° absoluter Höhepunkt! unvor- und undarstellbar...
/ Zünglein an der Waage (erübrigt manche Frage...)
Nymph, bester (14.5.95; 22.45), Adams Tabelle scheint mir unvollkommen und müsste übergangen werden; obwohl ich jedes Mal dabei erröte. Bitte ergänze sie aus Deiner Sicht, sie ist ja auf Weiblichkeit ausgelegt und ganz nach meinen unzureichenden Vorstellungen interpoliert, Tippfehler inbegriffen! Schlafe typograbestief! Faun.
(70) Ludbreg, Montag 15.5.1995; 6.45
Nymph,
Es ging halt doch bis halb eins etwa, das Herumkorrigieren, zumal ich den Tab-Trennstrich nicht mehr aus der Kiste brachte. Ivan belächelte nachsichtig meine Verbohrtheit und spielte Patience, bis wir uns dann beide trollten; wenn er wüsste, an was ich herumfeilte! Der gestrige Ausflug gestern, ins Varaždiner Museum, Stadt und Kirchen, dann Čakovec und Koprivnica war ein typisches Eisheiligenvergnügen (dass es in B. schneite war fast ein Trost!). Die Jesuitenkirche in Varaždin hatte Firmung; zugleich Muttertag: Hunderte von festgekleideten Jugendlichen in ungewohntem Modelook des letzten Schreis entquollen dem Gotteshaus und liessen sich in einem eigens errichteten Plastik-Strandkiosk mit opulentem Blumenschmuck, umringt von Eltern und Paten für die Ewigkeit fotografieren; ein groteskes Bild von dem man glauben würde, es gehörte ins Nachkriegsdeutschland, zumal die männlichen Halbwüchsigen alle jetzt einen Mittelscheitelhaarschopf über rundum geschorenem Nacken und Schläfen tragen. 19.35. Nymph, verschollener, Ich hab Dich am Morgen nicht erreicht; vielleicht warst Du schon weg. Die Eltern sind so gegen zehn mit meinen Wintersachen (und Deinem Mantel) gen Istrien gezogen. Ein Anruf in V. ergab, dass P. (zu viert!) erst Donnerstag heimfliegt und meine Eltern nicht am Vortag einziehen können; peinlich. F. wusste von nichts. Aber ab 24. ist Freihaus. Ein Geburtstagssümmchen wurde mir auch zugeschoben für das dritte Regal, drei Schweizermesser für die Geburtstagsmänner und Schokolade für die Frauen. Ich kann die Tage kaum zählen; zumal Vollmond ist und ich ruhelos unter seinem Glanz liege und mir unsere Abenteuer vergegenwärtige. In Gedanken packe ich unentwegt, lade den Wagen ein und aus; Zelt oder nicht Zelt? Matratze wie einst? Hast Du Zeit, Dich mal über Schiffe nach Korfu zu erkundigen, oder sollen wir das in V. machen? Von den englischen Klapp-Rädern habe ich noch nichts Neues gehört; T. ist zwar gerade in London... Eine verlängerte Kaffeepause lang erzählte mir Darvin über seine Kriegserlebnisse, sein Vietnam-Syndrom. Grauenhafte Dinge. Er erschoss eine serbische Grossmutter, als die eine Handgranate nach ihm warf; UNO-Beobachter konstatierten damit Greueltaten von Kroaten an Zivilpersonen. Serben enthäuteten Kroaten und salzten sie ein, köpften sie schliesslich mit der Motorsäge; Darvin war Zeuge. Er und sein Trüppchen eroberten eine Kaserne, aus deren Hof ein Panzer schoss. Die Verteidiger waren laut UNO: Zivilisten; obwohl sie Militärstiefel und Soldatenmützen trugen und schwerbewaffnet waren. Ein halbes Dutzend Familienangehörige Darvins (sie sind ursprünglich Bosnier) sind von Serben gnadenlos massakriert worden. Ivan verlor so einen Grossvater (!) der Ungar war. In Vukovar erschoss man 3000 Soldaten, aber 20 000 Zivilpersonen wie Karnickel; man verscharrte sie in Massengräbern und kennt keine Namen. Man erschoss gar den Museumsdirektor. Kaum einer hält die Serben nicht für barbarische Bestien. Aber ich glaube es langsam auch. Darvin antwortete auf meine wohl naive Frage, ob man etwas für den gefallenen Feind fühle, den man selbst erlege. Nein, ein nationales Triumphgefühl der Revanche, das Dir tüchtig vorher eingeimpft wird. Aber die Alpträume, Verfolgungsträume, Ohnmachtsträume wirst Du nicht mehr los; die Toten stehen auf, bedrohen Dich, zerwühlen Dir Deinen Magen, lassen Dich nicht bei nichts zur Sache kommen. Darvins Unkonzentriertheit und Schludrigkeit hat sicher auch dort ihren Ursprung; sein Zynismus, sein Humor, sein Spielertum ist nicht befreiend... Die Kroatenmänner scheinen alle ein Stück Syndrom herumzutragen und sind wohl deshalb so abgehoben von ihren Frauen.
Nymph, ich belass es mit einem Wegwerfseitchen. Ich bin noch zu müde von den letzten unausgeschlafenen Nächten. Lass Dich indessen vollmondlich küssen! Faun. 21.30. Armer, kränkelnder Nymph, leider kann ich Dir keinen Zitronensaft durchfaxen; das Pressen ginge ja wohl noch, aber die informatische Umsetzung würde hapern (dasmal mit p; wir sind nicht mehr in Kentaurien; a propos, hat Dir das Finale eigentlich gefallen? unsere Kommunikation hapert auch; das Telefon ist ein mieser Ersatz, bei dem man, d.h. ich. regelmässig vergesse, was ich eigentlich sagen wollte. (71) Ludbreg, Dienstag 16.5.1995; 6.50
Nymph,
mich weckte eine gesangeskundige Amsel, die aber schon so alt sein muss, dass sie ihr Repertoire nur noch mühsam zusammenhält und so langsam pfeift, dass man vor lauter Besorgnis, sie käme nicht weiter, aufhorcht und munter wird. Endlich ist's wieder schön, aber sibirisch kalt. Werde mit Darvin heute nach Bielovar fahren wegen irgendeiner Expertise über Steinfiguren; das lenkt mich von der tödlichen Kratzerei ab. Ivan ist heute spät; in den letzten Tagen ist er so übermüdet, dass er bei Tische einschlafen könnte. Seine Marmorierung ist fertig und harrt des Einbaus als Tresen in einer fiktiven Apotheke im Schlossmuseum Cakovec; ein Jammer für die drei wahrlich geradezu meditativen Kunstwerke. 17.30. gegen 14 Uhr schon von Bjelovar zurück, eine Fahrt durch hügelige waldige und besonnte Landschaften mit bunten Wiesen und winzigen Weilern. B. wieder mit einem Park als Zentrum, an dem ein kleines Museum liegt, war das Ziel, vier Muschelkalkfiguren die der zweite Weltkrieg (für einmal!) zerstört hatte, auf Restaurierbarkeit zu prüfen. Die zahllosen Granateinschläge an den Häusern stammten von der eigenen (Serben-) Garnison, die sich glaubte, gegen Zivilisten verteidigen zu müssen. In einem Talwinkel vor Koprivnica wollte Darvin in einem urfalschen Rustikostadel dinieren (das auf Kroatisch Stagelj heisst), eine Art Bauernmuseum mit ausgestopften Hühnern auf den kunstgebeilten Balken; von aufdringlicher österreichischer Importkitschigkeit, die selbst D. nervte. Er hatte es verwechselt mit einem echten Stagelj derselben Firma, auf dessen Dach noch Stroh läge und dahinfaule... Im Schloss sind nun zwei Zagrebinerinnen angelangt; Iva, mit der Du damals englisch parliertest und eine offenbar sehr wissenschaftliche Susanna. Sie ziehen bei Marija ein, die wohl wieder mal ins Haus nebenan flüchtet. S. hat sie gleich unter ihre Fittiche versorgt und sie kratzen bereits, dass die Scheiben klirren. Nächste Woche kommt dann noch eine Düsseldorferin, die wohl mein Zimmer übernehmen wird. Morgen erhalten wir den dem Serbenschutt entrissenen Altar von Jasenovac und zugleich das von Echterding damals wieder exportierte Arbeitsmaterial, das nun über Passau wieder eingeschmuggelt worden ist. Es steht also viel Unruhe ins Haus, aber ich kann mich hinter den Computer verschanzen, da ich eine Übersetzung ins Französische radebrechen muss für ein Reklamedepliant über Ludbreg und unser Institut.
T. rief von London zurück, Montag könne er die Räder nach Freiburg überführen lassen, wenn M. zu weit sei. Wäre mir auch recht. Dein Frankfurttrip wäre dann eine geeignete Gelegenheit, die Dinger in Besitz zu nehmen und ich hätte einen Grund M.lle officiellement zu begleiten, nicht wahr? 18.35. Brachte die Mädchen zu Marija; zog in das kleine Zimmer und überliess das meinige der restauratorischen Nachhut. Gibt mir Gelegenheit meine sieben Sachen zu packen...
Nymph, ich werde heute nicht weit kommen! Die Mädchen sind wie Wirbelwinde; mieteten sich zwei Videoliebesfilme um die über meinem Kopf zu sehen, was mich natürlich verscheuchen wird. In die Disko drohten sie mich auch zu schleppen; wehe mir, und laute unnötige Fressalien. Die haben eine Ahnung wie schön monoton das Leben hier ist und briefeschreibgerecht! Hilfe, der Film über mir geht los; Schnulzmusik, Geflüster; englisch mit Untertiteln. Die drei Weiber sitzen vor mir und lachen mich aus; wenn sie wüssten, dass ich mich über sie mokiere und es auch noch niederschreibe. Der Lärm ist unerträglich. Übrigens las S. meinen Kentaurienbericht und war als Hippologin charmiert. Lass Dich küssen! F.
(72) Ludbreg, Mittwoch 17.5.1995; 6.50
Nymph,
Als ich das Völkchen gestern Abend nachhausekarrte, stieg ein orangefarbner voller Mond über die Dächer der Tankstelle; man hätte annehmen können, er habe etwas Anzügliches gesehen. Vor Marijas Haus hat man tagsüber eine Strassenlampe mit Flutlicht montiert, welches nun in mein ehemaliges Zimmer schwappt. Gut, dass ich beizeiten umgezogen bin. Endlich finde ich wenigstens nachts meinen richtigen Schlüssel und versinke nicht in Pfützen, wenn ich aus meiner Staatskarosse steige; die wird mir zu meiner Scham zur Gewohnheit, ob meines späten Nachtwandelns...
Pissoirica vervollkommnet sich täglich; drei Häuschen sind voll bemalt und mosaikverunziert. Der Freund des Malers, Nofta, erschien schulterzuckend bei mir und meinte, aller Einwand sei umsonst, die Kirche sei halt in der kapitalistischen Renovatio Kroatiens wie erwartbar dumm, dreist und dränglerisch; in schwierigen Zeiten politischen Unbills laufe man ihr zu, als gäbe es Gratisbrot und Freiwein. Und billig sei halt die Arschitektur ihrer dienernden Paladine. Für Ludbregs drittes Jahrtausend allerdings ein teurer Urbanistik-Spass, wenn erst mal die nächtliche Diskojugend die Anlage entdeckt hat und ihre Spässchen treibt.
15.40. Hier ist geradezu Weihnachten ausgebrochen: ein Dutzend Zügelkartons voller Holzbearbeitungs-Maschinen, Werksutensilien, Befeuchter, Lampen, Schleifmaschinen, ein Kompressor, ein Schleuderpsychrometer, Fachliteratur, Büro- und Chemiematerial aus München beglücken unsere Männer, die mit strahlenden Augen und fiebrigen Händen in den Kartons wühlen und nach ihren Wunschspielwaren suchen. Ein Goldregen von Tausenden von DM geht da auf Ludbreg nieder, der Traum einer jeden Werkstatt Europas. So müssen sich die kroatischen Soldaten fühlen, wenn wieder mal heimlich eine Ladung (ehem. ost -) deutschen Kriegsspielzeugs (Kinkerlitzchen?!) angeliefert wird. 16.55. Nymph, es regnet ohne Unterlass; eigentlich Zeit zum Schreiben. Ich habe heute keine Lust auf Kratzen. Meine Übersetzung ins Französische war anstrengend genug. Ich wähne Dich nasetriefend und schniefend am analogen Kistchen, Deine Farbensymbolik referatebrechend. Morgen kommst Du ans Palettenmesser und ich kann Dir überhaupt nicht Modellstehen (wie Klio, die in L. an der Kunstgewerbeschule dieses soeben tut...). Aber vielleicht brauchst Du ohnehin keine Hilfe mehr; Deine Elaborate sind inzwischen noch ungeschrieben druckfertig... 18.30. Über mir rumort wieder ein amerikanischer Quatschvideofilm. Die Equipe wird bis in die Nacht hierbleiben, weil wir den Lastwagen mit dem Altar aus Jasenovac gegen zehn ausladen müssen; ich werde also nicht einmal etwas Unvernünftiges in die Tasten häckseln können! 20.00 Bin in die Küche geflüchtet um die Zeit mit Essen zu vertreiben, obwohl ich heute Abend fasten wollte: Reste einer köstlichen, von Darvin gekochten Fleisch-Pilz-Suppe. Wenn er nur nicht Restauration mit Restaurierung verwechselt hätte! Er könnte ein Starkoch sein! Er hatte in der Tat einmal ein kleines Gourmand-Restaurant auftun wollen; hätte er es nur getan...!
Nymph, könnte man die Zeit raffen wie in dieser Videokiste; ich wäre längst in Deinen Armen, Dir Zitronenbowle zu verabreichen, einen Echinoforsegrog, ein Aspirinfiss, Leberneozitran in Biomaltine, Odolnieswurz in Mineralwasser gespritzt oder heisse Kokosnussmilch mit Minze und Kiwiextrakt; was nicht alles, um Dich Gesundzupflegen! Ich würde Dir heisse Faxumschläge tippen, Dich wechselbaden, Kneippen und Dampfbeheizen, Luftpackungen, Kursalbe, Schwitzwasser und Moortritte verschreiben. Du würdest gesund wie ein Kinderpopo, blühen wie Petersilie, strotzen wie eine Magna Mater; Dein Näschen würde frei wie Kroatien, zügig wie der Veneziaexpress, Deine Augen trocken wie der Wüstenwind, –Meinste, ich schliesse, weil die Weiber einen neuen Leihfilm anschleppen, der Camion kommt, und sich das Haus mit Personal füllt....Küsschen Faun!.
(73) Ludbreg, Donnerstag 18.5.1995; 6.50
Nymph,
Kaum war der Hörer aufgelegt, ging der Rummel los: ein mittelgrosser Lastwagen, den drei Mann in Jasenovac den ganzen Tag beladen hatten (man musste ja zugleich die zum Teil arg ruinenhaften Teile demontieren, verpacken, beschriften). Seit vier Jahren lag der vor sechs Jahren endlich nach gut zwanzigjähriger Mühe in Zagreb fertig gestellte Altar unter dem Schutt des eingebombten Daches und der Wölbung. In der Zwischenzeit hatten schatzgräberische Plünderer zusätzlich die Monturen aufgebrochen; ein Wunder dass das obere Register mit seinen unzähligen Figuren bei Kriegsbeginn noch nicht eingebaut war. Heute kommt eine zweite Ladung, während die Regale sich bei uns biegen. Ein trauriges Geschäft, die Arbeit von Vorgängern noch mal zu machen, überdies konstatierend, das man sie selbst eher anders gemacht hätte, aber sich an das Vorgegebene halten muss. Wir reissen uns nicht um das Trumm und hoffen, dass auch Zagreb sich nicht nur die Rosinen aus dem Bretterkuchen pflückt. Ich selbst werde die Restaurierung kaum noch miterleben, denn vorerst muss man das Material trocknen und entschimmeln. Dass der Altar jedoch ein nationales Symbol ist, ging gestern schon aus dem Fernsehbericht hervor, wo man Vrkalj in Feldherrnpose auf den Schuttbergen gesehen haben soll... 17.30. Wieder ein Tag vorbei wie jeder andere, der nicht schnell genug verrinnen will. S. fuhr nach Deutschland bis Mittwoch, wo ich sie noch mal sehen werde vor meiner Abfahrt. Sie hat sich prächtig gewandelt und seit ich sie sogar in einer Anmerkung zitiere, ist sie barer Honig. Sie hat in Menschenführung allerhand dazugelernt. Allerdings beklagt sie sich des öftern über die Stuttgarter damals; es scheint zwischen ihnen also nicht alles eitel Sonnenschein gewesen zu sein. Ich habe wohl gut getan, ihr gegenüber dem Hause die Stange zu halten, denn selbst Darvin hat sich mit ihr arrangiert und sie hat an Autorität zurückgewonnen (was mir natürlich wiederum nützt, indem ich nicht dozieren muss...)
Wieder geht ein Film über mir; aus Neugier habe ich mir einen kleinen Handspiegel aufs Pult gestellt und kann hin und wieder rückspiegelnd zuschauen, was da so zeitverschwendend geht. Geschichte eines kleinen Mathematikgenies. Es wäre allerdings besser, ich zöge aus, denn was Vernünftiges kann man bei dem Lärm nicht denken. Unterhalte mich mit Željko in der Küche über Kunst, während er in Säurebädern seine Kitschengel ätzt und mir seine Anschauungen über die Bilderflut aus zehn Bänden "Museen der Welt" nahe legt; mit Venezianern könne er nicht viel anfangen, weil sie so diffuse Gesichter hätten; aber die Magdalena mit der Kerze von La Tour im Louvre, die wäre schön. Und übrigens übermittle er mir die Grüsse seiner Frau (!), die soeben mit ihm telefonierte, aber noch nicht im Schloss erschienen ist. Der Camion habe eine Panne und käme wie gestern erst um zehn hier an. Inzwischen ist der Film alle und ich denke, die Mädchen – der Ausdruck ist doch berechtigt? – werden sofort zwei neue Kassetten besorgen, um die Zeit bis zum Abend totzuschlagen, zumal ich nicht so gesprächig bin, wie sie sich das wünschen würden. Draussen zirpen die ersten Grillen, man mäht das Gras und die Akazien vertropfen ihre Blütentrauben. Ich wünschte mich in Deine Nähe oder besser Dich in meine oder besser noch beider Nähe in ein südliches Gefilde ohne Rummel. Ich sehne mich nach unserem abenteuerlichen Dachzelt und endlich wieder lateinischen Lauten, ein knusprigeres Brot und einen aromatischen Käse und hin und wieder eine Kathedrale.
Eben rief Darvin aus Varaždin an, am Fernsehen spräche man über Ludbreg. Man stellte die hiesige recht optimistische Industrie vor und der Bürgermeister hielt einen würdigen Auftritt. Nichts übers Schloss, das ohnehin jede zweite Woche irgend mal gestreift wird. So wird Ludbreg langsam zum Nabel der Welt und ich kann mich als einer der Geburtshelfer fühlen; Familientradition... Was mich aber nicht hindert, zunehmend melancholische Phasen durchzustehen, die trotz allem Gewusel um mich her, Zeichen von Vereinsamung sein dürften. Vielleicht brauchts Stoff für ein neues Geschichtchen, das mich begeistert. Wenn Du mir nur einen Tipp geben würdest...!
Aber ich habe ja wohl heute noch eine Chance!! Du hast mir doch, nicht wahr, ein Fäxchen versprochen......? Ein bisschen? Fast gar nicht?...Faun, Deinster. (18.5.1995; 23.20)
Faunster mein
Ich habe es heute endlich einmal wieder geschafft in die Stadtbibliothek zu gelangen, nach fast zwei Wochen musikalischer Einöde; wenn das Radio nicht wäre! Ja und da machte ich auch gleich zwei kapitale Funde: 1. Nino Rota – dürfte Dir ein Begriff sein – gab es in zweifacher Ausführung einmal mit Piano-Solostücken und eine CD mit Filmmusik, "La Strada" natürlich und einiges mehr. (Zweiteres habe ich leider nicht bekommen, da es schon ausgeliehen war. Aber sobald es wieder da ist, werde ich's für Dich aufnehmen.) Und 2. zwei CD's von Ustvolskaya, die vermutlich ganz neu erworben worden sind. Es muss da jemand sein, der in Sachen Musik auf dem Laufenden ist.
Es fällt mir ein, dass ich Dir von meinem Restauro mit den Luftballons berichten sollte. Du musst Dir mein Objekt als mit orangener und grüner Farbe bepinselten 110 Liter-Müllsack vorstellen, prall ausgestopft (mit Schaumstoff, nicht mit Müll – Gott sei Dank) und mit einer Schnur mehrmals eng, kreuz und quer umwickelt, womit eine recht lustige Form entsteht. Nach des Künstlers Idee sollte das Ding mit dem Rücken zur Wand aufgehängt werden. Nur hatte das der Besitzer (immerhin das Bundesamt für Kultur) nicht gespannt und den Sack einfach auf den Boden gestellt. Prompt sind dabei die beiden unteren Ecken eingedrückt worden. Nicht so schlimm – würde man denken – wenn sie ganz einfach (wie bei jedem normalen Kissen) wieder herauszuziehen gewesen wären. Aber leider ist der Stoff dank der orangenen Farbe (nach knappen fünf Jahren) so versprödet, dass an die 15 zwischen 5 und 10 cm lange Risse entstanden sind. Als Urs Frei (der Künstler22) im Dezember 94 seinen Sack mit mehreren neuen Objekten ausstellen wollte, und er in so jämmerlichem Zustand (vom Vogeldreck und den Spuren einer schmutzigen Noppenfolie nicht zu reden) angeliefert wurde, packte ihn die Wut (wie er mir später erzählte) und er hängte ihn ohne lange zu überlegen, einfach auf. Mit dem Ergebnis, dass er kaum zwei Stunden später herunterplumste – wieder auf die Ecken! Diesmal monierte er Totalschaden und wollte nichts mehr davon wissen. Wohl aus schlechtem Gewissen, beauftragte uns das BAK, die Sache schnellstens in Ordnung zu bringen. Leichter gesagt als getan. Die Ecken waren nun völlig eingedrückt, der Stoff gerissen, die Farbe abgeplatzt. Im Atelier wurde natürlich nur geblödelt, ich solle doch endlich eine gelbe Marke draufkleben und ihn zu Müll hinausstellen! Die doofen Entsorger würden schon nicht merken, dass es kein "echter Müllsack" sei. Eines Mittags kam mir plötzlich die Idee doch einfach Luftballons in die Risse einzuführen und sie langsam aufzublasen. Und es klappte tatsächlich. Die Ballons liessen sich mit einiger Mühe an die richtige Stelle platzieren und ganz langsam füllen, während ich mit kaltem Wasserdampf die Farbschicht und das Gewebe soweit erweicht hatte, dass sich alles wieder in seine alte Form drücken liess. Als ich die Ballons Tags darauf entfernte, behielten die Ecken ihre Form. Selbst Völkle wurde neugierig, obwohl er den Sack nie eines Blickes gewürdigt hatte. Auch Frei war überrascht von den Tricks der Restauratoren (er war bis anhin eher gegen dieses Metier) und bot mir "hilfsbereit" seine Restfarben an, die Ecken, ja das ganze Objekt wieder frisch zu streichen; er hatte noch nie etwas von Retusche gehört. Als ich ihm auch noch meine genähten Risse auf der Rückseite zeigte (das Gewebe ist dort nicht bemalt und entsprechend elastischer) und stolz erklärte, ich hätte nur drei Stunden gebraucht, meinte er entsetzt: "Aber ich habe doch nur einen Vormittag gebraucht, um den Sack zu machen; und Du nähst drei Stunden an einem winzigen Riss – das ist er doch gar nicht wert!" Wenn er wüsste, wie lange ich in Wirklichkeit schon daran herumbastle! Schliesslich tranken wir einen Kaffee in der Küche, wo wir über seine Arbeit und übers Restaurieren schwatzten und vom Hundertsten ins Tausendste kamen. Er wirkt originell und witzig. Zum Abschied schenkte er mir einen Katalog, in dem "unser" Sack (wie er sagte) abgebildet ist. Ich freue mich schon, ihn Dir zu zeigen. Aber nun möchte ich mit meiner längst versprochenen Geschichte beginnen, schicke Dir aber schon mal dieses Wegwerfplauderseitchen, um in Ruhe weiterschreiben zu können.
Sei geküsst... Deinster.
(74) Ludbreg, Freitag 19.5.1995; 7.05
Nymph,
verschlafen, wie Du siehst;abernach dem Empfang eines Briefes von Dir darf man ja mal über die Schnur hauen! Deine Luftblasenkonservierung ist ja köstlich; wie wär’s:
– mit einem künftigen Job bei der Denkmalpflege von Luftschössern und Denk-Mälern der Conceptual Monument Art? Phantastische Luftperlspektiven! Kein noch so windiges Örtchen in verdünnter Luft wäre mehr vor Deinen Luftplänen und Luftpiraterien sicher, bei Windbruch und Windstärke 13. Du bautest nach Windkräften Windkanäle, Luftbrücken, Luftschiffe und Luftpostgebäude, zeichnetest Luftlinien; wärst Urbanistikplaniererin für imaginierte oder lediglich überdachte zugluftige Luftkurorte, wo Du Luftwege, bzw. Luftröhren, -Blasen, Luftembolien, Wirbelwinde und Windpocken verar[t]ztest; würdest vielleicht Ministerin für Umluft und Luftverschmutzung (black-Air-Mail-Art); wärst Fachrestauratorin für Luftsäcke (Frei-Art oder Airbag-Art), Luftwaffen, Luftspiegelungen (Megert-Art), -Schrauben, -Reifen,-Heizungen (Heatart),- Kessel, -Büchsen, -Pumpen und -Ballons (Pompart!), aber auch Windmechanismen (Pipe- bzw. Peep-Art), Windmühlen (Müll-Art für Millords) und Windspiele (Toy- oder Spielart!), Windbeutel (Eatart!), oder Windschutz in Scheiben (Armand-Art, oder Ars amandi); wärst Textilfachweib für Luftkissen (Kiss-Art) und Windjacken wie -Hosen; Präparatorin für Luftdruckbremsen und ausgestopfte Windhunde. Endlich könnte ich meine lädierten Ideenfürzchen zu Dir in Reparatur bringen. Im Falle von Insolvenz, Unschlüssigkeit oder geistiger Konstipation würdest Du sie mir mit Recht windischvergrätzt entwinden, die Geheimnisse öffentlich lüften, damit beträchtlichen Luftdruck ausüben und sie bis auf weiteres luftdicht verwahren, sie gegebenenfalls luftverflüssigen, bis ich windelweich würde und Dir zur Versöhnung luftmassenweise Ackerwinden, Windrosen und -Röschen schickte und vom Windjammer geheilt, wieder höhere Luftsprünge machte. Ich stünde in Ihro Lufthoheit Windschatten und besonnenwindete mich an Ihrem Ruhm, liebste, luftbildschönste Windsbraut, auf so luftigem (nicht windigen!) Posten; wir würden reich, hätten in Windhuk oder in Windsor Luftwurzeln geschlagen und wenn wir nicht gestorben wären hättest Du mir nach einiger Überwindung und trotz elterlichem Luftwiderstand dank konzeptionellem (bzw. luftschutzfreiem) Luftverkehrs ein Windei in die luftfeuchten Windeln gelegt, es Lufthansa oder Window geheissen, es gebührend windgestillt und unserm Nachtleben gewindmet. Aber blättern wir diese familiäre Windseite nach Lee um und haspeln wir realeren Dingen ein Kränzchen: