Ludberga bis 23 95



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Unser Antipodifex maximus schritt, seiner Sache nicht so ganz sicher, zum Feuerzeichenschlot am rechten Seitenpilaster, entfachte in dessen kleiner blechverkleideter Höhlung ein Feuerchen, streute ein graues Pulver darüber, das geschwinde den ganzen Raum mit seinem Niespulveraroma verpestete und als weisses Räuchlein auf dem Rotundendach hochquirlte.

"Habeamus oraculum!!" schrie der Torwächter Polydoor und das wartende Volk fiel ein. Kuchenbeck eilte hinaus, entrollte feierlich das knittrige Orakel-Pergament mit dem Stadtsiegel, als läse er es zum ersten Mal und rezitierte vom eingefalteten Spickzettelchen den ominösen Vers und wartete auf die Wirkung im Publikum. Nichts. Dann Gemurmel. Aus der Gruppe der Honoratioren ertönte andächtiges Akklamieren, gefolgt vom Ovatieren der Weiber, aus der Gruppe der forschen Vestalinnen indessen verdächtiges Reklamieren. Die Bürgermeister übertönten die Runde mit dem offiziellen Dank der Gemeinden und der Bitte an den Oberpriester, eine gegebenenfalls kostenpflichtige Auslegung des Spruches folgen zu lassen. Man rief eine Studienkommission ins Leben, die unter Anleitung des geheimen Orakeloberfachausschusses sich im nahen Tempelgärtchen zu ebenfalls kostenpflichtigem Sprudelwasser über die Parolen beugte. Nach gut zweieinhalb Sonnenspannen auf dem Heliometer war man der einhelligen Meinung, dass Vers eins eine Selbstzüchtigungs-, bzw. Geisslerpraktik bedeute, die den Liebesüberdruck mässige; mit der ‘Braut’ hatte man schon einige Mühe mehr: Windsbraut? etwa eine kneippsche Windtherapie? das Angehen, schonungslose Vorgehen gegen jene? Die Teufelsbraut! ja, die des Fliegenkönnens verdächtige Beffana, musste gemeint sein! sollte man sie mit Aphrodisiaka oder Fliegenpilz vergiften, in Liebfrauenmilch ertränken? mit Liebstöckel und Labkraut verbrennen? als Sühneopfer, als Liebespfand? und wem zu Ehren? der Isomer oder einer der 10 000 Jungfrauen, die man vor Urzeiten durchzuzählen begonnen hatte und denen man Stück für Stück mit Namen, Zivilstandsdaten und Attributen zu huldigen pflegte, und irgendwo beim Buchstaben "M" angelangt war.


Beffana hatte – war sie doch misstrauisch hinter dem Trüppchen hergehinkt – kaum dass ihr Name fiel, laut aufbegehrt und im Namen der Frauenschaft und des Gesetzes protestiert: von wegen Braut, drei handfeste Ehemänner habe sie schliesslich schon notariell an ihrem Busen verschlissen und unter die Erde gebracht, ohne einen Hauch von Obduktionsbegehren seitens der Obrigkeit; aus blütenreiner Liebe! Nun, man werde den Fall zu gegebener Zeit, zu Johannis oder Walpurgis prüfen; vielleicht brauche es einen Volksentscheid; und sich mit Liebesdiensten freizukaufen wäre, wenn die Konjunktur wieder anzöge und die Liebe wieder entsprechend blind mache, doch auch noch möglich, man sei ja nicht unmenschlich...
Und dann, was sei ein Triebezügel? eine Abart oder das Gegenteil von Treibriemen? mit Hiebeliebe und Prügelei machte das nach Adamec Riese, genannt Risotto, in der Tat eine Dreiheit; frei nach Antipythagoras dem Stadtmystiker müsste das Enigma indessen in Zwiebelhügel, Triebliebe und Pröbelei aufgelöst werden und habe nichts mit Schlägerei zu schaffen, was der Abgeordneten der Feministinnen einleuchtete. Aber Risotto wollte unbedingt das "r" aus dem drittnächsten Wort entfernt haben und erntete erbitterten Potest, Antipathie wollt' ich sagen. Dann begann die Prügelpartei wieder Oberwasser zu bekommen, die erneut Beffana zu ihrem Sündenknaben bzw. Prügelbock zu erkiesen empfahl, da doch die von ihr angebotene zinspflichtige Liebe Hiebe verdiene und zu präamorosen, bzw. podischen Zeiten, d.h. als Beffanas Geschäfte noch weniger moros waren, wahrlich zu Prügeleien unter den Freiern geführt habe. Die älteren Moralisten murmelten beifällig zu, man trennte sich unentschieden, aber, wie man glaubte, entschieden aufgeklärter. Gerbdula würds schon richten...
Das Völkchen, inzwischen längst den mitgebrachten Butterbroten und den Andenken zugekehrt, war’s denn mit den sibyllinischen Auslegungen vorläufig zufrieden und schickte sich zur Heimkehr, wenn auch in weniger geordneten Reihen; nur die Phalanx der modisch in Sacco und Vanzetti bzw. Versace gehüllten Lesben blieb in Formation, sapphische Oden singend, Fackeln verteilend und über die Haremsdamen spöttelnd, deren molligere Kondition sich sang- aber nicht klaglos spürbar machte und so manche bereits zur Nächtigung in gerbduL nötigte.

Die Priester und Bürgermeister hatten sich längst mit Kuchenbeck, und Chrisanthemovic ins nahe "Antikaputtnik" zurückgezogen, wo sie Petrifix, Efta und sieheda, auch Jugail bereits im fortgeschwipsten Zustande erwarteten, um über Wahlgeschenke, das drohende Antikorruptionsgesetz und den Antikommunismus zu feilschen. Einige der Honoratioren spielten mit spitzen Ohren Antipoker im Nebenräumchen, ein typisches antipodravinisches Monopolyspielchen für zeitweilig Taubstumme, die in den Karten zu lesen verstanden, was man hinter der Sperrholzwand fern aller Lauscher abzukarten glaubte.


Da geschah das erflehte Wunder.
Einkehrer, Heimkehrer, Spätheim-, Inderfrüh-, Ammorgendanachheimkehrer, ja die arglosen Strassenkehrer ereilte der göttliche Fingerzeig gleicherweise: die fröhlichen ersten, die ihre Wegzehrung mit den zweiten und der gebührenden Tränke begossen hatten, die dritten, die nächtens, damit man sie nicht sah, allerhand stimmverfängliche Angebinde, die vierten, die schwer am Weh ihrer Köpfe zu tragen hatten, die fünften, deren einzelne inzwischen das Los betrogener Eheleute, eine sattel-, aber nicht menetekelfeste Neuliebschaft und eine verwüstete Sänfte zu tragen hatten, sie alle bekamen die heilsamen Prügel der allerheiligsten Gerbdula zu spüren. Gen Mitternacht ereiferten sich die Pilgrime ob einer verfehlten Abkürzung, verliefen sich, bis auch ihre Fackeln erloschen waren und nurmehr als Hiebwerkzeuge dienten, die der Mond leidlich auf die Köpfe der neugeschaffenen Gegner leitete; ob der Wahlgeschenke geriet man in Streit, weil plötzlich einer bezweifelte, der andre habe sie redlich verdient: die Präsente blieben, wie ein Teil der suspekten Besitzer arg zerzaust auf der Walstatt liegen und war endlich wer im ehelichen Haushalt angelangt, gab dieser erneut Anlass, Nudelhölzer auf ihre Bruchfestigkeit zu erproben. Den vierten waren die zweiten nicht geheuer, denn anstelle des Frühstücksetzeis setzte es Hiebe á volonté du chef und den vorletzten wurde es noch auf dem Marsche so kurzweilig, dass man das von Milomanns Gerichtsdienern erwischte Liebespaar von Tudewitzens Ungnade selbander schliesslich in besagter Sänfte tragen musste. Die blaugefleckt tätowierte Milomännin musste auf dem Esel Otokars das sichere Nachbardorf erreichen, dieweil dessen rechtmässiger Eigner in eine Posaune verwickelt, schon den Graben gerbduLs für sein Grab zu halten glaubte. Die zwei städtischen Strassenkehrer waren in Panik rechtsumgekehrt, statt die Metropole links liegen zu lassen, und wurden prompt von einem herrenlosen verkehrswidrig spurtenden Vierspänner umgefahren. So sah sich der Müll von D. und B. für Monate nicht mehr gewischt, geschweige entsorgt. Krüppel und Bettler wurden wieder von den Hunden gefleddert. Die Gänse hatten die Frösche verspiesen und Beffana hatte am vierten Meilenstein ihren letzten Zahn ins Schlüsselbein eines einst unliebsam zechprellerischen Freiers verschränkt. Aus dem Pfarrhaus wurde kund, Don Dunkan habe das Gebot der Nächstenliebe so missachtet, dass die linke Wange Don Isadors nicht mehr wusste, was die rechte tat, allerdings erst nachdem des letzteren Rütchen auf dem Hintern des ersteren im Eifer des Gefechtes entzweigebrochen. Die beiden waren übrigens die einzigen Spielverderber, die Gerbdula erbost haben dürften, weil sie Spass an ihrem Tun empfanden. Jugail fand man des Tags hosenlos von seinem walkürischen Weibe am Kirchturm hochgezogen und zum ersten Mal soll der Wetterhahn darüber gelacht haben, was sonst dem scharrenden Federvieh in der Tiefe vorbehalten war. Die aber wetterten zur Abwechslung über schlechte Bedienung und die Hähne soll man vor dem Dorftor um ihre so unmännisch verlorene Ehre haben kämpfen sehen. Den ganzen Freitag den dreizehnten widmete man einer einzigen Fehde, in der selbst die Soldateska gegen die Metzger aufgewiegelt wurde und nur das Glück der Waffenlosigkeit auf beiden Seiten rettete dem Schweineverzehr und den Uniformschneidern das Überleben. Die Fliegen mussten wieder ihr lästiges Leben lassen, die Täuberiche machten wilde Jagd auf die Spätzinnen, der Hecht oh Graus, frass Katz und Laus und Schwan und Gaul und Rind und Maus, doch ob des Streptokokkenkrieges kam alles wieder hinten aus. Oh Heilige Gerbdula! Milomann und Tudewitz soll es nicht besser gegangen sein: mitten auf dem Heimweg, aus heiterem Nachthimmel brachen sie einen Streit über ihre respektiven doch so innigst verschwisterten Schrebergärten von den Nachbarzäunen, dass es nur so splitterte. Sie schrien nach Polizei, Armeen, Erschiessungskommandos, Gerichtshöfen, schaufelten je den angestauten Mist von Wahlbetrug, Despotie, Gewinnsucht vom eignen vor das Gatter des andern, und hätten der hinkende Postbote und zwei prügelblaue Musikanten sich nicht aus dem Dorfgraben gerappelt, hätte man am Feuerwehrteich von B. zwei Kreuze pflanzen müssen, um an beider Bürgermeister zweifelhaften Nachruhm fortan zu erinnern.



(166) Ludbreg, Donnerstag 25.1.1996; 6.40;



Nymph,

jetzt knirscht der Schnee, als beisse auch er die Zähne zusammen vor Kälte; alles kämpft gegen die weisse Pracht und das Kehren eines jeden vor seiner Tür verliert alles Tugendhafte: wohin mit dem Geschaufelten? vor die Tür (s.o.) des schlafenden Nachbarn, wenn’s der zur Zeit ohnehin nicht aufgehende Mond nicht sieht? auf die Staatsstrasse? ein Räumschiff wird kommen... und's Dir wieder vor den Latz bergeln. Man könnte ihn mit Profit verkaufen, an die Dalmatiner etwa, die nie etwas von ihm haben; nur weiss ich nicht, ob er fleckenlos dort ankommen würde.

15.45. Unser Printer ist immer noch in Revision; er sei nach Zagreb geschickt worden. Ich habe Ersatz verlangt, aber ob man hier einen findet?

...

Am Abend des besagten dreizehnten wimmelten die plazebosnischen Hügel von geflohenen Ehemännern, sie verfolgenden, mit den skurrilsten Schlaginstrumenten bewaffneten Eheweibern, heulenden abgerissnen und verstrubbelten Kindern, vertriebenen Bettlern, eben noch entkommenen Journalisten, herrenlosen Liebestouristinnen auf der Suche nach den Chauffeuren ihrer zerstrittenen Vierspänner; Vieh streunte ungemolken umher, selbst Schafe blökten sich feindselig an, ja die Eier in den Nestern sollen sich gegenseitig die Köpfe eingeschlagen haben. Nur die Füchse hatten ihre Ruhe, weil kein Waidmann auch nur im Traume daran dachte, seiner vormalig Liebsten einen Fuchsschwanz zu verehren. Die Spitäler der Gegend waren überbelegt, weil auch die Regierungselitetruppen in Eilmärschen an- und eingeschritten waren. Das 80-hektaren Wohn- und Produktionsgebiet wurde mit improvisierten Flechtzäunen eingefriedet und zur Katastrophenzone erklärt; Marinesoldaten patrouillierten entlang der Wasserläufe und des Feuerwehrtümpels und liessen mit harschem Zwange Amtshexe Beffana die Brunnenwässer vorprobieren, ob sie nicht von lieblosen Elementen vergiftet worden seien.
Vierzehn Tage dauerten die Nachwehen des Wunders: die allgemeine Erschöpfung, die Beulen und Flecken, so manch angeknackstes oder gebrochenes Glied, heiser krakeelte Hälse, schmollende Braut- und Eheleute, mutgekühlte Parteien, die Industrie in Zwangsferien, die Bankniederlassung verrammelt, die Post arbeitslos, die Kultstätten voller Invalide, die Ärzte übernächtigt. Die Chroniken berichten, dass erst nach Monatsfrist Gefühle jedwelcher Art wieder erwachten und dass die ersten Zeichen wiederauflebender Sympathiezeichen bei den Tauben auf den Dächern festgestellt worden seien. Es soll dann einem Jungmanne gelungen sein, eine Dulcinea auf der Tudewitzallee Nähe Kononialwarenhändler Appelwoizek zu grüssen, ohne die zu erwartende Ohrfeige zurückzubekommen. Andere ähnliche Fälle häuften sich und nach einigen geschlagnen Monaten rückten die Ehepaare ihre zersägten Betten wieder zueinander.

Die Bürgermeister hielten ihre erste gemeinsame Sitzung im verschneiten August und die Klammheit der Gefühle hinderte ein erneutes Aufflammen von Aggressionen. Immerhin sah man normalisierten Zuständen entgegen und zaghaft heiratete man wieder über die Dorfgräben hinweg. Nach Jahresfrist erfreute man sich in sommerlicher Unbeschwertheit des Wiedererblühens alter Liebeleien und knüpfte schliesslich an die frivolsten Nächte von einst. Die Bürgermeister traten mit Bruderkuss zusammen und man beschloss, in Erinnerung an die kathartische Wirkung des Mirakels, dieses jährlich mit einem Dankopfer an Gerbdula zu begehen, jener im geometrischen Mittelpunkt der Schrebergärten zwischen den Dörfern ein Monument zu errichten, in welches der Orakelspruch gegraben werde. Da die Kate der Beffana nicht weit war und kein weiteres Zeichen des Himmels sie carnaliter zu opfern befohlen, so trug man ihr an, den Temenos zu betreuen, ordentlich und regelmässig zu bekränzen, mit des schlitzohrigen Cernovicens Wein zu begiessen (oder einem weniger verpantschten Substitut, versteht sich, denn Beffana galt als Leckermaul und, a propos, man stiftete ihr zum Troste für ihr entfallenes Martyrium auf Staatskosten ein komplettes Gebiss und eine zweimonatliche Dauerwelle bis auf Lebensende). Per Volksabstimmung, an der sich nur die virulentesten Feministinnen der Stimme enthielten, vermelden des Weiteren die Chroniken, etablierte man am Ende feierlichst, jeden künftigen Freitag den dreizehnten als vogelfreien nationalen Prügeltag einzurichten, an dem, wer auch immer es nötig habe, seinen Liebesüberschuss innerhalb eines Zeitraums von 24 Stunden loswerden könne, sofern er sich lebensgefährdender Waffen enthielte. Da dieser Hieb- und Sticheltag nur etwa zweenmalen pro Jahr mit öffentlicher Vorwarnung eintreffe, sei jedem gegeben, sich rechtzeitig in Sicherheit zu bringen. Seit jener Satzung gerieten besagte Freitage zu Volksfesten für allerlei Schaulustige der Hauptstadt und der Provinz, die mit den erdenklichsten Raffinessen der Ausplünderung dank Eftas Tourismusstrategien die Gemeindekassen blähten; den unmittelbar Betroffenen brachten sie die ersehnte Ventilierung der Gefühle, die Ruhe nach Liebes- und Gemütsstürmen, den Reiz der Gegensätze, die sich handfest berührten, den Ausgleich zum Langeweilestau, kurz Vorzüge, die kein Karneval so harmonisch in Disharmonie vereinte. Ehestreitfälle, aussersaisonnale Eifersuchtsraufereien, Depressionen, widernatürliches Begehren, Mordlust usw. (alle aus reiner Liebe versteht sich) gehörten seither der Vergangenheit an, ja die Chroniken hörten auf, Bargeld und Darbgeiz forthin auch nur zu nennen, da alles Unbillige in den plazebosnischen Höhen sich von nun an in "eitel Liebe mit Pfiff" auflöste (man meinte den sprichwörtlich gewordenen berühmten Startpfiff Exboxkampfrichters Vitkobuc zum ritualen Männlein/Weiblein-Handgemenge, mit genetischen Varianten und überkreuz "gemišt", organisiert vom Turnverein JANUSODE, den Polizei/Feuerwehr/Dorfmusik- und Miliz-Riegen auf dem ehemaligen, nun ausrangierten Schindanger). Wenn man die beiden Dörfer ob ihrer minnebedingten Geschichtslosigkeit weltweit vergessen hat, heisst das nur, dass sie sich bis zu Baselicens Urknall bestens vertragen haben müssen. Ihr kataklysmisches Verschwinden ist ein bleibender Verlust für das Weltgewissen, die UNO, die NATO, die UNCRO, die UNWRA, die UNESCO und wie sie sonst alle heissen mögen, denn das glorreiche Beispiel hätte ja auch andernorts als in der Antipodravina Furore machen können...

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(167) Ludbreg, Freitag 26.1.1996; 6.35;

Nymph,

Schon wieder Freitag, Gott sei Dank, und bewahrt mich vor dem Gefängniskoller; was wäre, frage ich mich, dies Jahr gewesen, ohne telematische Fäden nach der Aussenwelt? Ohne jene zu Dir, wäre ich wohl überhaupt nicht hier gelandet; schon das Fehlen des Druckers lässt Ivan schmunzelnd bemerken, brächte mich ja offensichtlich an den Rand des Nervenzusammenbruchs; von wegen Echterding schreiben und so....

Schnee und Eis belagern Wege und Hauptstrassen nun so hartnäckig, dass ich beginne, mir für den 7./8. Sorgen zu machen, wie ich überhaupt eigenrädrig aus dem Lande entweichen soll!
10.00. Zurück mit Ivan aus dem Spital, wo man mich regelrecht von zwei jungen netten Ärzten zerlegt hat. Vier Adrenalinspritzen sitzen mir noch in den zittrigen Knochen. Die Wucherung kostete mich ein teelöffelgrosses Loch in der Hüfte; den Hautverlust spurtete Velimir soeben nach Varaždin ins zystologische Labor, um meine Lebenserwartung abzuschätzen und wohl in der Hoffnung vielleicht doch noch vorzeitig Werkstattleiter zu werden. Aber Unkraut verdirbt wohl ebensowenig wie Wucher...

Ich schrie soeben nach dem miesesten Printer, den's aufzutreiben gäbe und wenn’s ein Uraltmodell sein soll, wenn er nur zum Sprinter würde, um mich über die Wochenendhürde zu setzen...
11.00. Alles sp(r)intisieren hat nichts genützt, die neue alte Kiste versteht die Umlaute und die Überbringerin die Hardware nicht. Die Briefe an die Dioskuren Mendel und Vrkalj nach Zagreb drängen; Edita und ihre taube Kollegin sind ohne diese abgereist, die Neue, die Albanerin Drita, aus Brod nimmt sie heute Abend mit, wenn wir mit dem Umprogrammieren zurande kommen.
12.30. Noch bin ich nervös und quatschhaft, dank der obengenannten Drogen und ziehe die verbleibenden Hausgenossen auf. Was so a bisserl spritzn alles ausmacht.

Hier ein süsser Brief von Vijezdana, der ganz Dich angeht, im getreuen Wortlaut:

LIEBER HERR RIJEKA, HERZLICHEN DANK FüR IHR (SCHöNES) EMPFEHLUNGSSCHREIBEN! IN EIN PAAR TAGE SCHREIBE ICH AN HERR ECHTERDING NACH MüNCHEN. UND ICH HOFFE.

UND JETZT üBER SAND:

IM SOMMER 1993 AM INSEL MIJET, IN DER NäHE DUBROVNIK (MIJET IST UNSER SüDLICHSTE INSEL), WAR EINE KOLONIE FüR KüNSTLER ORGANISIERT. DIE SITUATION IM GEBIET VON DUBROVNIK WAR NOCH IMMER SCHWER WEGEN KRIEG UND DIE VERKEHRSBINDUNGEN MIT INSEL WAREN SCHLECHT (GENAUSO IN DIESEM SOMMER, 1995, WANN ICH AM MIJET WAR)...

(KEIN TURISMUS, ABER, GOTT SEI DANK...)

DER ORGANISATOR HAT FAST KEINE MITTEL FüR MALEN VORBEREITET, UND NACH EIN PAAR TAGE (SONNE, MEER, WALD, HIMMEL... LEGENDE SAGT DAss AM DIESEM INSEL NYMPHE KALYPSO LEBTE, WEITER WISSEN WIR SCHON...), ABER, NACH EIN PAAR TAGE, DIE KüNSTLER WURDEN SCHON NERVöS – WOMIT MALEN? DANN HABEN EINIGE VON KüNSTLER EINE INSTALATION AUS SAND, HOLZ UND RESTE VON MEER AM STRAND INSTALIERT. DAS WAR ETWA WIE EIN TOTEM (HAT ABER NICHT LANGE GEDAUERT – BIS ZUM NäCHSTEN STURM). DIE ANDERE HABEN INDIVIDUELL IN IHREN HOTELZIMMER ETWAS GESCHöPFT: HABEN SAND UND BLäTTER VON TANNEN IN ZIMMER MITGEBRACHT (DIE HOTELPUTZFRAUEN WAREN BEGEISTERT, ABER HABEN GESCHWEIGT...DIE KüNSTLER AUF SO EINEM INSEL SIND SO SELTEN, VIELLEICHT AUCH GEFäHRLICH...). SAND UND TANNENBLäTTER HABEN MIT " DRUOFIX" [DUROFIX? ANN.V. MIR] (KLEBEMITTEL) AUF PAPIER... IN EIN PAAR TAGE WERDE ICH HöREN, WO DIE PHOTOS DARüBER GIBT. DANN SCHICKE ICH WEITERE INFORMATIONEN NACH LUDBREG. BIS DANN, HERZLICHE GRüSSE V.

(DIE KüNSTLER WAREN: MIRJANA VODOPIJA, VESNA POKAS, HRVOJE SERCAR, EVELINA & ANTUN MARACIC)

P.S. VESNA POKAS HAT MIR NOCH ETWAS GESAGT: ALS SIE KEIN MALMITTEL HATTE, HAT SIE DIE "MINIMALISMUS" WIEDERENTDECKT: SAND, STEINPULWER UND ROTE ERDE – ALS GRUNDPIGMENTE – DAMIT HAT SIE MINIMAL-ZEICHNUNGEN GEZEICHNET: 3 SCHACHTEL AUS HOLZ, WEIssE "LINIEN" MIT STEINPULWER (SELBSTGEMACHT), SAND UND ROTE ERDE...SIE SCHICKT DAS PHOTO, SIE HAT EIN.


18.00. Nach drei Stunden Fummelei zogen die Computerhelden unverrichteter Dinge wieder ab; am Ende waren sie zu dritt, mit zwei verschiedenen Druckern und nichts ging: die Umlaute waren ihnen mit bestem Willen nicht zu entlocken; ein trübes Wochenende für Dich! morgen versuche ich im Geschäft selber wenigstens das Angestaute auszudrucken. Die offiziellen Briefe korrigierte ich von Hand; sie sehen schrecklich improvisiert aus. Wenn ich in die Druckerei durch Windows einsteigen könnte, vielleicht würde ich fündig! oder wäre das umlauterer Wettbewerb? heiligte der Zweck nicht die Mittel? aber meine operierte Seite fördert das Fensterln nicht: die Wunde ist vom Herummurkeln so aufgetaut, dass jede Bewegung ergo-ökonomisch berechnet werden muss. Alle sagen, ich gehöre ins Bett und morgen sei auch noch zwei Tage. Naschen wir erst mal: Ahh, wie Du guttust! ein Blitz fährt in die Glieder, die schmerzensreiche Naht verstummt, die Energien schäumen vom grossen Zeh bis ins Ohrläppchen. Ich frage mich, warum Leute Drogen konsumieren! Ein Telefon mit der Angebeteten ersetzt den weissesten Koks.
Dein Alltag im Museum, Deine Begegnung mit schrulligen Künstlern, Missgeschick und kleine Triumphe, Deine sandigen Entdeckungen, alles interessiert mich ungemein; erzähl mir davon, wenn Deine Erschöpfung kein Geschichtchen mehr zulässt. Alles was einem zustösst, ist gelebte Gegenwart, wenn sie in Worte gefasst ist, und bleibt so in die ferne Zukunft hinein erhalten; Du wirst mit Vergnügen dereinst daran zurückdenken und froh sein, die Farben im schriftlichen Echo wieder heraufbeschwören zu können. So ist Malmö wohl schon wieder verblasst, weil Du die Zeit nicht mehr fandest, es zu beschreiben...

Ivan kam, um an Ludbergen zu bosseln; sie ist zu dem geworden, was ihm vor Jahresfrist die Honoratiorenportraits waren; die beiden Holzhände sind die miniaturierten Ebenbilder der seinen; auch der eher hagere Kopf ist selbstbildnishaft; wenn er an ihr arbeitet, ist dies eine Art Meditation über sich selbst. Darvin meinte unlängst, er sei alt und zerstreut und somit eine Gefahr fürs Haus; man müsste ihn in Pension schicken. Was er denn von mir denke, fragte ich ihn, der nur zwei Jahre jünger sei. Ich wäre ja schon in Pension, warf er hin; und eine Weile würde mich das Haus noch verkraften...

(168) Ludbreg, Samstag 27.1.1996; 6.45;

Nymph, allerbester,

seit gestern abend steht ein Planlastwagen auf dem Dorfplatz mit Kühen oder Kälbern darin. Heute früh brüllen sie erbärmlich und müssen halberfroren sein; entsetzlich, wie Menschen mit Tieren umgehen. Fleischessen wird einem wieder mal zum Memento, wie widerlich und degeneriert diese Krone der Primatenrasse eigentlich ist und wie trostlos es wird, wo sie sich auch immer breit macht. Wohin der Mensch vordringt, trägt er Leid und Vernichtung; Kunst und Kultur erscheinen mir manchmal wie eine zynische Maskerade, die Wahrheit über uns zu bemänteln. Der ästhetisierende Luxus, die Apotheose eines verabsolutierten Sandhäufchens zu feiern, schliesst den Künstler eigentlich von der Wahrheit aus und entführt ihn in den luftleeren Raum. Zwischen Philosophie, spielerischer Kinderei und mörderischem Nihilismus scheint manchmal nur ein kleiner läppischer Hüpfer zu bestehen.
8.55. Nun hab ich Dich aus tiefem Schlaf aufgeschreckt, obwohl ich Dich um eine halbe Stunde schonte. Mein Gewissen ist rein wie das Laken draussen, das Ludbreg jegliche Farbe genommen zu haben scheint. Der Reif eines jeden neuen Tages summiert sich mit dem vorhergehenden, verschmilzt und verkrustet mit ihm; alles erstarrt zu einem unbeweglichen Schabblatt einiger weniger Grau- und Weisstöne, als stände die Welt einem Radierer zu Modell.

Ivan hatte wieder mal die Nacht auf der Couch verbracht und Željko, den der Schmerz schon früh aus den Federn treibt, blättert wie jeden Morgen in den Büchern der Handbibliothek, um die Zeit zu vertrödeln, die ihm sein geschienter Arm beschert; zwei Finger werden gefühllos bleiben, meint sein Arzt, auch wenn er sie bewegen könne. Ansonst schwatzt man in der Küche und liest die uralten Zeitungen zum hundertfünfzigsten Mal. Niemandem fiele es ein, einmal eine neue zu besorgen. Das Los Kroatiens scheint keinen mehr zu beschäftigen.
12.15. Zwei geschlagene Stunden brauchte es, um mir im Computerladen meine Texte konvertieren und ausdrucken zu lassen; sichtlicher Mangel an Kompetenz; hingegen ganze Schwärme von Kindern im Raume, die an vier Geräten irgendwelche Kriegsspiele probierten: künftige Käufer einer geringen, aber marktträchtigen Auswahl an hardzuverstehender Warware. Die kommende Woche werde ich vor dem Faxen jeweils ins Geschäft fahren müssen, um mein Seitchen abzukonterfeien; was tut man nicht alles für Nymphen, Musen, Dryaden, Nereiden, Charitinnen, Grazien, Horen, Plejaden und Hyaden, Nixen, Elfen, Feen, und Sirenen...

Im Spital wurde ich nach langem Warten als übern Berg befunden: ein messerbreiter, aber gutverheilender Sparbüchsenschlitz, mit dem man weissgott welch mörderische Stecherei vorgockeln könnte. Draussen trabt eine Hochzeitsmusik von der Bürgermeisterei gen Ludbergasthaus, um mir heute Nacht das Träumen zu versalzen. Der Obermilchmann der Region ist’s, der dem Sohne das Band der Ehe zu knüpfen wagt; mit welcher Milchmaid weiss ich nicht...

Nun schneits wieder: eine zauberhafte Rieselei aus einem Himmel ohne Ende. Vermummte Winzlinge tollen in den Schneewehen, rodeln den aberkurzen Schlosshügel hinab, ein Halbwüchsiger hat sich sogar ein paar Kinderski angeschnallt, um zu zeigen, wie man auf den Hosenboden fliegt...

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