Eingedeutschtes bzw. ajgemahtes/Eingemachtes im Umgangskroatischen:
ajnc/eins--ajncug/Anzug--amper/Eimer--aufenger/Aufhänger--auspuh/Auspuff--austafirung/Aussteuer--badekostim/Badekostüm--badencimer/Badezimmer--bestek/Besteck--bremsa/Bremse--brushalter/(auch prs-)Büstenhalter--cajger/Zeiger--cajt/Zeit--ciferslus/(Zieh-)Reissverschluss--cinz/Zins--copranice/Zauberin--cub/Zuber--cug/Zug--cuker/Zucker--cuspajz/Zuspeise,Eintopf--cvikcange/Beisszange--drek/Dreck--drukati/drücken-druker/Druckknopf--gemist/gemischt--fajrunt/Feier(runde)abend--fakla/Fackel-fana/Fahne--fangla/Pfanne--farba/Farbe--farof/Pfarrhof--fasl/Fässchen--feder/Feder--festung/Festung--filati/füllen--firanga/Vorhang--fircig/vierzig--firunga/(Führung)Bügel--fiskal/(Fiskal)Advokat--flah/flach--flasa/Flasche--fleka/Flecken---flinta/Flinte--forcimer/Vorzimmer--forhange/Vorhänge--fukssvanc/Fuchsschwanz--fus/Pfusch--gablec/(Gäbelchen)Imbiss--galge/Galgen--gebis/Gebiss--geltasn/Geldtasche--gemist/gemischt--gepek/Gepäck--gerung/Gehrung--gesenk/Geschenk--girtl/Gürtel--graba/Graben--grincajg/Grünzeug--grip(a)/Grippe--griz/Griess--grob/Grab--grof/Graf--gros/Groschen--grozota/Gruseltat--guldiner/Gulden--gvint/Gewinde--gvirc/Gewürz(wein)--habenec/Habenichts--hauba/(Trocken-)Haube--hatman/Hauptmann--heklati/häkeln--heksenslus/Hexenschuss--helam/Helm--henkar/Henker--hmela/Mehl--hoblic/Hobel--hozntreger/Hosenträger--hoblinje/Hobelspäne--hoblpank/Hobelbank--hrom/krumm,lahm--jeger/Jäger--junferica/Jungfer--kelih/Kelch--kiler/Kühler--kinderfrajla/Kinderfräulein--knedl(a)/Knödel--korpa/Korb--krasta/Kruste--kravata/Kravatte--krizban/Christbaum--kugla/Kugel--kursslus/Kurzschluss--lampa/Lampe--lajbek/Leibchen--lautar/Laute--ligenstul/Liegestuhl--lojtra/Leiter--lonckneht/Landsknecht--luftmadrac/Luftmatratze--luster/Lüster--majstor/Meister--maler/Maler--malca/Mahlzeit--mesa/Messe--melja/Mehl--nahtkasl/Nachtkästchen--oberlih/Oberlicht--paketreger/Gepäckträger--peglati/bügeln--penzl/Pinsel--pinklec/(öst.Pinkel)Bündel--platfus/Plattfuss--plundras/plündern--pokomport/Backenbart--poklon/(v.Buckeln?)Verbeugen--presa/Presse--psiha/Spiegel(v.Psyche)--rajngla/(Ring-)Töpfchen--rajsnedl/Reissnagel--rajsferslus/Reissverschluss--rest/(Arrest)Gefängnis--restl/(Rest)Teil--ribati/reiben--ribez/Reibe--rikverc/rückwärts--ringla/Ring--ringlspil/Ringelspiel--rolcange/Rohrzange--rolsuhe/Rollschuhe--ruksak/Rucksack--saltati/schalten--salter/Schalter--sajba/Scheibe--samrlek/Schemel--seraf/Schraube--sedlar/Sattler--seflja/Schöpflöffel--sircl/Schürze--slab/schlapp--slag/Schlag--slagirati/schlagen--slajer/Schleier--slajm/Schleim--slauf/Schlauch--slep/Schleppe--slicuhe/Schlittschuh--sliper/(Schlüpfer)Bettbezug--sljaka/Schlacke--sminkati/schminken--smirglpapir/Schmirgelpapier--smajhllati/schmeicheln--smrkalj/Schnudder--snajder/Schneider--snaps/Schnaps--snijeg/Schnee--snicar/schnitzen--sofer/Fahrer--sol/Salz--spahtl/Spachtel--spajza/Speise--sparati/sparen--sparchet/(Spar-)Herd--spek/Speck--spenadl/Stecknadel--sperploca/Sperrplatte--spigl/Spiegel--spricati/spritzen--spricer/gespritzter Wein--srafciger/Schraubenzieher--srafstuk/Schraubstock--stap/Stab--stagalj/Stadel--staka/(Stake)Krücke--stanga/Stange--steker/Stecker--stemajzlin/Stemmeisen--stemer/Muskelprotz--stenge/Steige--stifletlin/Stiefelchen--stift/Stift--stirka/(Wäsche)stärken--stok/Türsturz--stog/Schober--stokrl/Stühlchen--stopl/Stöpsel--stoplciger/Korkenzieher--stosdenfer/Stossdämpfer--strajk/Streik--strajher/(Streicher)Schleifer--stranple/Strümpfe--strikati/stricken--strik/Strick--strok/Storch--subler/Schublehre--sufnudl/Schupfnudel--sunka/Schinken--suster/Schuster--svaba/Schabe und Schwabe--taubek/Taube--taska/Tasche--taca/(Tassen-)Tablett--tipka/Taste--tisler/Tischler--ton/Ton--torenj/Turm--ura/Uhr--vaza/Vase--vekerica/Wecker--vesmasina/Waschmaschine--vindjakna/Windjacke--vugorki/Gurke--zaklina/Säcklein--zic/Sitz--ziferplac/Zifferblatt--ziherica/Sicherheitsnadel.
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(137) Ludbreg, Mittwoch 22.11.1995; 16.00.
Nymph,
um halb drei war ich endlich hier, bei schönstem, eiskaltem Wetter, aber 600 strapaziösen Kilometern durch verschneite Länder, ohne Musik, weil Radio und Kassettengerät nach Salzburg nun endgültig ausstiegen. In München gerade noch mit Thomas gefrühstückt, der nach dem gelungenen Abend mit E. und C. bestens aufgekratzt war. Ich hatte sie alle mit Ludbreg und Ludberga, Florian und dem Mittelpunkt der Welt unterhalten, zu Wein, Rumsteak und Irenes Salaten. C. hat in München nun Wohnung und Atelier genommen, wird also kaum noch nach Ludbreg kommen können; aber eigentlich möchte sie endgültig nach Italien zurück und bewarb sich heimlich in Florenz. E. seufzte mysteriös ob seines seit bald zwei Jahren vernachlässigten Schlösschens, aber mehr konnte ich nicht über ihn erfahren... Dass ich seit September nicht mehr bezahlt werde, war ihm natürlich peinlich, zumal das bis ins neue Jahr so weitergehen wird; Bayern und die freundlichen Geber sind pleite. Dass ich jedoch die Stellung halten soll, ist über allem Zweifel erhaben. Stefan geht’s darob noch shlimmer, weil er sich demnächst durchpumpen muss...
Man hatte mich schon Montag erwartet und für verschollen gehalten. Ivan rügte unsere überstürzte Abreise, wegen des Hechtes, den wir vorher noch hätten bei ihm speisen sollen; nun, der wird im Eise warten auf einen jüngeren Tag, an dem auch Du da sein wirst... Hier sind lauter neue junge Leute, die ihre Vorgänger ablösten; ich habe Mühe, ihre Namen zu behalten und sie mit der jeweils richtigen Sprache anzusprechen. Darvin hat sinnigerweise zwei Wochen Ferien genommen und sich offenbar doch für Dezember nach München prügeln lassen, wo ich doch gerade davon abriet und E. sogut wie absagte! Darvin zitiert mich morgen abend nach Varaždin zur Lagebesprechung (er könne nicht weg, wegen seiner kranken Tochter...).
18.00. Eben weckst Du mich, der am Schreibtisch eingenickt war! Ich las in einem kroatischen Balladenbuch eines Miroslav Krleza ohne natürlich das geringste zu verstehen, ausser lauter abstrusen Germanismen aus der Renaissance.
Die vergangenen Tage kommen mir schon unendlich weit und kurz vor! die Zeit verrinnt im Sand. Wäre es wenigstens Sand, den Du für Dein Thema auffingest und verwerten könntest! Aber statt dessen sehe ich Dich in O. verzweifelt nach dem dritten Zimmer suchen, während ich Dich von Monstern umgeben wähne. Oder sind sie doch nicht so schlimm? Wenn Du Dir ein eignes Bild vom Hausbesitzer machen könntest, wär’s wohl besser. Und was meinen Deine Museumskollegen? Hast Du sie vorsorglich eingeweiht?
Durch Deine Masson-Studien neugierig gemacht, habe ich in München Sades "Justine" im Ramsch erstanden; dazu ein originelles Zitatenhandbuch. So habe ich für die Einschlafsekunden wieder mal was zu lesen hier; vergass ich doch völlig, mich mit Lektüre einzudecken (wohl zu Deinem Vorteil...). Wenn ich gar nichts mehr zu schreiben wüsste, kann ich Dir hin und wieder ein Zitat übermitteln; ich habe schon die ulkigsten Bonmots entdeckt.
Zvjezdana ist mit langem erstaunlich gut deutsch formuliertem Brief wieder über alle Berge, ebenso Radovan, womit die Intellektualität hier gemindert ist. Den schrulligen Stefan packt schon wieder der Koller; er will erst im März wiederkommen und hat wohl Heimweh nach seiner Freundin, die sich gerade einer Psychoanalyse unterzieht. Eines der neuen weiblichen Wesen scheint so was auch nötig zu haben. Der Zagreber Nanet sitzt in der dunklen Küche und meditiert. Die anderen Damen arbeiten noch bis sechs vor lauter Langeweile. Nur Ivan ist vergnügt, braungebrannt vom unentwegten Fischen; Željko poliert emsig an hundert hölzernen edelkitschigen briefbeschwerenden Schreibzeughaltern für die Firma Magić. Ich eile alle halbe Stunden im weissgewaschnen Kittel durch die Säle und tue wichtig, blicke durchs Okular, kratze an Puttenpöen, rieche an Bildrückseiten und sorge dafür, dass mein mitgebrachtes Kilo Kaffee in absehbarer Zeit wieder abgebaut ist. So, Nymph, das wären die Belanglosigkeiten, mit denen ich Dich heute kaum zu ermuntern vermag. Aber die Anfänge sind immer wieder schwer; lass Dich küssen und hab mehr Glück beim Zimmersuchen! Faun.
(138) Ludbreg, Donnerstag 23.11.1995; 7.05.
Nymph,
Ein Morgen, wie ihn Touristikprospekte auszuschlachten lieben! Der Reif überzuckert Felder und Wiesen; darüber ist das Morgenrot aquarelliert und davor das schwarze Gespinst der blätterlosen Baumkronen als raumlose Kulissenwand gezogen. Die kristalline Luft lässt Dich den Atem anhalten, so unbeweglich ist das im Frost erstarrte Bild, Du glaubst mit den Wölkchen Deiner Lungenzüge unschöne Flecken hineinzuhauchen. Die wenigen vermummten Menschen, die man sieht, bewegen sich so bedächtig und maschinell, als sei in ihnen das Getriebefett gefroren.
Dich nicht mit Sack und Pack allein umziehen zu sehen, ist mir mehr denn Beruhigung, nach Deinem gestrigen Entschluss, doch im vermeintlichen Tollhause weiter zu verweilen. Ich denke zudem, dass Dein Wesen geeignet ist, auf Andere Einfluss zu nehmen, sobald Du Dich, den ersten Schreck pariert, in Deiner Umgebung eingerichtet hast und die Lage und Stimmungen kennst, die erste Menschenscheu überwunden hast und Deine Mitbewohner einzuschätzen weisst. Überdies hast Du eine beruhigende, rationale Ausstrahlung auf andere und selbst Hysteriker oder einen durchgedrehten Sozialarbeiter würdest Du im Nu zur Raison bringen...
13.15. Der Fernsehjournalist war gegen Mittag da, um sich Ludbergas Legende und ihre Entstehung schildern zu lassen; Samstag nachmittag will er einen Dreiminuten-TV-Film mit mir drehen, als Vorausblick auf was Grösseres im April, wenn unser Happening stattfindet. Ich weiss nicht, wie er von Ludbergen Wind bekommen hat; Nofta ist offenbar nicht im Spiel. Der sucht mich seit Montag verzweifelt; er habe Neuigkeiten für mich. Von ihm stammt das Balladenbuch mit Ornamenten der Basler Offizinen, die die Werke des Erasmus herausgaben; er wird mir heute nachmittag daraus übersetzen.
21.00. Nach einer 15 minütigen wilden Jagd zwischen zwei irrgewordenen Sportfahrern von Varaždin nach Ludbreg (einer war ich...) wieder im Schloss, wo man mich vergeblich in eine Kaschemme verführen will. Da mich Darvin bereits mit einer vollen Flasche getränkt hatte, ist mir die Lust auf mehr vergangen, zumal mir seine Erzählungen schwer auf dem Magen liegen. Der Terror aus Zagreb hat ihn an den Rand der Demission gebracht. Ich habe versucht, ihn aufzupäppeln und ihm besseren Mut zu machen; seine Münchenabstinenz zu motivieren geholfen und Pläne für eine bessere Zukunft geschmiedet. Aber vielleicht wird man ihm den Garaus machen, um hier Zagreber Zeiten einzuführen und Sand zentnerweise ins Getriebe zu praktizieren. A propos, morgen, nach dem Getriebsausflug nach Belic, einer Kirche, woher gewisse rotpöige Engel unsererseits stammen, könnte ich in Zagreb, wohin ich Stefan gleich ablieferte, eine Vernissage miterleben, wo alle Biennalekroaten aus Venedig zugegen sein werden; zum Teil Freunde Darvins, besonders aber Vlasta Zanic, die durch ihre Sandhappenings bekannt ist. Auch Ivan Faktor wird da sein. Wenn Du magst, interviewe ich zumindest die Sandkünstlerin oder den von Dir aufgenommenen multimedialen Reliefartisten, dessen Namen ich natürlich vergessen habe (nur werde ich kaum morgen vor Mitternacht zum Appell antreten können...).
Darvin will nun auch sein ‘Portrait’. Ich hätte es mir ausrechnen können; ich muss mich wohl am Wochenende dahintersetzen. Er meinte, wenn ich schon einen Amateur beweihräucherte, könnte ich einen Professionellen erst recht. Und erhielt von Lydia ein Kilo (!) kroatischen Käse zur besseren Verdauung der guten Nachricht.
Über das gute Gespräch mit Nevio Nofta hätte ich beinah vergessen, nach Varaždin zu fahren. Leider hat der, wie bereits angetönt, gegen die Heiligsonntagmafia zu kämpfen und wird sich nach Varaždin verdingen müssen. Doch Ludberga will er nicht aus den Augen verlieren. Eine Radioverbindung nach Antipodes ist noch nicht zustandegekommen – eben sagte ich am schrillenden Telefon zu Marcin: halloh, Nymph! Er wollte mir endlich sagen, dass wir uns vielleicht erst nach Weihnachten treffen sollten, vielleicht sogar in Polen! Nymph, da waren wir noch gar nicht.... Inzwischen Küsschen,...Faun
(139) Ludbreg, Freitag 24.11.1995; 7.45.
Nymph, bester
meine Verspätung ist nur künstlich, weil mir während des Kaffees mein Kästchen verhungerte und sich mit leerem Schirm wiedereinfand. So ist der Morgen hereingebrochen, ohne dass ich ihn besang; aber der von gestern war so ziemlich identisch, also ist der Verlust relativ. Dafür wurde in der Küche über die Gestaltung des Tonreliefs diskutiert, das allen künftigen Emblemen Ludbergas zugrundeliegen soll, die in Bronze oder als Weinetikette oder Stempel dienen könnten.
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(Offenbach, 24.11.1995; 22.05)
Bester Faun,
es kommt mir vor, als sei ich schon lange hier, doch fühle ich mich so unbehaust wie fremd. Die Zeit wird mir lang nach Dir und auch ein bisschen nach B. Es ist hier alles so gross und abweisend, hektisch und unfreundlich. Selbst das Wetter ist grau und kalt. Vielleicht ist das "Gross-Stadtleben" doch nichts für mich? Mittags laufe ich durch die Strassen und sehe nur gehetzte, kauende, hässliche Menschen und frage mich wirklich, ob es noch ein paar "normale" gibt. Zu Hause verkrieche ich mich in mein Zimmer, um möglichst niemandem zu begegnen. Peter ist mir manchmal geradezu unheimlich; und Tanja nervt mit ihrem unaufhörlichen, hysterischen Geplapper, das ihr nicht erlaubt, auch nur eine Minute zuzuhören. Es ist als redete man mit einem Radio. Die anderen beiden sehe ich fast nie. Morgens, wenn ich aufstehe sind zum Glück schon alle weg. Seit heute Vormittag versuche ich verzweifelt einen Nachmieter zu finden, was genauso schwer zu sein scheint, wie zuvor das passende Zimmer. Wenn ich es nicht bis Anfang nächster Woche schaffe, wird wohl die andere Bleibe schon weg sein. Diese unglückliche Lage benagt meine Nerven, weshalb ich mich mit nichts Richtigem beschäftigen mag.
Im Museum laufen die Uhren anders – sprich langsamer. Ich habe das Gefühl diese Woche überhaupt nichts geleistet zu haben. Morgens fängt man erst um neun an, d.h. wir trinken Kaffee und schwatzen erstmal bis fast um zehn. Dann mache ich meinen Rundgang durch die Sammlung, rücke da und dort ein Bild gerade, überprüfe die Beleuchtung oder wechsle das Dia einer bestimmten Installation aus, das stets nach einer Woche Dauerbetrieb vergilbt und verstaubt ist. Heute entdeckte ich (fast wollte ich sagen zum Glück) in der Rauminstallation von Bolanski (sämtliche Wände sind vom Boden bis zur Decke mit vergrösserten Porträts von Toten bedeckt) in einem der Bilder Sprünge in der Verglasung, worauf ich das Glas auswechseln konnte. Ansonsten darf ich beim An- und Ausliefern von Bildern zusehen und werde in das recht verzwickte Computerprogramm zur Inventur der MKK-Bestände eingeweiht. Anfang der Woche brachte man mir ein Holzobjekt (eine in sich verklitterte Doppelleiter) von Künstler Ruthenbeck dessen Fassung ich festigen und deren Fehlstellen ich retuschieren soll. Habe bis jetzt aber lediglich Fotos gemacht und auf deren Entwicklung gewartet. Wenigstens verkürzte mir die Suche nach "Sandlern" in Halbert's Archiv die Zeit. So habe ich wieder an die zwanzig neue dazugewonnen und werde wohl schon beim Hundertsten angelangt sein (ich wage schon gar nicht mehr nachzuzählen). Zwischen diesen recht banalen kleinen Aufträgen, die man mir gibt, wird immer wieder Kaffee getrunken und geplaudert, was allerdings recht amüsant ist, denn Halbert ist ein ganzer Unterhalter. Er kennt viele Künstler und weiss muntere Anekdoten zu erzählen. Man kann mit ihm über "Gott und die Welt" reden und natürlich über moderne Kunst. Ich hoffe nur, mit der Zeit mehr zu tun zu bekommen. Ich fühle mich etwas überflüssig, was meine ohnehin trübsinnige Stimmung nicht gerade hebt. Zuweilen ertappe ich mich beim Nachzählen der Wochen und Tage, die es bis Weihnachten noch hier abzusitzen gilt und denke mit Schaudern an die folgenden Monate. Wenn Du nur nicht so weit weg wärst und wir uns wenigstens am Wochenende sehen könnten. Wegen Heimweh brauchte ich bis jetzt wirklich noch nie zu klagen, doch nun scheint’s auch mich erwischt zu haben. Ich sehne mich nach unserem kleinen, heimeligen B., dem Hexenhaus, meinem Zimmer und nach Dir... Dein Nymph.
(140) Ludbreg, Samstag 25.11.1995; 6.55.
Nymph,
Dein langes, schönes Klagebriefchen freute mich doch sehr, zumal ich mir vorstellte, dass Du vielleicht allerhand Betrübnis damit loswürdest, sobald Du sie in Worte fasst; es ist eigenartig, wie Emotionen entmaterialisiert werden können, wenn man sie zu definieren sucht. Ich hatte dies immer wieder und vor langem schon beobachtet, namentlich anlässlich von mir nahegehenden Todesfällen; immer, wenn ich etwas sagen, verdanken, mein Beileid ausdrücken sollte und ich fürchtete, es in Worte nicht kleiden zu können, es also niederschrieb, war mir nachher, als sei eine Last von mir gewichen und es stellte sich eine leise Heiterkeit oder Abgehobenheit ein, die unendlich guttat. Wenn immer etwas Dir über die Leber kriechen sollte, schreib’s mir und ich darf mir einreden, es sei Dir eine Spanne weit geholfen; denk daran!
Die Trägheit im Museum ist für alle diese Institutionen typisch; nur bei mir gab’s das nicht, weil ich die gesamten Depots durchzusanieren hatte, ich unentwegt ausbildete, Schule und Verband plante, private Arbeiten ausführen durfte bzw. musste, und pausenlos der Öffentlichkeit, wie Sammlern zu Verfügung stand.
Du schilderst Deine Mitmieter ja prächtig: offenbach sind sie alle nicht ganz richtig Frankfurter sondern Frankensteiner! Keep cool, darling, its a long ways gallop to the gallows! So oder so, hier oder dort wirst Du Dich einleben und den Grossstadtduft assimilieren und metabolisieren; nach Weihnachten wird’s Dir schon ganz heimelig anmuten. Dazwischen rüste ich Dich wieder auf.
Gestern starteten wir schon um eins gen Belic; Stefan mit Globetrottergepäck einer halben Werkstatt, die drei Frauen aus Zagreb, von denen zwei dort das Wochenende verbringen wollten, um nicht den Ludbreg-Koller zu bekommen. Die kleine Landkirche inmitten sanfter Berge ist ein rechtes Juwel mit seinen drei Straub(?)-Altären, die nach und nach in Zagreb restauriert werden. Den vorzüglichen Evangelisten Lukas erkannte ich wieder, da ich vor Jahresfrist im RZH lauthals die ergänzte Hand bemängelte, die der Gute in die Luft hielt, statt damit berufsgerecht zu schreiben. Die Hand ist inzwischen korrigiert, aber die Sitzhaltung unmöglich dem Altarinneren zugedreht, statt in den Kirchenraum, wo Lukas etwas zu verkünden hätte. Auch lehnt sich sein überschwer und unsensibel gefasster Körper zu weit nach hinten, um so noch schreiben zu können und die nackten Fusssohlen ragen dem Betrachter ins Gesichtsfeld, als fordere er von ihm eine Pediküre. Die freskierten Wände und Gewölbe hatte man bestens geschönt, ebenso die Altararchitekturen, doch am Figurenprogramm fehlte es an Koordination, handwerklicher Einheit und Geschmack.
Bei einem Bäuerchen, wo Zvjezdana zu uns gestossen war, und wo die Restauratorinnen in den Sommerkampagnen gewohnt hatten, wurde man mit Überschwenglichkeit bewirtet. Noch heisst für diese Leutchen Zagreb Agram und ist die Welt auf ihren Hof beschränkt, wo’s von Geflügel wimmelt, ein Huhn gerade eine Maus jagte, fauchende Graugänse stolz und gewichtig einherschaukelten, ein Hund wichtigtuerisch die Zähne fletschte und die Truthennen mehrstimmig nach den Fremden keckerten.
Über Marija Bistrica, ein Neorenaissance-Pilgerort mit schwarzer Madonna, ging’s stefanshalber zum Bahnhof der Hauptstadt, dann zur Galerie, wo Mirela auf mich wartete, um im Café das Geschwatze des zagrebiner Weltkreises zu erkunden: mir war’s natürlich um die Abnabelungsintrigen, aber viel konnte sie über die bekannten Klagen hinaus nicht beitragen.
In der Galerie, die eine Art Wiederholung der Preisträger-Installationen in Venedig aufführte, stellte mir V. den sympathischen, rothaarigen fast bürgerlich wirkenden Ivan Faktor (1953*) vor, der mir seinen "Slavonian Tombestone" erklärte; in der Tat ist der "Sand" auf den wandwärtigen Bildschirm-Photographien Fiktion, d.h. aus dem Raster der Bildpunkte entstanden; erst der Staub, Erde und die Schlacke der zerschmolzenen TV-Apparate, die er in einer ausgebrannten Fabrik unweit Vukovars fand, ist die Materialisierung der Tragödie. Die Installation hatte er sorgfältigst von Venedig nach Zagreb verbracht, doch beim Wiederauslegen liess er sich gewisse Freiheiten. Er hat sonst das Medium Sand nicht weiter benutzt, hier aber war’s seine wichtigste Arbeit der letzten Jahre. Er signierte Dir den Venedigkatalog und wird noch Aufnahmen nach Ludbreg schicken. Er lebt in Osijek und wird mich vielleicht mal besuchen. Die Zagreber Konzept-Künstlerin Vlasta Zanic (1966*), Kollegin Darvins, war wieder mit ihrem gegenständig und rechtwinklig laufenden Rollband-Kasten zugegen, der aber hätte viel grösser sein sollen; allein die Kosten verunmöglichten eine Gigantomaschine. Sie hatte 1994 eine bemerkenswerte Installation "Zum Tag des Planeten Erde" in einer Zagreber Galerie vorgenommen, wo sie einen Lastwagen Sand in die Ausstellungsräume schippen liess, gespickt mit Zivilisationsmüll, Plastikfigürchen und symbolträchtigen Objekten, darin stak auch ein echter Saxophonist und spielte. Vlasta war über den Zustand der Schau nach 14 Tagen etwas enttäuscht, wo allzu viele Leute herumgestiefelt waren und ihre Spässe getrieben hatten. Trotzdem wollte sie ihr Sandkastenspiel wiederholen und verbessern, nun mit der Beimengung von Farbpulver, am ehesten Blau. Es blieb aber bei diesem einzigen Akt. Sie erinnerte sich an den ägyptischen Pavillon vor zwei Jahren in Venedig und andere Installationen, die Sand in ihrem Sinne verwendeten. Sieh mal die Biennalekataloge durch...
Die Konservatorin des Zagreber Museums für gegenwärtige Kunst erzählte mir dann von einer Slowenischen Künstlergruppe des Namens "Ves scivar svoj dolg?" (Do You know, painter, Your duty?), die Happenings und Installationen mit Sand machten; schliesslich erwähnte sie den Künstler Ivo Gattin († 1978) aus Trogir, der zwischen 1957 und 1962 äusserst lebhafte informelle und freiförmige Reliefs aus einer Mischung von Sand, Pigmenten, Wachs usw. gebrannt und geschmolzen habe. Man dürfte seinen Namen sicherlich in Lexika moderner Kunst finden.
De Sades "Justine" ist ziemlich abstrus; eine holprige Mischung von Philosophie Abenteuerkolportage und Pornographie, typische wirklichkeitsferne Männerphantasien, schamlos ausgebreitet, die dem Sadismus allen Grund zur Namenstaufe liefern. Räuber und Mörder reden im Salonstil über griechische Sitten, und Tugend drückt sich durch unentwegtes Weinen aus. Personen haben weder Gesichter noch reale Emotionen. Nichts für Dich oder empfindsame Gemüter. Ein Schmuddelkind der Weltliteratur, über dem ein Casanova engelhaft schweben würde. Der arrogante Macho Aretin war ein feinsinnigerer Psychologe und Casanova kannte wenigstens die Frauen, liebte sie, auch wenn er sie bis in die innersten Regungen missverstand, wie die meisten Männer. Wenn Sade die verklemmte und verdrängende Sexualbigotterie seiner Zeit revolutionierte, so als ein Robespierre des Unterleibs, ohne Grazie, Poesie und Witz. 20 Seiten entheben einen der übrigen 200, auch wenn sich hundert Gelehrte darüber beugen und Tausend Dissertationen über ihn handeln. Die Elaborate des Österreichers Sacher-Masoch versprechen wohl kaum besseres: ein Ganghofer der Schmerzphysiologie...
So, Nymph, ich werde nun das Schicksal versuchen und sehn, ob Du noch am Drahte hängst, oder man Dir die Leitung kupiert hat. Es wäre ja traurig, übers lange Wochenende ohne Verbindung zu Dir zu sein, und Dich später mit Abgestandenem zu verpflegen, ist nur eine halbe Sache! Lass Dich in Deiner Klause nicht verängstigen und brich in den Park aus, wenn’s allzu frankensteinisch werden sollte. Lass Dich küssen, bis zur nächsten Seite... Faun.
16.15. Interview und Filmerei sind vorbei. Nofta und Xenia hatten assistiert und gedolmetscht; der fette Kameramann nahm mich am Schreibtisch sitzend auf, von Ludberga und dem Mittelpunkt der Welt plaudernd, Zeichnungen erklärend und die Europakarte auszirkelnd. Schliesslich besah man und filmte auch den Zirkelpunkt Gottes im Park vor dem Schloss, ging zum Florianstor und liess sich das Projekt erklären; zum Abschluss, kurz vor Dunkelheit fand man sich an der brennenden Quelle ein und beschwor zündelnd den Teufel. Eigentlich sind mir die Exzesse von Publicity und Narzissmus zuwider, aber ich habe mir die Suppe eingebrockt, also löffle ich sie aus.
18.50. Bis jetzt bei ungarischem Wein mit Nofta und Xenia geplaudert über Religion, Bücher, Filme, Legenden, wahre Geschichten aus Ludbreg, Lokalgrössen wie unseren Priester (der im Nachbarhaus zwei Mädchen exorziert haben soll, weil sie zuviel tanzten und sangen). Beide sind begeisterte Leser von Bulgakow, den ich noch nicht kenne und dessen Witz und Erzählkunst sie in farbigsten Tönen schilderten; sie glaubten, meine Geschichten seien von ihm angeregt. Nun, würdest Du Dich mal umsehen nach dessen Schriften und namentlich jenes mit Mephisto als Hauptfigur des Titels "Meister und Margaret". Über den sozialgeschichtlichen und politischen Hintergrund von Orwells "1984" waren meine Gäste so verschiedener Meinung, dass ich meinte, der kalte Krieg würde ausbrechen.
Sonst habe ich nicht viel geleistet; wollte eine Sandpoesie in Form eines Rebus entwerfen, aber er misslang; auch die vierzehn Nothelfer brachte ich nicht auf einen deutsprachigen gemeinsamen Nenner. Selbst ein ‘Portrait’ von Darvin blieb im Titel stecken. Und von einer neuen Geschichte nicht die leiseste Spur am Horizont. Vielleicht bin ich morgen in besserer Stimmung. Ich benötige wohl Anstösse meiner Muse, um dem schöpferischen Tief zu entrinnen.
Wenigstens vermelde ich Dir die Leiden, für die ich meine Nothelfer neuerdings zuständig halte (meist in Unstimmigkeit mit ihrer früheren Profession; manchmal müssen auch Heilige umlernen und sich an neue Ansprüche gewöhnen):
Achatius: Ach-und-Wehchen, Dornenstiche, Ischias, Polierkitzel, Kaufzwang
Ägidius: Halskehre (schweiz.: Äggigschtabbi), Ekelgefühle, Schildläuse
Barbara: Bartflechte, Barbitursucht, Vertierung, Murmelzwang, Alkoholismus
Blasius: Harnzwang, Bettnässen, Darmwinde, Hochmut, Auszehrung
Christophorus: Verstopfung, Stoffwechselprobleme, religiöse Euphorie, Verhüllwut
Cyriacus: Abtreibungsbeschwerden, Kussphobien, Ejaculatio praecox
Dionysius: Katerstimmung, Kopfweh, Delirium tremens, Durchfall, Niesreiz
Erasmus: Erotomanie, Liebesraserei, Naschzwänge, Didaktylomanie
Eustachius: Seitenstechen, Stichwunden, Milchschorf, Sommersprossen
Georg: Anorgasmie, Lanzen-, bzw. Seitenstechen, Drachenbluten
Katharina: Schnupfen, Heiserkeit, Seelenleiden, Mal français, Opferzwang
Margarete: Magersucht, Grätenverschluck, Goethe-syndrom (Faustkrämpfe)
Pantaleon: Exhibitionen, Hosenlupf, Inkontinenz, Clownerie, Pantofflitis
Veit: Tanzwut, Chorea, Disco-hernie, Weitsichtigkeit, Kesseltrieb
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