Als im Dezember 2013 Staatsanwälte Anti-Korruptions-Verfahren lancierten und Dutzende Personen festgenommen wurden, die familiäre oder geschäftliche Verbindungen zu hohen Regierungsoffiziellen hatten, griff die Regierung zu sofortigen Schritten, indem sie Staatsanwälte und Polizisten mit Verbindung zu diesen Verfahren versetzte. Massenversetzungen wurden auch 2014 fortgeführt. Mit Stand November 2014 waren tausende Polizeibeamte mit angeblicher Verbindung zur genannten Anti-Korruptions-Operation versetzt worden. Zahlreiche Richter und Staatsanwälte wurden ihres Amtes enthoben oder versetzt. Bis November 2014 wurden mindestens hundert Polizisten verhaftet und wegen illegalen Abhörens belangt. Bis September 2014 ließen die Behörden gegen 96 Personen die Anklagen fallen, darunter auch der Sohn von Staatspräsident Erdo?an und zahlreiche in- und ausländische Geschäftsleute. Gegen keinen der ursprünglich Angeklagten wurden die strafrechtlichen Untersuchungen fortgeführt (USDOS 25.6.2015).
Transparency International reihte die Türkei im Korruptionswahrnehmungsindex 2015 auf Rank 66 von 168 untersuchten Ländern und Territorien (TI 1.2016) (2014: auf Rang 64 von 175 untersuchten Ländern und Territorien), was eine nochmalige Verschlechterung bedeutete. 2013 befand sich das Land noch auf Platz 50 (TI o.D.). Die Vorsitzende von Transparency International – Türkei, Oya Özarslan, konstatierte einen Mangel an Gerichtsverfahren in Hinblick auf Korruptionsskandale und Interventionen in Rechtsverfahren. Dies führe zur Verfestigung der Kultur der Straffreiheit sowie der Wahrnehmung, dass korrupte Taten nicht verfolgt werden (HDN 27.1.2016)
2015 gehörte die Korruption unter den führenden Politikern zwar nicht zu den größten Sorgen, wie Preissteigerung und Kriminalität, doch nannten immerhin 42 Prozent der Befragten die Korruption in den politischen Führungsrängen als ein Problem (Pew 15.10.2015). Laut Transparency International – Türkei meinten 2015 67 Prozent der Befragten, dass die Korruption in den letzten zwei Jahren zugenommen, hiervon 56 Prozent sogar "sehr zugenommen" hätte, während nur 18 Prozent eine Abnahme sahen. 55 Prozent der Befragten betrachteten die Bemühungen der Regierung im Kampf gegen die Korruption als ineffektiv. Die Umfrage zeichnete ein polarisiertes Bild. Nur die AKP-Anhänger sahen eine Abnahme der Korruption und ein wirksames Vorgehen der Regierung, während Anhänger der Oppositionsparteien, ob links oder rechts, deutlich - mit Werten über 80 Prozent - das Gegenteil sahen. Immunität und Straflosigkeit für Korruption, die Beziehung zwischen Politik und Wirtschaft sowie jene zwischen Medien und Wirtschaft und das öffentliche Beschaffungswesen standen an der Spitze der genannten Faktoren, welche für die Korruption verantwortlich sind (TI-T 3.2015).
Quellen:
- BACP - Business Anti-Corruption Portal (12.2015): Turkey Country Profile, Business Corruption in Turkey, http://www.business-anti-corruption.com/country-profiles/europe-central-asia/turkey/snapshot.aspx, Zugriff 15.2.2016
- EC – European Commission (10.11.2015): Turkey 2015 Report [SWD(2015) 216 final],
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1447155728_20151110-report-turkey.pdf, Zugriff 15.2.2016
- HDN – Hürriyet Daily News (27.1.2016): Turkey falls in 2015 Corruption Perception Index, Turkey falls in 2015 Corruption Perception Index,
http://www.hurriyetdailynews.com/turkey-falls-in-2015-corruption-perception-index.aspx?pageID=238&nID=94391&NewsCatID=339, Zugriff 15.2.2016
- Pew Research Cener (15.10.2015): Deep Divisions in Turkey as Election Nears,
http://www.pewglobal.org/2015/10/15/deep-divisions-in-turkey-as-election-nears/, Zugriff 15.2.2016
- TI – Transparency International (1.2016): Corruption Perceptions Index 2015, https://www.transparency.org/country/#TUR_DataResearch, Zugriff 15.2.2016
- TI – Transparency International (o.D.b): Corruption Perceptions Index 2014, http://www.transparency.org/cpi2014/results#myAnchor1, Zugriff 15.2.2016
- TI-T - Transparency International-Türkei (3.2015): Corruption in Türkei – Why, How, Where?
http://www.seffaflik.org/wp-content/uploads/2015/03/Corruption-in-Turkey_Public-Opinion-Survey-Results.pdf, Zugriff 15.2.2016
- USDOS - US Department of State (25.6.2015): Country Report on Human Rights Practices 2014 - Turkey, http://www.ecoi.net/local_link/306397/443672_de.html, Zugriff 15.2.2016
Nichtregierungsorganisationen (NGOs)
Die Türkei besitzt viele politisch aktive Nichtregierungsorganisationen. Allerdings beobachten und schikanieren die Behörden einige NGOs, besonders wenn diese in Verbindung mit der Gülen-Bewegung stehen. Gewerkschaften organisieren zwar aktiv Anti-Regierungsdemonstrationen, jedoch werden gewerkschaftliche Aktivitäten, u.a. das Streikrecht, eingeschränkt. Dies geschieht sowohl durch das Gesetz als auch in der Praxis, etwa durch anti-gewerkschaftliche Handlungen der Unternehmer (FH 28.1.2016). NGOs, die sich mit politisch sensiblen Themen, wie die Situation der kurdischen Minderheit beschäftigen, sind in den Augen der Öffentlichkeit oft diskreditiert und leiden unter gerichtlichen Schikanen sowie Medienkampagnen. Deren Aktivisten geraten oft ins Visier der Anti-Terrorismus-Gesetzgebung (CoE-PACE 8.1.2016).
Die Zivilgesellschaft und deren Organisationen waren weiterhin aktiv. Die Zahl wächst, und ihre Teilnahme in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens setzt sich fort. Einigen Fortschritt gab es, was die Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen der Regierung und den zivilgesellschaftlichen Organisationen anlangt. Die Behörden trugen weiterhin ihren Beitrag bei, allerdings in einem geringeren Maße mit Organisationen, die sich auf die Menschenrechte fokussieren. Die Europäische Kommission empfahl generell die Errichtung eines systematischen und inklusiven Mechanismus zur Konsultation der Zivilgesellschaft, am besten in Gesetzesform (EC 10.11.2015).
Menschenrechtsorganisationen können wie andere Vereinigungen gegründet und betrieben werden, unterliegen jedoch (wie alle Vereine) nach Maßgabe des Vereinsgesetzes der rechtlichen Aufsicht durch das Innenministerium. Ihre Aktivitäten werden von Sicherheitsbehörden und Staatsanwaltschaften beobachtet. Die Vereine sind nach wie vor des Öfteren (Ermittlungs ) Verfahren mit zum Teil fragwürdiger rechtlicher Grundlage ausgesetzt, (z.B. wie kürzlich die Anordnung einer unverhältnismäßig hohen Geldstrafe gegen die Menschenrechtsstiftung TIHV wegen angeblicher Verletzung der Sozialabgabepflichten). Viele dieser Verfahren enden mit Freisprüchen. Im Juni 2012 trat an die Stelle des bisherigen Präsidiums für Menschenrechte eine neue staatliche Menschenrechtsinstitution (Insan Haklar? Kurumu). Die neue Institution besteht aus elf Mitgliedern, die vom Ministerrat (7), Staatspräsidenten (2), Hohen Erziehungsrat (1) und den Vorsitzenden der Anwaltskammern (1) gewählt wurden. Bislang ist sie formell dem Amt des Ministerpräsidenten unterstellt, was Zweifel an ihrer Unabhängigkeit nährt (AA 29.9.2015).
Schon immer haben sich türkische Interessenvertretungen auch sozialen und gesellschaftlichen Problemen und Projekten gewidmet, dies jedoch meist auf konkrete Vorhaben oder Bedürfnisse bezogen. In diesen Bereich fällt auch das ausgeprägte Stiftungswesen in der Türkei, das religiös oder sozial motiviert, die Teilhabe von weniger Begünstigten an Bildung, Kultur, Versorgung ermöglicht. Zivilgesellschaftliches Engagement im Sinne der politischen Einflussnahme auf Staat, Gesellschaft und Wirtschaft ist in der Türkei eine neuere Erscheinung und seit den 90er Jahren spürbar (GIZ 1.2016).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (29.9.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei
- CoE-PACE - Council of Europe - Parliamentary Assembly (8.1.2016):
How to prevent inappropriate restrictions on NGO activities in Europe? [Doc. 13940],
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1452772844_document-1.pdf, Zugriff 16.2.2016
- EC – European Commission (10.11.2015): Turkey 2015 Report [SWD(2015) 216 final],
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1447155728_20151110-report-turkey.pdf, Zugriff 15.2.2016
- FH – Freedom House (27.1.2016): Freedom in the World – Turkey, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2016/turkey, Zugriff 7.3.2016
- GIZ – Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2016): Türkei, Gesellschaft, http://liportal.giz.de/tuerkei/gesellschaft/, Zugriff 15.2.2016
Ombudsmann
Seit 29.6.2012 verfügt die Türkei auch über das Amt eines Ombudsmannes mit etwa 200 Mitarbeitern. Beschwerden können auf Türkisch, Englisch, Arabisch und Kurdisch eingereicht werden. Ferner verfügt das Parlament über einen ständigen Ausschuss für Menschenrechte sowie einen Petitionsausschuss, die sich allerdings kaum mit Fragen wie Presse-, Meinungs-, Versammlungs- und Religionsfreiheit befassen (AA 29.9.2015).
Die Institution des Ombudsmannes fällte 2014 in 89 Prozent der übernommenen 7.167 Fälle eine Entscheidung. 2015 stieg der Aktenberg rasant. Bereits im August waren es 25.000 Fälle. Die öffentliche Verwaltung verbesserte die Weiterverfolgung von Empfehlungen seitens des Ombudsmannes. Dem Ombudsmann mangelt es jedoch an der Macht, ex officio Untersuchungen selbst einzuleiten oder in laufenden Verfahren Rechtsmittel einzulegen. Die Ombudsmannstelle war nicht in Verfahren gegen Menschenrechtsverletzungen im Osten und Südosten des Landes (Kurdengebiete) involviert (EC 10.11.2015).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (29.9.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei
- EC – European Commission (10.11.2015): Turkey 2015 Report [SWD(2015) 216 final],
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1447155728_20151110-report-turkey.pdf, Zugriff 15.2.2016
Wehrdienst
Der Wehrpflicht unterliegt jeder männliche türkische Staatsangehörige ab dem 20. Lebensjahr. Derzeit leisten rund 400.000 Wehrpflichtige ihren Dienst ab. Gesetzesgrundlage für den Wehrdienst in der Türkei bietet das türkische Wehrdienstgesetz Nr. 1111 (tWDG) von 1927. Das Wehrdienstalter beginnt am 1. Januar des Jahres, in dem der Betreffende das 19. Lebensjahr vollendet und endet am 1. Januar im Jahr des 41. Geburtstags. Diejenigen, die innerhalb dieser Zeit den Wehrdienst nicht abgeleistet haben, werden von der Wehrpflicht nicht befreit (Artikel 5, letzter Absatz tWDG). Der Wehrdienst wird in den Streitkräften einschließlich der Jandarma abgeleistet. Ein in der Türkei abgeschlossenes Hochschulstudium verkürzt die Wehrpflicht auf sechs Monate für einfache Soldaten oder auf zwölf Monate für einen Unterleutnant. Im Januar 2011 wurde eine Gesetzesänderung verabschiedet, wonach Polizisten, sofern sie mehr als zehn Jahre Dienst leisten, von der Wehrpflicht befreit sind. Der Wehrdienst wurde mit Wirkung vom 01.01.2014 von 15 auf 12 Monate reduziert. Söhne und Brüder von gefallenen Soldaten können vom Wehrdienst befreit werden. Auslandstürken können sich gegen Entgelt (ca. 6.500 Euro) von der Wehrpflicht freikaufen (AA 29.9.2014; vgl. IRB 4.6.2014). Am 10.12.2014 beschloss das Parlament, dass Männer ab einem Alter von 27 sich um 8.700 Dollar freikaufen können (AM 10.12.2014).
Transsexuelle, Transvestiten und Homosexuelle können unter der Bezeichnung "psychosexuelle Störungen" nach Vorsprache bei der Wehrdienstbehörde und Untersuchungen vom Militärdienst befreit werden. Methoden zur Feststellung einer möglichen Homosexualität wie eine Untersuchung der Genitalien und die Vorlage von Fotos während des Geschlechtsverkehrs wurden nach Presseberichten vor einigen Jahren eingestellt. Betroffene beschweren sich weiterhin über Persönlichkeitstests, Gespräche mit mehreren Psychologen und Hinzuziehung von Familienangehörigen. Ferner wird auch von mehrtägigen Aufenthalten zur "Diagnose" in der psychiatrischen Klinik berichtet (AA 29.9.2014). Die Europäische Kommission empfahl in ihrem Fortschrittsbericht vom November 2015, dass das Disziplinarsystem der Streitkräfte, welches Homosexualität als "psychosexuelle Störung" definiert sowie das medizinische Regelwerk der Armee, das Homosexualität als Krankheit bezeichnet, einer wesentlichen Revision zu unterziehen (EC 10.11.2015).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (29.9.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei
- AM – Al Monitor (10.12.2014): $8,700 will let young Turks 'buy out' their military service,
http://www.al-monitor.com/pulse/originals/2014/12/turkey-compulsory-military-service-buy-exemption.html, Zugriff 16.2.2016
- EC – European Commission (10.11.2015): Turkey 2015 Report [SWD(2015) 216 final],
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1447155728_20151110-report-turkey.pdf, Zugriff 16.2.2016
- IRB - Immigration and Refugee Board of Canada (4.6.2014): Turkey:
Military service, both compulsory and voluntary, including requirements, length, alternatives and exemptions; consequences of draft evasion and conscientious objection (2011-May 2014) [TUR104876.E], http://www.ecoi.net/local_link/279236/395968_en.html, Zugriff 16.2.2016
Wehrersatzdienst / Wehrdienstverweigerung / Desertion
Ein Recht zur Verweigerung des Wehrdienstes oder der Ableistung eines Ersatzdienstes besteht nicht. Wehrdienstverweigerer und Fahnenflüchtige werden strafrechtlich verfolgt. Das Urteil des EGMR Ülke/Türkei ist trotz deutlicher Mahnungen des Ministerkomitees des Europarats noch nicht umgesetzt. Seit Änderung von Art. 63 tMilStGB ist nunmehr bei unentschuldigtem Nichtantritt oder Fernbleiben vom Wehrdienst statt einer Freiheitsstrafe zunächst eine Geldstrafe zu verhängen. Subsidiär bleiben aber Haftstrafen bis zu sechs Monaten möglich. Die Verjährungsfrist richtet sich nach Art. 66e tStGB und beträgt zwischen fünf und acht Jahren, falls die Tat mit Freiheitsstrafe bedroht ist. Suchvermerke für Wehrdienstflüchtlinge werden seit Ende 2004 nicht mehr im Personenstandsregister eingetragen. Es kommt regelmäßig, zuletzt 2010, zu Verhaftungen von Kriegsdienstverweigerern; diese Praxis wird jedoch nicht einheitlich umgesetzt.
Bis 2009 kam es bei Wehrdienstentziehung auch zur Aberkennung der türkischen Staatsangehörigkeit (Art. 25c tStAG). Die gesetzliche Bestimmung wurde am 29.05.2009 durch ein Änderungsgesetz zum Staatsangehörigkeitsgesetz abgeschafft. Seit dem können Personen, die u. a. wegen Art. 25 tStAG die türkische Staatsangehörigkeit verloren haben, unabhängig von ihrem Wohnsitz erneut gemäß Artikel 43 tStAG n.F. die türkische Staatsangehörigkeit erhalten (AA 29.9.2015).
Insbesondere sind die Zeugen Jehovas durch das Fehlen eines alternativen Wehrersatzdienstes betroffen. In einer Stellungnahme vom 30.9.2015 gegenüber der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa – OSZE, behauptete die Europäische Vereinigung der Zeugen Jehovas, dass 55 ihrer Mitglieder mit Stand Juni 2015 wegen Wehrdienstverweigerung verfolgt würden (OSCE 30.9.2015).
Im Juni 2014 urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) im Sinne von vier Zeugen Jehovas, die den Wehrdienst aus Gewissensgründen verweigerten. Das Gericht betrachtete es als erwiesen, dass deren Menschenrechte verletzt wurden, insbesondere im Sinne von Art.9 – Meinungs-, Gewissens- und Religionsfreiheit sowie Art. 3 – unmenschliche und erniedrigende Behandlung (CoE 3.6.2014). Die vier Zeugen Jehovas (Ça?lar Buldu, Bari? Görmez, Ersin Ölgün, und Nevzat Umdu) brachten den Fall am 17. März 2008 vor das EGMR. Sie wurden wegen Wehrdienstverweigerung wiederholt strafrechtlich verfolgt und verurteilt. Zusammengenommen haben sie über sechs Jahre in Gefängnissen und Militärhaft verbracht. Nach Urteilen in den Jahren 2011 und 2012 war dies das dritte Urteil des EGMR gegen die Türkei in Bezug auf Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen. Unabhängig davon hat der UN-Menschenrechtsausschuss im Jahr 2012 zugunsten von zwei anderen Zeugen Jehovas in der Türkei entschieden (JW.ORG 11.6.2014).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (15.7.2014b): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei
- CoE – Council of Europe/ Human Rights Europe (3.6.2014): Turkey:
Court finds human rights breaches in treatment of Jehovah’s Witness conscientious objectors,
http://www.humanrightseurope.org/2014/06/turkey-court-finds-human-rights-breaches-in-treatment-of-jehovahs-witness-conscientious-objectors/, Zugriff 16.2.2016
- JW.ORG – Jehovas Zeugen (11.6.2014): EGMR entscheidet zugunsten von vier Wehrdienstverweigerern aus Gewissensgründen in der Türkei, https://www.jw.org/de/aktuelle-meldungen/rechtliche-entwicklungen/nach-region/tuerkei/egmr-urteil-wehrdienstverweigerer-aus-gewissensgruenden/#?insight[search_id]=b05d4511-880c-423c-8751-cc748c769241&insight[search_result_index]=11, Zugriff 16.2.2016
- OSCE – Organization for Security and Co-operation in Europe (30.9.2015):-Jehovah’s Witnesses in Turkey, Religious Freedom Concerns; Statement by the European Association of Jehovah’s Christian Witnesses OSCE Human Dimension Implementation Meeting, Warsaw | 21 September 2015 – 2 October 2015 [HDIM.NGO/0343/15], http://www.osce.org/odihr/187471?download=true, Zugriff 16.2.2016
Allgemeine Menschenrechtslage
Die unter der Militärherrschaft verabschiedete Verfassung beinhaltet die fundamentalen Rechte und Freiheiten, doch konzentriert sie sich eher auf Verbote zum Schutze des Staates, denn auf die umfassende Garantie von Rechten und Freiheiten (OSCE 18.8.2015).
Die Türkische Verfassung garantiert den Schutz der Menschenrechte und der grundlegenden Freiheiten. Die Umsetzung hat sich im in der vergangenen Dekade merklich verbessert. Allerdings bleiben größere Mängel bestehen. Die Inkraftsetzung von Rechten, die sich aus der Europäischen Menschenrechtskonvention ableiten und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichts für Menschenrechte sind bislang nicht vollständig gesichert. In den letzten beiden Jahren kam es zu merklichen Rückschritten, insbesondere im Bereich der Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Die verabschiedeten Gesetze über die innere Sicherheit widersprechen den im Aktionsplan vom März 2014 stipulierten Maßnahmen zur Verhinderung von Verletzungen der Europäischen Menschenrechtskonvention. Dies geschieht durch die Gewährung einer breiten Verfügungsgewalt an die Strafvollzugsorgane ohne angemessene gerichtliche oder unabhängige parlamentarische Kontrolle. Die seit Juli 2015 im Osten und Südosten eskalierende Gewalt gibt Anlass zu ernster Sorge hinsichtlich der Verletzung von Menschenrechten. Die in diesem Zusammenhang angewendeten Anti-Terror-Maßnahmen sollten laut Europäischer Kommission verhältnismäßig sein (EC 10.11.2015, vgl. HR-CH 21.8.2015).
Insgesamt hat sich die Menschenrechtssituation seit den Parlamentswahlen im Juni 2015 und dem Gewaltausbruch zwischen der PKK und den Sicherheitsorganen markant verschlechtert. Die Medien sind mit einem beispielslosen Druck seitens der Regierung konfrontiert. Das Recht auf freie Meinungsäußerung, sowohl online als auch offline hat merklich gelitten. Das Versammlungsrecht wird weiterhin verletzt. Fälle exzessiven Gebrauchs von Polizeigewalt sowie Misshandlungen in Gefängnissen halten ebenso an wie die Straflosigkeit von Vergehen gegen die Menschenrechte. Die Unabhängigkeit der Gerichte nimmt weiterhin ab (AI 23.2.2016).
Die Nicht-Diskriminierung ist unzureichend umgesetzt, sowohl gesetzlich als auch in der Praxis. Die Rechte der am meisten gefährdeten Gruppen sowie Angehöriger von Minderheiten sind nicht ausreichend gewährt. Geschlechtsbasierte Gewalt, Diskriminierung und Hassreden gegen Minderheiten sowie die Nichtachtung von Rechten sexueller Minderheiten sind Bereiche, die besorgniserregend sind (EC 10.11.2015).
Die Regierung unternahm eingeschränkte Schritte bezüglich der Untersuchung, Verfolgung und Bestrafung von Mitgliedern der Sicherheitskräfte und anderer Behördenvertreter, welche der Vergehen gegen die Menschenrechte beschuldigt wurden. Straffreiheit ist in diesem Zusammenhang ein Problem (USDOS 16.2.2016).
Religion und ethnische Zugehörigkeit sind weiterhin problematische Themen. Jede Bevölkerungsgruppe, die nicht als "Türken" oder sunnitische Moslems betrachtet wird, wird benachteiligt Nicht-Muslime können weiterhin keine Armeeoffiziere oder Staatsbeamte werden (BS 2016; AM 16.10.2013).
Quellen:
- AI - Amnesty International (23.2.2016): Report 2015/16: The state of the world's human rights,
https://www.amnesty.org/download/Documents/POL1025522016ENGLISH.PDF,
- AM – Al Monitor (16.10.2013): Could Turkey’s Christians Wear Police Uniforms?
http://www.al-monitor.com/pulse/originals/2013/10/turkey-urges-christians-join-police.html, Zugriff 3.3.2016
- BS - Bertelsmann Stiftung (2016): BTI 2016 — Turkey Country Report,
http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI_2016_Turkey.pdf, Zugriff 3.3.2016
- EC – European Commission (10.11.2015): Turkey 2015 Report [SWD(2015) 216 final],
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1447155728_20151110-report-turkey.pdf, Zugriff 16.2.2016
- HR-CH - Humanrights.ch (21.8.2015): Länderinformation:
Menschenrechte in der Türkei,
http://www.humanrights.ch/de/service/laenderinfos/tuerkei/, Zugriff 16.2.2016
- OSCE – Organization for Security and Co-operation in Europe/ Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.8.2015):
Republic of Turkey, Parliamentary Elections 7 June 2015, OSCE/ODIHR Limited Election Observation Mission Final http://www.osce.org/odihr/elections/turkey/177926?download=true, Zugriff 16.2.2016
- USDOS - US Department of State (25.6.2015): Country Report on Human Rights Practices 2014,
http://www.ecoi.net/local_link/306397/443672_de.html, Zugriff 16.2.2016
Meinungs- und Pressefreiheit / Internet
Die Meinungsfreiheit wird regelmäßig in Frage gestellt, insbesondere durch eine willkürliche und restriktive Interpretation der Gesetze, durch politischen Druck, Entlassungen sowie durch häufige Gerichtsverfahren gegen Journalisten, was zu Selbstzensur führt (EC 10.11.2015).
Die Meinungsfreiheit wird durch die Anwendung verschiedener Gesetze (insbesondere Strafgesetzbuch, Anti-Terror-Gesetz, oder auch in Teilen des jüngst verabschiedeten Sicherheitspakets) eingeschränkt. Mit den Änderungen im Anti-Terror-Gesetz und Strafgesetzbuch im Rahmen des 4. Justizreformpakets vom 11.04.2013 werden Meinungsdelikte und Veröffentlichungen nur dann noch strafrechtlich verfolgt, wenn sie Gewalt oder Drohungen einer terroristischen bzw. kriminellen Vereinigung rechtfertigen, loben oder explizit dazu aufrufen. Die Möglichkeit, sich frei im Internet zu äußern, ist in mehrfacher Hinsicht beschränkt. Obwohl nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen bereits der Zugang zu mehr ca. 80.000 Internetseiten gesperrt ist, wurde im Zuge der Korruptionsvorwürfe gegen die Regierung im Februar 2014 ein Gesetz verabschiedet, das der Telekommunikationsbehörde nun auch die Möglichkeit gibt, einzelne Sperrungen, anders als zuvor, vorübergehend ohne richterlichen Beschluss durchzuführen. Im jüngst verabschiedeten Sicherheitspaket enthaltene Regelungen gehen darüber noch hinaus.
Im März 2014 erfolgte auf dieser Grundlage nacheinander die Sperrung von Twitter und YouTube. In beiden Fällen wurde die Entscheidung vor Gericht angefochten und vom zuständigen Gericht (in Teilen) aufgehoben. Die Umsetzung dieses Beschlusses durch die Telekommunikationsbehörde erfolgte allerdings äußerst schleppend. Hinzu kommt, dass führende Regierungsvertreter in öffentlichen Äußerungen deutlich machen, dass für sie die Bedeutung des Internets für die Verwirklichung elementarer Grundrechte der türkischen Bevölkerung nicht wichtig ist (AA 29.9.2015).
Trotz der Verbesserungen durch das 4. und 5. Justizreformpaket enthalten das Strafrecht und das Anti-Terror-Gesetz zahlreiche Paragraphen, die die Meinungs- und Pressefreiheit einschränken. Menschenrechtsorganisationen äußerten insbesondere Bedenken in Bezug auf die übermäßig breite Auslegung des Terrorismusbegriffes sowie dessen unverhältnismäßige Anwendung gegenüber Journalisten, Akademikern, Studenten und Mitglieder der politischen Opposition. Die Behörden haben Journalisten wegen zahlloser Gründe angeklagt, wie der Verweigerung die Quellen offenzulegen, der Teilnahme an regierungsfeindlichen Verschwörungen, der Einflussnahme auf die Justiz, der Mitgliedschaft in verbotenen politischen Gruppierungen oder dem Verleiten zur Wehrdienstverweigerung. Darüber hinaus gilt dies auch für die Beleidigung der Türkischen Nation, der Türkischen Republik, des Staatsgründers Mustafa Kemal Ataturk oder der Organe und Institutionen des Staates. Regierungskritiker und Menschenrechtsorganisationen räumten ein, dass die Diskussion über einst heikle Themen, vor allem die Kurden- und Armenier-Frage, nun möglich ist. Nichtsdestotrotz riskierten viele, die über sensible Themen schrieben, die die Regierungspartei tangierten, eine behördliche Untersuchung (US DOS 25.6.2015).
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