Gericht bvwg entscheidungsdatum 02. 04. 2014 Geschäftszahl



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Rechtsschutz
Block 1: Justiz
Die türkische Judikatur ist auf vier Säulen, den Straf- und den Zivilgerichten, der Verwaltungs- und der Militärgerichtsbarkeit (dessen Kompetenzen mittlerweile durch die AKP-Regierung stark geschwächt wurden) aufgebaut.
- Die ordentlichen Gerichte sind für Straf- sowie Zivilgerichtsbarkeit zuständig. Das türkische Zivil- und Strafgerichtswesen ist de facto zweistufig, da es gegenwärtig nur eine Berufungsinstanz - den Kassationshof - gibt.
- Die Verfassung nennt an Obersten Gerichten weiters das Verfassungsgericht, Staatsrat, Militärkassationshof, den Hohen Militärverwaltungsgerichtshof und den Konfliktsgerichtshof.
- Die Staatssicherheitsgerichte wurden zwar abgeschafft, stattdessen gibt es aber acht "Große Strafgerichte mit Sondervollmacht". Es sind

v. a diese Gerichte, denen Menschenrechtsaktivisten vorwerfen, die staatlichen Sicherheitsinteressen überproportional vor das individuelle Freiheitsrecht zu stellen. Urteile der Staatssicherheitsgerichte können aber bereits wieder aufgenommen werden. In vielen Fällen kommt es dann auch zum Freispruch, da die damaligen Regelungen für die Beweismittelsicherung heute nicht mehr zeitgemäß und zutreffend sind.


- Die Regierung kündigte 2012 an, eben diese "Großen Strafgerichte" aufzuheben und durch 29 "Regionalgerichte für schwere Straftaten" zu ersetze. Diese Maßnahmen wurden begonnen. Problematisch ist v.a. die Neubesetzung dieser Gerichte (es würden etwa 700 neue Richter benötigt) und zwischenzeitlich ein paralleles System an Sondergerichten bestehen bleiben wird, da bereits bestehende Verfahren von den bisherigen "Großen Strafgerichten" abzuschließen wären.
Um die - in der Regel sehr lange - Verfahrensdauer zu kürzen,
- wurde ein Schlichtungsverfahren im Zivilrecht eingeführt und die Anforderungen der Revisionsklagen erhöht
- sollen Bezirksgerichte als Berufungsinstanz auf regionaler Ebene - als Zwischeninstanz zwischen der ersten Instanz und dem Kassationshof - gegründet werden, wodurch das Gerichtswesen dreistufig werden würde.
Insbesondere bei Anti-Terrorismus relevanten Verfahren kann eine U-Haft mehrere Jahre dauern. Amtlichen Statistiken zufolge waren 2011 127.042 Personen in Haft, 1/3 davon ca. in U-Haft.
Mehrere Reformen brachten eine deutliche Verbesserung der rechtlichen Standards (Rechtshilfe, Verfahrensregelungen, div. Legaldefinitionen). Die Umsetzung dieser Bestimmungen, so das türkische Justizministerium, sei in manchen Regionen der Türkei noch nicht zufriedenstellend.
(ÖB Ankara: Asylländerbericht, 19.12.2012)
Gesetzlich ist eine unabhängige Justiz garantiert, diese war jedoch gelegentlich von Außen beeinflusst. Das Gesetz verbietet der Regierung Anordnungen oder Empfehlungen zu erteilen, die die Ausübung der richterlichen Gewalt betreffen. Der "Hohe Rat der Richter und Staatsanwälte" kontrolliert die Gerichtshöfe der niederen Instanzen und wählen die Richter und Staatsanwälte der höheren Gerichte aus. In diesem Sinne lenkt er die Karrieren von Richtern und Staatsanwälten durch Ernennungen, Beförderungen, Versetzungen und ähnliches.
Es gibt eine unabhängige und unparteiische Justiz in Zivilsachen. Laut Gesetz haben alle Bürger das Recht, einen Zivilrechtsfall zur Kompensation von physischem oder psychologischem Schaden einzureichen, hierzu zählen auch mutmaßliche Menschenrechtsverletzungen. Ab 12.9.2012 sollten Personen direkt beim Verfassungsgericht um Entschädigung ansuchen können.
(US DOS - United States Department of State: Turkey - Country Reports on Human Rights Practices 2011; 24.5.2012)
Die Türkei erlebt bereits seit mehreren Jahren einen tiefgreifenden Reformprozess, der auch wesentliche Teile der Rechtsordnung erfasst hat und auf große Teile der Gesellschaft ausstrahlt. Das im Januar 2012 vorgestellte 3. Justizreformpaket fokussiert auf die Beschleunigung von Verfahren und die Verkürzung der Untersuchungshaft, sieht aber auch Verbesserungen im Bereich der Meinungsfreiheit vor. Seit 2010 hat die Regierung auf der Grundlage eines erfolgreichen Verfassungsreferendums substanzielle Reformen verwirklicht (u.a. Stärkung der Gewerkschaftsrechte, Ombudsmann-Gesetz, Gleichstellung, Datenschutz). Die Verfassungsbeschwerde soll nach intensiver Vorarbeit im Herbst 2012 eingeführt werden.
Das Verfassungsgericht (Anayasa Mahkemesi) prüft die Vereinbarkeit von einfachem Recht mit der Verfassung. Im Jahre 2010 wurde beschlossen, die Individualbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof einzuführen. Diese wird ab dem 23. September 2012 allen Staatsbürgern offenstehen. Das Verfassungsgericht ist auch für Parteienverbote zuständig. Es übt die Gerichtsbarkeit über den Präsidenten, den Ministerpräsidenten, die Minister und Mitglieder höherer Justizbehörden für alle in Ausübung ihrer Funktion begangenen Taten aus. Dies gilt seit September 2010 auch für den Parlamentspräsidenten, die Oberbefehlshaber und die Kommandanten der Streitkräfte. Der Verwaltungsgerichtshof (Danistay) ist Revisionsinstanz der Verwaltungsgerichte. Revisionsinstanz aller Zivil- und Strafgerichte ist der Kassationsgerichtshof (Yargitay). Aufgrund seiner großen Überlastung wurde er um sechs Senate aufgestockt (jetzt 23 Zivil- und 15 Strafsenate). Zudem sollen insgesamt 9 regionale Berufungsgerichte ihre Arbeit aufnehmen (Adana, Ankara, Bursa, Diyarbakir, Erzurum, Istanbul, Izmir, Konya und Samsun). Dies war ursprünglich für Juni 2011 vorgesehen und soll jetzt im September 2013 erfolgen, wenn die hierfür erforderliche Infrastruktur fertig gestellt ist.
Das türkische Recht sichert die grundsätzlichen Verfahrensgarantien im Strafverfahren. Mängel gibt es beim Umgang mit vertraulich zu behandelnden Informationen, insbesondere persönlichen Daten, und beim Zugang zu den erhobenen Beweisen für Beschuldigte und Rechtsanwälte. Insbesondere im Südosten werden Fälle mit Bezug zur angeblichen Mitgliedschaft in der PKK oder dessen zivilem Arm zunehmend als geheim eingestuft, mit der Folge, dass Rechtsanwälte keine Akteneinsicht nehmen können. Anwälte werden vereinzelt daran gehindert, bei Befragungen des Mandanten anwesend zu sein. Dies gilt insbesondere in Fällen mit dem Verdacht auf terroristische Aktivitäten.
Untersuchungshaft wird regelmäßig mit schwacher rechtlicher Begründung verhängt. Die Untersuchungshaftzeiten wurden zum 01.01.2011 durch eine Gesetzesänderung des Art. 102 tStPO eingeschränkt. Während für Vergehen eine maximale Untersuchungshaft von eineinhalb Jahren vorgesehen ist, beträgt diese für Verbrechen bis zu fünf, bei Verbrechen mit Terrorbezug bis zu zehn Jahren. Das

3. Justizreformpaket sieht eine stärker ausgeprägte Begründungspflicht für die Anordnung von Untersuchungshaft durch den Richter vor.


Die Unabhängigkeit der Justiz ist in der Verfassung verankert (Art. 138). Für Entscheidungen u. a. über Verwarnungen, Versetzung oder den Verbleib im Beruf ist der Hohe Rat der Richter und Staatsanwälte unter Vorsitz des Justizministeriums zuständig. Seit 2010 sind zumindest Entlassungen gerichtlich überprüfbar. Seit 2008 hat sich die vormals zögerliche Haltung bezüglich der Verfolgung von Soldaten, Gendarmen und Polizeibeamten nachweisbar verbessert. Allerdings kommt es vor allem mangels Kooperation der Behörden bei der Tatsachenfeststellung nur in wenigen Einzelfällen tatsächlich zu Verurteilungen. Generell gilt, dass die Justiz überlastet ist, Verfahren sich dadurch häufig lange hinziehen. Das 3. Justizreformpaket soll die Justiz entlasten und damit verfahrensbeschleunigend wirken.
Grundsätzlich kommt es zu keinen Verurteilungen mehr, wenn der Angeklagte bei Gericht - etwa durch Abwesenheit - nicht gehört werden kann. Es kommen dann die Fristen für Verfolgungs- und Vollstreckungsverjährung zum Tragen.
Das Recht auf sofortigen Zugang zu einem Rechtsanwalt innerhalb von 24 Stunden ist grundsätzlich gewährleistet. Das Anti-Terror-Gesetz (ATG) sieht eine Ausweitung dieser Frist auf bis zu 48 Stunden vor und senkt die Verfahrensgarantien für Personen ab, die terroristischer Straftaten beschuldigt werden. Das Recht auf kostenlose Rechtsberatung gilt seit Dezember 2006 nur bei Schuldvorwürfen mit einem Strafrahmen von mindestens 5 Jahren. Nach spätestens 24 Stunden (in bestimmten Fällen organisierter Kriminalität bis 48 Stunden, Art. 250 Abs. 1 lit. a und c tStPO) zuzüglich 12 Stunden Transportzeit muss der Betroffene dem zuständigen Haftrichter vorgeführt werden (Art. 91 tStPO). In Fällen von Kollektivvergehen, Schwierigkeiten der Beweissicherung oder einer großen Anzahl von Beschuldigten kann der polizeiliche Gewahrsam bis zu drei Tage verlängert werden. Bei Festnahmen in Sicherheitszonen kann die in Art. 91 Abs. 3 tStPO vorgesehene Frist von vier Tagen auf Antrag des Staatsanwaltes und Entscheidung des Haftrichters auf bis zu sieben Tage verlängert werden. Es gibt Anzeichen dafür, dass diese Fristen in der Praxis in Einzelfällen überschritten werden.
Dem Auswärtigen Amt sind in jüngster Zeit keine Gerichtsurteile auf Grundlage von durch die Strafprozessordnung verbotenen, erpressten Geständnissen bekannt geworden. Anwälte berichten, dass Festgenommene in einigen Fällen durch psychischen Druck verleitet werden, Aussagen zu machen. Bekannt ist auch, dass Erkenntnisse aus unzulässigen Telefonüberwachungen in Strafverfahren Eingang finden. Human Rights Watch weist in diesem Zusammenhang auf den nachlässigen Umgang mit Beweismitteln hin. 2011 wurde ein Fall bekannt, bei dem einen Beschuldigten seitens der Sicherheitskräfte belastende Telefondaten auf das Mobiltelefon geladen wurden.
Durch Änderungen des Anti-Terror-Gesetzes und weiterer Gesetze am 28.07.2010 wurde die Rechtslage für über 16-jährige Minderjährige, die wegen Terrordelikten beschuldigt werden, an das UN-Protokoll für Kinderrechte (1995 unterzeichnet) sowie das Kinderschutzgesetz von 2005 angepasst. 16- und 17-jährige Personen können nun nicht mehr bei terrorbezogenen Delikten der Gerichtsbarkeit speziell autorisierter Gerichte (özel yetkili ihtisas mahkemesi) unterstellt werden, sondern sind der Jugendgerichtsbarkeit unterworfen. Minderjährige, die wegen Terror, Propaganda bzw. Widerstand gegen die Staatsgewalt schuldig befunden werden, können nicht mehr zusätzlich wegen Mitgliedschaft in einer Terrororganisation verurteilt werden. Zudem werden die Möglichkeiten für Bewährungsstrafen und Strafaussetzungen erweitert und es greifen eine Reihe von Strafmaßreduzierungen. Der Kassationsgerichtshof hat im Jahr 2008 unter Bezug auf Art. 220 Abs. 6 tStGB entschieden, dass Teilnehmer an einer Demonstration, zu der eine Terrororganisation aufgerufen hat, als Mitglied einer Terrororganisation verurteilt werden können, ohne formal Mitglied zu sein, selbst wenn der Teilnehmer von diesem Aufruf keine nachweisbare Kenntnis hatte.
Im Zusammenhang mit der Aufdeckung des sog. Ergenekon- Netzwerkes werden, wie in vielen anderen Prozessen auch, die für die Ermittlungen einschlägigen strafprozessrechtlichen Vorschriften nicht ausreichend eingehalten. Nach Auskunft des Justizministeriums wurden im Rahmen des Ergenekon-Verfahrens seit Oktober 2008 71 Richter und Staatsanwälte abgehört.
(Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, Stand August 2012, 26.8.2012)
Die Türkei hat die Verfassungsbeschwerde seit ihrem Referendum im Oktober 2010 in der Landesverfassung verankert. Das Ausführungsgesetz zur Verfassungsbeschwerde soll im September 2012 in Kraft treten. Dann wird der Türkische Verfassungsgerichtshof erstmals Verfassungsbeschwerden zur Entscheidung annehmen. Bis zu diesem Meilenstein für Land, Volk und Verfassung war die Türkei oftmals negativ im öffentlichen Fokus. Aufgrund von Spitzenbeschwerdezahlen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg sah sich die Türkei teils massiver Kritik ausgesetzt. Die neue Option, nun in der Türkei individuelle Verfassungsbeschwerden zu erheben, wird daher neben dem sicherlich zu erwartenden Imagegewinn der Türkei bei Juristen aus aller Welt auch dem sonstigen öffentlichen Negativimage der Republik entgegenwirken. Ein verfassungsmäßig garantierter nationaler Rechtsschutz kann auch die anprangernde Wirkung einer Feststellung von Menschenrechtsverletzungen durch den EGMR verhindern.
Ein weiterer großer Vorteil der Einführung der Verfassungsbeschwerde in der Türkei ist die tatsächliche Durchsetzbarkeit der per Urteil festgestellten Verstöße gegen Grundrechte - im Gegensatz zu den Feststellungen des EGMR.
Die neue Beschwerde macht, nach Erschöpfung des nationalen Rechtswegs, die Anrufung des türkischen Verfassungsgerichts nach Art. 148 Türkische Verfassung (TV) möglich, wenn der Beschwerdeführer durch die öffentliche Gewalt in seinen Grundrechten verletzt wurde. Art. 148 TV schränkt die Beschwerde allerdings auf solche Grundrechte ein, die auch in der EMRK enthalten sind.
Die erstaunliche Wandlung der Türkei ist nicht zu übersehen. Mit der Einführung der Verfassungsbeschwerde ist sie wesentlichen demokratischen Grundgedanken nachgegangen und hat den Status des Bürgers als aktivem Mitgestalter der verfassungsmäßigen Demokratie weiter ausgebaut. Es gelingt ihr mehr und mehr aus eigener Kraft, gerade in rechtlicher Hinsicht an westeuropäische Standards anzuknüpfen. Die erneute klare Positionierung für den Schutz der Menschenrechte ist ein deutliches Zeichen, welches Kontinente übergreifend Beachtung finden sollte.
(LTO - Legal Tribune Online: Verfassungsbeschwerde in der Türkei - Countdown für mehr Menschenrechte? 31.5.2012;

http://www.lto.de/recht/hintergruende/h/tuerkei-fuehrt-die-verfassungsbeschwerde-ein-menschenrechte/ Zugriff 3.1.2013)


Die Individualbeschwerdemöglichkeit ist seit September 2012 in Kraft.
Im Großen und Ganzen gab es Fortschritte bei der Reformierung der Justiz. Die Gesetzgebung wurde geändert, um die Effizienz der Justiz zu erhöhen. Das im Juli 2012 verabschiedete 3. Justizreformpaket ist ein Schritt in die richtige Richtung, obwohl es manche Probleme, vor allem im Bereich der Verwaltung des Strafjustizsystems nicht angeht.
(Europäische Kommission: Türkei - Fortschrittsbericht 2012; 10.10.2012)
Nach der am 08.05.2008 in Kraft getretenen Reform des Artikels 301 tStGB können Ermittlungen zu diesem Straftatbestand nur noch nach Zustimmung des Justizministers aufgenommen werden. Zudem ist der Tatbestand "Beleidigung des Türkentums" durch die Formulierung "Beleidigung der Türkischen Nation" abgeändert, der Strafrahmen von drei auf zwei Jahre heruntergesetzt sowie für im Ausland begangene Taten an das Inlandsstrafmaß angepasst worden. In der großen Mehrzahl der Fälle wurde es von der Justiz seither abgelehnt, Gerichtsverfahren einzuleiten. Ein Urteil des obersten Zivilgerichts gegen den Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk nach Art. 301 tStGB wegen seiner Äußerung zu Morden an Armeniern und Kurden (Oktober 2009) eröffnet aber weiter den zivilrechtlichen Weg des Schadensersatzes bei Aussagen, die angeblich Dritte in ihrer Eigenschaft als türkische Staatsangehörige in ihrem Ehrempfinden verletzen. Kritik, Infragestellung oder Ironisierung des Staatsgründers Kemal Atatürk birgt weiterhin die Gefahr, zur Anzeige gebracht und von Staatsanwälten auch strafrechtlich verfolgt zu werden.
(AA - Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, Stand August 2012, 26.8.2012)
Artikel 301 tStGB kriminalisiert Beleidigung der Türkischen Nation, aber dieser Artikel wurde immer weniger oft angewendet. Der Justizminister gab seine Zustimmung zur strafrechtlichen Verfolgung von 8 Fällen von 305 - 297 wurden zurückgewiesen.
(US DOS - United States Department of State: Turkey - Country Reports on Human Rights Practices 2011; 24.5.2012)
Block 2: Sicherheitsbehörden
Die Polizei [türkische Nationalpolizei - TNP] untersteht dem Innenministerium und übt ihre Tätigkeit in den Städten aus. Die Jandarma ist für die ländlichen Gebiete und Stadtrandgebiete zuständig, rekrutiert sich aus Wehrpflichtigen und ist de facto die vierte Teilstreitkraft [neben Luftwaffe, Armee, Marine]; sie untersteht in Friedenszeiten dem Innenminister und während des Ausnahmezustandes dem Oberbefehlshaber des Heeres. Polizei und Jandarma sind zuständig für innere Sicherheit, Strafverfolgung und Grenzschutz. Die Bedeutung des Militärs und der Sicherheitskräfte ist in den letzten Jahren stark zurückgegangen. Sie verstehen sich jedoch weiterhin als Hüter kemalistischer Traditionen und Grundsätze, besonders der Einheit der Nation (v. a. gegen kurdischen Separatismus) und des Laizismus (gegen islamistische Tendenzen). Die zivile Kontrolle der Streitkräfte wurde in den letzten Jahren wesentlich gestärkt, zuletzt konnte die Regierung im Sommer 2011 durch eine Reihe von Entscheidungen ihre politische Hoheit unterstreichen, was unter anderem zur Neubesetzung der Posten des Generalstabschefs und der Befehlshaber der Teilstreitkräfte führte. Der Nationale Sicherheitsrat (NSR) hat bereits seit 2003 vorwiegend eine Koordinierungs- und Beratungsfunktion in Fragen der inneren und äußeren Sicherheit.
(Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, Stand August 2012, 26.8.2012)
Die türkische Nationalpolizei (TNP) und Jandarma bekamen spezielle Trainingseinheiten im Bereich der Menschenrechte und Terrorismusbekämpfung. Tausende Sicherheitskräfte bekamen Training im Bereich der Menschenrechte als Teil ihrer Ausbildung. Laut Regierung betont das Militär verstärkt die Menschenrechte bei der Ausbildung von Offizieren und Unteroffizieren. Jandarma-Offiziere, Unteroffiziere und Kadetten bekamen 32 Stunden Menschenrechtstraining während des Berichtszeitraumes [2011]. Jedes Jahr stellt die TNP für ein Fünftel des Personals Ausbildung im Menschenrechtsbereich zur Verfügung. 48 Mitglieder der Jandarma wurden während des Jahres [2011] entlassen. Von 133 Untersuchungen gegen Polizeipersonal wegen exzessiver Gewaltanwendung wurden 95 fallengelassen und 37 Untersuchungen waren am Jahresende noch nicht abgeschlossen.
(US DOS - United States Department of State: Turkey - Country Reports on Human Rights Practices 2011; 24.3.2012)
Seit Juli 2010 müssen Polizisten während Demonstrationseinsätzen auf ihren Helmen gut sichtbare Nummern tragen, um sie bei Übergriffen eindeutig identifizieren zu können.
(SFH - Schweizerische Flüchtlingshilfe (Aurel Schmid): Türkei: Die aktuelle Situation der Kurden, 20.12.2010)
Die Hauptaufgabe des türkischen Nachrichtendienstes MIT (Milli Istihbarat Teskilati) ist das Sammeln von Informationen. Im MIT sind die Aufgaben sowohl von inländischen als auch ausländischen Nachrichtenbehörden vereint. Der MIT hat keine exekutive Macht, er ist ausschließlich autorisiert für die Sammlung von Informationen, Spionageabwehr, und für die Aufdeckung von Kommunisten, Extremisten und Separatisten. Der MIT-Chef berichtet dem Ministerpräsidenten. Die Organisation operiert unter strenger Disziplin und Geheimhaltung. Jeder Teil des Militärs [Luftwaffe, Marine, Armee] hat eigene Nachrichtendienste, ebenso die Nationalpolizei und die Gendarmerie.
(Globalsecurity: Milli Istihbarat Teskilati - MIT National Intelligence Organization, ohne Datum;

http://www.globalsecurity.org/intell/world/turkey/mit.htm Zugriff 4.1.2013)


Block 4: Polizeigewalt/Folter
Die Regierung oder ihr unterstehende Behörden begingen keine politischen Morde, obwohl Sicherheitskräfte einige Personen töteten. Es gab keine Berichte über politisch motiviertes Verschwindenlassen. Obwohl Folter verboten ist, gab es Fälle von Misshandlungen durch Sicherheitskräfte. Aufgrund der verschärften Strafen wird nunmehr eher außerhalb der Polizeistationen gefoltert.
(US DOS - United States Department of State: Turkey - Country Reports on Human Rights Practices 2011; 24.5.2012)
Die derzeitige Regierung erließ Gesetze und führte Schulungen durch, um Folter vorzubeugen, aber Berichte über Misshandlungen kamen weiterhin vor. In der ersten Hälfte des Jahres 2010 erhielt das staatliche Präsidium für Menschenrechte 3.461 Beschwerden, die meisten davon hängen mit Gesundheits- und Patientenrechten, dem Recht auf ein faires Verfahren und Folter zusammen.
(FH - Freedom House: Freedom in the World 2012, Turkey, Mai 2012)
Die AKP-Regierung hat alle gesetzgeberischen Mittel eingesetzt, um Folter und Misshandlung im Rahmen einer "Null-Toleranz-Politik" zu unterbinden: Beispielhaft genannt seien die Erhöhung der Strafandrohung (Art. 94ff. des tStGB sehen eine Mindeststrafe von drei bis zwölf Jahren Haft für Täter von Folter vor, verschiedene Tat- Qualifizierungen sehen noch höhere Strafen bis hin zu lebenslanger Haft bei Folter mit Todesfolge vor); direkte Anklagen ohne Einverständnis des Vorgesetzten von Folterverdächtigen; Runderlasse an Staatsanwaltschaften, Folterstraftaten vorrangig und mit besonderem Nachdruck zu verfolgen; Verhinderung der Verschleppung von Strafprozessen und der Möglichkeit, sich dem Prozess zu entziehen; Durchsetzung ärztlicher Untersuchungen bei polizeilicher Ingewahrsamnahme; Stärkung von Verteidigerrechten. Trotz dieser gesetzgeberischen Maßnahmen und trotz einiger Verbesserungen ist es der Regierung bislang nicht gelungen, Folter und Misshandlung vollständig zu unterbinden. Vor allem beim Auflösen von Demonstrationen kommt es zu übermäßiger Gewaltanwendung. Es gibt Anzeichen, dass Misshandlungen nicht mehr in den Polizeistationen, sondern gelegentlich an anderen Orten, u. a. im Freien stattfinden ohne dass zuverlässige Informationen vorliegen.
Die Zahl der Beschwerden und offiziellen Vorwürfe, die im Zusammenhang mit mutmaßlichen Folter- oder Misshandlungsfällen stehen, ist nach Angaben von Menschenrechtsverbänden 2011 landesweit zurückgegangen. Nach glaubhaften Angaben der türkischen Menschenrechtsstiftung TIHV wurden 2011 insgesamt mindestens 207 (2010: 161, 2009: 252) Personen registriert, die im selben Jahr gefoltert oder unmenschlich behandelt wurden.
(Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, Stand August 2012, 26.8.2012)
Menschenrechtsinstitutionen in der Türkei geben an, dass Fälle von (rechtswidrigen) Folterungen im Ermittlungsverfahren wieder häufiger geworden wären. Folter bliebe in vielen Fällen straflos - wenngleich es ebenso Fälle gibt, wo Anklage erhoben wird und Verurteilungen erfolgen. Von einer systematischen Anwendung der Folter kann jedoch nicht mehr gesprochen werden. Der EK-Fortschrittsbericht 2012 stellt außerdem fest, dass es einen "Abwärtstrend" in Anzahl und Schwere von Misshandlungen gegeben habe. Die Umsetzung der in den vergangenen Jahren beschlossenen Rechtsreformen stellt somit nach wie vor eine Herausforderung dar.
(ÖB Ankara: Asylländerbericht, 19.12.2012)
Es gab weiterhin Vorwürfe über Folter und andere Misshandlungen, die sowohl in Polizeigewahrsam als auch beim Transport festgenommener Personen ins Gefängnis begangen wurden. Die Polizei ging bei Demonstrationen regelmäßig mit exzessiver Gewalt gegen Protestierende vor, dies galt vor allem für die Protestkundgebungen vor und nach den Parlamentswahlen im Juni 2011. Häufig endeten ursprünglich friedliche Demonstrationen mit gewaltsamen Zusammenstößen, weil die Polizei Reizgas, Wasserwerfer und Plastikgeschosse gegen die Protestierenden einsetzte. In vielen Fällen dokumentierten die Medien, wie die Ordnungskräfte mit Schlagstöcken gegen Demonstrierende vorgingen.
(AI - Amnesty International: Länderbericht Türkei 2012, 24.5.2012)
Block 5: Korruption
In Bezug auf Anti-Korruptionsbemühungen können geringe Fortschritte vermeldet werden. Fortschritte gab es bei der Transparenz von Parteienfinanzierung. Das 3. Justizreformpaket enthält Änderungen bezüglich der Korruptionsbestimmungen im Strafgesetzbuch, nämlich die Neubestimmung und Ausweitung des Ausmaßes von Bestechung als Straftat. Alle sind in Einklang mit den Empfehlungen der Staatengruppe des Europarats gegen Korruption (GRECO).
(Europäische Kommission: Türkei - Fortschrittsbericht 2012; 10.10.2012)
Auf dem Papier ist die türkische Antikorruptionsgesetzgebung robust. Im Februar 2010 erließ die Regierung einen nationalen Fünfjahresaktionsplan zur Verbesserung der Transparenz und Verantwortlichkeit in der öffentlichen Verwaltung. Es gibt eine Null-Toleranz-Richtlinie für Beamte, die Geschenke annehmen und 2009-2010 bekamen 7 000 Beamte Ausbildungen in Ethik. Im täglichen Leben gibt es Anhaltspunkte, dass in der Öffentlichkeit der Unterschied zwischen "Schmiergeld" und "Trinkgeld" verschwommen ist, da die Gesellschaft akzeptiert (und erwartet), dass Dienste honoriert werden sollen. Die Medien berichteten weithin über niedrig- und mittelrangige Korruptionsfälle, bei denen lokale Regierungen und Immobilienbüros involviert waren. Im März 2010 wurde der Bürgermeister der Provinzstadt Adana aufgrund von Korruptionsvorwürfen von seinen Pflichten enthoben - dies war das erste Mal, dass ein amtierender Bürgermeister wegen Bestechung suspendiert wurde.

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