Inhaltsverzeichnis Einleitung



Yüklə 2,08 Mb.
səhifə11/45
tarix26.07.2018
ölçüsü2,08 Mb.
#59660
1   ...   7   8   9   10   11   12   13   14   ...   45

Empathie

Es gibt aber eine tieferliegende und unmittelbare Form der Kommunikation: die Empathie. Unter Empathie versteht man die Fähigkeit, die Gefühle anderer nachzuvollziehen und so zu fühlen wie sie. Empathie entsteht beim Menschen in der zweiten Hälfte des zweiten Lebensjahres und ist offenkundig mit der Entstehung des Ichbewusstseins verknüpft (Bischof-Köhler 1989). Man bringt Empathie mit den Spiegelneuronen in Verbindung, die ein verzweigtes System im menschlichen Gehirn bilden. Spiegelneuronen wurden zuerst bei Affen entdeckt und daraufhin auch beim Menschen genauer untersucht (im Überblick: Rizzolatti und Sinigaglia 2008). Dort ist das System der Spiegelneuronen vor allem im posterioren Bereich des inferioren frontalen Gyrus inklusive des Broca-Areals, dem ventralenBereichdesGyruspraecentralisundderrostraleLobulusparietalisrepräsentiert. Den Spiegelneuronen schreibt man folgende Funktionen zu (Rizzolatti und Sinigaglia 2008): Verständnis der Bedeutung beobachteter Handlungen, Grundlage für das Durchführen motorischer Imitationen, Verständnis innerer kognitiver, emotionaler und motivationaler Zustände und Handlungsabsichten, Grundlage der Entwicklung von interindividueller Kommunikation und Sprache. Für unsere Fragestellung ist nur die Funktion des Verständnisses für Emotionen anderer Personen wichtig. „Verständnis“ bedeutet hier allerdings nur, dass man ähnlich oder gleich fühlt wie der andere, bei dem man die Emotionen wahrnimmt oder aus dem Geschehen folgert. Eineinhalb- bis zweijährige Kinder beispielsweise erkennen, wenn Erwachsene traurig sind und Hilfe benötigen. Bischof-Köhler (1989) arrangierte eine Szene, in der dem Erwachsenenpartner ein zuvor präparierter Löffel zerbrach. Die Kinder versuchten, dem Trauer zeigenden Erwachsenen zu helfen und ihn zu trösten. Der Motivationszustand, der durch Empathie erzeugt wird, kann also aus zwei Wurzeln gespeist werden: zum einen kann es sich um eine mit Hilfe des Spiegelneuronensystems direkt erzeugtes Gefühl des Mitleids oder der Mitfreude handeln, ohne dass die situativen Zusammenhänge bedeutsam wären; zum anderen kann die Motivation aber auch aus der Erkenntnis des Zusammenhangs entstehen, der zu dem betreffenden Emotionszustand beim wahrgenommenen Partner geführt hat, wie dies im obigen Beispiel der

Fall ist.

Der Mechanismus der „Gefühlsansteckung“ ist sicherlich der grundlegendere von beiden Möglichkeiten und fast immer bei altruistischen Handlungen beteiligt. Nicht nur der andere leidet, sondern man selbst leidet mit. Hilfeleistung bedeutet, dass man auch das eigene Leid, den eigenen Schmerz reduziert, wenn man das Leid des anderen mildert. Es geht einem selbst besser, wenn es anderen besser geht. Empathie auf dieser primitiven Basis gibt es sicherlich auch bei nichtmenschlichen Primaten. Schließt man das erstaunliche prosoziale Verhalten der von Boesch und Mitarbeitern beobachteten Schimpansen im Ta¨ı-Nationalpark mit ein, so kann als sicher gelten, dass sich menschliches altruistisches Verhalten während der Evolution entwickelt hat, weil es dem Fortbestand der Spezies diente. Aus evolutionärer Sicht erscheint es allerdings höchst fragwürdig, ob es uneigennütziges altruistisches Verhalten gibt. Bei Tieren, die im sozialen Verband leben und durch ihn Vorteile erhalten, bildet sich altruistisches Verhalten aus, es dient dem Erhalt der Gruppe und damit auch dem Individuum, das seine Gene weitergeben will. Wir werden uns am Ende dieses Buches mit ethischen Fragen auseinandersetzen und prüfen, wie Kultur und individuelle Entwicklung dazu beitragen, eine heute notwendige, aber auch modifizierte und erweiterte Ethik zu entwickeln.



Das Wechselspiel von Aggression und Altruismus

Wie aber verhält sich die ebenfalls aus unserer Evolution stammende Aggression zu dem zugleich vorhandenen Altruismus? Beide Kräfte existieren nebeneinander, bei den Menschenarten offenbar schon mindestens eine halbe Million Jahre (und natürlich noch länger bei anderen Primaten, siehe unser Beispiel des Schimpansenkrieges). Aggression tritt bei Rivalenkämpfen um sexuelle Vorrechte, bei der Fortpflanzung, als Kampf um Status in der Gruppe und als Verteidigung des eigenen Reviers gegenüber Eindringlingen auf. Diese letzte Form der Aggression, die Schwächung oder Vernichtung von Außengruppen, ist ein Erbe, mit dem wir heute in große Schwierigkeiten geraten. Die vielen kriegerischen Auseinandersetzungen in der Menschheitsgeschichte, aber auch die gottlob harmlose Rivalität zwischen Städten (Köln – Düsseldorf), Landstrichen und Bevölkerungsgruppen (Preußen – Bayern) belegen unsere tiefliegende Neigung zur Ablehnung und zu aggressiven Tendenzen gegenüber Außengruppen. Die sozialpsychologische Forschung hat sich seit den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts intensiv mit diesem Phänomen beschäftigt, das seineWurzelninunsererEvolutionundinderunsererVerwandten, dengruppenbildenden Primaten, hat.

Das prosoziale Verhalten auf der anderen Seite dient der Innengruppe (Ingroup). Ohne Altruismus könnte sie nicht bestehen, und wenn die Gruppe durch altruistisches Handeln bessere Überlebenschancen hat, dann hat auch das Individuum größere Chancen, sich fortzupflanzen und seine Gene weiterzugeben. Aggression nach außen und Altruismus nach innen sind evolutionäre Grundmechanismen. Menschliche Kulturen rechtfertigen bis in die jüngste Zeit hinein den moralischen Widerspruch zwischen Aggression und Altruismus. Auch die Bibel und der Koran halten an der moralischen Zweiteilung des Altruismus in der Ingroup und der Aggression gegenüber der Außengruppe fest. Hier zwei Beispiele aus der Bibel.

Jakob zog mit seiner großen Familie in die Nähe der Stadt Sichem. Ein junger Mann aus der Stadt verliebt sich in Dina, eine Tochter Leas, und schläft mit ihr. Der junge Mann liebt Dina und will sie heiraten. Er sucht mit seinem Vater Jakob auf, und sie halten um die Hand seiner Tochter an. Verhandlungsergebnis: Wenn alle Männer der Stadt sich beschneiden lassen, darf der Liebhaber Dina heiraten. Die Männer Sichems beschneiden sich, aber am dritten Tag, als der Schmerz und das Jammern der Männer am größten ist, dringen zwei Brüder Dinas, Simeon und Levi, in Sichem ein „und sie erwürgten alles, was männlich war“... . „Da kamen die Söhne Jakobs über die Erschlagenen und plünderten die Stadt, darum dass sie hatten ihre Schwester geschändet... und nahmen ... all ihre Habe; alle Kinder und Weiber nahmen sie gefangen.“ (Genesis, 34). Jakob rügt zwar dieses Verbrechen, aber nur aus Angst, die Feinde könnten sich gegen ihn verbünden und ihn und seine Familie vernichten.

Der Gott des Mose gebietet sogar regelrecht den Genozid. Beim Angriff auf eine Stadt gebiet er:

„Wenn der Herr, dein Gott, sie in deine Gewalt gibt, sollst du alle männlichen Personen mit scharfem Schwert erschlagen. Die Frauen aber, die Kinder und Greise, das Vieh und alles, was sich sonst in der Stadt befindet, alles, was sich darin plündern lässt, darfst du dir als Beute nehmen. Was du bei deinen Feinden geplündert hast, darfst du verzehren; denn der Herr, dein Gott, hat es dir geschenkt. ... Aus den Städten dieser Völker jedoch, die der Herr, dein Gott, dir als Erbbesitz gibt, darfst du nichts, was Atem hat, am Leben lassen. Vielmehr sollst du die Hetiter und Amoniter, Kanaaniter und Perisiter, Hiwiter und Jebusiter der Vernichtung weihen“ (Dtn, 20; 13–17).

Aggression und Altruismus, böse und gut, sind in der Kulturgeschichte als Projektion in gute und böse Götter, in Gott und Teufel, aber auch in gute und bösen Menschen vergegenständlicht worden. Brauchen wir solche falschen Manifestationen? Werden wir auch weiterhin etwas nach außen projizieren, was in uns ist, auch wenn wir nun wissen, dass diese Projektionen irreal sind? Vermutlich schon, denn unsere Neigung zu projizieren dürfte ebenfalls tief in uns verankert sein. Also muss Aufklärung auch zusätzlich die Kenntnis psychologischer Gesetzmäßigkeiten vermitteln, mit deren Hilfe wir Projektionsmechanismen kontrollieren können. Doch davon wird erst später die Rede sein.

Welcher Weg bietet sich an, die Aggression gegenüber Außengruppen zu neutralisieren? Es ist das Verständnis, dass die gesamte Menschheit zur gleichen Gruppe gehört, also zur Ingroup wird. Nach sozialpsychologischen Gesetzmäßigkeiten würde das am besten gelingen, wenn es eine Bedrohung von außen gäbe, welche die gesamte Menschheit betrifft. In Science-Fiction-Darstellungen sind dies Aliens, die den Planeten angreifen. Aber wir sind zumindest von unserem Erkenntnisstand auch ohne Bedrohung in der Lage, die Gleichheit aller Menschen und ihr Recht auf Glück anzuerkennen. Der wohl bedeutendste Schritt zur Überwindung des auf den Verwandtschaftsgrad gegründeten Altruismus ist in der Ethik des Neuen Testaments zu sehen, die den „Nächsten“ nicht mehr durch die Nähe der biologischen Verwandtschaft und auch nicht durch die freundschaftliche Verbundenheit, sondern durch dessen Hilfsbedürftigkeit definiert. Das Gleichnis des barmherzigen Samariters, der im Gegensatz zum achtlos vorbeiziehenden gläubigen Juden dem ausgeraubten und verletzten Opfer eines Überfalls hilft, drückt diese kulturelle Wende treffend aus.

Es gibt auch noch andere triftige Gründe für den Zusammenhalt der Menschheit. Unser genetisches Potenzial weist mit Ausnahme einiger afrikanischer Gruppen eine so geringe Varianz (Diversivität) auf, dass wir sehr verletzlich und wenig widerstandsfähig sind. Dies könnte sich verhängnisvoll bei Pandämien auswirken. Die Globalisierung sorgt dafür, dass sich Krankheitserreger rasch über die ganze Welt verbreiten. Gemeinsame Aktionen zum Gesundheitsschutz sind daher unerlässlich. Vielleicht führt auch die drohende Klimakatastrophe doch noch zu einem vernunftgeleiteten Handeln der Menschheit.

Uneigennützigen Altruismus gibt es nicht, und das ist gut zu wissen

Aus psychologischer Sicht gibt es keinen selbstlosen Altruismus. Wir belohnen uns selbst, sei es, dass wir unser eigenes (Mit)Leid reduzieren, sei es, dass wir Mitfreude empfinden, wenn wir den anderen glücklich machen, sei es, dass wir soziale Anerkennung und Geborgenheit in der Gruppe erfahren oder sei es, dass wir durch Altruismus unsere Gene besser weitergeben können. Immer findet sich ein Motiv für Altruismus, das uns selbst auch Belohnung verschafft. Sogar wenn wir den Wert der uneigennützigen Hilfe oder den Kantschen Imperativ als oberstes Prinzip ansetzen, belohnen wir uns bei prinzipiengerechtem Verhalten in erster Linie selbst: wir befinden uns im Einklang mit unseren Wertvorstellungen. Aber daran ist ja auch nichts Schlimmes, im Gegenteil: wünschenswertes Verhalten kommt auch uns zugute und ist damit von der Idee her als handlungsleitendes Prinzip durchsetzungsfähig.



Unsere Wertvorstellungen haben sich schon jetzt auf das Wohlergehen aller Menschen ausgedehnt, auch wenn wir noch weit davon entfernt sind, die Verwirklichung dieses Ziels in greifbare Nähe zu rücken. Im Gegenteil, die Kluft zwischen Privilegierten und Benachteiligten wächst. Aber Recht auf ein glückliches Leben aller Menschen geht heute mehr denn je auf Kosten anderer Lebewesen, auf Kosten der Tiere und Pflanzen. Die Erhaltung unserer Spezies wird so zu einem egoistischen Altruismus größten Ausmaßes. Wir vernichten täglich Urwaldregionen, verursachen ein gewaltiges Artensterben und experimentieren mit Mäusen, weil sie wegen ihrer Ähnlichkeit mit uns besonders viel Information über uns liefern. Wir wären empört, würden die Mäuse uns als Versuchstiere benutzen, um mehr über sich zu erfahren. Wir halten uns Tiere in industrieller Produktionsweise und missachten ihre artgerechte Haltung. Wir vernichten Zehntausende von ihnen, wenn sie uns gesundheitlich gefährlich werden könnten. Was ist das für eine Moral? Es ist die Moral einer überheblichen Spezies, in deren ethische Überlegung noch kaum die Erkenntnis eingedrungen ist, dass wir sehr egozentrisch denken und immer noch den Menschen als Maß aller Dinge ansetzen.

Gespräch der Himmlischen

Athene: Aha, da kommt Ares. Der darf heute nicht fehlen.

Ares: Das kannst du zweimal sagen. Ich bin empört, wie hier die Aggression des Menschen behandelt wird. Ein schlimmes Erbe der Evolution? Unsinn! Kampf, Sieg und Niederlage bestimmen die Menschheitsgeschichte und die Mythen der Menschen. Schaut euch doch die Tempelfriese an, die sie uns gemeißelt haben. Geschichten vom Kampf, vom Heldentum.

Athene: Und von unsäglichem Leid.

Ares: Das Leid und der Tod gehören zum Helden, sie gehören zum Menschen. Wie Richard Wagner in seinem gewaltigen Opus „Der Ring des Nibelungen“ thematisiert, gibt es drei Grundkräfte, die den Menschen antreiben: die Liebe, den Kampf, also die Aggression, wenn ihr so wollt, und das Gold, die Gier nach Geld und Besitz. Wer dem Menschen die Aggression nimmt, macht aus ihm ein sanftes Täubchen, das zu nichts zu gebrauchen ist, als hinter dem Herd zu sitzen oder in beschaulichen, komfortablen Reisen sich kopfschüttelnd die Zeugnisse früherer Kriege und Eroberungen anzusehen. Aphrodite: Ich bin in dieser Frage zerrissen. Einerseits gefällt es mir schon, dass Männer um uns Frauen kämpfen und unseretwegen gar ihr Leben lassen. Andererseits hasse ich die Aggressivität der Männer und natürlich erst recht die der Frauen.

Athene: Du spielst sicher auf den Trojanischen Krieg an, in dem wegen einer Frau so viele Menschen sterben mussten, eine prächtige Stadt zerstört wurde und die Trojerinnen in Gefangenschaft und Sklaverei gerieten. In diesem Punkt wenigstens kann ich dich beruhigen. Der Trojanische Krieg war ein Wirtschaftskrieg, er ging um die Vorherrschaft des Handels in Vorderasien. Aber so etwas Unromantisches will niemand hören. Die meisten Kriege waren übrigens mehr oder minder auch Wirtschaftskriege. Aber zurück zum Kampf um die Frauen. Natürlich kämpfen die Männchen in der Evolutionsgeschichte um die Weibchen. Manchmal ist es nur ein Scheinkampf, wie bei den Hirschen, manchmal ist es aber auch ein echter Kampf, bei dem sich die Männchen schwer verletzen können.

Apoll: Ares hat in einem Punkt Recht. Die griechische Kunst, die uns in Tempeln und Statuen verherrlicht, wäre nichts ohne Kampf, Heldentum, Sieg und Niederlage. Aber wir haben schon damals eine Lösung gefunden, wie man mit Kampf und Heldentum umgehen kann, ohne die Grausamkeit des Tötens, des Schmerzes, ohne Rache und Leid: die olympischen Spiele. Sie standen von Anfang an unter unserem Schutz und sind der Prototyp für symbolisierte Kämpfe. Sieg und Niederlage enden nicht mit Tod und Leid, man kann erneut kämpfen mit einem anderen Ausgang, jeder kann gewinnen. Vertreter aus schwachen Regionen können denen aus starken überlegen sein. Bei dem Fußballspiel, das die Menschen heute so lieben, kann ein winziger Staat, wie die Niederlande gegen eine Weltmacht wie die USA siegen.

Athene: In der Tat sprechen die Soziologen von ritualisierten Kriegen bei sportlichen Wettkämpfen. Nur manchmal funktioniert das nicht. Da gibt es die Hooligans, die den sportlichen Wettkampf als echten Krieg nehmen und die Gegenpartei tätlich angreifen. Ares: Das hat nichts mehr mit heldenhaftem Kampf zu tun, das ist abartig. Ich verstehe die heutige Welt sowieso nicht. Einerseits wollen alle den Frieden, andererseits vernichten sich die Menschen. In Afrika sind schon Millionen getötet worden, ohne ehrenhaften Kampf, ohne Heldentum. Das ist nicht mehr meine Welt. (Geht ab.) Athene: Ich begrüße es jedenfalls, dass Intelligenz höher gewertet wird als Körperstärke und Aggressivität. Meine Lieblinge unter den Menschen sind die Schlauen, die Intelligenten, die Forscher, die Erfinder. Was hat der menschliche Geist schon alles hervorgebracht: Autos, Flugzeuge, Satelliten, Computer, Handys!

Apoll: Wieder kein Wort von der Kunst. Du siehst Atomkraftwerke, ich dagegen Museen. Du erfreust dich am Flugzeuglärm, ich an der Musik der Menschen. Du genießt die Glasfassaden der Wolkenkratzer, ich die Bilder und Statuen, auch wenn sie heute seltsame Formen annehmen. Du schaust auf die 95.000 Seiten von Verordnungen, die die Europäische Gemeinschaft sich ausgedacht hat, ich erfreue mich mehr an zehn Zeilen einer guten Lyrik.

Athene: Beidesgehörtzusammen. MaschinenundVerordnungenerleichterndasLeben, Kunst überhöht es.

Aphrodite: Wir haben ja noch andere Themen heute zu besprechen. Da wird endlich einmal laut ausgesprochen, dass sich Mann und Frau aufgrund ihrer Evolution von Anfang an unterscheiden. Sie sind eben verschieden, und das macht es ja auch so interessant, mit dem anderen Geschlecht in Kontakt zu kommen. Mit der Hypothese, dass Monogamie für den Nachwuchs Vorteile hätte, kann ich mich allerdings nicht anfreunden. Das gefällt sicherlich Hera, Hüterin der Ehe, weil sie nun auch noch evolutionäre Unterstützung für ihren Kampf erhält. Aber man kann genauso gut argumentieren, dass Vielweiberei und Vielmännerei Vorteile für den Nachwuchs bringt. Eine Frau, die sich mit vielen Männern paart, gibt ein breiteres Spektrum an Genvielfalt weiter als die monogame Frau, und der Mann, der viele Frauen hat, ist bezüglich seines Nachwuchses im Vorteil, weil er seine Gene viel häufiger weitergeben kann.

Athene: Bei der Frau stimmt dein Argument nicht, denn sie müsste daran interessiert sein, ihre eigenen Gene weiterzugeben, nicht die der Männer. Aber generell sind die Meinungen geteilt. Primatenforscher vertreten häufig die Ansicht, der Mensch sei auf Promiskuität angelegt. Es hängt wohl auch mit den Ressourcen zusammen, die zur Verfügung stehen. In menschlichen Gesellschaften hat sich Polygamie für diejenigen Männer durchgesetzt, die mehrere Frauen und deren Kinder ernähren können. Das Monogamie-Argument basiert auf einer Lebenssituation des frühen Homo sapiens, in der Mangel herrschte und nicht Überfluss. Bei knappen Ressourcen hat Monogamie Vorteile, zumindest bis der Nachwuchs aus dem Gröbsten heraus ist.

Dionysos: Du willst alles rational erklären. Der Mensch will aber zuallererst genießen, sich Lust verschaffen, ins Volle greifen – und immer dann kümmert er sich wenig um gesellschaftliche Vorschriften. Nicht umsonst gilt die Prostitution als das älteste Gewerbe.

Athene: Daran hat Goethe allerdings nicht gedacht, als er den Faust sagen ließ: Gefühl ist alles. Name ist Schall und Rauch.

Apoll: Nein, gewiss nicht, denn dort ging’s um Religion. Ja, der Mensch ist dionysisch, rauschhaft, voller Schöpferdrang und soll es auch sein. Aber er ist auch apollinisch, auf Form und Ordnung bedacht. Die Künstler, Dichter, Musiker brauchen beides. Erst war es Schelling, dann Nietzsche, die dieses Begriffspaar eingeführt und uns beide so schön zusammengebracht haben.

Aphrodite: Jedenfalls wehre ich mich dagegen, dass Männer von Natur aus polygam und Frauen monogam veranlagt seien. Wenn schon Promiskuität, dann für beide Geschlechter. Wir Frauen lieben schließlich auch die Abwechslung.

Dionysos: Dabei wäre es für Männer so bequem zu sagen: Wir können nicht aus unserer Haut, wir sind von Natur aus polygam. Also lasst uns unsere Seitensprünge. Athene: Menschliche Gesellschaften funktionieren nur, wenn auch – neben vielen anderen Dingen – das Sexualleben geregelt und bestimmten einschränkenden Normen unterworfen ist. Deshalb spielt es eigentlich keine Rolle, wie die Menschen von Natur aus angelegt sind. Die Kultur reguliert die Natur.

Dionysos: Menschen ertragen auf Dauer nicht, was gegen ihre biologische Natur ist: Askese, Einsamkeit, reine Geistigkeit führen zu seelischen und körperlichen Krankheiten. Wenn man schon immer wieder hervorhebt, dass der heutige Mensch nicht seinen evolutionären Wurzeln gemäß lebt, dann gilt das auch für sein Sexualleben.

Athene: Also müssten wir doch wissen, wie die Sexualität des Menschen beschaffen ist oder wir manipulieren die Gene, um einen besseren Menschen zu schaffen. Götter
Literatur

dürfen das. Auch die Menschen sind dabei, trotz aller ethischen Bedenken an sich herum zu basteln. Lasst uns abwarten, wie sie das anstellen. Alle: Lasst uns warten, ja! – Bei Nektar und Ambrosia.



Literatur

Albert, D. J., Walsh, M. L., & Jonik, R. H. (1993). Aggression in humans: What is its biological foundation? Neuroscience and Biobehavioral Reviews, 17, 405–425.

Alexander, G. M., & Hines, M. (2002). Sex differences in response to children’s toys in Nonhuman Primates (Cercopithecus aethiops sabaeus). Evolution and Human Behavior, 23, 467–479.

Bagemihl, B. (2000). Biologoical exuberance: Animal homosexuality and natural diversity. New York: St. Martin’s Press.

Bentley, R. A., Wahl, J., Price, T. D., Tim, C., & Atkinson, T. C. (2008). Isotopic signatures and hereditary traits: Snapshot of a Neolithic community in Germany. Antiquity, 82, 290–304.

Berman, M., Gladus, B., & Taylor, S. (1993). The effects of hormone type A on behavior pattern and provocation on aggression in men. Motivation and Emotion, 17, 125–138.

Bischof-Köhler, D. (1989). Spiegelbild und Empathie. Bern: Verlag Hans Huber.

Bischof-Köhler, D. (2006). Von Natur aus anders. Die Psychologie der Geschlechtsunterschiede (3 Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer.

Blanchard, R., & Bogaert, A. F. (1996). Homosexuality in men and number of older brothers. The American journal of psychiatry, 153(1), 27–31.

Boesch, C., Bolé, C., Eckhardt, N., & Boesch, H. (2010). Altruism in forest chimpanzees: The case of adoption. PLoS ONE, 5(1), e8901. doi:10.1371/journal.pone.0008901.

Bogaert, A. (2006). Biological versus nonbiological older brothersand men’s sexual orientation. www.pnas.orgcgidoi10.1073pnas.051115.

Bowlby, J. (1969). Attachment and loss: Vol. 1. Attachment. New York: Basic Books.

Bowlby, J. (1973). Attachment and loss. Vol. 2. Separation, anxiety, and anger. New York: Basic Books.

Braun, K., Antemano, R., Helmeke, C., Büchner, M., & Poeggel, G. (2009). Juvenile separation stress induces rapid region- and layer-specific changes in S 100ß- and glial fibrillary acidic proteinimmunoreactivity in astrocytes of the rodent medial prefrontal cortex. Neuroscience, 160, 629– 638.

Buss, D. M., & Schmitt, D. P. (1993). Sexual strategies theory: An evolutionary perspective on human mating. Psychological Review, 100, 204–232.

Byne, W. (1994). Homosexualität: Ein komplexes Phänomen. Spektrum der Wissenschaft. Heft, 7, 43–51.

Cahill, L. (2006). Sein Gehirn – ihr Gehirn. Spektrum der Wissenschaft. Heft, 3, 28–35.

Campbell, A. (1984). The girls in the gang: A report from New York city. Oxford: Blackwell.

Campbell, A. (1995). Zornige Frauen, wütende Männer. Geschlecht und Aggression. Frankfurt/M: Fischer.

Camperio-Ciani, A., Corna, F., & Capiluppi, C. (2004). Evidence for maternally inherited factors favouring male homosexuality and promoting female fecundity. Proceedings of Biological sciences/The Royal Society, 271(1554), 2217–2221.

Chapman, T., & Smith, J. (Eds.). (1985). Friendship and social relations in children. New York: Wiley. Freud, S. (1938). Abriß der Psychoanalyse. Frankfurt: Fischer taschenbuch (Ausg.1975).

Fry, D. P., & Söderberg, P. (2013). Lethal aggression in mobile Forager bands and implications for the origins of war. Science, 19(July 2013), 270–273.

Glickman, S. E., Zabel, C. J., Yoerg, S. I., Weldele, M. L., Drea, C. M., & Frank, L. G. (1997). Social facilitation, affiliation, and dominance in the social life of spotted hyenas. Annals of the New York Academy of Sciences, 807, 175–184.

Goymann, W., East, M. L., & Hofer, H. (2001). Androgens and the Role of Female “Hyperaggressiveness” in Spotted Hyenas (Crocuta crocuta). Hormones and Behavior, 39, 83–92.

Hamilton, W. D. (1963). The evolution of altruistic behavior. The American Naturalist, 97, 354–356.

Harlow, H. F., & Harlow, M. K. (1962). Social deprivation in Monkeys. Scientific American, 207, 136–146.

Lesch, K. P., & Merschdorf, U. (2000). Impulsivity, aggression, and serotonin: A molecular psychobiological perspective. Behavioral Sciences and the Law, 18, 581–604.

LeVay, S., & Hamer, D. H. (1994). Homosexualität: Biologische Faktoren. Spektrum der Wissenschaft. Heft, 7, 36–43.

Lorenz, K. (1965). Das sogenannte Böse. Wien: Borotha-Schoeler.

Lovejoy, C. O. (2009). Reexamining human origins in light of Ardipithecus ramidus. Science, 326(2009), 74, 74e1–74e8.

Mazur, A., & Booth, A. (1998). Testosterone and dominance in men. Behavioural and Brain. Sciences, 21, 353–397.

Meyer-Lindenberg, A. (2009). Tief verwurzeltes Statusdenken, Spektrum der Wissenschaft. Heft, 3, 19–20.

Oerter, R. & Montada, L. (Hg.) (1995). Entwicklungspsychologie. Weinheim: Beltz/PVU

Rizzolatti, G., & Sinigaglia, C. (2008). Empathie und Spiegelneurone: Die biologische Basis des Mitgefühls. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

Savic, I., & Lindström, P. (2008). PET and MRI show differences in cerebral asymmetry and functional connectivity between homo- and heterosexual subjects. In Proceedings of the National Academy of Sciences. doi:10.1073/pnas.0801566105.

Savin-Williams, R. C. (1979). Dominance hierarchies in groups of early adolescents. Child Development, 50, 923–935.

Savin-Williams, R. C. (1987). Adolescence: An ethological perspective. New York: Springer-Verlag.

Schjelderup-Ebbe, T. (1922–1924). Beiträge zur Sozialpsychologie des Haushuhns. Z. F. Psychologie, 88, 92, 95

Schmidt-Salomon, H. (2009). Jenseits von Gut und Bös. München: Piper.

Silk, J. (2012). Die Geburt der Paarbeziehung. Spektrum der Wissenschaft. Heft, 7, 15–18.

Sommer, V. (2008). Schimpansenland. Wildes Leben in Afrika. München: Beck.

Sommer, V., & Ammann, K. (1998). Die Grossen Menschenaffen: Orang-Utan, Gorilla, Schimpanse, Bonobo. München: BLV.

Van Vugt, M. (2009). Führen und Folgen. Spektrun der Wissenschaft. Heft, 12, 74–78.

de Waal, F. (1998). Bonobos. Basel: Birkhäuser Verlag.

White, T. D. (2001). Menschenfresser in der Altsteinzeit. Spektrum der Wissenschaft. Heft, 11, 15–17.

Wilson, E. O. (2013). Die soziale Eroberung der Erde. Eine biologische Geschichte des Menschen. München: Beck.

Yamamoto, S., Humle, T., & Tanaka, M. (2009). Chimpanzees help each other upon request. PLoS ONE, 4(10), e7416.


Yüklə 2,08 Mb.

Dostları ilə paylaş:
1   ...   7   8   9   10   11   12   13   14   ...   45




Verilənlər bazası müəlliflik hüququ ilə müdafiə olunur ©muhaz.org 2024
rəhbərliyinə müraciət

gir | qeydiyyatdan keç
    Ana səhifə


yükləyin