Kirchenbau


Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt Kirchbau in der Gegenwart



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Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt
Kirchbau in der Gegenwart

"Vom heiligen Christophorus ist uns überliefert, dass er das Christuskind mit der Weltkugel von einem Ufer zum anderen trug. Heute braucht sich niemand durch das Wasser tragen zu lassen, um nach Sylt zu gelangen. Die meisten Menschen fahren über den Hindenburgdamm und nicht mit dem Schiff. Trotzdem erleben Sie an manchen Tagen, wie stürmisch eine solche Überfahrt sein kann", so lauten die Grußworte des Hamburger Diözesanbischofs Ludwig Averkamp anlässlich der Kirchweihe von St. Christophorus in Westerland am Palmsonntag, dem 30. April 2000. Seit dieser Zeit trotzt das "Kirchenschiff" den Inselstürmen und nimmt Inselgemeinde und Urlauber an Bord. Der rote mächtige Backsteinbau und vor allem die Gestaltung des Innenraums geben Zeugnis von dem liturgischen Verständnis, das den an der Schwelle zum dritten Jahrtausend entstandenen Kirchbau prägt und formt.

Als im Jahr 1991 der Entschluss fällt, die Vorgängerkirche, bestehend aus Sommer- und Winterkirche, aufgrund gravierender Bauschäden abzureißen und durch einen Neubau zu ersetzen, ergreift die Gemeinde die ihr gebotene Chance, die Gestalt ihrer Kirche mitbestimmen zu können. "Die katholische Inselgemeinde hier auf Sylt ist eine kleine Diasporagemeinde. Etwa 1800 Katholikinnen und Katholiken finden sich in der Kartei – viele sind sicher nur mit zweitem Wohnsitz hier angesiedelt", sagt Pfarrer Albert Sprock. Im Sommer aber, wenn sich die "Insulaner" unter den zahlreichen Gästen verlieren, entsteht auf Sylt mit seinen drei katholischen Kirchen die größte katholische Gemeinde Deutschlands. Um für die Inselbewohner und ihre Gäste in Westerland ein entsprechendes Gotteshaus zu schaffen, werden mehrere Architekten mit einem Entwurf beauftragt – der Anfang eines spannenden Prozesses. Bei der ersten Präsentation, zu der auch die Gemeinde eingeladen ist, scheint keines der vorgeschlagenen Konzepte recht zu überzeugen. Schließlich fällt der Entschluß, das von Architekt Prof. Dieter Baumewerd aus Münster vorgelegte Modell weiter zu entwickeln, wozu man den Liturgiewissenschaftler Prof. Gerhards zu Rate zieht. Die Grundidee des Vorschlags spricht an: Baumewerd sieht ein sogenanntes Ellipsen-Modell vor, welches der theologischen Vorstellung des neueren Kirch-baus insofern entspricht, als es die Offenheit der alten Wegkirche mit dem Communio-Gedanken verbindet. "Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen", so heißt es im Matthäusevangelium. Das II. Hochgebet formuliert ausdrücklich: "Wir danken dir, daß du uns berufen hast, vor dir zu stehen und dir zu dienen." Die Gemeinde bildet demnach die "circumstantes", die um Jesus Christus "stehend" Versammelten. Das Zweite Vatikanische Konzil betont die Bedeutung der Gemeinde als eigentlichem Träger der Gegenwart Christi und verlagert den Schwerpunkt, der bisher ausschließlich auf den eucharistischen Gaben gelegen hatte, auf das versammelte Volk Gottes. Dieser Kerngedanke findet sich im Raumkonzept von St. Christophorus wieder. Beim Betreten des "Kirchenschiffs" mag dies vielleicht zunächst verwirren. Das Gewohnte findet sich in unüblicher Anordnung wieder. Der Gottesdienstbesucher trifft nicht auf das vertraute Langhaus, in dem er Platz nehmen und seine Aufmerksamkeit auf den Altarbereich lenken könnte. Er wird mit "dem Anderen" konfrontiert, der ihm gegenüber sitzt. Die Gottesdienstbesucher schauen sich an, nehmen sich in den Blick und können sich dabei bewusst machen, dass sie füreinander Verantwortung tragen, miteinander unterwegs sind und Christus im Nächsten begegnen. Auf gleiche Weise mit ihnen unterwegs ist der Priester, der zwar Vorsteher der Liturgie bleibt, zugleich jedoch Teil des Volkes Gottes ist. Er bildet nicht das Gegenüber zur Gemeinde, sondern stellt sich wie sie unter das Wort Gottes und steht gemeinsam mit ihr um den Altar.

Die Mitte, um die man sich versammelt, bildet der "ganz Andere", der jeder Machbarkeit entzogen ist, der "Sich-Verschenkende", der in der Gemeinschaft gegenwärtig ist. Diese einende Mitte entfaltet sich räumlich nicht etwa in einem Kreis, dessen Zentrum alle Aufmerksamkeit auf einen Punkt fokussieren würde, sondern in der elliptischen Form. Sie besitzt sowohl Brennpunkte, bestehend aus den liturgischen Hauptorten Altar und Ambo, die sich auf einer Linie liegend gegenüberstehen, als auch einen Schwerpunkt, das kreuzförmige, in den Boden eingesenkte Taufbecken, das die Mitte zwischen beiden bildet. Diese Anordnung bringt zum Ausdruck, dass sich die Gemeinde um das Wort und den Tisch Christi versammelt, Ambo und Altar werden zu Symbolen für die Gegenwart Christi.
Kaum ein anderes Raumkonzept vermag dabei die gleichrangige Bedeutung der beiden liturgischen Orte derart deutlich vor Augen zu führen, die das Zweite Vatikanische Konzil ausdrücklich formuliert hat: "An beiden Tischen wird die Kirche geistlich genährt ... In der Feier des Wortes Gottes wird der göttliche Bund verkündet, in der Feier der Eucharistie der neue und ewige Bund erneuert. Hier wird die Heilsgeschichte in vernehmbaren Worten ausgerufen, dort wird dieselbe Heilsgeschichte unter den sakramentalen Zeichen der Liturgie vollzogen."

Bei einer Werktagsmesse in St. Christophorus werden die beiden Hauptteile der Messe anschaulich. Auf die Versammlung um das Wort Christi folgt die Einladung an den Tisch des Mahles. Ein Großteil der Gemeinde zieht mit dem Priester zur Gabenbereitung in die andere Hälfte und gruppiert sich um den Altar. Der Ortswechsel, oder auch nur die bewußsste Veränderung der Blickrichtung, betont das eigentliche liturgische Geschehen.

Der Ambo wird als Tisch des Wortes wahrgenommen. Er ist ein erhöhter Ort, dessen Bezeichnung sich aus dem griechischen "anabainw" (anabaino = hinaufgehen, hinaufsteigen) herleitet. Grund für die herausgehobene Stellung des Verkündigungsortes ist die Erkenntnis, dass Christus gegenwärtig ist, wenn das Wort der Schrift verkündet wird.
Der Altar bildet den Grenzstein zwischen Himmel und Erde. Der Architekt hat ihn als Provisorium entworfen und aus Fußbodenplatten gestaltet. Zunächst wird der Altar als Tisch wahrgenommen. Er ruft in Erinnerung, dass alle Menschen von Gott zum Mahl geladen sind. Die Gemeinschaft, die von diesem Altar ausgeht, gründet in dem, für den der Altarstein steht: Jesus Christus. Der Stein, aus dem er besteht, versinnbildlicht Christus als Eckstein seiner Kirche und Schlussstein der von ihm aufgebauten Gemeinde. "Er (Jesus) ist der Stein, der von euch Bauleuten verworfen wurde, der aber zum Eckstein geworden ist. Und in keinem anderen ist das Heil zu finden." (Apostelgeschichte 4,11)

Das lateinische Wort "altare" leitet sich von "adolere" = "verbrennen" her. Die Etymologie führt zum nicht-christlichen Opferkult, der das Verbrennen eines Opfertieres vorsieht. Von dieser ursprünglichen Bedeutung ist abzusehen, wenn vom Opfer Christi die Rede ist. Er hat sich durch seinen Tod am Kreuz ein für alle mal hingegeben, sein Opfer ist weder zu überbieten, noch zu wiederholen. In der Eucharistiefeier wird es vergegenwärtigt, es gilt nicht das Prinzip "wir opfern, um Gott gnädig zu stimmen, wir geben, um zu bekommen". Hier geht es nicht um Provokation einer Gegenleistung, sondern um Geschenktes, um Gnade. Der eigentlich Handelnde und Opfernde ist Christus.



Der Schwerpunkt der Ellipse liegt auf dem Taufbecken. An diesem Ort verdichtet sich die Ewigkeit in ausdrucksstarken Zeichen. Zunächst das Wasser: es gilt als Grundvoraussetzung für Leben und besitzt zugleich die Kraft zu vernichten, zu zerstören. Beide Seiten, die Leben spendende und die Leben bedrohende, gehören auf Sylt zum täglichen Leben. Auch die Gemeinde St. Christophorus, nur 300 Meter von der Nordsee entfernt, weiß um die Bedrohung, die vom Wasser ausgehen kann. Die Bullaugenfenster, die von Prof. Emil Wachter schon für die alte Kirche gestaltet wurden, greifen ebenfalls biblische Szenen auf, in denen Wasser eine Rolle spielt. So zum Beispiel die Arche Noah, den Durchzug durch das Rote Meer, die Taufe Jesu oder die Stillung des Seesturms.



Das Wort "Taufe" stammt aus dem Gotischen "daupjan", was "eintauchen, untertauchen" bedeutet. In St. Christophorus ist dieser Ritus des vollständigen Untertauchens, mit dem man in der frühen Kirche "das mit Christus Sterben" und beim Auftauchen "das mit ihm zu neuem Leben Auferstehen" zum Ausdruck brachte, in ursprünglicher Form möglich. Zur Taufe wird das Becken geflutet und so ist für alle nachvollziehbar, was Paulus in seinem Brief an die Römer entfaltet: "Wisst ihr denn nicht, dass wir alle, die wir auf Christus Jesus getauft wurden, auf seinen Tod getauft worden sind? Dass der Getaufte ‘mit Christus gestorben’ ist, bedeutet, dass er am Tod Jesu teilhat. ... Wir wurden mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod; und wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde, so sollen auch wir als neue Menschen leben!" (Römerbrief 6,3) Das Taufbecken wird zur Quelle des Lebens – ein Leben in Fülle, das aus der Gemeinschaft mit Jesus Christus resultiert.
In St. Christophorus begegnet dem Besucher eine reiche Symbolik. Wenn er sich vertraut gemacht hat, wird er den Raum vielleicht als bergende Hände erfahren, vielleicht als sicheres Schiff. Der Raum lässt jede Assoziation zu, sofern sie um Gottes Gegenwart weiß.
Karoline Exner
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