die Kinder sich durch die Eltern von Gott erzogen und ge­züchtigt wissen«. So können Eltern und Er­zieher zu Mitarbeitern Gottes werden,- in ih­rer E. sollen Gottes Langmut, Liebe und Barmherzigkeit und zugleich die Autorität und der Ernst seiner Wahrheit und Gerech­tigkeit zur Geltung kommen, von denen ihr eigenes Leben bestimmt ist (Kol 3,21; Tit

    1. ff.; Hebr. 12,7; Spr 13,24; 19,18 f.;

  1. . Kinder und Eltern, Schüler und Leh­rer sind darin gleich, daß sie miteinander von der Vergebung und Verheißung Gottes leben. Kinder sind den Eltern und Erziehern von Gott anvertraut (Ps 127,3; Spr 1,8; 17,6), sie sollen den Kindern die Überlieferung er­zählen (Ex 12,26 ff.), damit sie Gottes Han­deln in ihrem eigenen Leben erkennen und lernen, nicht sich selbst zu leben, sondern Gott im Mitmenschen zu dienen (2Kor 5,15; Joh 13,15).

Weisheit, Wissenschaft und Bildung werden im AT (Spr 1,7) und im NT (iKor 1,19 ff; 2,6 ff; 3,18 ff.) relativiert und der Furcht und Er­kenntnis Gottes unterstellt.

  1. Zur Geschichte der E.

E. und Bildung sind Vorgänge und Aufgaben, die mit dem menschlichen Leben in Natur, —» Geschichte und Gesellschaft selbst gege­ben und deswegen zu allen Zeiten und in al­len Völkern anzutreffen sind; jeweils abhän­gig vom Stand der sozialen und kulturellen Entwicklung. Christlicher Glaube gewinnt Einfluß auf die Erziehung über die Wir­kungsgeschichte der Christusverkündigung, die die Lebenspraxis, die Lebensziele und das Lebensverständnis von Menschen, Gruppen und Völkern verändert hat und prägt. Für die Gegenwart sind drei geschichtliche Ent­wicklungen folgenreich geworden:

  1. Die relative Einheit und Geschlossenheit des mittelalterlichen Weltbildes, das christ­liche Überlieferung und Kirche entschei­dend geprägt haben, ist durch die wirtschaft­liche, soziale, politische und geistige Ent­wicklung der Neuzeit auseinandergebro­chen und von einer wachsenden Autonomie der einzelnen Lebensbereiche, (z.B. auch Er­ziehung - Schule - Hochschule), dib nur ih­rer Sachgesetzlichkeit folgen, abgelöst wor­den. Kirche und Christentum werden auf die Zuständigkeit für das religiöse Leben be­grenzt. Kinder und Heranwachsende erleben die Relativität und Pluralität von Meinun­gen und Einflüssen als Orientierungskrise und als Zweifel an der Wahrheit der christli­chen Botschaft.

  2. Erziehung war in der vorindustriellen Welt (z.T. bis ins 20. Jh. hinein) an Tradition und Sitte orientiert und erfolgte vor allem durch das gemeinsame Leben und Arbeiten der Generationen (—» Familie, Großfamilie) und durch die Weitergabe der Überlieferung der Väter. Unter dem Einfluß von Wissen­schaft, Technik und Industrie haben sich Vorstellungen, Lebensweise und Erwartun­gen der Menschen sowie die Lebensbedin­gungen in Familie, Beruf, Staat und Gesell­schaft in einem Ausmaß geändert, daß die Maßstäbe und Ordnungen der Tradition nicht mehr selbstverständlich gelten, ja von immer mehr Menschen Kritik und Ableh­nung erfahren. Dieser »Traditionsverlust« wirkt unmittelbar auf die Erziehung ein, macht Eltern und Erzieher unsicher und be­lastet das Generationenverhältnis. 3

Schulpflicht ab 17. Jh.). Die damit verbun­dene verstärkte Arbeitsteilung, Spezialisie­rung und Bürokratisierung hat tiefgreifende Rückwirkungen auf die E. Besonders deut­lich wird das in der Entwicklung des moder­nen Schulsystems, das das Lernen der nach­folgenden Generation immer stärker insti­tutionalisiert und an den beruflichen und gesellschaftlichen Erwartungen und Lei­stungsanforderungen ausrichtet und damit die Familien-E. belastet und eine den ganzen Menschen fördernde und begleitende Le­benshilfe erschwert, ja ihr z.T. entgegenar­beitet.

  1. Zur gegenwärtigen Situation

  1. Entwicklung und Erziehung des Klein­kindes, Reifen und Lernen, sind als Wech­selbeziehung zu interpretieren und von kon­tinuierlicher und verläßlicher Zuwendung der Mutter (bzw. einer an ihre Stelle treten­den Bezugsperson) abhängig. Eine Zuwen­dung dieser Art baut ein fundamentales Ge­fühl des Angenommenseins im Kind auf. Es fühlt sich getragen, bejaht, willkommenge­heißen. Es faßt Vertrauen ins Leben und wird fähig, auch Krisen und Konflikte zu be­stehen.

  2. Unter der bestätigenden, ermutigenden, begleitenden Zuwendung der Eltern und na­hestehender Menschen erwacht in jedem Kind Bedürfnis und Kompetenz, unver­wechselbar selbst jemand zu sein, durch Er­fahrung, Entdeckung, Gestaltung der Wirk­lichkeit teilzuhaben und beizutragen am gemeinsamen Leben. Kinder und Jugendli­che müssen fragen, suchen, probieren und widersprechen dürfen; auch in den Fragen des Glaubens. Sie brauchen Raum zum Spie­len, zur Entfaltung und zugleich Aufgaben, an denen sie sich bewähren können. In der Aufbruchsituation, in den Übergangs- und Ablösungsprozessen (z.B. Trotzalter, Kin­dergarten- und Schulbeginn, Pubertät) soll­ten Erwachsene Interesse an den Fortschrit­ten der Selbständigkeit und Eigenverant­wortlichkeit zeigen, Sicherheit gewähren und Grenzen markieren. Gerade um mit der Zeit selbständig werden zu können, bedarf das Kind zunächst der Traditionsvermitt­lung, der Vorgaben, der Autorität.

  3. Ein Miteinanderleben, das gelingen soll, setzt eine gemeinsame Ordnung voraus. Sie hat für das menschliche Zusammenleben grundlegende Bedeutung. Ordnung und Ge­horsam dürfen jedoch nicht zum Selbst­zweck werden, sonst bleiben Kinder unselb­ständig, entwickeln keine Phantasie. Ange­sichts des Traditionsverlustes (s. II2) und der gesellschaftlichen Situation (II1 und 3) soll­ten junge Menschen den Halt guter Ordnun­gen und überzeugender Vorbilder erfahren und zugleich lernen, wie man gemeinsam neue Situationen und Herausforderungen bewältigt. Kinder und Jugendliche, die sich selbst überlassen bleiben, die keine Anforde­rungen, keinen Widerstand kennenlernen, verwahrlosen. Ihre Aggressionen, ihre Lan­geweile, das Gefühl der Sinnlosigkeit sind nicht selten unmittelbare Folgen einer alles gewährenden Haltung von Erwachsenen, die aus eigener Unsicherheit nicht mehr für die Werte eintreten, für die es zu leben erst lohnt.

  4. Die ersten Gottesvorstellungen und Glaubenserfahrungen des Kindes werden wesentlich geprägt durch den Umgang mit seinen Eltern und Geschwistern. Teilhaben am Glauben lernen Kinder und Jugendliche durch Leben und Zeugnis von Bezugsperso­nen und Bezugsgruppen, durch lebendige Sitte und Überlieferung (u.a. -» Gebet, Ge­spräch, Schriftlesung, —»Gottesdienst, Gast­freundschaft, Dienst und Hilfe für andere), dann auch durch das konkrete Angebot in Erziehung, Unterricht und Verkündigung. Auch für den Weg und die eigene Entschei­dung zum Glauben an Jesus Christus gelten dabei die oben (III2 und 3) ausgeführten Ge­sichtspunkte. Kindergottesdienst (-> Sonn­tagsschule) und Konfirmandenunterricht, Kinder- und —> Jugendarbeit der christlichen Gemeinden haben eine wichtige Aufgabe (auch wenn sie sie leider manchmal verfeh­len), die die Erziehung der Familien ergän­zen, aber nicht ersetzen können. Sie können Kindern die Botschaft so nahebringen, daß der Zusammenhang von gegenwärtiger Er­fahrung, biblischer Überlieferung und per­sönlichem Glauben für sie verständlich und nachvollziehbar wird. Christliche Tradition und Sitte sollten deshalb so gelebt und aus­gelegt werden, daß Kinder und junge Men­schen heute ihren Anspruch und ihre Hilfe erkennen können.

  5. Abschließend sei noch einmal auf den Zusammenhang von E.s-ziel und Lebensziel hingewiesen. Erzieherisches Handeln und E.-Konzeption sind nur wirksam, soweit sie in Übereinstimmung mit der Lebensüber­zeugung und Lebenspraxis eines Menschen, einer Gruppe, einer Gemeinschaft stehen. In der E. drückt sich und spricht sich aus, was Menschen sind, was sie glauben, lieben und hoffen. Alle Strukturen, Methoden und Me­dien können dies im günstigsten Falle kon­kreter und faßbarer machen. Es gibt in unse­rer Zeit so viele erdachte und verordnete E.s-ziele, die sich selbst angesichts der Le­benswirklichkeit als Illusion und als Ideolo­gie erweisen. Hier sollten Christen und christliche Gemeinden einerseits achtsam und selbstkritisch sein, andererseits Mitver­antwortung für den Weg und die Zukunft der heranwachsenden Generation übernehmen.

Lit.: H. H. Groothoff und M. Stallmann (Hg.), Neues Pädagogisches Lexikon, 1971 - W. Jentsch, M. Kießig und H. Reller (Hg.)', Ev. Erwachsenen Ka­techismus, 197 s — M. Buber, Reden über Erzie­hung, 1953 -A. Fröhlich, Erziehen-aber wie? 1977 - H. B. Kaufmann, Glaubenserziehung im Kinder­gottesdienst, Dt. Pfarrerblatt, 1975, S. 6i6ff. - 1. Köck, Damit sie glauben können, 1971 -M. J. Lan­geveld, Einführung in die Pädagogik, 196^ - Chr. Meves, Erziehen lernen, 19722 - R. Schindler, Er­ziehung zur Hoffnung. Mit Kindern unterwegs zu Gott, 1977 - Die Ev. Kirche und die Bildungspla­nung, 1972

Kaufmann



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