Am 19.02.2016 brachten die BF folgenden Unterlagen (neu) in Vorlage:
- Seite einer russischen Zeitschrift mit Fotos von Personen bei Siegerehrungen, wobei eine Person handschriftlich als " XXXX " gekennzeichnet wird (Original AS 186 im Akte des BF1)
- Kopie der russischen Geburtsurkunde des XXXX , geb. am XXXX , ausgestellt am XXXX (Kopie AS 186 und 206 im Akt des BF1).
- Handschriftliches Schreiben in russischer Sprache (Original AS 186, Kopie AS 212 im Akt des BF1).
In weiterer Folge legten die BF folgende Unterlagen vor:
- Meldebestätigung in russischer Sprache betreffend XXXX (Kopie AS 192 im Akt des BF1).
- Meldebestätigung in russischer Sprache betreffend XXXX (Kopie AS 194 im Akt des BF1).
- Studienbestätigung in russischer Sprache (Fernstudium) für XXXX , ausgestellt am XXXX (Kopie AS 196 im Akt des BF1).
- Schulbesuchsbestätigung einer Berufsschule in russischer Sprache für XXXX , ausgestellt am XXXX (Kopie AS 198 im Akt des BF1).
- Russisches Schulzeugnis für XXXX , ausgestellt am XXXX (Kopie AS 200 im Akt des BF1).
- Russische Geburtsurkunde von XXXX , geb. am XXXX , ausgestellt am
XXXX in XXXX (Kopie AS 202 im Akt des BF1).
- Verbale Beurteilung der Volksschule XXXX in russischer Sprache (Kopie AS 204 im Akt des BF1).
- Zwei Schreiben in russischer Sprache (Kopie AS 208 und 210 im Akt des BF1).
In weiterer Folge langten die deutschen Übersetzungen der vorgelegten russischen Schreiben sowie der vorgelegten Ladungen ein.
1.2. Mit den im Spruch angeführten Bescheiden des BFA vom 31.01.2017 wurde jeweils unter Spruchteil I. der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen und unter Spruchteil II. gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 leg. cit. dieser Antrag auch bezüglich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf die Russische Föderation abgewiesen. Unter Spruchteil III. wurde den BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigenden Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-VG wurde gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung der BF in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig ist und in Spruchteil IV. gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt.
Die Identität des BF1 stehe aufgrund der vorgelegten Unterlagen fest. Die Identität der restlichen BF habe nicht festgestellt werden können. Zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates wurde ausgeführt, dass die vom BF1 angegebenen Fluchtgründe (Blutrache und Verfolgung durch tschetschenische Behörden) nicht glaubhaft gewesen seien. Auch das gesteigerten Vorbringen, einer Verfolgungsgefahr wegen der Brüder der BF2 ausgesetzt gewesen zu sein, sei nicht glaubwürdig gewesen. Die BF hätten ihre Fluchtgründe auf die Verfolgung des Bruders des BF1 bezogen. Den Angaben des Bruders sei aber ebenso die Glaubwürdigkeit abgesprochen worden. Der BF1 sei auch nicht in der Lage gewesen seine Mitnahme und die weiteren Vorfälle lebensnah zu schildern. Zudem habe er die einzelnen Folterungen bzw. Übergriffe auf seine Person nicht konkret, verbunden mit persönlich wahrgenommenen Empfindungen und Eindrücken schildern können, sondern habe sich mit allgemeinen Schilderungen begnügt. Am Ende der Einvernahme sei er nochmals dazu aufgefordert worden seine Anhaltung konkret und lebensnah zu schildern, habe dabei zwar Schläge und Tritte, jedoch keine Stromschläge - welche er zu Beginn sehr wohl angegeben habe - geschildert. Auch die Tage, an denen er angeblich nicht mehr gefoltert worden wäre, habe er nicht konkret schildern können, weshalb nicht von einer selbst erlebten Situation auszugehen sei. Seine Anhaltung im Jahr 2011 sei somit nicht glaubhaft. Zudem hätte die ganze Familie - falls sein Bruder wirklich von den tschetschenischen Behörden verdächtigt worden wäre, zu den Widerstandskämpfern gewechselt zu haben - mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gravierende Probleme bekommen und wäre der BF1 nicht nur einmal mitgenommen worden. Vielmehr hätte man die BF, bzw. die Familie dann unter Druck gesetzt und wäre eine jahrelanger Verbleib im Herkunftsland absolut nicht mehr möglich gewesen. Der BF1 habe zwar seine Anhaltung im Juni 2011 geschildert, habe aber angegeben, dass es danach nicht mehr zu gezielten Verfolgungen durch die tschetschenischen Behörden gekommen wäre, sondern habe er lediglich von allgemeine Hausdurchsuchungen, die aber das ganze Dorf betroffen hätten bzw. Erkundungen durch den Bezirkspolizisten berichtet. Seine Angaben, wonach die tschetschenischen Behörden jahrelang mitgeteilt hätten, dass der Bruder des BF1 ein Kämpfer sei und sich den Kämpfern angeschlossen hätte, seien unter Heranziehung der Länderfeststellungen weder plausibel, noch glaubhaft. Den Länderfeststellungen sei zu entnehmen, dass die Verfolgung von Familienmitgliedern und Unterstützern von Widerstandskämpfern in der Russischen Föderation eine der Maßnahmen im Kampf gegen den Terrorismus im Nordkaukasus darstelle und nicht auf rechtliche Grundlangen zurückgegriffen werde (z.B. Kollektivbestrafungen, Einsatz von Druckmitteln, Streichung von Sozialbeihilfen, Niederbrennen des Wohnhauses). Der BF und seine Brüder hätten aber nach Ausreise des Bruders XXXX ohne nennenswerte Probleme im Heimatland leben können und seien keinen Übergriffen oder persönlicher Verfolgung ausgesetzt gewesen. Auch sein Vorbringen, wonach es Ende Jänner 2014 eine Hausdurchsuchung gegeben habe, sei nicht glaubhaft gewesen. Die vorgelegten Schreiben (Schreiben des Nachbarn, Schreiben der Dorfverwaltung) seien nicht geeignet, sein Vorbringen glaubhafter erscheinen zu lassen. Diese würden kein Ausstellungsdatum aufweisen und seien so allgemein gehalten, dass sie keinem speziellen Vorfall zugeordnet werden könnten. Auch die Angaben über die Verfolgung aufgrund der Blutrache seien nicht glaubhaft gewesen. Dies deshalb, da der ausschlaggebende Vorfall 2011 gewesen sei, die Blutracheerklärung jedoch erst im Jahr 2013 durch den Bruder des getöteten Kämpfern gegenüber dem Bruder des BF1 erklärt worden sei und bis zum Jahr 2015 diesbezüglich gegen die Familie nichts unternommen worden wäre. Eine nachhaltige Verfolgung wegen der Blutrache sei daher nicht plausibel und nicht nachvollziehbar. Zudem habe der BF1 die Blutracheerklärung im Jahr 2013 gar nicht angeführt und zunächst nur die Anhaltung am XXXX , den Leistenbruch im Oktober 2013 und den Vorfall Ende Jänner erwähnt. Da die Blutracheerklärung bzw. der Vorfall im März 2013 der ausschlaggebende Grund für die Ausreise gewesen sei, sei nicht glaubhaft, dass er vergessen habe dieses Ereignis anzuführen, zumal er die Blutracheerklärung in der ersten Einvernahme als einzigen Grund für die Ausreise angeführt habe. Zudem hätten BF1 und BF2 den ausschlaggebenden Vorfall widersprüchlich angegeben. So habe der BF1 angegeben, dass drei Männer in Zivilkleidung gegen 11:00 an die Türe geklopft hätten, als die BF und die Mutter des BF1 gerade im Haus gewesen wären, während die BF2 widersprüchlich angegeben habe, dass drei oder vier Männer zwischen 13:00 und 14:00 Uhr ins Haus gekommen wären, als die BF2 sich hinten im Hof beim Gemüsegarten aufgehalten hätte. Diese Widersprüche seien auch bei Berücksichtigung der angegebenen Gedächtnislücken nicht zu rechtfertigen. Auch die Angaben hinsichtlich der Brüder der BF2 und der Unterstellung der tschetschenischen Behörden, nach Syrien gehen zu wollen, seien nicht glaubhaft. Die Angaben seien sehr vage und habe die BF2 auch keine konkreten Schilderungen dazu abgeben können. Zudem sei nicht glaubhaft, dass die Polizei den BF einerseits vorgeworfen habe, mit russischen Reisepässen nach Syrien reisen zu wollen, ihnen andererseits im Zuge dessen den russischen Inlandsreisepass abgenommen und den russischen Reisepass belassen hätten. Hätte man den BF tatsächlich unterstellt, nach Syrien reisen zu wollen, hätte man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den russischen Reisepass angenommen, da eine Sicherstellung des russischen Inlandsreisepasses keinen Sinn ergebe. Auch hätten weder der BF1, noch die BF2 bei ihrer ersten Einvernahme eine Verfolgung wegen der Brüder der BF2 ins Treffen geführt. Die BF hätten somit ihr Vorbringen gesteigert. Auch wenn die BF2 Angst gehabt hätte, die Verfolgung wegen der Brüder zu erwähnen, so erkläre dies nicht, warum sie dies mit keinem einzigen Wort erwähnt habe. Die vorgelegten Dokumente würde lediglich die Existenz der Brüder glaubhaft machen. In der Benachrichtigung sei zwar die Frist für eine Voruntersuchung verlängert worden, eine Verfolgung der gesamten Familie durch tschetschenische Behörden könne daraus jedoch nicht abgeleitet werden. Auch die vorgelegte "Ladung" könne nichts zur Glaubwürdigkeit des Vorbringens beitragen, da allgemein bekannt sei, dass solche "Ladungen" gegen Bezahlung in der Russischen Föderation leicht erhältlich seien. Zudem handle es sich dabei um eine Empfangsbestätigung, die eigentlich beim Ermittler (der ausstellenden Behörde) verbleiben würden. Auch weise die Ladung für XXXX keinen Stempel der Behörde auf und sei auf der Ladung für XXXX mittig ein Rundsiegel mit der Inschrift "für Pakete 22" angebracht. Wären die BF wirklich ins Visier der tschetschenischen Behörden geraten, wäre den BF mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kein russischer Reisepass ausgestellt worden. Die Angaben des BF1, wonach der Stempel auf den Geburtsurkunden der Kinder besage, dass sie nicht ausreisen können würden, gehe ins Leere, da der Stempel lediglich die Ausstellung eines Reisepasses dokumentiere. Es sei vielmehr der Eindruck entstanden, dass die BF die Ausstellung der Reisepässe verheimlichen hätten wollen.
Zu Spruchpunkt II. wurde ausgeführt, dass die BF im Heimatland über verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte verfügen würden, weshalb von Unterstützungsmöglichkeiten auszugehen sei. Zudem besitze der BF1 ein Haus sowie eine Landwirtschaft. Der BF1 sei jung sowie arbeitsfähig. Er könne seine Tätigkeit als Landwirt wieder aufnehmen, womit der Lebensunterhalt für die Familie gewährleistet sei. Auch gehe aus den Länderfeststellungen hervor, dass die Grundversorgung in der Russischen Föderation gewährleistet sei. Der BF1 leide an einem Leistenbruch, welcher aber bereits im Heimatland behandelt worden wäre. Die BF2 habe angegeben gynäkologische Probleme sowie Herzprobleme zu haben. Laut dem vorgelegten Patientenblatt sei abgesehen von stressbedingten Leiden wie Belastungsreaktion und Schlafstörungen keine Erkrankungen festzustellen gewesen. Die BF3, BF4 und der BF5 seien gesund. Eine chronische Laryngitis habe beim BF5 nicht festgestellt werden können und seien auch keine ärztlichen Befunde dazu in Vorlage gebracht worden. An lebensgefährlichen Erkrankungen würden die BF nicht leiden. Eine entsprechende medizinische Behandlung der BF sei laut Länderinformationen in der Russischen Föderation jedenfalls gewährleistet.
Zu Spruchteil III. führte die belangte Behörde aus, dass die BF illegal eingereist seien und in der Grundversorgung leben würden. Sie würden keiner Arbeit nachgehen. Die BF2 besuche einen Deutschkurs, der BF1 nicht. Die BF3 und die BF4 würden die Schule besuchen. Der Bruder des BF1 (samt Familie) befinde sich seit 2011 in Österreich und dieser würde einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen besitzen. Eine besondere Beziehungsintensität, welche über eine normale Geschwister-Beziehung hinausgehe bzw. ein gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis habe nicht festgestellt werden können. Auch sonstige soziale oder familiäre Kontakte zu Österreich würden nicht vorliegen. Ebenso habe eine fortgeschrittene Integration nicht festgestellt werden können.
1.3. Gegen diese Bescheide haben die BF fristgerecht Beschwerden erhoben. Darin wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Länderfeststellungen unvollständig und teilweise veraltet seien. So würden die Berichte zur allgemeinen Menschenrechtslage im Nordkaukausus aus den Jahren 2012 bzw. 2013 stammen. Auch zum Thema Blutrache würde sich im Bescheid nur eine Information aus dem Jahr 2008 finden. Zur allgemeinen Menschenrechtslage werde daher auf einen Bericht von Human Rights Watch aus dem Jahr 2017 sowie auf einen Bericht der Schweizer Flüchtlingshilfe aus dem Jahr 2016 verwiesen, wonach Menschenrechtsverletzungen durch Kadyrow bzw. seine Sicherheitskräfte in Tschetschenien zum Alltag gehören würden und solche Übergriffe nicht strafrechtlich verfolgt werden würden. Bezüglich der entscheidungsrelevanten Blutrache bzw. Sippenhaftung sei bekannt, dass im Falle der Tötung eines Polizisten die ganze Familie des Täters zur Rechenschaft gezogen werde. Da es in Tschetschenien häufig zu Menschenrechtsverletzungen wie Verschwindenlassen, rechtswidriger Inhaftierung, Folter und andere Misshandlungen sowie zu außergerichtlichen Hinrichtungen kommen würde, sei davon auszugehen, dass jeder zurückgekehrte Staatsbürger der Russischen Föderation einer reellen Gefahr einer Gefährdung gemäß Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre. Die Behörde gehe fälschlicherweise davon aus, dass die BF über Unterkunfts- und Unterstützungsmöglichkeiten in Tschetschenien verfügen würden. Die Landwirtschaft sei bereits XXXX zerstört worden und könne auch die Frage, ob das Haus, wo die BF gelebt hätten, noch bewohnbar sei, nicht beantwortet werden. Dem BF1 sei der aktuelle Zustand des Hauses nicht bekannt. Die BF wären bei einer Rückkehr somit mit einer unmenschlichen Situation iSd Art. 3 EMRK konfrontiert. Auch ihre wirtschaftlichen Verhältnisse seien nicht gesichert. Es sei nicht nachvollziehbar, dass die Behörde - trotz Vorlage der Geburtsurkunde- die Identität der BF2 nicht festgestellt habe. Der BF1 habe die Blutrache bereits in der Erstbefragung als Fluchtgrund angegeben und die entsprechenden Geschehnisse geschildert. Entgegen der Ansicht der Behörde habe der BF1 in seiner Einvernahme sehr wohl ausführlich berichtet und sowohl das Datum als auch die angewendete Gewalt und den Ort, an dem er zurückgelassen worden sei, nennen und näher beschreiben können. Der BF1 habe zudem die gesamte Situation im weiteren Verlauf nochmals ausführlich und detailliert dargestellt. Die Argumentation der Behörde sei somit nicht nachvollziehbar. Hinsichtlich der vergangen Zeit zwischen dem Vorfall 2011 und 2013 wurde ausgeführt, dass davon auszugehen sei, dass hinsichtlich der Rache an erster Stelle der Bruder des BF1 gestanden sei und zuerst nach ihm gesucht worden sei. Als dies nicht gelungen sei, seien dann die BF gequält worden. Zu den angeblichen Widersprüchen des BF1 und der BF2 bei dem Vorfall am XXXX wurde ausgeführt, dass der BF nie behauptet habe, dass seine Frau im Haus gewesen wäre. Zu den unterschiedlichen Zeitangaben wird ausgeführt, dass die BF in der Einvernahme dazu aufgefordert worden wären einen möglichst genauen Zeitraum zu nennen, aber beide die Uhrzeit nicht gewusst hätten und diese nur ungefähr geschätzt hätten. Zum Vorhalt der Behörde, dass der BF1 seine Vorbringen in der Einvernahme gesteigert habe und erst hier eine Verfolgung wegen der Brüder der BF2 ins Treffen geführt habe, wird angemerkt, dass die Behörde das Verbot der näheren Befragung zu den Fluchtgründen bei der Erstbefragung außer Acht gelassen habe. Zudem habe die BF2 in der Einvernahme dann sofort ihre Brüder erwähnt, Beweismittel dazu vorgelegt und ausgeführt, dass sie bei der Erstbefragung Angst gehabt hätte. Die Behörde hätte die BF2 genauer befragen müssen. Die BF2 habe dann konkret und detailreich den Ablauf des Verhörs beschrieben. Zu dem Argument der Behörde, dass es keinen Sinn mache, wenn die Polizei nur die russischen Inlandsreisepässe und nicht die russischen Reisepässe genommen hätte, wurde ausgeführt, dass in den Reisepässen ein bestimmter Stempel angebracht worden sei. Aufgrund dieser Stempel sei es den BF versagt worden ins Ausland zu fahren. Eine Abnahme der Reisepässe sei daher nicht notwendig gewesen. Soweit die Behörde die Echtheit der vorgelegten Beweismittel der BF2 bemängle, sei zu hinterfragen, warum die Behörde nicht andere Beweismittel angefordert habe. Zu dem Argument der Behörde, wonach die BF die Ausstellung der Reisepässe verheimlichen hätten wollen wurde angemerkt, dass der BF1 die Frage, ob er einen Reisepass habe, so verstanden habe, ob er den Reisepass bei seiner Reise nach Österreich mit sich geführt habe. Dieses Missverständnis habe der BF1 bei seiner Einvernahme sofort aufgeklärt und angegeben, dass die Reisepässe Stempel enthalten hätten, die ihnen eine Auslandsreise unmöglich gemacht hätten. Die BF2 sei fest davon ausgegangen, dass sie und ihre Familie gerade dann nach Tschetschenien abgeschoben werden würden, wenn sie in Besitz solcher Reisepässe wären. Es sei daher nachvollziehbar, dass die BF dieses unbrauchbare Reisedokument in Tschetschenien gelassen hätten. Die BF würden wegen der Zugehörigkeit des BF1 zur sozialen Gruppe einer Familie verfolgt werden und wäre ihnen daher Asyl zu gewähren gewesen. Aufgrund der schlechten Sicherheits- und Menschenrechtslage in Tschetschenien sei wäre ihnen subsidiärer Schutz zu gewähren gewesen. Zu Spruchpunkt III. wurde ausgeführt, dass die Behörde eine falsche Interessensabwägung durchgeführt habe. Die BF würden sich bemühen sich in die österreichische Gesellschaft zu integrieren und sich ein Leben in Österreich aufzubauen. Die BF3 und BF4 würden die Volksschule besuchen, die BF2 spreche sehr gut Deutsch. Die BF seien strafrechtlich unbescholten. Es hätte ihnen somit ein Aufenthaltstitel gewährt werden müssen.
Am 14.08.2017 legte die BF2 ein Zertifikat vom 29.06.2017 vor, wonach diese die ÖSD-A2 Prüfung gut bestanden hat.
1.4. Der BF1 und die BF2 wurden im Zuge einer Beschwerdeverhandlung vom 18.01.2018 durch das erkennende Gericht nochmals ergänzend zu ihren Verwandten in der Russischen Föderation, ihren Reisepässen sowie den angeblichen Vorfällen in den Jahren 2011, 2013 und 2015 befragt. Dem BF1 wurden dabei auch Aussagen seines Bruders XXXX in von dessen Asylverfahren vorgehalten.
Im Zuge der Beschwerdeverhandlung legten die BF folgende Unterlagen vor:
- Schreiben einer Volksschule betreffend die BF3 und die BF4, wonach die BF3 seit September 2015 und die BF4 seit September 2016 die Schule besucht. Im Schreiben wird über deren positives Verhalten in der Schule berichtet.
- Kopie der ÖSD-Karte der BF2, wonach diese das ÖSD-Zertifikat A2 besitzt.
- Informationsblatt, wonach der BF1 am 16.12.2017 einen Prüfungstermin für die ÖSD-Abschlussprüfung A1 hatte.
- Zug-Tagesticket des BF1 für den 16.12.2017.
- Bestätigung einer Gemeinde vom 09.01.2017, wonach der BF1 von November 2015 bis Mai 2017 gemeinnützige Tätigkeiten für die Gemeinde verrichtet hat.
- Schreiben einer Kindergärtnerin, wonach der BF5 seit Mai 2015 in den Kindergarten geht und sich gut integriert hat. Zudem hat die BF2 beim Brotbacken im Kindergarten geholfen.
- Unausgefüllter ÖSD-Zertifikat A1 Gesamtbogen für den BF1.
- Jahreszeugnis der zweiten Volksschulstufe vom 30.06.2017 für die BF3.
- Jahreszeugnis der ersten Volksschulstufe vom 30.06.2017 für die BF4.
- Zertifikat vom 29.06.2017, wonach die BF2 die Prüfung ÖSD-A2 gut bestanden hat.
1.5. In einer Stellungnahme vom 08.02.2018 wurde ausgeführt, dass beim Bruder des BF1 eine posttraumatische Belastungsstörung und eine Insomnie festgestellt worden sei. Diese Tatsache müsse berücksichtigt werden. Es könne somit nicht ausgeschlossen werden, dass der Bruder des BF1 bei der Einvernahme nicht imstande gewesen sei, genaue zeitliche Angaben zu tätigen. Alle beteiligten Personen hätten übereinstimmende Ausführungen hinsichtlich der Misshandlung sowie der Verletzung des BF1 (Nasenfraktur im Zuge der Hausdurchsuchung) getätigt. Folglich seien abweichende zeitliche Angaben auf die momentane Konzentrationsschwäche des Bruders des BF1 zurückzuführen. Die Beschreibung des BF1 und der BF2 seien als deckungsgleich zu bewerten. Auch die Divergenzen in den Angaben betreffend die Flucht des Bruders des BF1 seien als geklärt zu bezeichnen. Beide Brüder hätten angegeben, dass sich der Bruder des BF1 bei der Tante versteckt gehalten habe. Zu den Länderinformationen wurde ausgeführt, dass diese die prekäre Menschenrechtslage in Tschetschenien bestätigen würden. Aus Berichten von NGO¿s gehe hervor, dass tschetschenische Sicherheitsbehörden schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen wie Folter, Verschwindenlassen von Personen sowie rechtswidriges Festhalten von Gefangenen begehen würden. Gegen (auch nur vermeintliche) Unterstützer von Rebellen in Tschetschenien werde hart durchgegriffen. Es würden mittels illegaler Methoden gegen solche Personen sowie deren Verwandten seitens der Sicherheitsverfolgungsbehörden und der Sicherheitskräfte vorgegangen werden. Eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation von März 2015 bestätige die Beteiligung von mehreren tausend Personen aus dem Nordkaukasus in Syrien. Zum Vorbringen der BF2 werde auf eine weitere Staatendokumentationsanfrage von Juli 2015 verwiesen, worin die Situation von Betroffenen beschrieben werde. Diese würden von den Strafverfolgungsbehörden nicht in Ruhe gelassen werden und würde ihnen ständig gedroht werden. Wie in den Länderinformationen beschrieben, seien aus ganz Russland Fälle von Folter, Todesfälle von Häftlingen, insbesondere in Polizeigewahrsam oder in Untersuchungshaft bekannt. Missbrauch und exzessive Gewaltanwendung würden systematisch vorkommen. Betreffend der Blutrache ergebe sich aus einschlägigen Medienberichten, dass diese in Tschetschenien stattfinde und seit der Amtseinführung von Kadyrow sogar gesellschaftsfähig geworden sei. Zur Behandlung nach der Rückkehr wird ausgeführt, dass sich laut den Länderinformationen alle Rückkehrer bei Ankunft beim Föderalen Migrationsdienst ihres beabsichtigten Wohnortes bzw. beim Innenministerium registrieren müssen. Es gebe Fälle, wonach rücküberstellte Tschetschenen unmittelbar nach Ankunft in Moskau verhaftet und zu langen Gefängnisstrafen verurteilt worden seien. Insbesondere im Nordkaukausus stelle die Rückkehr eine wirtschaftliche und soziale Herausforderung dar. Im Falle der BF sei es plausibel, dass tschetschenische Sicherheitskräfte an den BF ein fortlaufendes Interesse hätten. Bei einer Rückkehr würden sie somit mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit wegen der vermeintlichen Unterstützung der Widerstandskämpfer bzw. der Beteiligung der Familienangehörigen an Kampfhandlungen in Syrien entweder mit einer Gefängnisstrafe oder mit anderen schwerwiegenden Repressalien rechnen. Bei einer Rückkehr würden sie zudem in eine ausweglose Situation geraten. Mangels entsprechender Dokumente und finanzieller Unterstützung seitens der Familie sowie der in Tschetschenien angespannten Situation auf dem Arbeitsmarkt kann für die BF ein Leben unter menschenwürdigen Bedingungen ausgeschlossen werden. Zur Rückkehrentscheidung wurde ausgeführt, dass sich die BF bereits länger in Österreich befinden würden, bereits gut Deutsch sprechen und Kurse besuchen würden. Sie hätten zahlreiche österreichische Bekannte. Die BF2 helfe in der Kirche. Die Kinder seien bereits integriert und würden erfolgreich die Volksschule besuchen.
Mit der Stellungnahme brachten die BF folgende Unterlagen in Vorlage:
- ÖSD-Zertifikat A1 vom 10.01.2018, wonach der BF1 die Prüfung am 16.12.2017 gut bestanden hat.
- Schulnachricht der dritten Volkschulstufe für die BF3 vom 02.02.2018.
- Schulbewertungsbogen der 3. Schulstufe für die BF3.
- Schulbewertungsbogen der 2. Schulstufe für die BF4.
- Schulnachricht der zweiten Volksschulstufe für die BF4 vom 02.02.2018.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat nach Durchführung einer Beschwerdeverhandlung wie folgt erwogen:
Beweis wurde erhoben durch den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakten der BF, beinhaltend die niederschriftlichen Einvernahmen vor dem BFA, die Beschwerden vom 15.02.2017, die Stellungnahme vom 08.02.2018, durch Einsichtnahme in die vom BFA und im Beschwerdeverfahren vorgelegten Unterlagen, durch Einholung von Auszügen aus ZMR, GVS, IZR und Strafregister und schließlich durch Berücksichtigung aktueller Länderinformationen zum Herkunftsstaat.
1. Feststellungen: