Internationale Tagung von Kinder- und Jugendbuchautorinnen und –autoren in Hannover
Vom 1. bis 3. Oktober 2012 versammelten sich 123 Kinder- und Jugendbuchautorinnen und –autoren aus Deutschland und dem europäischen Ausland sowie Vertreter der Bödecker-Kreise aus den Bundesländern im Neuen Rathaus der Stadt Hannover.
Das Schwerpunktthema der Tagung waren die Perspektiven, einerseits für Kinder und Jugendliche und andererseits für die Kinder- und Jugendliteratur und für die Autorinnen und Autoren. Zu den verschiedenen Facetten des Themas wurden namhafte Referentinnen und Referenten eingeladen. Interessante Einblicke, gerade auch was die Kürzung der öffentlichen Förderung angeht, bot die Referentin aus Lettland.
Nicht zuletzt wurden aktuelle Perspektiven der praktischen Arbeit der Friedrich-Bödecker-Kreise erörtert, insbesondere die Durchführung von Schreibwerkstätten in Schulen in sozialen Brennpunkten.
Vor dem Plenum und in den Arbeitsgruppen am Samstagnachmittag entwickelten die Referentinnen und Referenten ihre Themen. Den Auftakt machten am ersten Tag der bekannte Autor und Verleger Herman Schulz mit seinen Ausführungen zum Zusammenhang von Biografie und Schreiben sowie die Leiterin der lettischen Kinder- und Jugendbibliothek in Riga, Silvia Tretjakova, mit ihrer Einschätzung der Zukunftsperspektiven junger lettischer Autorinnen und Autoren. Am 2. Tag standen die Ausführungen von Prof. Dr. Wertheimer aus Tübingen über die Rolle von Kindern und Jugendlichen als Welterklärer und Kenner in der Literatur im Zentrum sowie die Berichte der Autorin Anja Tuckermann und des Straßensozialarbeiters Taner Avci aus Berlin über Perspektiven von Kindern und Jugendlichen insbesondere mit Migrationshintergrund in Berlin. Der Experte für neue Medien und Marketing Andreas Gutjahr aus Hamburg stellte die Möglichkeiten von Social Media für das Marketing von Kinder- und Jugendbuchautoren dar. Danach wurden in den Arbeitsgruppen die Themen in kleineren Kreisen ausführlich diskutiert.
Am 3. Tag informierte der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft von Jugendbuchverlegern und Leiter der Kinder- und Jugendbuchabteilung des Hanser Verlags, Ulrich Störiko-Blume, über den Markt für Kinder- und Jugendliteratur.
Anschließend ging es um die praktische Arbeit des Friedrich-Bödecker-Kreises. Es wurde ein Projekt mit Schreibwerkstätten an einer Förderschule in Hannover aus der Sicht der Schulleiterin Frau Kumkar und des beteiligten Autors Nevfel Cumart vorgestellt. Eine Diskussion über die Rahmenbedingungen von Autorenbegegnungen in Schulen bildete den Abschluss der Tagung, die wie immer zahlreiche Gelegenheiten für Erfahrungsaustausch bot, neue Projekte anregte und freundschaftliche Verbindungen entstehen ließ und vertiefte.
Im zeitlichen und logistischen Umfeld der Tagung führten wir zahlreiche Begegnungen von an der Tagung teilnehmenden Autorinnen und Autoren an Schulen, Bibliotheken u.a. Einrichtungen durch. Die Autorenbegegnungen wurden vom Land Niedersachsen, der VGH-Stiftung u.a. finanziert.
Die Tagung fand auch diesmal wieder in einer entspannten, aber sehr professionellen Atmosphäre statt. Da wir mit vielen Autorinnen und Autoren und auch mit der Stadt Hannover, die mit dem Rathaus einen herausragenden Veranstaltungsort zur Verfügung stellt, seit Jahren gut zusammenarbeiten, konnte die Organisation und Durchführung reibungslos verlaufen. Dies gilt sowohl für die Tagung als auch für die vielen Veranstaltungen im Umfeld der Tagung.
Die Qualität der Referate und der jeweiligen Vorträge wurde von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern diesmal besonders und ohne Ausnahme gelobt. Auch scheint die Zusammenstellung der verschiedenen Aspekte des Themas „Perspektiven“ gut gelungen zu sein, so legen es jedenfalls die durchweg positiven Rückmeldungen nahe.
Der Höhepunkt des ersten Abends war natürlich die Verleihung des Friedrich-Bödecker-Preises an den österreichischen Autor und Lyriker Georg Bydlinski.
Bewährt haben sich unsere Bemühungen, junge Schriftsteller mit der Arbeit des Friedrich-Bödecker-Kreises bekannt zu machen. Zwei junge Autorinnen und ein junger Autor, die am Lyrix-Wettbewerb bzw. am Treffen junger Autoren teilgenommen hatten, nahmen am Treffpunkt teil und stellten sich im Rahmen der Abendveranstaltung den Teilnehmerinnen und Teilnehmern vor.
Foto Jochen Elies
Malte Blümke, Georg Bydlinski, Insa Bödecker und Bürgermeister Bernd Strauch
Für viele Autorinnen und Autoren ist diese Tagung eine der wenigen Möglichkeiten mit ihren Kollegen ins Gespräch zu kommen. Die Rückmeldungen der Teilnehmer lassen keinen Zweifel an der Wichtigkeit und Effektivität dieser Zusammenkunft und am Wunsch, sich weiterhin im größeren Rahmen zu treffen und auch international über die Landesgrenzen hinweg auszutauschen.
Für die teilnehmenden Autorinnen und Autoren ist die Aussicht, dass in zwei Jahren wieder eine Tagung „Treffpunkt Hannover“ stattfinden wird von großer Wichtigkeit. Diese Zusammenkünfte sind in dieser Größenordnung in Deutschland und auch in Europa für Kinder und Jugendbuchautoren einmalig. Die nächste Tagung ist für den Herbst 2014 im Rathaus der Stadt Hannover geplant. Es ist dann das Jahr des 60-jährigen Bestehens des Friedrich-Bödecker-Kreises und des 50-jährigen Bestehens der internationalen Autorentagung „Treffpunkt Hannover“.
Tagungsprogramm
Montag, 01.10.2012
Rathaus Hannover, Bürgersaal
14.45 Uhr Begrüßung und Eröffnung
Stephan Weil, Oberbürgermeister
der Landeshauptstadt Hannover
Insa Bödecker und Malte Blümke
Vorstand des Friedrich-Bödecker-Kreises
Prof. Dr. Johanna Wanka, Niedersächsische Ministerin für Wissenschaft u. Kultur
Dr. Sabine Schormann, VGH-Stiftung
Herbert Somplatzki (Schmallenberg)
Erinnerung an Hans Bödecker
16.15 Uhr Hermann Schulz (Wuppertal)
Wenn Geschichten den Autor finden
Vom Leben und Schreiben
17.15 Uhr Silvia Tretjakova (Riga, Lettland)
Zukunftsperspektiven junger
lettischer Autorinnen und Autoren
18.00 Uhr Verleihung des
Friedrich-Bödecker-Preises
durch Oberbürgermeister Stephan Weil
Laudatio, musikalisch-literarisches
Programm und anschließend im Mosaiksaal
geselliges Beisammensein/Büffet
ca. 21.00 Uhr [Ende]
Dienstag, 02.10.2012
Rathaus Hannover, Bürgersaal
9.15 Uhr Prof. Dr. Jürgen Wertheimer
(Tübingen)
Kleine Philosophen – Kinder als
Welterklärer und Literaturkenner
10.30 Uhr [Pause]
11.00 Uhr Andreas Gutjahr (Hamburg)
Social Media:
Wo Deine Leser schon auf Dich warten
11.30 Uhr
Anja Tuckermann / Taner Avci (Berlin)
Perspektiven, Straßensozialarbeit in Berlin
Kurze Vorstellung der Arbeitsgruppen
13.00 Uhr gemeinsames Mittagessen im Rathaus
15. 00 Uhr Arbeitsgruppen:
1. Hermann Schulz
2. Prof. Dr. Jürgen Wertheimer
3. Anja Tuckermann / Taner Avci
4. Andreas Gutjahr
17.30 – ca. 18.00 Uhr Plenum
19.00 Uhr Abendprogramm/ Büffet
Vorstellung der Lyrix-Gewinner 2011
im Künstlerhaus / Sophienstr. 2
Mittwoch, 03.10.2012
Rathaus Hannover, Bürgersaal
9.45 Uhr Nevfel Cumart (Bamberg)
/ Brigitte Kumkar (Hannover)
Ein Bericht über Schreibwerkstätten an einer Förderschule
10.30 Uhr Ulrich Störiko-Blume (München)
Der Markt für Kinder- und Jugendliteratur und die Globalisierung
11.30 Uhr Verschiedenes, Verabschiedung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer
13.00 Uhr [Ende]
Eine Dokumentation der Tagung ist auf Nachfrage bei der Geschäftsstelle erhältlich. Einzelne Referate und Beiträge können auch per Email zugesendet werden.
(Presseberichte im Anhang S. 27)
5. Schreibwerkstätten
5.1. Schwerpunktprojekt
Haupt- und Förderschulen
Der Friedrich-Bödecker-Kreis hat im ersten Halbjahr 2012 mit Unterstützung der Sparkasse Hannover wieder fünf Schreibwerkstätten unseres Schwerpunktprojekts für Haupt- und Förderschulen durchführen können.
Es haben diesmal vier Hauptschulklassen und eine Förderschulklasse teilgenommen:
Garbsen, Kopernikus HS, Tuckermann, Anja
Hannover, Ludwig Windthorst Sch., Meyer-Dietrich, Inge
Hannover, M.-Kolbe FöS, Cumart, Nevfel
Laatzen, KGS, Tondern, Harald
Wennigsen, KGS, Steenfatt, Margret
Die Ludwig-Windthorst-Schule war zum Beginn des Projekts im Jahr 2007 schon einmal dabei und hat in diesem Jahr zum zweiten Mal eine Werkstatt durchführen können. Die KGS Laatzen und die KGS Wennigsen mit den ausgewählten Hauptschulklassen waren zum ersten Mal dabei. Die Hauptschule Nikolaus Kopernikus in Garbsen ist von uns ganz bewusst angesprochen worden, weil es dort besondere Probleme mit Gewalt von Schülern gab. Inzwischen gibt es dort einen neuen türkischstämmigen Schulleiter, vieles wurde verändert, unser Angebot passte da sehr gut ins Konzept und wurde dankbar aufgenommen. Bei der Förderschule, die Maximilian-Kolbe-Schule Hannover, haben wir uns dazu entschlossen, in der gleichen Schule, aber in einer anderen Klasse noch einmal eine Schreibwerkstatt mit dem türkischstämmigen Autor Nefvel Cumart durchzuführen. Die Schreibwerkstatt, die er 2011 dort gehalten hat, hatte so außerordentliche und nachhaltige Wirkungen, dass wir der dringenden Bitte der Schulleiterin gern entsprochen haben. Nefvel Cumart hielt wenig später zusammen mit der Schulleiterin, Frau Brigitte Kumkar, einen Vortrag auf unserer Autorentagung im Neuen Rathaus über das Projekt an der Schule (Auszüge unten).
Die Rückmeldungen der Schulen waren wieder äußerst positiv. Das entspricht den bisher gesammelten Eindrücken und Erfahrungen. In den besonders schwierigen Bereichen, d.h. in der Förderschule und der Hauptschule Kopernikus waren die Lehrer tatsächlich sehr überrascht, wie viel man mit den Schreibwerkstätten bewirken und erreichen kann – eine Überzeugung, die wir von Beginn des Projekts hatten und die sich immer wieder bestätigt.
Schreibwerkstatt in der Hauptschule Nikolaus Kopernikus in Garbsen
Aus dem Bericht der Lehrerin und der Schüler
Eine spannende Woche ging mit einer Lesung vor Publikum, Eltern, Lehrer, Schulleitung, Presse und der Friedrich-Bödecker Kreis waren anwesend, zu Ende.
Eine Woche in der spannende, traurige, lustige und gruselige Geschichten geschrieben wurden.
Aller Anfang ist wie immer schwer, was sich auch zu Beginn der Schreibwerkstatt zeigte. Anja Tuckermann verstand es jedoch die Schüler und Schülerinnen durch Ratschläge, vorlesen im Plenum – wobei Beifall und Verbesserungsvorschläge der übrigen Schüler erfolgten - den Schülern die Angst vor dem Schreiben in ihre Geschichtenbücher zu nehmen.
Die Rückmeldung zu diesem literarischen Projekt war übereinstimmend sehr positiv.
Schlussäußerungen:
„Ich hätte nicht gedacht, dass die Woche so gut wird und ich Lust zu schreiben habe und so eine tolle Geschichte schreiben kann....“ Carlo, 12 Jahre
“Ich fand es am Montagmorgen schon gut und habe mich auf jeden Tag der Woche sehr gefreut ...„ Dennis, 11 Jahre
Schreibwerkstatt in der Maximilian-Kolbe-Schule (FöS) in Hannover
Bericht des Autors Nevfel Cumart
„ (...) Weniger „traumhaft“ allerdings war die Situation, die ich in der Klasse vortraf. Um es vorweg zu sagen: Dies war bislang die schwierigste Schreibwerkstatt, (- will sagen: die mit der schwierigsten Klasse -), die ich bislang an einer Schule absolviert habe. Und ebenso sei gleich vorweg gesagt: Dies war sicher eine der wichtigsten und nützlichsten Veranstaltungen, die ich bislang absolviert habe. Dabei bezieht sich diese Aussage nicht auf das literarische Niveau der „Ergebnisse“, also der Texte, die in der Schreibwerkstatt entstanden sind.
Sie bezieht sich vielmehr auf die pädagogische, gar emotionale Wirkung dieser Veranstaltung auf die Jugendlichen. Allein schon die Tatsache, daß ein Schriftsteller sich eine ganze Woche Zeit für diese Jugendlichen nahm und sich auf dem Wege des unterrichtsfernen Gesprächs, der Kreativität und der Literatur mit ihnen beschäftigte, war für sie schon ein Ereignis, daß kaum zu überschätzen ist. Und der „Besuch“ des Schriftstellers hatte zudem eine nachhaltige Wirkung, denn einige der Jugendlichen hatten ein „Erweckungserlebnis“ und schrieben auch noch Wochen nach der Schreibwerkstatt weiterhin eigene kurze literarische Texte, wie die Schulleiterin Frau Kumkar später berichtete.
(...) Von den teilnehmenden Jugendlichen in der Klasse waren manche regelrecht traumatisiert und viele lebten alleine bei der Mutter, wobei einige den Vater gar nicht kennen. Es wäre sicher nicht übertrieben, wenn man feststellen würde, daß so manche Verhaltensauffälligkeiten bei den Jugendlichen dem familiären Umstand mit zu verdanken sind.
(...) Kann man mit solch „schwierigen“ Jugendlichen arbeiten und eine konstruktive Schreibwerkstatt durchführen? Ich bin der Überzeugung, daß man das kann, die durchgeführte Schreibwerkstatt und die vorliegenden Ergebnisse belegen ja diese Überzeugung. Dabei waren für mich drei Dinge sehr wichtig und hilfreich: 1. Geduld, 2. Geduld und 3. Geduld. Mehr denn je ist in solch einem schwierigen Umfeld eine Atmosphäre des Vertrauens zwischen dem Werkstattleiter und den Jugendlichen wichtig. Eine Atmosphäre, in der auch die Schule „ausgeblendet“ wird und auch Zeit für ein Gespräch unter vier Augen neben der Schreibwerkstatt möglich ist.
Und eine weitere Erkenntnis: Daß ich meine Ansprüche an die Schreibwerkstatt und an die Jugendlichen immens nach unten „schrauben“ mußte. Anders gesagt: Unsere „Arbeitseffizienz“ im Laufe eines Werkstatttages und unsere „Produktivität“ an verfaßten Texten lag weit unter dem üblichen Durchschnitt meiner Werkstätten. Aber das war in Ordnung so. Zumal ich nach Absprache mit der Schulleitung, der Klassenlehrerin und der Schulsozialarbeiterin mich für zwei Prinzipien entschieden hatte:
Erstens wollte ich keinen der Jugendlichen aus der Werkstatt ausschließen und zweitens mit den Jugendlichen alleine arbeiten, also ohne schulische Hilfe oder der Androhung von Strafmaßnahmen.
Als Konsequenz dieser Entscheidung mußte ich einen beträchtlichen Anteil meiner Energie und Zeit darauf verwenden, in der Klasse für Ruhe zu sorgen, so manchen Streit zu schlichten und auch gelegentlich weinende Schülerinnen zu trösten. Es gelang mir, über den Tag verteilt zwischendurch ruhige Schreib- und Arbeitsphasen zu erreichen, die gut 30 bis 40 Minuten betrugen. Eine längere Konzentrationsphase am Stück war für die meisten Jugendlichen nicht möglich.
(...) Zu den Schreibspielen und -prozessen, die ich im Laufe der Woche mit den Jugendlichen durchgeführt habe, gehörten auch ein „Meditationstext“ (in manchen Handbüchern über das kreative Schreiben wird es oft „Phantasiereise“ genannt), bei dem sich die Jugendlichen in Tiere hineinversetzen sollten, ein Akrostichon über „MEIN ZUHAUSE“, bei dem zu jedem Buchstaben ein ganzer Satz geschrieben werden sollte, das Verfassen eines Parallelgedichtes nach einer Gedicht-Vorlage mit Hilfe eines Cluster zum Thema „Schlimme Dinge“ im Leben und Denken der Jugendlichen, ferner ein Text über den Begriff „Heimat“ und was Heimat für sie bedeutet
(...) Nach so vielen Jahren an absolvierten Veranstaltungen haben sich bei mir aus dem großen Repertoire von Schreibimpulsen, korrespondierenden Schreibspielen und Methoden einige herauskristallisiert haben, die ich sehr sinnvoll finde und daher recht häufig einsetze. Zu diesen favorisierten „Schreibübungen“ gehört auch das Verfassen eines Parallelgedichtes (mit Hilfe eines Clusters) nach einer Vorlage des Gedichtes „Was schlimm ist“ von Gottfried Benn.
Hierin führt Benn in sieben kurzen, freien und unregelmäßig langen Strophen Dinge aus, die er als schlimm empfindet. Darin findet sich Gedanken zu Literarischem („Wenn man kein Englisch kann, von einem guten, englischen Kriminalroman zu hören, der nicht ins Deutsche übersetzt ist…“), zur Vergänglichkeit („Nachts auf Reisen Wellen schlagen hören und sich sagen, daß sie das immer tun…“) aber auch Ironisches aus dem Alltag („…eingeladen sein, wenn zu Hause die Räume stiller, der Café besser und keine Unterhaltung nötig ist…“).
Ein Grund, warum ich dieses Gedicht in meinen Schreibwerkstätten häufig benutze bzw. einsetze, liegt darin, daß ich mit diesem Schreibzyklus innerhalb eines längeren Projektes auch einiges über die Gefühlswelt der Jugendlichen, über ihre Empfindungen und Ängste erfahren kann. Dieses „Herauslesen“ kann mir als Werkstattleiter auch gewisse Aufschlüsse geben, die im weiteren Verlauf der Werkstatt im Umgang mit den jeweiligen Jugendlichen als „Hintergrundinformation“ von Nutzen sein können.
Ein weiterer Grund für den Einsatz dieses Parallelgedichts liegt darin, daß sich dieses „Schreibspiel“ für eine breite Altersstruktur eignet. Ich setze es ab der 5. Klasse ein und in allen Schulformen, denn auch Jugendliche auf einem niedrigen Verständnis- und Arbeitsniveau haben einen guten Zugang zu diesem Gedicht. Und es ist erstaunlich, was für Texte die Jugendlichen verfassen, auch wenn sie, ihrem Alter entsprechend, natürlich nicht immer die Lakonie und Ironie von Gottfried Benn umsetzen können. Das sollen sie auch nicht können. Mir genügt es, daß die Jugendlichen Dinge aus ihrem Lebensalltag und ihrer Gefühlswelt literarisch thematisieren.
(...) Das kreative Schreiben, also das zweckfreie Schreiben jenseits des Unterrichtrahmens hilft den Jugendlichen, sich über die Bedeutung des eigenen inneren Erlebnisses klar zu werden. Es hilft ihnen, innere Vorgänge bewußt wahrzunehmen, auf die innere Stimme zu hören und diese dann in Worte zu fassen und in Form eines Textes zu Papier zu bringen.
Das kreative Schreiben unterstützt die Jugendlichen auch darin, die eigene Umwelt und Wirklichkeit sensibler und bewußter wahrzunehmen.
Es fördert das Verständnis für aktuelle Probleme, Fragen und Ereignisse der Wirklichkeit, macht diese durch das literarische Beschreiben faßbar. Um es mit profanen Worten zu sagen: Es trägt dazu bei, sich und die Welt schreibend zu verstehen.
Und zum Abschluß dieser Gedanken sei noch ein wunderbarer Aspekt genannt, der mir so gut wie in allen Werkstätten begegnet: Anders als im Unterricht, wo an den Texten von Jugendlichen die nachprüfbare Korrektheit des sachlichen Gehalts zählt und wo auch Zensuren erteilt werden, entstehen die Texte in der Schreibwerkstatt völlig zweckfrei. Und in der ersten Schreibphase zählen Dinge wie Punkt, Komma und auch die Rechtschreibung nicht.
Das führte dazu, daß auch so manche Jugendliche an der Förderschule in meiner Werkstatt schöne Texte verfassten, aus denen erstaunliche kreative Potentiale heraus scheinen, die oftmals im Unterricht zu kurz kommen.
Auch wenn an der Förderschule ein anderes Niveau vorherrschte als an anderen Schulen, ein Punkt war gleich: Es gab auch hier Jugendliche, die ihre verfaßten Texte nicht vor der Gruppe vortragen möchten. Aus Angst, ausgelacht zu werden, aus Scheu oder Unsicherheit.
Ich vertrete die Auffassung, daß kein Jugendlicher dazu gezwungen werden sollte, seinen Text vorzutragen. Vielmehr kann auf subtilem Wege schon während des Schreibens bei den Jugendlichen angefragt und motiviert werden. Mit diesem sachten Überreden kam ich in dieser Werkstatt allerdings nicht weit. Ich erwähnte eingangs, daß es sich um eine sehr schwierige Gruppe handelte. Das machte sich auch in diesem Punkt bemerkbar: Niemand traute sich anfangs, die Texte vorzulesen.
Manche Mädchen hatten echte Angst vor den Jungs, die sie dann lächerlich machen würden. So griff ich zu einem Prozedere, das zwar zeitaufwendig war, aber schließlich zum Erfolg führte: Jedes Mal wenn eine Schülerin lesen wollte, schloß ich mit jedem einzelnen Jungen einen Vertrag ab, daß er nicht lachen und nicht abfällig sich äußern würde, erst dann war das Mädchen bereit, ihren Text vorzulesen.
Von Tag zu Tag lockerte sich jedoch die Atmosphäre, so dass wir am Ende der Woche sogar eine richtige „Lesung“ für eine Nachbarklasse sowie einige Lehrerinnen durchführen konnten!
Es gab einen für mich „magischen“ Augenblick im Laufe der Schreibwerkstatt. Am letzten Tag der Schreibwerkstatt, nachdem schon so viele Auseinandersetzungen auf unterschiedlichen Ebenen stattgefunden hatten, herrschte am Vormittag so eine schöne und intensive Arbeitsatmosphäre, daß ich sogar den Zeitplan kurzerhand über den Haufen warf und auch auf mein Mittagessen in der Schulmensa verzichtete. Denn die Jugendlichen wollten gar nicht aufhören zu schreiben und in die Mittagspause gehen.
Für mich war das ein wunderbarer Augenblick und insgeheim auch der „Lohn“ für die vorangegangenen Tage. Eigentlich begann die Schreibwerkstatt jetzt erst so richtig ihre Wirkung zu entfalten, nachdem wir uns alle „zusammengerauft“ und die Jugendlichen durch die Bank weg ihre Freude an diesem Projekt entdeckt und zugelassen hatten. Leider war es der letzte Tag. Es braucht keine Diplomarbeit um festzustellen, daß eine Fortsetzung dieses Schreibprojektes sehr hilfreich, nützlich und für diese „schwierigen“ Jugendlichen ein sehr nachhaltiges Erlebnis wäre!“
(Vortrag gehalten auf der Autorentagung Treffpunkt Hannover 2012, gekürzt)
Die Schreibwerkstätten in Schulen in sozialen Brennpunkten sind ein sehr erfolgreiches Projekt des Friedrich-Bödecker-Kreises. Es wird auch 2013 mit Unterstützung der Sparkasse in der Region Hannover weitergeführt. Danach benötigen wir neue Sponsoren für das Projekt und sind für jede Hilfe dankbar. Mit der durch das BMBF geförderten Broschüre „Schreiben als Chance“ - Schreibwerkstätten mit Autorinnen und Autoren. Eine Evaluation der Hamburger Literaturdidaktikerin Dr. Ingrid Röbbelen können wir die Projektidee nachhaltig bekannt machen und dazu anregen, weitere Schreibwerkstätten in Schulen in sozialen Brennpunkten zu veranstalten. Sie kann in der Geschäftstelle angefordert werden.
(Pressebericht im Anhang S. 28)
5.2. Schreibwerkstätten
für Jugendliche
Gemeinsam mit der VGH-Stiftung führen wir seit dem Jahr 2006 Schreibwerkstätten für Jugendliche durch. Im Jahr 2012 haben wir eine weitere Runde mit 20 Workshops, die durch die VGH-Stiftung finanziert werden, eröffnet. Die Schulen mussten sich wieder bewerben und 20 von den 50 Anträgen bekamen eine Zusage für das Schuljahr 2012/2013. Der Auftakt wurde wieder mit einem Workshop für die beteiligten Lehrer gemacht, den Inge Meyer-Dietrich im September 2012 in den Räumen der VGH hielt.
Bis zum Jahresende haben folgende Schulen Schreibwerkstätten durchgeführt:
19./20. September 2012 IGS Göttingen
18./19. Oktober 2012 Laurentius-Siemer-
Gym. Saterland
20./21. November 2012 RS Verden
27./28. November 2012 HS Achim
11./12. Dezember 2012 Oberschule Berge
Bis zum Ende des Schuljahrs im Sommer 2013 finden die restlichen Workshops statt. Es ist geplant dann auch drei regionale Abschlussveranstaltungen durchzuführen.
Hier einige Stimmen zu den Workshops:
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