Ludberga bis 23 95



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Anwendungen:Auflegen von Hll.-Bildchen aufs kranke Glied zu allen Mahlzeiten

und 3malige Anrufung des jeweiligen Patrons; im Wiederholungsfall Kontraindikationen beachten; überbeanspruchte Nothelfer können

bissig reagieren. Vor Kindern fernhalten, vor Überdosierung wird

gewarnt. Geistige Getränke meiden. Vorsicht vor Orthodoxie!

Präparatform: kl., mittl. & gr. Fotolithos, Mattdruck ohne Konservierungsmittel

Nährwerte: energiereich, kalorienarm, Vitamine zum bösen Spiel von A bis Z

Zutaten: Pantheontheologylazetylenmonogamose gelöst in Klebewachs

haltbar bis: Enzyklika Papalis "De abdictione Sanctorum" futura sive eterna



Entsorgung: nicht in die freie Natur entlassen. Geflissentlich anbinden
So Nymph, Du wirst schon ungeduldig, Ärmste, ich eil zum Drahte, der, Wunder, noch immer ungekappt weiterklickert. Morgen hoffentlich was seriöseres! Faun, Deinster, fernöstlichster, heimwehleidigster, trübunsinnigsterstersterstersterster


(141) Ludbreg, Sonntag 26.11.1995; 7.15.

Nymph,

hab’s noch mal probiert, das Sand-Anagramm (es bildet ein Quadrat mit den je vertauschten Anfangsbuchstaben):

S A N D

A S D N

N D S A

D N A S
A S D N

S A N D

D N A S

N D S A
A D S N

D N A S

S A N D

N S D A
N S D A

S A N D

D N A S

A D S N
N D S A

D N A S

S A N D

A S D N
A S D N

S A N D

N D S A

D N A S
A S D N

D N A S

S A N D

N D S A
D N A S

N D S A

A S D N

S A N D

Sande in
Sunden arktischen, nördlichen Dünen,

Australiens staubiger Dürre nähren

Nurmehr Disteln. Savannen Asiens

Darben nackt, Arabiens Strände,
Im Sande

Aber ich wird’s sicher noch mal umschreiben, wenn ich klarer als heute früh im Kopfe bin. Wieder ein Sonntag in fast tödlich-wohliger Stille. Nebel und Wolken lassen sich unendlich Zeit, gen Süden zu abzuwandern; auch das sporadisch-choretische Hundegebell hilft dem Morgen nicht beschleunigend auf die Beine.
Eben versuchte ich mich des Namens zu erinnern, den Dein mysteriöser Begleiter trug; aber über Bethlehem, Jerusalem, Hebron, Jericho und Galileo kam ich nicht hinaus; auch Kapernaum war’s nicht und Naphtali, noch Lazarett, also bleibt nur – Nazareth! – ja, das muss es gewesen sein! Mein Namensgedächtnis ist so löchrig, dass ich meine MitarbeiterInnen (das mach ich hier zum ersten Mal meines methusalemischen Lebens, aber kaum nochmal; ich will nur mal ausprobieren, wie sich der Unsinn ausdruckt) kaum zum Telefon rufen kann, so schnell habe ich ihre Ruf- und Familiennamen – namentlich die kroatischen natürlich, wieder vergessen; peinlich.

Also Nazareth, aber das darf doch nicht sein, inmitten des bekanntlich so ausdrücklich semitophilen, bzw. nazidolen, bzw. judopathischen Deutschland! Gewiss hast Du Dich oder ich mich verhört, oder der freundliche Verfolger hat Dir einen Bärennamen aufgebunden, um nach gehabten kulinarischen und anderen erträumten Freuden unerkannt zu bleiben. Du wirst Dich an derlei Bekanntschaften wohl gewöhnen müssen; in Helvetien ist man, sofern helvetisch-republikanisch, in Sachen Hofieren wohl diskreter, wenn nicht gehemmter und die Berner rücken sowieso erst am Sonntag morgen mit ihren Wünschen vom Samstag abend heraus, sofern das Objekt ihrer schrankenlosen Begierde noch da ist.
11.15. Das Haus hat sich mit Željkos Familie, Ivan, Xenia bevölkert; der einfältige Stjepic hat das von letzterer übersetzte Interview abgeholt, um den Film für einen dieser Tage zu schneidern. Viel Gescheites wird wohl kaum dabei herauskommen, wenn’s ähnlich wird, wie der traurige Auftritt des Priesters, als er sein Holyland vor Halbjahresfrist vorstellte; wenn er mir wenigstens einen leicht teuflischen Anstrich gäbe...!
Dein Anruf macht alle obigen Reflektionen zum Nazarener zunichte, wenn jener lediglich von dorten kam und sonst irgendwie hiess; aber alles wieder zu löschen, reduzierte mein Tagespensum bedenklich. Der Mann andern Namens hat mich immerhin so beschäftigt, dass Du ihn ruhig physiognomisch beschreiben kannst, ich bau ihn dann irgendwo in eine Geschichte ein und mumifiziere ihn für die Nachlese.

Ivan beschreibt in wilder Gestik den Fischfang von gestern: ein Dreieinhalbkilohecht ging ihm glücklich an die Angel, aber sein schmächtiger Schwiegersohn verdusselte den folgenden, über fünf Kilo wiegenden Brocken, weil er den mächtig Widerstrebenden händens statt netzens aus dem Wasser zu ziehen versuchte. Jeder neue Ankömmling erhält einen geringfügig aber stetig anwachsenden Eindruck des glücklich Entkommenen: montags passt er wohl nicht mehr in die Küche, geschweige zwischen die ausgebreiteten Arme Ivans!
Letzterer will mich erneut an die Drava verführen und meint, das Wasser sei wärmer als die Luft und die Hechte warteten nur auf mich, denn ich hätte ihm damals wie nie zuvor soviel Petriheil gebracht. Aber ich lasse ihm lieber einen Turnschuh als Amulett, als dass ich nochmals die heile Flusslandschaft mit meiner erstarrten Partisanenpose verschandle.
12.10. Brauchst Du ein Signet für Dein Buch? Hier eine Sanduhr:


S A N D

S A

N

D

S A

N D S A

N D S A N D

S A N D S A N D

oder als Anagramm:



SAND AUS NAMENLOSER DÜNE
SICKERT AM
NABEL
DES
SOSEINS AUS
NICHTIGEM DRANG STAUBIGER ALLTAG
NUTZEND DIE SINNE ALS NARRENDE DROGE
SEELENENTEINTE ANS NEBLICHTE DASEIN
SCHMIEDEND ABER NIEMANDES DENKEND




14.30. Die tiefe Sonne heizt meinen Schreibtisch; fast wär’s verlockend, den Fuss vor die Tür zu setzen; ich habe Holyland seit Wochen nicht mehr besucht, als sei’s für mich wie Vineta versunken.
17.00. Nach einem Gänsebraten in Moslavac' Familienrunde, die immer noch incorpore Magić ens 300 Briefbeschwerer produziert, steckte ich die Nase ins untergehende Abendrot, besah so manches notdürftig missbrauchte, weil türlose Nothilfekapellchen, vermerkte neue Kerzen und Blumen am Bahndamm, trabte durch harschig gefrorene Wiesen und war froh, wieder in meinem molligen Eckchen niederzukommen, Aphorismen zu lesen und eine fette widerliche Fliege beim sich Zutodetaumeln zu beobachten. Ihre Busenkollegin war gestern in Xenias Weinglas umgekommen, was letzterer den Weingenuss auf Wochen vermiest haben und ihren Zigarettenkonsum steigern wird; ich fotokopierte sogleich das Rauchverbotsschild auf dreifache Grösse und räumte die Aschenbecher in die Küche...
18.00. Stosse auf den bestürzenden Aphorismus eines Erhard Blanck (*1942), der mir mein diesjähriges, mitunter anrüchiges Geschreibe nicht wenig in Frage stellt: "Ein Brief errötet nicht. Aber er vergilbt." Ich frage mich ernsthaft, ob all das Tag für Tag berichtete nötig war und ob die Schwindsucht nicht längst die ausgebreiteten Emotionen erblassen liess und die Gilbsucht unerbittlich schon am Thermopapier nagt...
Nymph, Faun erwartet hier fiebernd Deine Rückkehr, und ein Resumée Deiner Abenteuer...

(142) Ludbreg, Montag 27.11.1995; 6.55;

Nymph,

Bojana sitzt seit einer halben Stunde frierend vor der Tür, die ich hätte aufschliessen sollen, wäre ich pünktlich gewesen. Aber das Bett war wohlig warm und die Vergesslichkeit noch einschläfender; ein gutes Zimmer macht faul. Und Ivan ist derzeit nicht geeignet, die Festung rechtzeitig zu stürmen und mich zu entsetzen. Bojanas Mann wird’s wohl zum General bringen, wenn er weiterhin so früh unterwegs ist und seine Frau wird über kurz oder lang den Gefriertod erleiden, ein weiblicher Ötzi. Noch ganz gut und frisch.

Ein Spatzenschwarm macht vor dem Fenster einen unbeschreiblichen Lärm; irgendein Disput muss die Schreihälse aufgebracht haben, oder ist’s ihre Art, sich Warmzukrähen. Ich habe keine fette Fliege mehr, in die Freiheit, bzw. den sicheren Tod zu entlassen, wie in den letzten Tagen: Amelia, die letzte, liegt in einer Spinnwebe wie in einer Hängematte und dürfte inzwischen im Paradies sein; sie mühte sich gestern ja beträchtlich ab, dorthin zu gelangen, indem sie unentwegt den Kopf in die Scheibe rannte. Meiner fleissigen kleinen Spinne gönnte ich sie eher, als den frechen Spatzen draussen, denen es offensichtlich genügend gut geht, ihre Energien beim Herumtoben ungefragt zu verschwenden. Sonderbarerweise sind unsere Uhus nicht mehr gesichtet, geschweige gehört worden; vielleicht haben ihnen die Tauben im Dachstock das Revier streitig gemacht; die sind, seit Blagaj die Dachkragen abgedeckt hat und nicht weiterbaut, absolute Herren dort oben und man kann ungestraft, bzw. unbekleckert keine Wäsche mehr aufhängen; niemand will sie für die Suppe fangen, eine reine Verschwendung. Wie vielen armen Schweinen könnte man das Leben verlängern, wenn man ihre Biomasse mit Tauben verdünnte! Samstag nachmittag gelangte in der Nachbarschaft ein solches elendes Opfer in den Schweinehimmel; ich hörte es trotz Željkos Maschinengetöse jämmerlich quieken und schwor mir wieder einmal, für eine angemessene Frist kein Schweinefleisch mehr zu essen. Eigentlich sollte man ganz damit aufhören, auch wenn’s weder den kroatischen, noch den bayerischen Ringelschwänzlern sonderlich nützt.
Die Dezimierung der Ringeltauben hingegen wäre eine denkmalpflegerische Ruhmestat, die weder Mühen kostete noch Geld und darüber hinaus schmackhaft wäre. Die Tauben haben nichts anderes verdient, haben sie doch trotz unverhältnismässiger Vermehrung verhältnismässig wenig Frieden gestiftet. Ich werde über Ludbergen eine Petition einreichen, die Trinität um die Taube zu verringern: eine Dualität ist effizient genug und stiftete genügend Streit, die Menschheit am Aus-den-Nähtenplatzen zu hindern. Oder aber man ersetzt den müssigen Vogel durch – lass sehen, eine Graugans? Konrad Lorenz würde sich freuen; für ihn war es das zweitintelligenteste Tier nach dem Menschen; ich persönlich hatte zwar als Kind nur Ungemach mit dem streitsüchtigen Federvieh, das mir immer laut bedrohlich zischend hinterherwatschelte und sich durch nichts besänftigen liess, obwohl es sich an meinem Pausebrot genüsslich gütlich tat, wenn ich auf meinem Schulweg eine Abkürzung über die Sinn-Fluren nehmen wollte oder musste. Dann also eher ein Eichhörnchen? aber das wäre eine Verdoppelung der Zweigestalt gemäss dem Witz des kleinen Max, der in allen Klosterschulfragen als Antwort das 'liebe Jesulein' witterte. Einen frühchristlichen Fisch als stummen Zuschauer in meditativer Apnoe? Tierquälerei. Auch eine grosse Achtbeinige Spinne wäre nicht übel, da sie ja in jede barockisierte gotische Apsis hineinpasste und mit ihren (dürren, behaarten, winkligen Röhren-) Beinen die Architektur spiegelte und es auf den besagten Altären ohnehin Spinnweben in Hülle gäbe. Konkurrenz erwüchse ihr lediglich durch den Oktopus, der allerdings seinem Habitat entfremdet, zu einem allzu trockenen Humor gezwungen würde. Oder vielleicht zum Troste das jahrtausendelang geschundene Schwein? Es wäre wohl zu mächtig, morsche barocke Altäre zu krönen, oder seines unverdient unsauberen Renommees halber zu provokant; vielleicht statt seiner ein kitzewinziges Zwerghängebauch-Ferkelchen? Diese sollen weit intelligenter sein, als die ältesten Masthausschweine unserer Breiten. Greenpeace hätte kaum etwas gegen die Absetzung des unnützen Friedens-Symbols und die Vegetarier würden mir nur die Taubenschlächterei nicht verzeihen. Die Ökologen könnten immerhin einwenden, all die unaufgebrauchten Schweine würden den Methangehalt der Erdatmosphäre erhöhen, deren Erhitzung fördern und die arktischen Eiskappen zum Schmelzen bringen. Ich gelangte infolgedessen nicht mehr trocknen Fusses in meine venezianische Wohnung. Immerhin könnte man die Übergangszeit von der Tauben- zur Hängebauchferkelei mit der Verabreichung von Antibabypillen steuern, bis das grunzende Gros unserer Hausfreunde von selbst auf weniger bestialischem Wege ins Paradies gewandert wäre. Gabriel müsste das besorgen und Uriel zeitweise von seiner Gärtnerei abgezogen werden, um das Unternehmen zu gutem Ende zu bringen. Aber der Einwand meines durchnässten Kellers wiegt schwer.
Bliebe Batman als letzte Lösung, die Trinität zu vervollständigen. Er, gross, blond, muskulös, sportlich, bzw. flugtüchtig, ca.33 Jahre, unv., stets pflegeleicht kostümiert, anobienfrei, dank verhaltener Polychromie auch von Laien touchierbar, bartlos, blauäugig, Optimist und Retter in allen horizonaleren Lebenslagen, leicht homophylisiert, aber von Frauen rettungs- und vorbehaltlos angebetet, würde die Kirchen und Klingelbeutel wieder zum Platzen füllen. Mit silbernem Seligenschein bereichert, stets mit der Fledermaus von Strauss des Sonntagmorgens von Orgel, Sangesorgien und orgasmatischen Verzückungen begrüsst, würde er von Sonnenauf- bis -untergang die Pilgerscharen in Schach halten, man würde gesegnete Andenken, alkoholfreie Weinampullen, T-Shirts, geröstete Fledermäuse, Frankensteinmäntel, Frankfurter mit gebenedeitem Senf, Kleiderfetzen des alten Batthyány, Hotpants, Badges, Bats, Bags, Begs, Bigs, Bogs, Bugs, Balls, Bells, Bills and Bulls Leos des X-ten verkaufen, symbollische CD's mit der Stimme des Herrn und Videokassetten mit Trinity-Jane in der Hauptrolle mit dem berühmten floppery-flop-Dreifachen barocken Doppelaxel ohne (Spinnen-)Netz (als Nacheinstellung der Bamberger Assunta). Unsere von den Türken zerstörte Sveti Trinitets-Kirche würde sofort in Beton wiedererbaut und Ludberga erhielte den rechten Nebenaltar des linken zweitvorderen Seitenschiffes, gleich unter Petrac'ens Monumentalmosaik des Hostienkelters und der typologischen alttestamentlichen Traubenträger Israels. Ach, wenn nur Fellini noch lebte!
Nymph, leider muss ich gestehen, noch nie ein Batmanprodukt von nahem gesehen zu haben. So leicht lässt man sich von Phantomen hinreissen, Heiliger ungläubiger Vanthomas!

Nymph, ich fürchte, wegen obigem nicht mehr in den Himmel zu kommen; nur Batman könnte mich unter seine schwarzen Fittiche nehmen und im Jenseits bzw. Diesseits von Eden einschmuggeln; ein Grund mehr, flugs seine Promotion zu betreiben und jeder künftig mir begegnenden Taube einen langen Hals, hm, eine lange Nase zu machen. Sollte ich Dich aus Versehen jedoch jemals "mein Täubchen" titulieren, werd’ nicht gleich taub oder stumm oder beides und fürchte nicht gleich für Deinen schönen Hals, sondern turtle mir nur ins Gedächtnis zurück, dass ich Batman zuliebe das Federlesen nicht an Dir sondern an dem nächstgelegenen ‘geliebeten Vögelin’ vollziehe (bitte keine unangebrachten Allusionen an etwaige Abwesende). Übrigens schmecken Tauben vorzüglich.

Da ich bis neun noch alle Neune zusammenbehalten muss, um meine Faxen an die ach so ferne Frau zu bringen, werde ich in Kürze kürzen und Dir zum seriöseren Troste die ajournierte Version meines Kroatischlexikons miteingeben, die ans Datum vom 9.11. gehört. Allerdings bringen mir die Kolleginnen ständig neue Wortblüten wie etwa "habidjere" (Hab-ich-die-Ehre), also: "mit Verlaub!" Eigentlich sind die Mädels nützliche Wesen, wenn sie nur nicht so viel "rauhati" (rauchen) würden, könnte man sie wohl auch besser zum restaurirati brauchati...

Wenns Faxati net get bringimi umeti!

Aber ich würde wenigstens auf ein Telefonzellentelefon von Dir warten, sofern es sich lohnt.

Die Seite will immer noch nicht enden. Was schreib ich denn bloss noch!?

Die berühmte Tanzunterhaltung "Frollein, lieben Sie Käse?". Käse.

Faun. Hoffentlich noch immer Deinster...

(28.11.1995; 00.02)



Faun Meinster, Du siehst, es hat sich nichts geändert. Einmal Meinster, immer Meinster (armes eingefangenes Mändelin). Deine Faxen sind köstlich und heitern mich wenigstens ein bisschen auf. Obwohl ich jetzt schon zuversichtlicher bin. Heute konnte (durfte) ich endlich mal richtig arbeiten. Es gibt nichts Schlimmeres als untätig herumzusitzen und sich überflüssig vorzukommen, wenn’s Dir vor Tatendrang in den Fingern juckt (da sitzen wohl meine eher nördlichen Vorfahren drin). Jedenfalls habe ich als erstes heute eine Fischli/Weiss-Installation ausgemessen und abgeräumt und den Hängeplan der Gemälde von Cecilia Edefalk aufgenommen. Seit ruchbar geworden, dass ich mal Hochbauzeichnerin war, muss ich dauernd was ausmessen. Auch die Installation von Ilya Kabakov wird diese oder nächste Woche an der Reihe sein. Obwohl erst seit wenigen Monaten ausgestellt, ist der mit Papier überzogene Boden völlig zertrampelt und zerrissen (obschon eigens hölzerne Laufstege im Raum herumführten). Um das Papier auszuwechseln muss ich die Lage sämtlicher Objekte und Textkärtchen vermessen, damit die nachher wieder an die hochnotpeinlichst gleiche Stelle gelegt werden können. Wie mir H. erzählte, muss Kabakov ziemlich pingelig sein, er könne tagelang kleinste Objektchen von einem zum anderen Ort (manchmal nur um wenige Zentimeter) verschieben, bis endlich der "richtige" Platz gefunden ist. Für unsre Aktion wollte H. eigens den Künstler kommen lassen, was dann aber an dessen überfülltem Terminkalender scheiterte. Er habe nur an Samstagen Zeit, was sich natürlich das "überarbeitete" Museumspersonal nicht bieten lässt. Schade, ich hätte ihn gerne kennengelernt. Am Nachmittag besuchte uns ein Fachmann für Leuchtröhren, der an einem Objekt (Holzstuhl mit an Beinen, Sitzfläche und Lehne entlanggeführten, orangefarbenen Leuchtröhren) von Robert Watts(!) einen Teil derselben ersetzen soll. Allein das zutreffende Leuchtpulver ausfindig zu machen, scheint ein Kunststück zu sein. Auch das Glas muss die richtige Dicke und Zusammensetzung aufweisen. Immerhin fand er heraus, dass unser Stück aus französischem oder italienischem Glas sei, das weicher und schwerer als das deutsche ist. Was die Verarbeitung beeinflusst, da erstere den Richtungswechsel der Leuchtschrift immer rund, die Deutschen dagegen aber eckig (typisch!) gestalten. Auch die Trafo-Leistung kann die Farbe beträchtlich verändern: was in der Werkstatt des Spezialisten noch die richtige Farbe aufwies, strahlt mit unserem uraltersschwachen Gerät betrieben (es ist an die Unterseite der Sitzfläche montiert), in einem ganz anderen Ton (trotz gleichem Leuchtfarbpulver!). Ein dritter Störfaktor ist die Alterung: Leuchtstoffröhren, (d.h. ihre Farbpulver), dunkeln mit der Zeit nach, womit erneut ein andrer Ton entsteht. Unser Mann empfahl uns schliesslich, eine neue Röhre erst mal einige Wochen leuchten zu lassen (sie also zu altern) und dann wieder einzubauen. Ob sich der Farbton wirklich angleicht, bleibt nur zu hoffen – die Chancen sind, bei so vielen Hindernissen eher gering. Ich dachte immer, solche Röhren tauscht man wie Glühbirnen einfach aus, denkste!

Mein Lieber, ich hoffe, ich ermüde Dich nicht mit meinem 'Arbeitskram'. Die Fortsetzung der Geschichte habe ich nicht vergessen. Sie ist eigentlich in groben Zügen schon ausgedacht, aber eben nur nicht... Geduld, Geduld es kunnt scho.
Jedenfalls werde ich, wenn sich morgen kein neuer Mieter findet, in den sauren Apfel beissen und erstmal hier bleiben. Das hiesse, dass ich sofort mein Telefon anschliessen lassen muss. Wenn die Abstellerei so lange dauerte, muss das Gegenteil wohl Wochen beanspruchen!

KüsschenKüsschenKüsschenKüsschenKüsschenKüsschenKüsschenKüsschenKüsschenKüsschenKüsschenNymph

(143) Ludbreg, Dienstag 28.11.1995; 6.30.

Nymph,

wollte ich triumphierend frühzeitig im Schloss sein, kommt Bojana daher und meint, sie habe die letzten zehn Minuten in der wärmeren Bäckerei vertrödelt. Nein, diese mörderischen Gold-im-Mund-Stunden halte ich nicht durch; werde ihr Amalgam-Schlüssel anfertigen lassen, damit sie schon um vier hier einsteigt, wenn sie will...
Soeben komme ich dazu, Deine Energie zu bewundern, dass es Dir gelingt, um Mitternacht, nach einem ereignisreichen Tag und einer mühselig geputzten Wohnung (und überdies den Schmutz von Anderen!) noch einen Brief von so stattlicher Länge zu verfassen! Ist ja spannend, was Du so machst, beneidenswert, mit lebender Kunst und deren Kreatoren zu tun zu haben. All der tote Barock hier ist dagegen ansteckend stumpfsinnig. Du hast das grosse, vielleicht einmalige Glück in einem so aktuellen Museum beschäftigt zu sein, mit H. als dem Kenner so vieler interessanter Existenzen. Du musst sie kennenlernen, wie und wann immer Du kannst, denn es wird Dir kaum wieder gelingen, so viele mögliche Begegnungen zu vereinen. Künstler sind meist scheue Wesen, konzentrieren jedoch immer eine reiche Miniaturwelt an Meinungen, Erfahrungen, Projekten und Zukunftsvisionen, die den normalen Bürgern abgehen. Auch wenn sie sperrig, zickig, unberechenbar, zerstreut, versponnen, ja verrückt anmuten sind sie doch die Oberfläche unseres zeitgenössischen Geisteslebens, Spiegel und Antipoden unserer Gesellschaft. Auch aus ihren negativen Seiten kann man Wertvollstes lernen, ja im Gespräch mit ihnen hat man oft das Gefühl doppelt oder mehrfach zu leben, sind sie doch Destillatoren von Leben aus den verschiedensten Quellen. So schrullig Harald Nägeli war, hat er doch einen wichtigen Platz in meinem Denken eingenommen und alle anderen Leute, mit denen ich mich sporadisch befasste, so kurz auch die Begegnung gewesen sein mag (ich denke nur an Beuys, Spoerri oder Luginbühl, de Chirico, Klaphek, Christo, Dunoyer de Segonzac, nicht zu schweigen von allen unseren übrigen Bernern), sie haben mein Leben mosaikweise bereichert, mehr als ein Buch, eine Biographie oder eine Ausstellung das vermag. Es ist wichtig, die erste Scheu vor ihnen zu überwinden und einen unbefangenen, herzlichen Weg zu finden, mit ihnen ins Gespräch zu kommen; meist wissen sie es einem zu danken, denn auch ihnen fällt das kommunizieren schwer, weil nur wenige den Einstieg in ihre so von der Kunst getarnte Welt wagen.
16.00.- 16.30. Schlafe wie der graue Tag draussen so vor mich hin. Mein Zimmer wird von der gesamten neuen Equipe gemieden, als sei’s ein verbotener Kultort. Xenia klopft, wenn sie zufällig reinwill. Da niemand fernsieht oder Patience computert, bin ich mit meinen Chimären, Schemen und Schlafgaukeleien allein. Eben träumte mir, ich müsse auf einer vereisten Slalompiste ohne Ski statt zwischen ausgesteckten Fähnchen zwischen aufgestellten Stehpulten bergabwärtskurven: auf jedem Pult lagen Blätter, von denen ich hätte laut ab- oder vorlesen sollen, konnte dies indessen nicht, weil ich keine Brille mithatte und sich die Fahrt immer atemloser beschleunigte, bis sie mit einem lauten Bums unter meinem Schreibtisch endete, wohin Eberhard Puntschs ‘Neues Zitatenhandbuch’ gefallen war. Ich hatte gerade von Lichtenberg gelesen, dass Träume zu Selbsterkenntnis führten. Da man nur in Randstunden träumen soll, müsste man in denselben schlafen und nicht arbeiten, wie Du das tust, denn der Gewinn an Selbsterkenntnis ist höher zu schätzen als der der Kenntnisse. Was ich da eine halbe Stunde lang tat, war zwar etwas harte, aber intensive Arbeit an meinem Selbst. Ich kenne mich zwar äusserlich kaum wieder mit den roten Druckstellen im Gesicht, die das im Sitzen schlafende Nachdenken erzeugt, doch hat sich die innere Kennung um das Wissen erweitert, dass ich auch am Schreibtisch Wintersport treiben kann, ohne in die nasse Kälte hinauszumüssen, ohne teuren Skizirkusmoden nachzuhinken und ohne die Blamage durchgescheuerten Hosenbodens in der Zielgeraden. Nur schade, dass ich die Brille vergass, es hätte mich wunder genommen, was auf den Blättern stand...
So Nymph, ich faule mich hiermit aus der Seite und hoffe auf Dein Anwesen. Faun

(144) Ludbreg, Mittwoch 29.11.1995; 6.35;

Nymph, turTEL-taubichter, verstummter,

die Gewissheit keine Adressatin am Briefende zu haben, die nur einen Hörer abzunehmen braucht, um gegenwärtig zu sein, dämpft den Schreibfuror beträchtlich!

16.15. Bis jetzt vorgebetet und gearbetet. Diskussionen über die düsteren Perspektiven des Hauses; morgen soll Stinko kommen und man erwartet von mir, dass ich so gut wie alles einrenke, was Neid, Missgunst und Eitelkeit ausgehebelt hatten. Ich habe vor, mit offnen Karten zu spielen und riskiere einen Monsterkrach. Ich muss allen Müll und Mist zurück vor die Zagreber Türen kehren, ohne Achtung, Autorität und Beliebtheit zu verlieren, ja erwirken, dass man den Retourkehricht für goldene Eier hält und freudig dankt! Darüber hinaus bittet man mich in B. die Unterdrucktechnik zu prüfen und drei Tische zu projektieren (Ludbreg, Zagreb, Osijek), den Aufbau eines grossen Restaurierungslabors in Osijek mitzubeeinflussen und mich um billigere Stereolupen mit noch billigeren Stativen zu kümmern. Es wäre allerdings besser, erst die Leute auszubilden, die an den Dingen zu arbeiten verstehen; auch das muss man den oberen zehn Tausendsassas erst mal beibringen. Alles, was man glücklich vom Regen an die Raufe bringt, ist eselig vom Schwanze aufgezäumt.
19.35. Nymph bester, immer noch nichts Lesbares für Dich geleistet! Die Diskussionen mit meinen Leuten haben mich leergepumpt. Ich denke früh zu schlafen um morgen fürs Florettfechten fit zu sein. Bis dorthin vertreibe ich mir die Zeit mit dem Lesen von Bonmots wie diesem: "Küsse sind das, was von der Sprache des Paradieses übriggeblieben ist." (J.Conrad 1857–1924), eine Depesche, die ich Dir wortlos überreichen wollte, wärst Du in ein wenig erreichbarer Nähe. Aber hier darbt man an Gefühlen, dorrt aus, vertrocknet und zerfällt langsam zu Niespulver. Die Tage werden länger und länger, obwohl sie sich in Wirklichkeit noch vier Wochen lang verkürzen. Ich komme mir vor wie auf einer abdriftenden Insel und wenn sie noch so felsenfest am schlaffen Meerbusen meiner Seufzer verankert ist. Fast nur von Weibern umgeben, scheint man ipsophil zu sein, misogyn, heteromies, mistophon, schlechtofühl, stinkogram, kotzegal und merdalors. Trotzdem flöte, flittere, floskle und flirte ich meine Höflichkeiten, damit man mir mein Elend nicht ansieht, wenn sie am Telefon schmachten, sich von hauptstädtischen Gesellen abholen lassen, einander an Wochenenden müdeschnäbeln und mit gekreuzt verinnerlichten Blicken beim mechanischen Skalpellieren sich von der Gegenwart verabschieden. Wie soll ich 1111 Km frohgemut verdauen, wenn die bei hundert schon Magenschmerzen bekommen!
Hatte ich Dir eigentlich erzählt, dass ein Münchner Postbeamter ungerührt meinen schrumpligen waschmaschinengemangelten Ausweis zerschnipselte und mir einen neuen ausstellte, nur weil ich im Sparbuch nicht ab- sondern was aufhob? So geil ist die Amtgier auf mein bissel Geld! Auch wenn ich das gewaschen hätte, wären ihnen die Blüten ein duftes Plaisir gewesen. Meine Ludbreger Saläre leerte ich in einen einjährigen Festgeldtopf, damit sich das Manna etwas vermehrte, fand darin aber auch einen Knochen Tristans, darob sich meine Suppe um einige Monate verringerte. München scheint seit geraumer Zeit pleite zu sein und wenn ich über den Winter an fremden Öfen kuschle wird dem BLAFD das ebenso wohltun.
Soeben erhielt ich Zellenschmelz ins Ohr, von Nymph Ohnefax; welche Wonne, dass Du ungeachtet des Tagtarifs Deinen süssen Telefonzoll – Zellenschmelz – an mich entrichtest. Gott gebe, sofern er nicht nur nimmt, dass St.Nikolaus Dir baldigst einen Anschluss beschert, bevor zu S.Michele die Vorhänge bzw. Schalldämpfer runtergehen. (Vielleicht hat Old Echslin einen Nachschlüssel mit Faxalien? Pole Wiedmer hat immerhin letztere). Oder Du nimmst meine Ovationen auf Band auf und tippst sie über? Aber bevor Du vor telexenen Taxen nix mehr von mir hörn maxt, s'ist besser, mein wäxernes Nixchen, ich wix mir die Flexchen von Tränenklexchen ums wexalnde Hexchen; ich wax jetzt zu klaxen die laxen Haxen bevor die Faxen ins uferlose waxen.
Doch mal sehn, ob der blöde Drucker endlich Zeile 59 mitdruckt. Faun.

(145) Ludbreg, Donnerstag 30.11.1995; 6.15

Nymph,

Bojana ist nicht zu überlisten. Immer wartet sie schon irgendwo; beim Bäcker, auf der Mauer, hinterm Busch; kaum habe ich mein Kistchen angeworfen, klingelts unten. Man würde nicht meinen, sie habe ein kaum dem Säuglingsalter entwachsenes Kind. Aber vielleicht nimmt’s ihr General an die Brust, zwischen zwei Paraden oder während der Schiessübung, wenn’s vom Kanonendonner aufzuwachen droht.

Mich treibt’s seit fünf, heute die runde Inschrifttafel am Florianstor zu entwerfen: Sie lautet z.Zt. welteiförmig etwa folgendermassen:

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