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Tab. 5.1 Unterschiede in der männlichen und weiblichen Gehirnorganisation bei sprachlichen Leistungen (verkürzt nach Kimura, 1983; in Oerter & Montada, 1995, S. 753).

Funktion


Gehirnlokalisation

Ergebnis


Männer

Frauen


Sprachproduktion

Linke Hemisphäre

Ausgeprägte Fokalität

bei Frauen

Vorn und hinten

Meist vorn



Wortschatz/

Wortdefinitionen



Linke Hemisphäre vorn und hinten

Beide Hemisphären vorn und hinten

Ausgeprägte Diffusion bei Frauen

Andere Sprachtests

(Wortflüssigkeit, Beschreibung ange-messenen sozialen Verhaltens)



Linke Hemisphäre vorn

Linke Hemisphäre vorn

Keine geschlechtsspezifischen Unter-schiede

Dimorphismus beim menschlichen Gehirn

Geschlechtsspezifische Unterschiede gibt es auch beim menschlichen Gehirn. Tabelle 5.1 zeigt einige Beispiele bei sprachlichen Leistungen. Bei Sprachproduktion, Wortschatz und Wortdefinition gibt es deutliche Unterschiede in der Aktivierung von Gehirnpartien, während andere Sprachleistungen, wie Wortflüssigkeit und angemessene Beschreibung sozialen Verhaltens keine Unterschiede erbrachten.

Anatomische Unterschiede zwischen den Geschlechtern zeigen sich bei ausgewählten Volumina von Gehirnarealen im Vergleich zum Gesamtvolumen des Großhirns. Manche Bereiche sind bei den Frauen größer, z.B. Teile der Stirnrinde, dem Sitz höherer kognitiver Funktionen, und Teile des limbischen Cortex, der für emotionale Reaktionen zuständig ist. Bei Männern dagegen sind Bereiche des Schläfenlappens, der räumliche Fähigkeiten mit repräsentiert, und die Amygdala, die auf emotional erregende Information reagiert, stärker ausgeprägt (Cahill 2006, S. 28). In Abb. 5.1 sind Unterschiede bei den Gehirnregionen für Frauen und für Männer gekennzeichnet.

Sexualunterschiede gibt es bereits auf Zellebene. So weisen Teile der weiblichen Schläfenrinde, die für Sprachverarbeitung und Sprachverständnis zuständig ist, eine größere Dichte der Neuronenzahl auf. Das Gleiche gilt für den Stirnlappen. Die Hauptursache für das Zustandekommen der Gehirnunterschiede zwischen den Geschlechtern dürften die Geschlechtshormone sein, in denen das Gehirn des Fötus regelrecht „badet“ (Cahill 2006, S. 30).



Evolutionsbiologische Geschlechtsunterschiede im Verhalten

Die neurologisch manifestierten Unterschiede zwischen den Geschlechtern wirken sich natürlich auch im Verhalten aus. Beginnen wir mit einem verblüffenden Experiment von





Abb. 5.1 Unterschiede im Gehirn beider Geschlechter (Cahill, 2006, S. 32, mit freundlicher Genehmigung von Jill Goldstein)

Alexander und Hines (2002). Sie präsentierten Grünen Meerkatzen verschiedene Gegenstände und maßen bei Männchen und Weibchen die Häufigkeit der Kontaktnahme. Dabei stellte sich heraus, dass die Weibchen sich mehr für eine bunte Pfanne und eine Puppe, die Männchen mehr für einen Ball und ein Spielauto interessierten. Bei anderen Gegenständen, wie einem Stofftier und einem Buch, gab es keine Geschlechtsunterschiede bezüglich der Präferenz. Noch ausgeprägter sind solche geschlechtsspezifischen Präferenzen von menschlichen Gegenständen bei unseren nächsten Verwandten, den Schimpansen. NatürlichzeigensichdiegleichenPräferenzenauchbeikleinenKindern. DieJungeninteressieren sich bekanntlich für Bagger, Kräne und Autos, die Mädchen mehr für Puppen, Kinderwagen und Essgeschirr. Die Ergebnisse der Untersuchungen an Meerkatzen sind verblüffend, denn in ihrem Ökosystem kommen Gegenstände wie Puppen und Autos nicht vor. Zudem gab es solche Gegenstände in der Vergangenheit nicht, in der sich diese Tiere entwickelt

5.2 Geschlecht

haben. Die einfachste Erklärung ist die vormenschliche geschlechtsspezifische Arbeitsteilung bei Tieren. Die Aufgaben der Pflege und des Schutzes der Jungtiere liegen bei den meisten Säugetieren beim Weibchen, während das Männchen sich im größeren Umfeld bewegt und spätestens bei den Primaten Werkzeuge benutzt. Das „Werkzeugdenken“ ist vermutlich daher bei den Männchen stärker ausgeprägt als bei den Weibchen. Kein Wunder also, wenn sich männliche Meerkatzen für Werkzeuge interessieren, auch wenn sie diese noch gar nicht kennen.

Bei Menschen finden sich erste Unterschiede in der Präferenz von Umweltausschnitten bereits bei Säuglingen (Bischof-Köhler 2006). Manche Kinder bevorzugen Dinge, andere Personen. Die Bevorzugung der Dingwelt findet sich häufiger bei männlichen, die der sozialen Welt häufiger bei weiblichen Säuglingen. Schon im zweiten Lebensjahr zeigen sich darüber hinaus die in obigen Beispielen gefundenen typischen geschlechtsspezifischen Interessen. Es lässt sich kaum leugnen, dass sich Geschlechtsunterschiede bezüglich psychischer Merkmale und des Verhaltens in der Evolution herausgebildet haben. Es wäre aber falsch zu behaupten, dass psychische Unterschiede zwischen den Geschlechtern ein für alle Mal festgelegt und in der Natur der Geschlechter verankert seien. Dies wird uns noch genauer in Kap. 8 und Kap. 9 zu beschäftigen haben.

Die neurologischen Geschlechtsunterschiede wirken sich über die Interessen hinaus auch im sonstigen Erleben und Verhalten aus. Eine riesige Zahl von Untersuchungen zeigt jedoch, dass sich kaum Geschlechtsunterschiede in geistigen Leistungen finden lassen. Am ehesten gibt es noch Differenzen beim Sprachverständnis (Überlegenheit der Frau) und bei Leistungen der Raumvorstellung (Überlegenheit des Mannes). Insgesamt ist jedoch die Variation innerhalb der Geschlechter größer als die zwischen den Geschlechtern. Anders verhält es sich mit der Auswahl von Reizmustern aus der Umwelt. Wie schon die Spielzeugpräferenz gezeigt hat, scheint es von Anfang an Unterschiede in der Bevorzugung von Reizmustern zu geben. Je früher solche Unterschiede beobachtet werden können, desto wahrscheinlicher sind sie auf evolutionär-biologische Ursachen zurückzuführen. BaronCohen und seine Mitarbeiter (zit. nach Cahill 2006) fanden, dass einjährige Mädchen ihre Mütter länger und öfter anschauen als gleichaltrige Jungen. Mädchen schauen länger auf ein Bild mit einem Gesicht, Jungen länger auf ein Auto. Baron-Cohen und Mitarbeiter wollten es aber noch genauer wissen und filmten die Reaktionen von Babys, die erst einen Tag alt waren. Man präsentierte ihnen entweder live das freundliche Gesicht einer Frau oder ein farbiges Mobile, das Teile des gleichen Gesichts ungeordnet enthielt. Die Mädchen verbrachten mehr Zeit damit, das weibliche Gesicht anzuschauen, die Jungen präferierten das Mobile (Abb. 5.2).

Angesichts dieser Befunde, die sowohl neurologisch wie psychologisch Unterschiede zwischen den Geschlechtern belegen, kann man leicht zu der Schlussfolgerung gelangen, Mädchen und Frauen besäßen eher sprachliche und soziale Kompetenzen, Männer eher technisch-naturwissenschaftliche Fähigkeiten. Eben dies behauptete der Präsident der Harvard-Universität Lawrence Summer auf einer Konferenz im Januar 2005 und löste damit eine heftige Diskussion aus. Wir werden noch zeigen, dass diese plakative Unterscheidung zu simpel ist.



Abb. 5.2 Meerkatzen bevorzugen geschlechtsspezifisches Spielzeug. Darunter sind die Zeiten in Prozentzahlen angegeben, in der sich die Tiere mit dem Spielzeug beschäftigt haben. (Cahill 2006, S. 31, Bilder von Gerianne M. Alexander, mit freundlicher Genehmigung des Elsevhier Verlags). In der Grafik darunter sind die Zeiten in Prozentzahlen angegeben, in der sich die Tiere mit dem Spielzeug beschäftigt haben.)
Tab. 5.2 Selektionsprobleme von Männern und Frauen bei der Partnersuche für Kurz- und

Langzeitstrategien. (Nach Buss und Schmidt 1993, S. 207)



Kurzzeitstrategien

  1. Problem der Anzahl derPartnerinnen

  2. Suche nach sexuellerreichbaren Frauen

  3. Minimierung von Kosten

  4. Problem der Schwangerschaft

  1. Aspekt unmittelbarer Vorteile

(materieller und ideeller Profit)

  1. Chance der Einschätzung vonKurzzeitpartnern als mögliche

Langzeitpartner

  1. Problem der Qualität der Gene

  2. Problem des Partnerwechselsund der Schaffung einer Reserve von Partnern

Langzeitstrategien

  1. Suche nach sichererPartnerschaft

  2. Reproduktiver Wert derFrau

  3. Problem der Verpflichtung

  4. Qualität der Gene

  1. Finden eines Partners, der überRessourcen verfügt

  2. Finden eines Partners, der auchwillens ist zu investieren

  3. Finden eines Partners, der Schutzgewährleistet

  4. Problem der Verpflichtung

  5. Suche nach einem guten Vater

  6. Qualität der Gene

5.3 Sexualität

Heterosexualität

Bei den meisten Säugetieren ist das Sexualverhalten zeitlich sehr eingeschränkt. Ein oder zweimal im Jahr kommt es zum Paarungsverhalten. Sicherlich, Mäuse und Ratten haben häufiger Sex, aber sie können sich nicht mit dem Menschen messen, dessen Sexualität über Jahrzehnte ohne Pause aktiv bleibt. Die ständige sexuelle Bereitschaft und Potenz des Menschen hat Folgen für die Bildung von Sozialstrukturen, vor allem für die Gründung von familienähnlichen sozialen Gebilden.

Hierbei lassen sich aus evolutionärer Perspektive zwei Strategien des Paarungsverhaltens unterscheiden (Buss und Schmitt 1993). Die erste bezieht sich auf das Ziel, möglichst viele Nachkommen zu erzeugen und damit die eigene DNA weiterzugeben. Sie wird als Kurzzeitstrategie bezeichnet. Eine zweite Strategie bezieht sich auf die Tendenz, den eigenen Nachwuchs zu schützen und ihn am Leben zu erhalten. Dies erfordert eine Langzeitstrategie. In Tab. 5.2 sind die Selektionsaspekte beider Strategien für Männer und Frauen zusammengestellt. Zunächst scheint es für den Mann nahezuliegen, sich mit möglichst vielen Frauen zu paaren, weil die Beschränkung auf nur eine Partnerin, die Zahl der Nachkommen und damit die Weitergabe der eigenen DNA drastisch reduziert. Für die Frau hingegen ist es wichtiger, einen Partner zu finden, der gute (gesunde) Gene hat und damit das Optimum für die Weitergabe der eigenen DNA gewährleistet. Aber auch für den MannistdieLangzeitstrategiebedeutsam; dennaufdieseWeiselässtsichsicherstellen, dass der eigene Nachwuchs wirklich die eigenen Gene enthält und dass er nur so sicher aufzuziehen ist. Dies würde monogame Familienstrukturen nahelegen. Der Widerspruch zwischen Kurz- und Langzeitstrategien löst sich auf, wenn man Risiken und Chancen beider Seiten abwägt. Dann nämlich erweist sich monogames Verhalten „unterm Strich“ als vorteilhaft. FürdiePartnerwahleignensichzunächstKurzzeitstrategien, weilaufdieseWeisediewechselseitige Partnersuche ausgeweitet wird. Der Vergleich mit heutigen Jugendlichen liegt dabei nahe. Jugendliche orientieren sich zunächst an Kurzzeitstrategien, sehen aber langfristig dauerhaft familiäre Beziehungen als wünschenswert an. Das Jugendalter entspricht dem Lebensabschnitt der Partnerselektion, während nach erfolgter Festlegung monogame Partnerbeziehungen die Aufzucht und das Überleben des Nachwuchses sicherstellen. Die Tabelle zeigt, dass für Frauen die Langzeitstrategie wichtiger aber auch schwieriger ist. Da sie die gute Genqualität und das Überleben der Nachkommen gewährleisten muss, hängt letztlich von den Langzeitbeziehungen alles ab. Dass monogame Beziehungen heute schon fast zu 50% nur kurz halten, lässt sich aus evolutionärer Perspektive damit begründen, dass die Überlebenschancen des Nachwuchses in einer Überflussgesellschaft auch ohne dauerhafte Partnerschaft gesichert sind und der Mann für die erneute Weitergabe seiner Gene frei wird.

Die Überlagerung durch kulturelle Einflüsse ist jedoch so groß, dass dieses evolutionäre Argument etwas mager erscheint. Vor allem bereitet das Faktum Schwierigkeiten, dass heute Frauen häufig die Scheidung einreichen, auch wenn die Kinder noch nicht erwachsen sind. Hier liegt ein Fall vor, der auch sonst noch häufig auftauchten wird: wir können und sollten nicht alles auf die Evolution des Menschen reduzieren.

Manche Forscher vermuten, dass sich Monogamie bereits mit der Entstehung des aufrechten Ganges als Überlebensvorteil erwiesen hat (Lovejoy 2009). Die freigewordenen Hände konnten effizienter Nahrung sammeln, tragen und sie den anderen Familienmitgliedern überbringen. Beide Elternteile konnten sich um den Nachwuchs kümmern. Der Mann schaffte Nahrung aus einem weiteren Umkreis herbei, sodass die Mutter jeden Säugling besser nähren und beschützen und auch (im Vergleich zu den großen Menschenaffen) mehr Kinder gebären konnte. Zudem konnte der Mann nur bei monogamer Beziehung sicher sein, die eigenen Gene an den Nachwuchs weiterzugeben. Für die Frau waren monogame Beziehungen ohnedies vorteilhafter. Sie stand dem Mann zu sexuellen Kontakten zur Verfügung, was sich angesichts der permanenten sexuellen Bereitschaft des Homo sapiens (und vermutlich der übrigen Menschenarten) wohl als Vorteil erwies, da neue Partnersuche mit Konflikten in der Gruppe und mit Aufwand verbunden war, der das Überleben in der Savanne gefährdete. Monogame Beziehungen dauerten bis etwa vor vierzigtausend Jahre ohnedies höchstens zehn bis zwölf Jahre, denn die Menschen wurden nicht älter als dreißig Jahre.

Polygamie und Polyandrie dürften demgegenüber kulturelle Phänomene sein, die sich dann etablieren, wenn die wirtschaftliche Absicherung dies erlaubt, wenn also für das Zusammenleben mit mehreren Frauen (bei der Polygamie) oder mit mehreren Männern (bei der Polyandrie) genügend Ressourcen zur Verfügung stehen. Dies verlangt allerdings gewöhnlich das Vorhandensein einer gesellschaftlichen Schichtung, da nur Personen mit höherem Status über die nötigen Ressourcen verfügen. Dann erweisen sich solche Familienstrukturen evolutionär als Vorteil, weil sich die Zahl der Nachkommen und damit die Verbreitung der eigenen Gene erhöht.



Gruppenbildung vor Paar- und Haremsbeziehungen

Die eben beschriebenen Spekulationen über Monogamie mögen richtig sein, aber sie entbehren der empirischen Grundlage. Es gibt jedoch inzwischen Daten, die nahelegen, dass die Entstehung von Gruppenstrukturen vor Paarbeziehungen in der Evolution auftaucht und nicht umgekehrt Paarbeziehungen vor Gruppenbeziehungen auftraten. Joan Silk (2012) berichtet über Forschungsergebnisse der Anthropologen Susanne Shulz, Christopher Opie und Qeuntin D. Atkinson zur Entstehung fester Gruppen bei den Primaten. Die Forschergruppe stellte sich die Frage, wie sich Sozialstrukturen bei Primaten gebildet haben könnten. Auffällig ist zunächst schon einmal, dass die meisten Primaten in Gruppen leben und nicht als Einzelgänger. Shulz und Kollegen verglichen die Gruppenbildung von 217 heute lebenden Primatenarten hinsichtlich ihrer genetischen Verwandtschaft. Je enger die Arten verwandt sind, desto ähnlicher sind die Gruppenstrukturen. Gemäß ihren Analysen formten sich vor ca. 52 Mio. Jahren die als Einzelgänger lebenden Primaten zu losen Verbänden. Daraus entstanden festere Gruppierungen mit Mitgliedern beiderlei Geschlechts. Erst danach, nämlich vor etwa 16 Mio. Jahren bildeten sich Primatenarten heraus, die Paar- oder Haremsbeziehungen hatten (ein Männchen mit mehreren Weibchen). Die evolutionäre Entwicklung verläuft also von der Herausbildung fester Gruppen zu Paarbeziehungen und nicht umgekehrt in Form des Zusammenschlusses von Paaren zu Gruppen. Dieser Befund gilt aller Voraussicht nach auch für Homo sapiens, der sich vor fünf bis sieben Millionen Jahren vom Schimpansen getrennt hat. Wenn dem so wäre, müssten die obigen Überlegungen des evolutionären Vorteils monogamer Beziehungen modifiziert werden. Auch Homo sapiens lebte wohl in festen Gruppenbeziehungen, innerhalb derer sich erst dann Paarbeziehungen herausbildeten.



Homosexualität

Auf den ersten Blick ist Homosexualität für die Evolution einer Spezies dysfunktional, denn gemäß der Evolutionstheorie setzen sich nur Merkmale dauerhaft durch, die dem Träger helfen, sein Erbmaterial möglichst erfolgreich weiterzugeben. Dieses „Darwinsche Paradoxon“ hat Evolutionsbiologen schon seit langem beschäftigt, hätte doch eine genetisch bestimmte Veranlagung für Homosexualität eigentlich im Lauf der Evolution verschwinden müssen. Da sie sich aber offensichtlich durchsetzen konnte, muss sie andere evolutionäre Vorteile besitzen. Bagemihl (2000) folgert aufgrund seiner Feldbeobachtungen und der Sammlung homosexueller Verhaltensweisen im Tierreich, dass der Sexualtrieb mit seinem Erzeugen von Lust und Entspannung in der Natur hauptsächlich dem Herstellen und Festigen von Sozialkontakten und dem natürlichen Abbau von Stress dient und nur eher sekundär auch die Fortpflanzung garantiert. Homosexualität ist nicht nur bei den meisten Säugetieren eine weitverbreitete Erscheinung, sie wird auch bei Vögeln, Reptilien, Fischen und sogar Insekten oft praktiziert. So stehlen beispielsweise manche männliche Trauerschwäne Australiens Eier aus den Nestern heterosexueller Paare, bauen größere Nester und schützen ihre Jungen besser vor Feinden, weil sie stärker sind. Der von homosexuellen Paaren aufgezogene Nachwuchs erreicht das Erwachsenenalter dabei häufiger als derjenige von gemischtgeschlechtlichen Paaren. Bei anderen Vogelarten gibt es weibliche Paare, die nach der Befruchtung das Männchen vertreiben und danach doppelt so viele Eier legen. Sie übernehmen nach dem Ausbrüten allein die Aufzucht. Homosexuelle Paare sind also bei manchen Tierarten erfolgreichere Eltern als heterosexuelle Paare. Bei ca. 1.500 Tierarten wurde gleichgeschlechtliches Sexualverhalten festgestellt, wobei ca. ein Drittel dieser Fälle gut dokumentiert ist.

Die Hauptfunktion von Homosexualität bei sozialen Tierarten scheint aber im Abbau von Spannungen und der Aufrechterhaltung des sozialen Friedens zu liegen. Unter Delphinarten gibt es zahlreiche Formen homosexuellen Verhaltens. Diese Verhaltensweisen festigen vermutlich die Beziehungen zwischen jungen Delphinen, treten aber auch bei DominanzkämpfenaufundkönntenhierdieFunktiondesAbbausvonSpannungenhaben. Bekannt ist das reichhaltige Sexualverhalten der Bonobos, der Zwergschimpansen. Bonobos sind eine bisexuelle Tierart. Paarungsversuche und sexuelle Spiele dienen permanent als sozialer Ausgleich zur Lösung von Konflikten und schlicht auch als Lustgewinn.

Homosexualität ist also keine Ausnahme, sondern eher die Regel im Tierreich. Daher fügt sich menschliche Homosexualität gewissermaßen als Normalfall ein. Aber auch beim Menschen muss Homosexualität evolutionären Vorteil bieten. Claudio Capiluppi von der Universität Padua und seine Mitarbeiter (Camperio-Ciani et al. 2004) bieten aufgrund ihrer Untersuchungen eine erste Erklärung. Sie untersuchten die Verwandtschaft von homound heterosexuellen Männern auf die Anzahl der Nachkommen und ihre sexuelle Orientierung hin. Nach ihrer Erklärung wird Homosexualität bei Männern über die mütterliche Linie vererbt. Die gleichen genetischen Faktoren erhöhen aber die Fruchtbarkeit der weiblichen Verwandten. Auf diese Weise ist auch die Weitergabe des genetischen Materials der Brüder sichergestellt. Wenn dies generell gilt, setzt sich die genetische Basis für Homosexualität infolge der größeren Zahl von Nachkommen immer wieder durch. Aber immer noch ist die Diskussion, ob Homosexualität genetisch bedingt ist, in vollem Gange. Schon um die Mitte des vorigen Jahrhunderts untersuchte Kallmann eineiige und zweieiige männliche Zwillinge, bei denen mindestens einer von beiden sich selbst als schwul bezeichnete (zit. nach LeVay und Hamer 1994). 100% der eineiigen Zwillinge hatten Brüder, die ebenfalls schwul waren, während bei den zweieiigen Zwillingen kein Unterschied zur allgemeinen männlichen Bevölkerung auftrat. Auch Schlegel fand damals Hinweise auf genetische Komponenten der Homosexualität. In den neunziger Jahren entdeckte Hamer einen Abschnitt auf dem X-Chromosom (ein genetischer Marker), den er als eine Bedingung für Homosexualität ansah (in: LeVay und Hamer 1994). Er fand denn auch, dass Brüder, die diesen Marker hatten, beide schwul waren. In einer späteren Untersuchung an eineiigen männlichen Zwillingen wurde jedoch nur bei der Hälfte der einbezogenen Paare Homosexualität für beide Brüder festgestellt. Damit steht auch die früher von Kallmann und Schlegel gefundene genetische Komponente bei eineiigen Zwillingen in Frage, obwohl die Erbkomponenten auch bei 50% der Fälle immer noch hoch ist.

Auch von Gehirnunterschieden wird berichtet. Nach den schwedischen Forschern Savic und Lindström (2008) weist das Gehirn von homosexuellen Frauen eine ähnliche Asymmetrie auf wie bei heterosexuellen Männern, während sich bei den Gehirnen von homosexuellen Männern und heterosexuellen Frauen keine diesbezüglichen Ähnlichkeiten finden ließen. Auch andere Unterschiede bezüglich der Dichte von Gehirnfasern konnten gefunden werden.

Die kanadischen Forscher Blanchard und Bogaert (1996) fanden in einer großen Erhebung, dass jüngere Brüder häufiger homosexuell werden als ältere Brüder. Bogaert (2006) belegte in einer Nachuntersuchung, dass es sich dabei um einen rein biologischen Effekt handelt, da Adoptivkinder von diesem statistischen Trend nicht betroffen waren. Der Autor nimmt an, dass biochemische Prozesse bei der Mutter während der Schwangerschaft mitdemerstenmännlichenKindausgelöstwerden, diesichbeijedemweiterenmännlichen Nachkommen verstärken und so den Effekt des gehäuften Auftretens von Homosexualität bei jüngeren Brüdern hervorrufen.

Mit der evolutionstheoretischen Erklärung menschlicher Homosexualität tun sich die Forscher allerdings schwer. Man könnte annehmen, Homosexualität diene der Gesamtfitness der Sippe, weil sich bei Anwesenheit von Homosexuellen eine größere Anzahl von Menschen um ein neugeborenes Kind kümmern kann. Homosexuelle würden zwar weniger Kinder zeugen als Heterosexuelle, dafür aber ihr Erbgut bei der Betreuung von Nichten und Neffen sicherstellen. Diese Begründung überzeugt nicht sehr, da es sich dann um Gruppenselektion handelt, die Evolutionstheorie heute jedoch von der Individuumselektion ausgeht.

PlausiblererscheinendieVorschlägevonCamperio-CianiundMitarbeitern(2004), wonachdiegrößereFruchtbarkeitderSchwesternvonhomosexuellenMännernfürErhaltund Verbreitung des genetischen Materials sorgt. Auch die vielleicht nicht genetisch bedingte Tendenz des häufigeren Auftretens von Homosexualität bei jüngeren Brüdern mag für die Verbreitung der genetischen Basis mitspielen. Im ersteren Falle dient Homosexualität der Vermehrung der Nachkommenschaft, im letzteren Falle wäre sie eher ein Beiprodukt, dessen evolutionäre Nutzen allenfalls darin bestünde, dass zu viele männliche Nachkommen in der Sippe nicht genügend Ressourcen für ihre Nachkommen zur Verfügung haben, während Schwestern größere Chancen für das Überleben der Nachkommenschaft bieten.

Wiederum zeigt sich, dass evolutionäre Ursachen allein Homosexualität, wie auch sexuelles Verhalten generell, nicht hinreichend erklären. Wir benötigen zusätzliche Erklärungskomponenten und werden sie später in der Kultur und individuellen Entwicklung aufspüren.

5.4 Status

Status und Ranghierarchien als spontaner Prozess

Bei Tieren, die in Gruppen oder sozialen Verbänden leben, bildet sich gewöhnlich eine Ranghierarchie heraus. Schjelderup-Ebbe (1922–1924) fand die berühmte Hackordnung bei Hühnern. Primatenforscher untersuchten soziale Hierarchien beim Schimpansen, bei den Pavianen und anderen Affenarten. Immer zeigt sich das gleiche Bild: ein Tier, gewöhnlich ein Männchen, hat den höchsten Status und verteidigt ihn gegenüber Versuchen, ihm diesen Rang abspenstig zu machen. Da der Mensch auch ein soziales Tier ist, müsste man erwarten, dass auch bei ihm die Festlegung von Rangplätzen eine evolutionäre Basis besitzt. Nun ist allerdings der Status bei Erwachsenen durch kulturelle und gesellschaftliche Strukturen so weit festgelegt, dass man nicht unmittelbar auf biologische Wurzeln rückschließen kann. Bessere Hinweise erhält man, wenn sich einerseits Gehirnstrukturen ausmachen lassen, die auf Status anderer reagieren und wenn man andererseits Situationen aufsucht, in denen der Mensch wenig oder keinen kulturellen Rückhalt hat und sich nicht auf gesellschaftlich zugewiesenen Status berufen kann.

Letzteres ist am ehesten der Fall bei Kleinkindern, die noch wenig sozialisiert sind und eventuell bei Jugendlichen, die unter sich Rangplätze nicht nach gesellschaftlich sanktionierten Regeln verteilen. Bei Kleinkindern kristallisieren sich in der Tat in einer Gruppe (zwei oder mehr Kinder) innerhalb kurzer Zeit des Beisammenseins die Rangpositionen des Führers (der Führerin) und der Gefolgsleute heraus. In fast jeder Kindergruppe, wie sie vor allem in der Kinderkrippe gegeben ist, gibt es auch den Underdog, der von den Kindern mit nachtwandlerischer Sicherheit gefunden und malträtiert wird. Im Kindergarten bilden sich Rangordnungen noch klarer heraus. Dabei bleiben Rangordnungen im Vergleich zu späteren Gruppenstrukturen eindimensional. In Schulklassen gibt es dann bereits differenziertere Strukturen, so den dominanten Führer und den Beliebtesten der Klasse. Beide Positionen fallen meist nicht zusammen (Chapman und Smith 1985).

Im Jugendalter können sich ebenfalls natürliche Ranghierarchien bilden, vorausgesetzt, die Jugendlichen werden nicht von außen gesteuert oder gestört. Savin-Williams (1979, 1987) hatte Gelegenheit, solche Situationen zu beobachten. Er registrierte das Verhalten von Jugendlichen in Ferienlagern bei zehn Gruppen. Dabei gab es bei allen das gleiche Muster. In den ersten Tagen des Beisammenseins, also der Konsolidierungsphase der Gruppe, übernahm ein Mitglied die Führung und wurde danach auch weiterhin von den übrigen Mitgliedern anerkannt. Bemerkenswerterweise war der Alpha nicht ausgeprägt aggressiv, sondern zeigte im Gegenteil mehr als die anderen Mitglieder auch prosoziales Verhalten. Diese Verbindung von Dominanz und Hilfeleistung stabilisierte die Gruppe und hatte nach Beobachtungen des Autors eine stressmindernde Wirkung. Bei den Mädchengruppen gab es ein ähnliches Bild. Die Führerin galt in der Gruppe als attraktiv, intelligent und war sportlich-athletisch. Bei beiden Geschlechtern war die Führungsperson körperlich weiterentwickelt, aber nicht frühreif, größer und schwerer sowie etwas älter. Dass Körpermerkmale eine deutliche Rolle spielten, spricht dafür, dass wir hier eine


5.4 Status

Statusentwicklung vor uns haben, die noch stark an die evolutionären Kriterien von Status im Tierreich erinnern. Dort sind die Alphatiere auch größer und stärker. Andererseits reichen beim Menschen offenkundig die Körpermerkmale nicht aus, es treten Fähigkeiten des sozialen Geschicks als unentbehrliche zusätzliche Anforderungen hinzu. Dies ist auch aus evolutionärer Sicht plausibel: in menschlichen Gruppen ist die Regulation nur durch Empathie und soziales Geschick möglich.

Ob sich Frauen und Männer prinzipiell im Statusstreben unterscheiden, ist nicht leicht nachzuweisen. Bischof-Köhler (2006) behauptet, dass der Kampf um Dominanz und Status eine typisch männliche Domäne sei. Bei Frauen stehe die „Geltungshierarchie“ im Vordergrund, die aufgrund von gesellschaftlich nützlichen Eigenschaften zustande kommt. Die Strategie der Geltungshierarchie stünde auch den Männern offen, doch diese besäßen immer noch zusätzlich die Strategie des Kampfes um Macht und Vorherrschaft. Dass Frauen in unserer Gesellschaft weniger um Macht kämpfen als Männer, lässt sich aber nicht unbedingt aus der Evolution ableiten. Bei den Bonobos, den Zwergschimpansen, etablieren beispielsweise sowohl die Weibchen als auch die Männchen in einer Gruppe ihre Rangordnung (de Waal 1998). Innerhalb der Großgruppe bilden die Weibchen den Kern und übernehmen auch die Führungsrolle. Eine Dominanz der Männchen über die Weibchen ist kaum zu beobachten, es gibt sogar Berichte über ein ausgesprochen aggressives Verhalten der Weibchen gegenüber den Männchen. Generell sind die Beziehungen zwischen den Weibchen einer Gruppe viel enger als die zwischen den Männchen. Interessanterweise halten die Männchen zeitlebens einen engen Kontakt mit ihrer Mutter aufrecht – sie bleiben im Gegensatz zu den Weibchen dauerhaft in ihrer Geburtsgruppe. Die Stellung der Männchen in der Gruppenhierarchie dürfte daher auch vom Rang ihrer Mutter abhängen. Bei den Bonobos gibt es somit eine matriarchalische soziale Ordnung. Wenn schon so nahe Verwandte von uns wie die Zwergschimpansen weibliche Dominanzhierarchien aufweisen, erscheint die These von ausgeprägten Geschlechtsunterschieden hinsichtlich der Statusbildung unwahrscheinlich.

Hingegen dürfte sich in der Evolution ein Zusammenhang zwischen Status und Fortpflanzungserfolg herausgebildet haben. Man hat mehrmals längere Zeit Tüpfelhyänen in Tansania beobachtet. Dabei zeigte sich, dass statushöhere Weibchen Söhne hatten, die schneller wuchsen, sich früher fortpflanzten und mehr Nachkommen hatten als die Söhne niedrigrangiger Mütter. Dieser Nachweis gelang aufgrund langjähriger Beobachtung an über 5.000 Hyänen und anhand von DNS-Proben an 800 Tieren. Hyänen leben also in matriarchalisch geprägten Rudeln (Goymann et al. 2001; Glickman et al. 1997).

Historisch gesehen gab es auch beim Menschen Fortpflanzungserfolge von Statushöheren, doch sind hier kulturelle Entwicklung (z. B. Erbnachfolge bei Fürsten) und biologische Evolution (Recht des Stärkeren) vermengt. Heute beobachten wir in demokratischen Gesellschaften westlicher Prägung eine umgekehrte Entwicklung: statusniedrige Familien bzw. Schichten haben mehr Kinder als statushöhere Gruppierungen. Die biologische Tendenz zur Erzeugung eines möglichst zahlreichen Nachwuchses dominiert über die Tendenz zur Sicherung und Optimierung des Nachwuchses durch seine Reduzierung. Generell gibt es aber heute einen Zusammenhang zwischen Wohlstand und Kinderzahl. Gesellschaften mit größerem Wohlstand haben weniger Kinder, weil für eine geringe Anzahl von Kindern eine bessere Entwicklung und eine optimale Positionierung in der Gesellschaft möglich wird.


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