Ludberga bis 23 95



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Heribertus redivivus
Als ich mich soeben mit dem Suchbegriff für einen Augenblick in Antipodien erging, um wieder einmal nach dem Rechten, bzw. der Rechtschreibung zu sehen und mein einstaubendes Gedächtnis abzuwedeln – weiss ich doch längst nicht mehr, was dort alles kreucht und fleucht und bin ich inzwischen den dortigen Kolonisten längst gleichgültig geworden begegnete ich von ungefähr einem orientierungslos umherirrenden, blechern rasselnden Wesen, dessen Silhouette in der Mittagssonne des gerbduL'schen Hochsommers flimmerte, dieweil es aus seinem exotisch wirkenden optisch topfartigen Kopfteil tropfte, um zischend auf einer Metallbrust zu verdampfen; beim näheren Hinsehen, gelang mir eine aproximative Datierung des Wesens ins frühere 16. Jahrhundert, brescianische Ziselur mit Nielloborte, einem (wohl erfledderten) Schweizerdolch vor dem Latz und einer abgerissnen Trense in geharnischter Faust: die Verwünschungen, die dieser Don Quichotte aus der Tiefe seines Helms ausstiess, kamen mir mehr sächsisch denn spanisch vor und so näherte ich mich behutsam, um nicht in die Reichweite seines blanken Einhänders zu gelangen, mit dem er sich einen Pfad durchs engstehende Schilf und Unterholz der Antidravaniederungen hieb. Mit der Losung "Hie Moritz!" glaubte ich mir seine Sympathie zu erobern, erntete jedoch ein bissiges "Verräter!... und überhaupt, was wollen Sie, Schmalspur-Zivilist, Sie!" – "Sie haben sich verlaufen, nichtwahr?" – "Verlaufen! man hat mich entführt, auf dem Weg zu einer wichtigen Aufratssichtbesitzung, – Ratssichbeaufsitzung, – Aufsitzberatssicherung, nein, Aufsichtsratssitzung; zum Teu... diese modernen Nonnenklausuren!" – "Na, na, Ritter Heribert, seit Sie Ihre Uhr verloren haben, sind Sie ein Anachronist: wollten Sie nicht sagen, Sie wandelten auf den Spuren Edeltrauts, die Sie schlechterdings beraten wollten oder bestenfalls hm, bereiten wollten?" – "Wer sind Sie, Himmeldonner, frecher als der Götz im Purgativum, mir meine Terminüsse vorzurechnen!? wo ist mein verfluchtes Pferd, das ich noch vor einer halben Stand-, Sanduhr ritt?" – "Sie haben sich offenbar an den Verlust ihres mechanischen Kleinods gewöhnt?" – "Mein Rittertum für einen Gaul und Dein Verschwinden obendrein, Winzling, wer auch immer Du seiest!" – "Schamster Däumling, ich bin zufällig Ihr Co-autor; wenn Sie Ihre Uhr wiederfinden wollen, werden Sie gefälligst freundlicher!" – "Mieser Printer!" – "In Sachen Edeltraut kann ich Ihnen wenig helfen; das Fortgespinst Ihrer Liebschaft fällt in die Kompetenz meiner Kollegin." – "Dann helfen Sie mir wenigstens aus diesem nicht endenwollenden Sumpf! ich röste nicht nur, ich roste!" – "Das tun wir alle früher oder später; auch die Klaviatur ihrer, wie Sie so schön sagen würden, Aufsichtsrätin, ja die Tastatur meiner Mit- oder Beischriftstellerin könnte dasselbe Los ereilen, wenn’s nicht schon passiert ist." – "Könnte sich die Dame nicht beeilen?" – "Tja, ich müsste sie mal anrufen – geben Sie mir mal Ihr Einhandy, danke. Hallo Nymph?..." – "Mensch! Was tun Sie mit meinem Schwert! Das dient zum Köpfen, Vierteilen, Spiessen, Anbraten und Vorlegen, und nicht zur Landwirtschaft!" – "Ich hab’s nur geerdet; das bessert die Verbindung." – "Eine Hiebwaffe ist zum Trennen da, nicht zum Verbinden -" – "Pssst! Eden?! Gabriel? nein, Nymph, bitte. Nnyymmpphh; N wie Nudelholz, Y wie...wie Yggdrasil, M wie Muschelkalk, P wie Paprika, Pa-pri-ka, ja, H wie Hustensaft, -SAFT, wie Nektar. Ja; nein!! wie? Offenbach. Natürlich nicht in Eden, Sie Scha...! -falsch verbunden? hm. Tschuldigung." – "Kann ich mein Schwert enterdigen?" – "Warten Sie, es läutet-" – "Wo soll es in dieser gottverlassnen Gegend läuten!" – "...sie ist " – "Isst sie?" – "nicht doch! – ...auf Faxen eingestellt. Wohl im Kino." – " Sie irreparabel Irrer, haben meinen Schwertknauf am Ohr?! – demontiert! Das werden Sie mir büssen!" – "Lassen Sie den Schweizerdolch; eingedenk der bewaffneten Neutralität seiner Herkunft. Ich kann Ihnen vorläufig auch nicht helfen; der Dialog ist seit Ende November unterbrochen, die schriftliche Linie stumm, bzw. taub, bzw. auf den Punkt gekommen." – "Wenn Ihnen meine Verbindung mit Edeltraut schon nicht gelingt, so bringen Sie mich wenigstens auf die Walstatt zurück, wo ich nach meiner Uhr weitersuchen könnte; vielleicht fände ich zusätzlich die Schraube, die bei Ihnen locker oder besser ausgefallen zu sein scheint." – "Warum wollen Sie eigentlich hier weg? Ist die Dahlener Heide so viel schöner als die Antipodravina? Was mangelt Ihnen, Ölberge, Weinberge...?" – "Venusberge." – "Immer diese unritterlichen Attitüden! Wo bleibt das Frauenlob, der Minnedienst, das Zartgefühl, die Fernschmacht der Troubadours? Man glaubt sich kaum noch im Mittelalter." – "Sind wir auch nicht mehr, guter Mann; Amerika ist entdeckt; man ist modern, hat die Syphilis wie Hutten und seinesgleichen: wer sich AM ERIKAblümchen erquickt, bald an der Heidenangst erstickt, denn gegen unsrer Lüste List, kein Heidekraut gewachsen ist." – "Schlagzeiler sind offenbar die Haudegen der Moderne." – "Als Klosterschüler war ich Werbetexter für Tetzel." – "Warum blieben Sie nicht im Fach?" – "Die Zisterzienserinnen von gegenüber verführten mich zum Ausbruch aus der Branche, doch die Sprödigkeit der Katharina von Bora machte mich zum Antilutheraner." – "Wenn Sie das Flunkern und Aufschneiden nicht lassen, setze ich einen Strich unter Ihre Person und meine Kollegin bekommt ein Schreibverbot Sie-bezüglich." – "Fürchten Sie etwa den Wurf fundamentalistischer Tomaten bzw. Liebes-, Paradiesäpfel? oder einen göttlichen Gnadenschuss?" – "Ich habe nie Euphemie mit Blasphemie verwechselt." – "Wie man Euphorie auch kaum mit Blasenphorese zusammenbrächte, oder?" – "Sie begehren gegen Ihren Schöpfer auf." – "Dass ich nicht lache, schöpfen! wenn Sie mir wenigstens den Schweiss aus der Rüstung schöpften, statt mich hier unnötig zurückzuhalten, an mir herumzunörgeln, ihren Mangel an Phantasie an mir auszulassen und auf jede Gelegenheit zu kalauern, ihre billigen Scherze mit mir zu treiben. Ich habe meine Existenz satt, passe überhaupt nicht in Ihre antipathische oder antipodische Landschaft. Löschen Sie mich unverzüglich aus Ihrem 1,44 MB-Gedächtnis oder entlassen Sie mich zu Edeltraut." – "Spielverderber." – "Zeitvertrödler." – "Wie das?" – "Sie wollen mein Schwert wieder; damit Sie am Knauf raspeln können, wenn Ihre Olle wieder aus dem Kimono steigt, was immer das heissen mag." – "Ich bitte Sie, sparen Sie sich Ihre Unflätigkiten; Sie sind rüpelhafter als Berlichingen." – "Selbst als guten Katholiken können Sie -" – "Schluss! Ich werde Ihnen erklären, was ein Kino, was ein Telefaxgerät, eine Coautorin ist." – "Ha, Sie machen auf Zeit und dann lassen Sie das delikateste, das interessanteste, das beste, einzig wahre, das schönste von allem weg, Sie Schuft, nämlich die Weibergeschichte!" – "Heribock, nein Huribert, nehmen Sie sich zusammen, man könnte uns zuhören!" – "Feiger Hund, Sie, Tartuffe, angekränkelter neuzeitlicher, ich will Ihnen zeigen, was ein Ritter, ein Mann, ein Frauenheld, ein Herzensbrecher ist: hier steht er mir und kann nicht anders!" – "Indermühl! machen Sie den Latz zu und lassen Sie Luther aus dem Spiel! Zitieren Sie meinetwegen Günther Grass oder Rabelais!" – "Nichts ist, werter Schreiberling, pantagreulicher als so wird Ihnen das niemand mehr zu sagen wagen, bevor Sie mich aus Ihrer halbseidenen Korrespondenz tilgen:

Coito, ergo sum!"


Hilfe, Nymph! er hat mir das linke Ohr abgehauen; und es ist blind! 22.00.

(155) Ludbreg, Sonntag 14.1.1996; 8.30

Nymph,

noch nie habe ich die hündische Kreatur so sehr gehasst, wie heute nacht: der Schäfer im nachbarlichen Hof unter meinem Fenster bläfft nun schon die vierte Nacht ohne Unterlass seinen Liebesschmerz ins Quartier hinaus. Diesmal, auch des abendlichen Kaffees halber, gelang es mir nicht, auch nur eine Minute zu schlafen. Qualvolle Visionen und Chimären jagen durch den Kopf, vom Jaulen und Winseln, Kläffen und Hecheln, Heulen und Wimmern, Bellen und Knurren des verwünschten Tieres untermalt. Ich könnte es mitleidlos vergiften, musste ich mir eingestehen, ja ich würde zur Polizei gehen, mit Steinen werfen, kochendes Wasser giessen und andere unwürdige Dinge mehr tun, um Ruhe zu haben. Man entdeckt an sich animalische, aggressive Züge, die an Niedertracht, Mordlust, Rachegefühlen und Quäldrang nicht ihresgleichen in der tierischen Natur fänden. Gegen Menschen gewendet, würde man spielend zum Unhold, Sadisten und Totschläger! In der Vergangenheit überkamen mich ähnliche Anwandlungen, in Fällen, wo mich Diebe beraubten: nächtelang malte ich mir aus, was für gemeine Fallen ich ihnen legte, wie ich sie überwände, erniedrigte, strafte.

Für heute habe ich wohl den Tag verloren, ob der letzten durchwachten Nächte; alle Inspiration ist dahin; wenn Du mich nicht ermunterst, sitze ich tatenlos herum oder schlafe am Schreibtisch ein; draussen ist der Nebel so dicht, dass die graugeäderten Baumkronen nur aus Scheiben oder Scherenschnitten zu bestehen scheinen. Die gestrige Sonne hatte ich nicht genutzt, hinauszugehen: ich wusste nicht wozu und allein kommt man sich vor wie eine Raubkatze im Zoo, die ihre Runden zwanghaft drehen muss, um bei Verstand und Gesundheit zu bleiben. Mir verrinnt die Zeit zu langsam, wo sie sonst zu schnell vergeht; ich beneide Dich um Deine quicklebendige Umgebung, die menschliche Nähe, die nächtlichen Ausflüge, die Zerstreuungen, die Herausforderungen, die Deine Arbeit an Dich stellen, das nervöse Rumoren der Grosstadt, ihre geistigen Reibungsflächen, die Schenken und Kaffees, die kulturellen Schätze, die ich mit Dir gemeinsam auskosten wollte. Ich sehe, wie ich ohne Dialog verkümmere, ohne Anstoss erlahme, ohne Reibung auskühle, ohne Lachen mürrisch werde, und ohne Heiterkeit traurig. Musse und Muse sind ohne Echo, die Resonanz, die so wundersam von Dir ausgeht, wird jedesmal Erinnerung, wenn die fragilen und notdürftigen Drähte verstummen. Leben ist nur Präsenz! würde man dies doch nur beherzigen, solange man für einander da ist! man vergisst dann so schnell, wie kostbar das Erleben von Gegenwart ist und verschwendet den Hort auf dem Trödelmarkt der Ablenkungen, des Kleinkrams, der Alltagssorgen und dummen Ärgernisse. Die Erinnerung trübt sich überdies mit all den Fehlern, die man sich eingesteht, das Überflüssige, das man veranlasst, die Ungeschicklichkeiten, die man hat geschehen lassen, die kleinen Kränkungen, die man so arglos ausstreut. Könnte man nur einen Tag lang so bewusst leben, dass man keine Sekunde bereute oder vergässe, wäre das vielleicht ein Stück Paradies... Vielleicht ist die Schreiblust eine ungewollte Methode, sich das paradiesische Bewusstsein in kleinen Häppchen zurückzuholen, es zu fixieren, zu beschwören, dingfest zu machen. Einmal werden vom Ludberger Läuterungsjahr nur noch edene Sequenzen übrigsein: die Hölle wird unmerklich zum Paradies mutiert, die einstige absurde Realität sich in reale Utopie verwandelt haben... Aber eben: das geschieht nur im Nachhinein, weil wir nicht fähig sind, bewusst zu leben und zu erleben; Horaz stellte die wohl aberwitzigste Forderung in die Welt in seinem "carpe diem", nutze den Tag, aber besser: lebe ihn bewusst. Vielleicht ist einzig der Moment hingebungsvollster Liebe jene Bewusstwerdung, die in ihrer Totalität und absoluter Gegenwärtigkeit ans Unbewusste reicht und sich dem Tode selbst nähert, der Ort und der Zeitmoment, wo sich alle Gegensätze auflösen.36
Bester Nymph, ich habe nicht viel Ermunterndes für Deinen heutigen Frühstückstisch und es wird wohl auch nicht viel mehr werden. Diese und schon meine gestrigen Kaprizen werde ich, wie angedroht, wohl aus dem unpassenden Rahmen löschen müssen, weil sie zu sehr meine depressive Phase offenlegen. Ich vergesse zu oft, dass ich Dir schreibe, um Dich zu erfreuen, nicht um aus der Schule meiner Unruhen und Ängste zu plaudern... Lass Dich munterküssen! Faun.
(14.1.1996; 16.00)

Bester Faun,

wie kann ich Dich aufmuntern? Dein trauriger Brief weht's mir ganz melancholitisch ums Herzl. Ich würde Dich gerne in die Arme nehmen und ein wenig zurechtkuscheln, bis in den wohlverdienten Schlummer... Unternimm recht bald was gegen jene Bestie oder besser deren Besitzer; das arme Tier kann wohl nur wenig für seinen Zustand. Du wirst sehen: eine erste ruhige Nacht wird Dich wiederherstellen. Wie abhängig man doch vom leiblichen Wohlbefinden ist und wie leicht man durch Ärger aus dem Gleichgewicht geraten kann. Vor allem, wenn man allein ist und sich nicht gegenseitig auffangen kann. In B. ist mir das nicht so aufgefallen (glaube ich im Nachhinein) ich fühlte mich aufgehobener und ausgeglichener. Hier dagegen kann mich schon die kleinste Widrigkeit in schlechte Stimmung versetzen. Die Reizschwelle ist gesunken und ich reagiere viel zu empfindlich. Bemerkungen von H. können mich stundenlang beschäftigen; ich nehme sie zu persönlich und glaube dann alles falsch zu machen, obwohl ich eigentlich weiss, dass er’s nicht so gemeint hat. Im Augenblick ist er wohl selbst nicht gerade in bester Verfassung. Zum einen ist ihm die Mutter gestorben und andererseits schleppt er eine halbausgebrütete Grippe mit sich herum. Und das während des seit Wochen gefürchteten Szenenwechsel-Monats, wo endlich "richtig" gearbeitet werden sollte. Was mir ja zusagt; komme ich mir wenigstens nicht unnütz vor, während man das verwöhnte Museumspersonal jammern lässt. Wenn es nur immer so wäre, könnte ich mich sogar für eine längerdauernde Museumsstelle erwärmen. Zumal man die Arbeit der Künstler hautnah miterlebt, die im Laufe dieses Monats mithelfen, ihre Werke aufzubauen. Letzte Woche war Stalder aus Basel hier, der uns ausgiebigst Techniken und Ideen schilderte, während wir an die 200 kleine Graphiken rahmten und aufhängten. Man erhält einen ganz neuen Zugang zur Kunst, erfährt Argumente und Zusammenhänge aus erster Hand. Als ich am Donnerstag nachmittag zur Stalder-Arbeitsgruppe stiess (Uwe und Andreas hatten schon morgens begonnen), werkelten alle eine Zeitlang stumm vor sich hin und ich drohte mich zu langweilen, als plötzlich ein Zwischenfall (ein neugieriger Besucher versuchte eine Absperrung zu 'durchbrechen') das Eis schmolz und man ins Gespräch kam. Der wortkarge und pingelige Stalder wurde zunehmend gesprächiger und lustiger. Wahrscheinlich war er anfänglich vom Museumsbetrieb ebenso eingeschüchtert, wie wir von seiner Gegenwart (jeder versucht ja besonders vorsichtig mit den Dingen umzugehen, bis dann prompt etwas passiert... diesmal zum Glück nicht!). Übernächste Woche soll Ruthenbeck seine Installation einrichten. Es handelt sich um zwei Tuffsandhaufen mit drinsteckenden Metallröhren – natürlich ein "Fressen" für mich. Wenn es irgend möglich ist, möchte ich ihn interviewen, oder wenigstens während des Aufbaus ausfragen... Wenn ich sonstens an meine Sandelei denke, wird mir zunehmend mulmiger. Wie soll ich die nur auf die Reihe kriegen; hab ich mich mit meinem Programm nicht doch übernommen? Allein das Heer von Künstlern durchzumustern, wird eine Unendlichkeit kosten – und Ablenkungen lauern hinter jeder Ecke! Den gestrigen Abend hätte ich eigentlich besser auf Sand gebaut, zumal der Film wirklich nichts Besonderes war.

Meinster, manchmal wünschte ich, dass schon Herbst und das Schlimmste überstanden sei. Auch wärst Du dann endlich Ludbreg los, und wir könnten unser fliegendes (Luft-) "Schlossatelier" in die Tat umsetzen. Vielleicht bist Du ja schon früher befreit, wenn Dus schaffst, Xenia anzuheuern und sie sich als wirklich so lernfähig erweist, wie Du hoffst.

Mut, es kann sich schlimmstenfalls nur um wenige Monate handeln und wie wär’s eigentlich mit einem Carnevale in V. ...?

Dein gespannt auf die neuesten Nachrichten wartender Nymph.
...

16.00. Wie gut mir Dein Briefchen getan hat, habe ich Dir schon mündlich gesagt; ich fühle mich wie verwandelt, voller Energie und Unternehmungslust; hinzukommt das so positive Gespräch mit Xenia, die ich fast zu einer Zusage gebracht habe, auch wenn sie aus Solidarität für ihre krebskranke und demnächst zu operierende Chefin den Zagreber Museumsladen nicht ohne reifes Bedenken niederlegen mag. Mit ihren 34 Lenzen und facettenreichsten Lehr- und Wanderjahren durch klassische Schulung, Mathematik- und Naturwissenschafts-, Architektur- und Kunststudium, Lehrerberuf und so manchen Gelegenheitsjob scheint sie mir bestens geeignet, in Ludbreg Leiterin zu werden. Ihr Charisma und ihren Witz, Freundlichkeit und Ehrgeiz, Selbstbewusstsein und musische Qualitäten habe ich neben ihrer Lernbegier genügend kennengelernt, um sie promovieren zu können. Und vor allem käme sie trotz aller Bindungen an Zagreb ans Mittelpunkt-Weltende Ludbregs, womit sie wohl alle anderen Konkurrenten ausstechen dürfte. Bleibt uns, die Vorschläge der RZH-Maffia abzuwarten und zu parieren; kommt sogar Echterding, dürften wir gewonnen haben... Die Weltlage ist gut genug, die ersehnten Kredite in konkreterem Licht sehen zu lassen, war doch gestern Clinton zuerst im bosnischen Tuzla und anschliessend vom Marionettenpomp Tudjmans geschmeichelt, im jubelnden Zagreb. Er lief mit schlammverklebten Clarks und verbeulten beigen Gabardinhosen und einer braunen Rockerlederjacke über den steif militärgesäumten roten Teppich und reichte salopp den stramm erschauernden Ministern und anschliessend unter den höchstbesorgten Augen der Wachleute Hundertschaften von unausgelesenen Bürgern die Hand! Man lachte schadenfroh über den devot herumwieselnden Präsidenten Hrvatskas in Krawatte und Staatsmantel, der unentwegt Ministernamen murmelte, was Clinton nicht im geringsten beeindruckte. Eine italienische Soldatenmutter soll ihm in Aviano ein Weihnachtspaketchen für ihren Sohn in Bosnien zugereicht haben, welches er prompt dem Adressaten dort aushändigte (ohne dass darin eine verborgene Bombe losging...). Die Lösung im besetzten Ostslawonien, betonte er in seinen wenigen Worten, sei ihm besonders am Herzen und die Kroaten sähe er als friedliebend und zuverlässig an. Solchen Beteuerungen müssten eigentlich die Deutschen bald bündelweise Millionen an Geldern hinterdreinwerfen, um die ersten Investoren zu sein, wenn sich das Land zu Prosperität aufrappeln wird.
17.00. Nymph, bester, lass Dich nicht zu sehr von den haufenweisen Sandkünstlern piesacken (kroatisch heisst Sand übrigens "pijesak"!) Es wundert nicht, dass Du jetzt im chaotischen Anfang vor Sandkörnern die Düne nicht mehr siehst und Sandwehe! rufst statt "heureka!" oder "O thalatta!" wie die erschöpften Söldner Xenophons, als sie den rettenden Sandstrand des schwarzen Meeres erreichten. Wisse, dass Dein Glaube an die gute Sandsache Sandberge versetzt. Wenn Du Dich als Sandkorn oder -dorn im Auge des Cyklopen fühlst, wisse, dass Balken aus Sandelholz die missgünstigen Augen Deiner Nächsten zieren (Ich hätte Bibelredaktor werden sollen...). Denk auch an den totgeschossnen Hasen, der klever wie er war, auf dem Sandberg Schlittschuh lief (und daneben Bildertransporte einpackte...): nichts ist leichter, als sich ohne Sandalen im Sande zu verlaufen, nichts schwerer, als bei 40 Grad Sand in die Wüste zu tragen (und dabei nicht an die Eulen in Athen zu denken...) und nichts dümmer, als einen für seinen Unsinn zu bestrafenden Sandfloh in die Wüste zu schicken.

Du siehst, letzterer ist wieder bei Laune. Schade, dass ich sie nicht zu Deinem Nutzen an Deinen Sandpapieren auslassen kann; jede versandelte Energie ist in den Sand geschrieben oder gesetzt, je nach Verleger. Schade auch, dass es keinen Sandalismus gibt, der Restauratoren ernährt, ich würde Dir tüchtig zuarbeiten. Sandküsschen, Faun.
18.00. Aber es bleiben noch acht Sparzeilen, die ich Dir nicht unterschlagen darf, da Du mir doch ein so sandftes Billett gesandt hast, mit dem Du mir einen so sandwehen Sandstein vom Herzen rolltest: denselben verrieben, werde ich noch Tage davon Sandkuchen und -torten backen und Sandwiche bestreuen, kurz, mich redlich über die Tage hinweg nähren, in denen Du die Sandküsten Malmös nach Sandwerken durchforstest. Dein sandfarbner Sandhase begleitet Dich in Gedanken durch die Sunde in Erwartung der Sünden, die uns der Karneval Venedigs vielleicht zu begehen erlauben wird...Faun.

(156) Ludbreg, Montag 15.1.1996; 5.50.

Nymph,

Ich sehe Dich in Gedanken bereits beim Packen Deiner Reiseutensilien, die unheilige Morgenstunde verwünschend und doch in spannender Erwartung Deines Ausflugs in den Norden, den Du noch nicht kanntest. Hoffentlich lässt Dir der Vorwand Zeit genug, Dich in den Städten Malmö und Kopenhagen umzusehen und ihre Kulturschätze zu entdecken! Den Hund habe ich mit meinem frühen Schlafen gegen sieben (!) übertölpelt; heute morgen weckte er mich nur, um mich aus dem Haus zu treiben, damit ich Dir rechtzeitig eine gute Reise wünschen könnte...

Ivan schnarcht auf der entfalteten Couch in der Küche; er hat wohl die Nacht lang an Ludberga gepflastert oder ihre linke Hand in Holz geschnitzt, die, nach seiner Meinung besser halte, als der brüchige Ton. Die gute wird also ein Agglomerat, ein Polymorph, ein fast biblisches Zwitterwesen aus Ton und Holz, antikonzeptuell auf Sand, anaeroben Äther, eine goldige Geduld, silbernen Mangel an Handfertigkeit und eiserne Hoffnung auf Bestand gebaut. Ivan liebt Ludberga wie Pygmalion seine Galatea; er spricht mit ihr, streichelt sie, glättet ihre Falten, feuchtet ihre rissige Haut des Morgens. Aber noch immer ist sie etwas ältlich, d.h. vom Fleische Ivans, eine echte Zeitgenössin; gut, dass sie die Lippen geschlossen hält, vielleicht würde sie kroatisch reden und auch nur auf einem Zahn kauen. Vielleicht braucht sie eine Verjüngungskur unter Nebenbuhler Stefans kundigen Händen, eine Nacht an der wärmenden Seite eines schlaflosen Antiquitätenhändlers oder ein inständiges Gebet an Aphroditen, sie mit ewiger Jugend oder besser weggebrochenen Gliedern zu beschenken...
16.00. Unsere Situation gerät zur Operette: nach pausenlosen Diskussionen über die Lage und Xenias Quasizusage, nach der Einstimmung von Velimir und Kapusta, die mir recht gut gelang, der Programmierung Darvins, der überraschend gekommen war und den ich prompt mit Mendel reden liess, um diesen für eine Mittwoch-Vorbesprechung zu erwärmen und der ebenfalls von Xenia überzeugt wurde, ging ich die letzte Hürde an: Edita, die einzige Vertraute Vrkaljs, sollte die frohe Botschaft in Zagreb überbringen, damit letzterer nicht waffenlos am Donnerstag überrumpelt würde und etwa im Zorne die Sitzung verliesse. Edita redete eine Ewigkeit und taumelte schliesslich bestürzt in unsere gespannte Runde zurück. Anfänglich hatte Stinko brav zugehört, unseren Personen-Vorschlag als räsonabel aufgenommen, aber mit zunehmendem Überdenken sich in eine wachsende Hysterie gesteigert, die an Verfolgungswahn grenzte. Am Ende mutmasste er ein Kesseltreiben, ein Komplott von langer Hand und wagte zu äussern, Darvin habe nur demissioniert, weil er meinen, bzw. unseren Plan ahnte! Sogar Edita bezichtigte er der Intrige und glaubte nicht, dass mir erst in derer Gegenwart am Donnerstag, den 11.1. abends die Idee mit Xenia einfiel. Er wollte mit mir auch nicht mehr reden und drohte, die Donnerstagsitzung zu boykottieren: das Kind will sich selbst mit dem Bade ausschütten. Wenn er solches tut – es wäre eine Ohrfeige an Mendel und eine solche an die Bayern, soll’s uns recht sein; die Trennung von Zagreb gelänge uns so mit besseren Chancen, ohne uns weitere Gewissensbisse zu verursachen.
Morgen früh werde ich ein etwas gezinktes Canossagespräch mit Stinko führen müssen und ihm klaren "Gemisten" einschenken, wenn er den Kelch nicht lieber an sich vorbeigehen lassen wird und etwa krankschreibt, wie auch schon. Oder wäre einfach besser, ihm durch Fleurope eine rote Rose zu schicken?
18.45. Die Diskussionen nehmen kein Ende: Edita verteidigt Stinko gegen Ivan, ich rechtfertige den gelähmten Betrieb, alle reden von Verbesserungen, aber keiner will sie zum 0-Tarif einführen. Edita drängt mich, morgen Stinko zu besuchen; Ivan findet, es wäre dessen Sache, zu mir zu kommen; ich habe keine Lust auf Zagreb; vielleicht träfe man sich auf halbem Wege?

(157) Ludbreg, Dienstag 16.1.1996; 6.50

Nymph, [...]

17.25. Meine Sandkastenspiele mit ‘Banner’ und Printer (hier nur ein kleiner Vorgeschmack...) verlängerten sich auch noch in den heutigen Morgenstunden und erst jetzt kann ich über den turbulenten Tag berichten. Stinko liess sich mit keinem Mittel ausmachen, geschweige anrufen, schon gar nicht besuchen. Aber Mendel rief besorgt an, warum denn die Sitzung so wichtig sei und ob Echterding käme; von ihm weiss ich nur, dass er irgendwo unterwegs sei und zur Anreise gedrängt würde, sobald man seiner habhaft...

Ich besuchte den Bürgermeister, um ihn zur förmlichen Einladung Xenias zu überreden, was er gerne tat. Das vertraulich-offiziöse Billett überbringt heute abend Künstler Petrac persönlich in Zagreb, der gerade da war und sein Modello zur mosaizierenden Gottestankstellenfront vorstellte. Ich überfiel ihn sogleich mit Ludberga und dem Antipodenmosaik, das ihn prompt begeisterte, weil er sich in einer mystischen Phase befände und gerade die vier Elemente verarbeite. Im Nu zeichnete er mir seine eruptiven Vorstellungen vom Antinabel der Welt mit Meer, Feuer und Flamme, projektierte Weinlabels, Ludberga-Etiketten und schilderte zwischendrein die visionären Licht-Vorbilder bei Grünewalds Colmarer Altar für seine Riesenfassade. Križanić machte runde Augen und liess sich wieder für den inzwischen etwas vergessenen 1. April harnischen. Tagsüber kämpfte Edita wie eine Löwin für ihren Stinko und den Zusammenhalt mit Zagreb, was mir nicht unlieb war, da ich so die Gegensicht einschätzen lernte und mich entsprechend taktvoller verhalten kann. Ich komme mir etwas wie ein Aushilfe-Dirigent im unsichtbaren Orchestergraben vor; die Laienmusiker stimmen ihre noch misstönenden Instrumente, während oben hinter dem Vorhang die Ballerini Mendel und Vrkalj sich anfremdeln, die gute Fee noch unterm schwarzen Schleier steckt, Falstaff Križanić poltert, Darvina in Hosenrolle die letzten Hüpfer vollzieht und alle andern fieberhaft ihre Schmierentexte repetieren, während sie auf das Vorhanglüften warten.
Soll ich Dir einen Sandpfeil verschiessen?

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