Ludberga bis 23 95



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ULICA CENTAR SVIJETA mit dem Zusatz CENTRUM MUNDI ohne jede Gegenstimme gelobt; zwei oder drei Schilder wird man machen, vielleicht in Antiqua auf Marmortafeln mit den antiken seitlichen Schwalbenschwänzchen.

Petrac, Stupic und zwei weitere Unermüdliche hielten mich bis zwei bei Glase. Petrac redete ohne Unterlass, mit Vorliebe über seinen einstigen Todfeind, nämlich Darvin, den er wie einen Hund im Kriege niedergeknallt hätte, wenn ihn nicht eine menschliche Regung letztlich zurückhielt; dieses selbige hatte auch Darvin vor Monaten zu mir über Petrac gesagt. Sicher weiss man nur, dass Darvin im Majorsvorrang den verhassten Akademie-Nebenbuhler seiner militärischen Würdezeichen mit dem Bajonett entledigte, weil der im Suff seinen Wächterposten vernachlässigt hatte; der wiederum beschuldigte ersteren der Feigheit vor dem Feind, da er sich im heissesten Moment des Brudermordens nach Italien abgesetzt habe. Der Grund ihres Hasses ist wohl in ihrer fundamental verschiedenen Lebensmoral zu suchen, die je die Kreativität und den künstlerischen Charakter der beiden determiniert: hie spielerischer bis Krullscher Konzeptualismus und avantgardistischer Opportunismus, da erdgebundener Realismus und humorloses bis stures Sendungsbewusstsein. Ihr tödlicher Antagonismus hindert beide nicht, gleicherweise rettungslose Egomanen, Hypochonder und mittelmässige Maler zu sein... Jeder bezichtigt den andern der Null- und Nietigkeit, ja verbietet sich das Prädikat des Künstlers an der Brust des Gegners. Wieder mal hadert das Handwerk wider den Geist und umgekehrt, nur dass es mit beiden bei beiden nicht allzu rühmlich damit bestellt ist...
9.30. Nofta beunruhigt sich aus Split ob des Schriftsteins, ich möge doch mal nachsehen. Aber die sprach- und denkunkundigen Arbeiter in der Opcina am Stadtrand sind ohne den in Österreich weilenden Chef nicht ansprechbar; wir verlieren wieder einen unersetzlichen Tag. Der Bü. ist in Zagreb, Petrac verschläft seinen Rausch und kostbare Arbeitsstunden. Wieder geht’s mal ludbergab.
14.25. Und wies ludbergabgeht! Als ich bei Cindori mit den Paulschen Katalogen warb und wir das einzufügende "Ludbergina" letztlich in "Ludbergini" ummünzten, kam Petrac hereingestürzt und berichtete, man habe nachts die Abschrankungen des M.d.W. umgerissen und sein angefangenes Mosaik zertrampelt. Als ich mit ihm dort aufzuräumen begann, überkam ihn ein jäher Wutanfall und er zerstob den Rest der Arbeit in die acht Windrichtungen! er wolle nicht weitermachen, es sei zu wenig Zeit und er sei psychisch nicht fit; kein Wunder, wenn er mit Stupic bis vier gebechert hatte... Ich suchte ihn zu beruhigen, besorgte beim Grabsteinschneider einen Scharierhammer, obwohl die elektrohämmernden Angestellten behaupteten, so etwas gäbe es bei ihnen nicht (ich fand einen rostigen in einer Schublade!) und begann die Zementunterlage aufzurauhen bis Petrac auf mein Gesäusel einigermassen vernünftig wurde, ja zuletzt meinte, seine erste Probe hätte vielleicht auf dem glatten, abgebundenen Betongrund ohnehin nicht gehalten. Inzwischen fing ich mit der Säuberung der Torbogeninschriften an, die von Farben und Mörtelresten verklebt waren. Aber seit Petrac zum Mittagessen verschwand, ist er nicht mehr aufgetaucht; man muss ob seiner Cholerik mit dem Schlimmsten rechnen. Ich sehe mich schon als Ersatzmosaizisten in letzter Not. Das Mosaik wird am Montag unbegehbar sein, was den telegenen Torga(n)g der Würden- und Medaillenträger wohl verunmöglicht oder zumindest umzuleiten nötigt.

Man sagte mir, Du hättest wohl angerufen, so gegen zehn, als ich gerade einen Computer-Strassenschild-Schriftvorschlag auf die Bürgermeisterei brachte. Cindori lud mich anschliessend ein, sein Tellerfrühstück mit ihm zu teilen, was mir Zeit liess, ihm tief in die blauen Hühneraugen zu blicken: ein abwesender Ego- und Negozentriker, der auch noch mit einem zerbrochenen Blumentopf oder seiner gestorbenen Oma Geschäfte machen würde. Aber bezüglich Pauls brandneusten Feuerwerkereien war er Feuer und Flamme. Vielleicht gelingt es mir, ihn beim Restchen seiner Ehre zu nehmen, seine Eitelkeit mit blumiger Schmeichelei zu ködern und am Ende mit Falschgeldblüten zu kaufen...
17.10. Petrac ist wieder brav an seine Steinchen zurückgekehrt und hat einen besseren und ruhigeren Magmakreis in der Rundmitte begonnen; fast ist er froh um die Vandalentat; mir schwant nur, dass es nicht die einzige bleiben wird und nicht der einzige Psychounfall des Protagonisten. Wir werden von Passanten mit Fragen bestürmt und die meisten wissen sehr wohl, was es mit dem M.d.W. auf sich habe. Deutsche Industrielle liessen sich von mir zum M.d.W "führen". Man zeigte nicht wenig Wissbegier und Spass; bald kommen wohl auch die Feuerländer und Flamen, die japanski und kineski, die Fotografatzken, Telenovizen, Clipsmühlisten und Videologen...

Einer der Zecher von gestern abend meinte, man müsse ein Ludbergalied verfassen, das man auf der alljährlichen Prozession singen könne; aber wer textet und komponiert das noch bis Montag?! Nun, man muss ja noch ein paar Gags fürs nächste Jahr übriglassen und fürs übernächste und fürs überüber...45
Fällt Ludbreg nicht just auf die Hälfte zwischen Jerusalem und Compostela? Tatsächlich liegen die auf genau demselben Kreisbogen! Und überland führte der kürzeste Weg nachrechenbar über Ludbreg! Wenn ich das Don Canaglio hinterbringe, nimmt der seinen ersehnten Kardinalshut und macht sich wohlmöglich stracks auf den Weg, einmal gen links, einmal gen rechts; beim Herkules, welch pilgertouristische Aussichten! Das schäbige Rom, nur luftlinienmässig auf Achse mit den beiden Wallfahrermeten, ist als Caput Mundi überrundet; is caput, weil is niks mea caput; alle Putniks führen nach Ludbreg!! zufus! Ja, und Ludbreg, Du glaubst es kaum, liegt in der genauen Flucht halbwegs zwischen dem heissquellenden Island und dem wüstensandheissen Mekka! So winken von ferne die Hyperthermietherapien für frostige Gemüter, Veitstänzer, gegen Ein-und Auslaufen, Eisprünge, Durchmärsche, Wandernieren und Pilgrimmen DAS Wundermittelpunktum.
19.00. Ivan ist immer noch nicht aus Zagreb zurück; und Du nicht aus Malmö.
20.00. Da ist er. In Zagreb war grosser Restauratorenbahnhof; ein gutes und gutbesuchtes Symposium. Mendel und verschiedene Kollegen bedauerten meine Absenz. Ivan ruft soeben die Polizei an, dass sie hin und wieder ein Auge auf unsere Bauhütte habe. Ivan wittert wie immer Sabotage von heimlichen Verfolgern, Neidern, Politdelinquenten, ja halbherzigen (von Bü. genötigten) Sponsoren (?) sogar. Ich versuchs ihm auszureden und lediglich beschwipsten blödelnden Nachtlümmeln anzuhängen.
20.30. Stefan Link rief an, er könne zum 1.4. nicht kommen; vielleicht später im Mai. Er fürchtet, dass sich die bayerische Partei langsam aus der Ammenrolle für Ludbreg heraushalte. Die Zeichen aus Kroatien, handfest mitzuspielen, seien zu wenig überzeugend, um Bayern länger Motivationen zu liefern. Ist Ludbreg ein Klotz am Fusse Zagrebs würde es über kurz oder lang zu einem solchen am Fusse der Stifter. So grosskotzert weiterzuklotzen dürfte dem spendibelsten Bruderherz einmal zuviel werden. Mag er vielleicht Recht haben. Abendläuten, ik hör Dir trapsen...
20.45. Langsam mach ich mir Sorgen um Deine Rückkehr, wie beim letzten Mal, als Du Dein Flugzeug verpasstest. Ich werde hier weiter ausharren, auch wenn ich dies Seitchen nur noch zuendetippe: acht Blätter sind nach einer anstrengenden Reise ohnehin eine Zumutung; wie willst Du die verdauen? am besten spartest Du sie Dir für eine Mussestunde auf, zum Frühstück etwa, dem weise vorgezogenen, oder zum Museumsbrunch...

Morgen komme ich wohl selten an die Tastatur, weil ich zwischen Mittelplumps, Steinmetz, Grafičar, Bürgermeister und Atelier pendeln werde, wie ein bosnischer Unterhändler. Vielleicht reichts am Abend für einen Wegwerfbericht über das hoffentlich nicht allzu aufregende Tagesgeschehen. Lass Dich küssen! Faun.

(203) Ludbreg, Mittwoch 27.3.1996; 6.20

Nymph,

man tut sich schwer, aufzustehen, wenn die Pflichten, vor allem die latenten, ungewissen auf einen lauern. Einmal wieder bis mittags pennen! wie bewusstlos, wie ein Säugling an der Mutterbrust, oder meinetwegen im Brutkasten...

Ivan sagte, um sechs habe eine Frau angerufen und nach mir gefragt. Wer kann das sein! Du doch kaum um diese Zeit. Gestern abend harrte ich noch bis halb eins aus. Es muss etwas Dringliches sein, so früh nach mir zu forschen...

Mein Instinkt gab mir recht: Du warsts und Du hattest Deine abenteuerliche Lastwagenfahrt eben erst hinter Dir...
9.00. Auf Verfolgungsjagd nach dem Steinschneider, den wir schon leicht beschwipst beim Morgenbier in einer Beiz ausmachten. Er hat den Stein aus Slowenien immer noch nicht und hat also auch nicht mit dem Lettern angefangen. Ich wählte kurzum einen dunkelgrauen Granit, fast mit geschlossenen Augen und gab graues Licht auch für die Strassenschilder. Alles jammert über den Zeitmangel; kein Wunder. Natürlich ist die Grabplatte hochglanzpoliert und wir müssen sie anschliessend mattieren. Die Steinqualität passt im Grund überhaupt nicht, aber was soll’s. Ludbreg wird sich in aller typischen und kitschigen Schildbürgerpracht darstellen und warum soll man ihnen das verbieten!

Am M.d.W. grosses Gewimmel: Schreiner und Gehilfen setzen das neue Tor ein; es könnte natürlich aus einem Luxus Night-Saloon stammen und die Beschläge sind demnach. Die Türklinke ist hochglanzbrüniert und ich würde sie am liebsten sofort wieder zurückgehen lassen: bestenfalls würde man sie auf einem Misthaufen eingraben und oxidieren lassen; es gibt hier nichts anderes als geschwungenen pseudobarocken Firlefanz aus Österreich. Das ganze Tor müssen wir nach dem Fest wohl "restaurieren", auf rustikal und angeschmaucht! Petrac bezeugt da auch nicht viel mehr Geschmack. Aber es läuft wenigstens etwas...
18.40. Was für ein Tag! Ein eisiger Wind fegt durch die Strassen und das Plastikiglu, das man Petrac in Eile errichtet hat, als es zu regnen und gar zu schneien begann, flattert wie eine Sturmfahne, der Radiator, den wir ihm hineingestellt haben, ist reines Symbol. Goran puzzelt mit erstarrten Gelenken paradoxerweise an seinem Vulkan bei Atelierlampenlicht, das ich ihm brachte, um seine säuferischen Verspätungen aufzuholen. Ich lobe ihn wie den Herrn, um ihn bei guter Laune zu halten und bin froh, wenn er die toraussenseitige Hälfte des Mosaiks hinbringt. Der Steinschneider ist ein feiner älterer Mann, der alles sofort kapiert und bestens in die Tat umsetzt; er wird den Stein mattieren, Kroatien golden färben die Metropolenkreise rot und die Meridiane silbern. Die eiserne Montage macht ein hiesiger jüngerer Schlosser, dessen euphorisierenden Birnenschnaps ich zuzeiten spüre: er versetzt den Eisenring am Samstag und die einmetrige Marmorscheibe, die bereits mit über 600 Buchstaben in Arbeit ist, kommt eine Minute vor fünf am Montag hinein. Den Nachmittag verbrachte man in grossem Kreis in der Pivnica "Ludbergina" mit Bü., Blagaj und Zagrebiner Archäologen und Architektinnen, die unsere Kapelle für eine hoffentlich glücklichere Restaurierung untersuchen, als die letzte gezeitigt hatte. Cindori will die Inschriftänderung seiner Schenke erst mit der Fassadenrenovierung in die Tat umsetzen, schade und dumm von ihm, der so um seine eigne Publicity kommt. Križanić will den Gag mit der Schneiderpuppe nicht wagen, was ich voraussah, um seine Bürgermeisterwürde nicht aufs Spiel zu setzen, zumal er Parlamentarier in der Hauptstadt zu werden verspricht. Aus Bistra meldet man, dass der Guss gelungen, aber der Patineur erkrankt sei; ich werde also selbst patinieren müssen; auch den Ring wird unser hiesiger Schlosser machen, weil ein gedrehter Bronzering der Ivanschen Unregelmässigkeiten halber nicht passt.

Bü. hat auch mein Messingplättchen für die Aufzählung der Sponsoren genehmigt, das wieder ein Gag wird, soll doch die Kopfzeile S P Q L in Majuskeln lauten und dazwischen klein (S)ponsores (P)populus (Q)ue (L)udbergenses und macht natürlich dem Römischen Senat des Caput Mundi die Ehre streitig.
19.00. Der Wind draussen ist zum ziegellockernden Sturm geworden und ich fürchte, Petrac ist inzwischen als Eisvogel davongeflogen. Dass auch das Wetter gegen ihn sein muss!

Zum ersten Mal gab ich heute dem Priester die Hand, als ihn mir Petrac vorstellte, der anschliessend meinte, das Mittagessen habe Don Camaleonte wohl in beste Laune versetzt. Der zeigte sich höchlich an unserem Tun interessiert und sprach ein leidliches Deutsch; somit konnte ich ihm erklären, wie sehr mir das Tor zwischen sakral und profan gelegen sei, als symbolisches und fotographisches Motiv etwa bei Hochzeiten und Taufen. Ich wette, in einer der nächsten Predigten kommt er darauf zurück. Dass es sich beim pazifischen Vulkan um einen malefizischen Einstieg nach Anti-Eden handle, verschwieg ich geflissentlich.
19.50. Schlechte Nachricht von Kain: er kommt erst Freitag abend aus Göppingen zurück; ich muss morgen allein nach Bistra, das Relief holen, da man Ring und Einbetonierung spätestens Freitag machen muss... Mir graust vor der Kurvenfahrt ohne Ende. Ivan lässt man nicht während der Arbeitszeit weg; er streitet sich ohnehin ständig mit Velimir ob der miesen Aufbesserung, die der ihm mehr vereitelte, als erwirkte. Der Mann von ‘Grafičar’ versichert, dass am Samstag die Etiketten bereit seien. Und Bü. probt seine Rede, hat die Majoretten bestellt und die Dorfmusik engagiert, igittigittigitt...Jetzt muss auch ich noch an meine Ansprache gehen, die schriftlich sein muss, damit Nofta sie rechtzeitig übersetzen kann. Und Stupic will mich morgen auch noch mal teleinterviewen.
So Nymph, das wär’s zu Deiner informatorischen Bereicherung; ich werde, Dich kaum befaxt, nachhausetorkeln, um vorzuschlafen für die vermaledeite Tour. In drei Nächten nur etwa acht Stunden geschlafen.
Wenn nicht gerade die Welt noch untergeht und uns um ihr Zentrum betrügt, dürfte der Montag nach meinen Auspizien auf die Minute gelingen. Und Dienstag rauschen wir ab. Blagaj versprach mir den Schlüssel seines Hauses in Rovinj; was magst Du lieber: seine edelhölzerne Herberge oder das klösterliche Dormitorium in Juršići? oder beides?

(204) Ludbreg, Donnerstag 28.3.1996; 6.15

Nymph, allerbester,

der Sturm hat sich gelegt, dafür bellten mich die Hunde schon um vier aus dem Schlaf, obwohl sie auf der gegenüberliegenden Seite des Hauses wüten. Hundegebell ist wohl das stupideste, schizophrenste, jämmerlichste, unschönste, sturste und nutzloseste Geräusch auf Erden. In Eden dürfte es keine bellenden Hunde gegeben haben; dazu hat sie erst der ver- und durchtriebene postparadiesische Mensch abgerichtet.

Da Kapusta und ein Mann von Magić zum Autosalon nach Zagreb fahren, werde ich sie bitten, unsere Bronze mitzubringen; ich wäre erlöst.
12.50. Nichts war; K. wollte mir nicht den Gefallen tun und behauptete, sein Kollege hätte keine Zeit. Ich kann nun erst morgen fahren. Heute ist um sieben die strategische Mittelpunktderwelt-Komiteesitzung, in der das definitive Programm und die Rollen festgelegt werden. Sonntag ist ein Fernsehinterview und Montag morgen muss ich noch mal dran, wenn Du Deine Nacht ausschläfst.
13.00. Soeben komme ich regelrechten Betrügereien auf die Spur, die in Zagreb vor sich gehen. Man zahlte für unsere neuen zwei lumpigen Billig-Befeuchter je über 4000 DM. Meine Nachfrage in Wien ergab einen ohnehin schon happigen Preis von 1200 DM, pro Kiste, die mir ohnehin keine 400 wert scheinen. Jemand hat da 5600DM eingestrichen. Ich rief in meiner Wut Vrkalj an und kam wohl in die Höhle des Löwen. Das betretene Schweigen und die Versicherung, das abzuklären, klangen allzusehr nach Schluckauf und Herzklopfen. Ich entfache einen Skandal, wenn’s sein muss, und wenn Köpfe rollen. Es scheinen noch andere Rechnungen ähnlich gezinkt zu sein. Mendel und E. müssten schleunigst informiert werden, bevor Belege verschwinden. Blagajs Ankäufe für uns sind auch nicht hasenrein, liegen aber noch im Rahmen balkanischer Spitzbübigkeit, über die E. bisher die Augen schloss. Nur fürchte ich, wenn die Bayern von konsistenten Schiebereien hören, ziehen sie sich aus dem Geschäft zurück und es bleibt von uns eine schöne Luftblase, die im Nu zerplatzt. Man versteht nun die Hartnäckigkeit, mit der immer wieder verlangt wird, hängende Kredite seien über Zagreb abzuwickeln! Advocatus Škerl scheint der General des Teufels in dem Geschichtchen zu sein, der für alles die weisskragigen Argumente liefert. Ich werde mich noch unbeliebter machen, als ich bei ihm und seinem Herrn schon bin.
16.15. Zurück aus der Pivnica wo ich Blagajs Bruder und Petracens Zimperlein eine Runde stiftete. Ersterer wird Samstag mit blauen Kopfsteinen unseren Pazifik über die Treppenufer treten lassen; so meldet sich das vulkanische Spektakel optisch schon von weitem an. Petrac ist mit über einem Viertel Mosaik niedergekommen und wird morgen das von Aussen Sichtbare vollendet haben. Hinter der Tür: le déluge, meinetwegen, da wir sie wegen der Frische des Zementklebers ohnehin noch nicht dem Fussverkehr freigeben mögen.

Gegen 600 Stunden wird uns alle das Unternehmen beschäftigt haben, ungerechnet jene, die man getränkelnd dafür verkakelte. An die 40 000 DM würde es zu durchschnittlich europäischen Materialkosten, Künstlerhonoraren und Stundenlöhnen wert gewesen sein. War’s das wert? Der Unheilige Montag wird’s zeigen. Eines der Szenarien: etwa 15 sauerländliche Männeken stehen mit säuerlicher Miene im eisigsauren Regen um Vulkans Sauerbrunnen und prusten sich den mit Sauerstoff 'gemi(e)sten' Wein zu, argwöhnisch von Priester Sauertopf vor seiner Sauerkir(s)che beäugt, während Sauermilchmann Stupic mit der Kamera sein Sauerbrot dazu verdient und unverdient über den Sauerklee darob gelobt wird. Glatt ins Sauerkraut bzw. in den sauren Apfel geschossen, bzw. ins Sauergras gebissen. Sauerkohl, -bruch oder Sauerei! Einerlei, sauer rahmt lustig, sagt man ja. Fehlt uns nur noch der Sauerwurm im Sauerbraten von Franzl Sauerzapf aus Forchtenstein als Zwischenwirt....

Der M.d.W. hat Ludbergen ganz in den Hintergrund gedrückt; sie ist in die Kulisse eingegangen und ich werde Mühe haben, sie an den gebührenden Platz zu stellen: ohne s i e schliesslich kein Mittelplumps, zum Teufel! Ich werde ihre Legende auf rotem Papier verteilen, zur Ehrenrettung, Schurkes Klingelbeutel herumreichen und die Ludberger Marangona-Glocke auf Ludberga taufen. Heilig ist sie längst nicht mehr, das Sveta flüstert man nur hinter vorgehaltner Hand, dass es der Priester nicht hört.

So Nymph, das wär’s für heute! Küsschen, Faun.
(205) Ludbreg, Freitag 29.3.1996; 6.15

Nymph,

die Komiteerunde becherte gestern noch bis elf und man politisierte um den Bürgermeister herum wie immer ohne Ende, bis ich das Stichwort Bosnia-Hrvatsgovina herausliess und man mich verzweifelt zum Schweigen bringen wollte. Aber der Stadtmolkereibesitzer (er verheiratete hier unlängst seine Tochter, oder war’s der Sohn?) und der grösste Bäcker wollten am Ende ihre Sponsorenbrötchen und -balkankäsesorten festhalber mit dem Ludberga-Label versehen. Die Choreographie der Ouvertüre steht nun fest, neu ist nur, dass Bü. beim Einsetzen der Bronze in die Vulkanöffnung eine farbige Rauchbombe entzünden soll. Ich schlug vor, dass die Musik darauf einen Tusch in der Melodie der Nationalhymne Neuseelands erklingen liesse. Aber woher besorgt man die, ausser über die Radioamateure! Die Musik besteht ausserdem aus Laien, die ein halbes Jahr dafür üben müssten. Man überlegte, ob die kleinen Pagen kräftig genug seien, die Bronze zu tragen und man will nun doch durch die neue Tür schreiten und ersinnt zum Heile des frischen Mosaiks eine rot ausstaffierte Holzplanke, die man zur Begiessung des M.d.W. entfernt wie einen Enthüllungstuch. Es gibt übrigens drei Enthüllungen auf engstem Zeitraum, damit das Fernsehen seine kostbaren drei Life-Minütchen nicht verschwendet: Bronze durch Bü., Weltmittelpunktmarmor durch mich, die beiden Strassenbezeichnungen durch den Tourismusminister, den Präsidenten der Provinz oder sonst ein beamtetes Wesen. Drei Markisen-Stände tränken, nähren und propagandieren das Volk, das von Radio Varaždin von morgen an pausenlos Haushalt für Haushalt angerufen wird, um es in munteren Sketches und Dialogen an das Ereignis zu erinnern und es aufzufordern, Montag um fünf pünktlich auf dem Platz zu sein.
6.55. eben entdeckte ich Ivan im Fauteuil schlafend, in den er nach zwei gesunken war, als er endlich mit Petrac die übliche Weinkehr beendete. Natürlich musste er sich die Darviniade anhören und erfuhr, dass jener nie Major gewesen sei, sondern nur, wie Petrac auch, Unteroffizier; was tut’s, sie leben beide noch und es wäre schade, wenn es sie als Originale nicht gäbe. Ivan hat seine alte Animosität gegen Petrac, wohl eine darvinistische Reminiszenz, aufgegeben und erfreut sich an den nationalemphatischen und ludbrachialen Blutundbodenschwüren Petratschens.
7.15. Kapusta hatte zum ersten Mal eine gute Idee: wir sollten auf der Botschaft Neuseelands nach der Hymne forschen. Ich dopple nach: Ivan und ich gehen heute noch hin und laden den Botschafter zum Fest, mit Fahne und Hymnenkassette. Ein irrer Gag; so ein Botschafter Antipodiens langweilt sich doch das ganze Jahr und ist froh, dass er in Podien mal was tun kann.
8.35. Mit Ivan von Bü. zurück. Um neun wird das Australische Konsulat kontaktiert, das man Neuseeland zu vertreten vermeint. Die Kostüme für die Pagen sind bereit. Bü trommelt Persönlichkeiten aus Ludbreg zusammen, die etwas Legendenhaftes oder Anekdotisches über Ludbreg wissen, für eine Fernsehsendung am Sonntag nachmittag. Die Rauchbomben werden besorgt. Zelijka schreibt die kroatische Legenden-Kurz-Version zum fünften Mal ab, um sie halbseitig auf ein Depliant fürs Volk zu setzen: sie weiss noch immer nicht, wie man den Text verkleinert und das Layout umsetzt; von Tabulatoren noch nie was gehört; es ist zum...!

Ivan ist stolz, dass er nun überall wie ein Mensch herumgereicht wird, an allen Ehrentischen mitessen und -bechern darf und den Führer durch Antipodien mimt. Auch er kommt auf die Sponsoren- und Künstlerplakette, die erst nach dem Fest redigiert wird, weil ja vielleicht noch jemand einen Obolus stiften könnte.
10.00. Der Konsul ist abwesend, man ruft zurück; eine Fahne können wir haben, die Hymne besitze der Konsul vielleicht persönlich; mal sehen, was sich machen lässt.
10.50. Das Konsulat empfängt mich bis drei Uhr im Hotel Esplanade in Zagreb. Über die Hymne noch nichts Gewisseres. Dem Spengler ist beim Anpassen der Metallfassung für die Steininschrift ein gottlob winziges Randstück abgebrochen, herrje! hoffentlich bleiben wir vor weiteren Havarien verschont. Der Steinmetz bittet um eine Europakarte; soll er kriegen... Hier im Schloss ein ungewöhnliches Gewimmel, weil alle ihre neuen und endlich rechtsgültigen Arbeitsverträge durch den Kurier aus Zagreb erhalten haben und nun unterschreiben müssen; auch Venija, die mit Kind erscheint; ob etwa Ordnung ins System kommt? Ein Wunder wär’s, auch wenn die Hoffnung auf mehr Geld vergeblich war. Das wird wohl von anderen Kanalisationen verschluckt.
18.15. Von Zagreb und Bistra zurück; mörderische Tour. Die Rückfahrt kutschierte ich einen zeitweilig schlafenden Ivan. Das Konsulat von Australien vertritt Neuseeland nicht, hat auch weder dessen Fahne noch Hymnenmusik; aber "God save the Queen" war wohl früher obligat im Commonwealth. Der Konsul will laut Sekretärin aber doch vielleicht von Slowenien am Montag herüberkommen und die Andere Welt vertreten. In Bistra war die Platte perfekt, auch in der Patina; nur ist sie zu schwer für die kleinen Pagen. In Ludbreg glücklich zurück, kehrten wir mit dem Steinschneider, der hervorragende Arbeit geleistet hat, und später auch Petrac, der sein 3/4 Mosaik als vorläufig beendet ansieht, in der Pivnica ein; er habe die erste Flasche Ludbergawein gesichtet und sogar erhalten, mit Etikette, aber ohne Teufel und Guckloch; nun, man kann nicht alles durchsetzen; ich bin gespannt und werde die andern bei Cernobyl wiederfinden, die Erfolge des heutigen Tages zu begiessen. Aus dem Mormorschaden wurde eine Tugend, indem man das ganze Rund schräg anschliff und matt liess, was viel reizvoller als vorher ist. Morgen früh um sieben beginnt man mit den Vormontagen aber die Objekte kommen erst Montag an die Wände.

So Nymph, das wären die Neuigkeiten; nun eine Bitte: würdest Du morgen früh bei der Air New Zealand, Frankfurt, Friedrichstrasse 10.12, Tel 9714030 anfragen, ob sie uns ein Fähnchen schenken und wüssten, wie die Nationalhymne tönt; oder haben sie sogar eine Kassette? sonst hätte vielleicht ein Sport- oder Musikgeschäft die gesammelten Olympiamelodien? unsere Aktion visiert schliesslich den Tourismus und ein höherer Beamter weiht die Sache ein; Neuseeland wäre im Spiel und viele Kroaten scheinen nach dort ausgewandert zu sein.

Wenn’s Dich zu sehr plagte oder nervte, lass es sein; aber Du kennst ja meine Hartnäckigkeit, wenn mir ein Floh im Ohr sitzt; dem Bürgermeister hätte es natürlich auch gepasst, ein Fähnchen zu schwingen. Es selbst noch zu machen, ist wegen des Union Jack recht kompliziert. Wenn ich gewusst hätte, dass die Australische Flagge der Neuseeländischen so ähnlich ist, hätte ich die angebotene genommen und die zwei überzähligen Sterne herausgetrennt oder übermalt...

Nun lass Dich küssen! morgen wieder die neusten Neuigkeiten vom Mittelplumps. Faun, Deinster, der Dich ungeduldig herbeisehnt!

Nymph –
8.15. (ich bin noch immer von heute und habe soeben meine M.d.W.-Faxen ins Leere gesandt) Du hast wohl auf Deine Feier nicht verzichten mögen; der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach? (Matth.26, 41) in Deinem Falle aber: der Geist wäre ja unwillig gewesen, aber Männlein, Weiblein, Gesang, die Kaviarbrötchen und Weine allzu verlockend?

Ich geh nun also gezwungenermassen zu Cernobyl mich besaufen; Nofta wird wohl auch von Split zurück sein; nichts als Männer um mich herum, zum anöden lustig. Wie langweilig und stereotyp sie meistens sind; und das Kroatische verstehe ich immer noch nicht, obwohl alle annehmen, ich folge gespannt ihren Erzählungen. Interessante Frauen scheint es hier überhaupt keine zu geben, oder sie zeigen sich nicht.

Mein Geburtstag wird zum Glück im allgemeinen Trubel untergehen; am liebsten würde ich ja noch abends mit Dir nach Rovinj entweichen; nur wirst Du genug von Deiner Reise gehabt haben, um nochmals 4 Stunden zu fahren.

Auch wenn ich’s wollte, könnte ich kaum hierbleiben; die Heizung ist wieder mal nicht anzuwerfen und ich fange an zu schlottern; draussen kann’s bis vier Grad unter Null sinken und ich fürchte für Petracens Mosaik.

Ich werde vom Hotel mal antippen, damit Du mich zurückrufst. Dann wirst Du das Aufgelaufene ja schon gelesen haben. Nymph, ich kann Dich kaum erwarten. Gott sei Dank verfliegen die Stunden hier im Nu. Noch nie habe ich so viel herumwirbeln müssen..., Faun.

(206) Ludbreg, Samstag 30.3.1996; 6.30

Nymph,

schlimm, mit einem solchen Kopf den Tag anzufangen; natürlich hat man mich mit "gemistem" abgefüllt wie eine dieser Ludbergaflaschen, die ich zu sehen bekam, und deren Ivan von Cernobyl zween geschenkt bekam: die zweifarbigen Etiketten (in gold und schwarz) lassen sich sehen und regen beim Glase durchaus zum meditieren an. Die rückseitige Legende ist so kleingehalten, dass man eine Lupe braucht, aber dafür ausführlich. Das Frontlabel ist als Aufkleber vielfältig verwendbar, sogar auf Autoscheiben; man sollte ein paar Hundert am Stand verhökern. Alle sind angetan, nur der Priester wetterte, man habe die Maria auf einer Flasche geschändet und will nicht wahrhaben, dass da lediglich ‘Ludberga’ prangt. Er hat natürlich bedingt recht, denn die gotische Figur war ursprünglich eine Maria, wenn auch durch das Anhängsel ‘Magdalena’ etwas disqualifiziert. Mit Petrac, Ivan und Cernobyl verwässerte man bis elf eine Menge Weins und ich probierte nur noch zweimal an Dich, ausserhausige meinste, heranzukommen... Montag werden wir uns wohl als Bier- und Weinleichen begegnen, wenn die Festereien so weitergehen!
14.40. Seit sieben leitete ich die Pflasterarbeiten um den M.d.W., legte die blauen und weissen Steine aus, die die rötlichen auflockern sollen und die Wellen des Pazifiks symbolisieren. ein paar blaue ‘Sprizer’ liess ich sogar in die benachbarten Kreise und Gevierte des Strassenbezirks hinüberschwappen; eine Art ulkige Ausweitung, Land-, bzw. Wassernahme. Mit Petrac malten wir zuletzt noch ein stückweit die abgeblätterten Sockelbänderungen des Mauerwerks in Weiss. Morgen bauen wir den Mittelplumpsring ein und schrauben die Halterungen für die Steinplatten fest. Ob wir die Türe abtönen, wissen wir noch nicht. Nofta ist glücklich, dass alles ohne ihn ging. Wir werden noch die Texte des Propagandafaltblattes durchgehen und auf buntes Papier kopieren. Ivan will unsere Ludberga in Zagreb patentieren lassen, da er wähnt, dass man sich von allen Seiten wie die Haie auf sein Werk stürzen wird und er wieder mal völlig leer ausgehen soll, wenn die anderen Geschäfte machen. Zwischendrin liess ich mich von meiner Coiffeuse für die Interviews scheren und sprach noch mal mit Cindori, der schwor, "Ludbergini" ins Wirtshausschild einzuführen wenn er nächsten Monat mit der Renovation der Fassade begänne. Seine Bierfilze sähe er ganz gern mit unserem Emblem geziert...
17.00. Du bist glücklich wieder aufgetaucht, nach Deiner nächtlichen Zwangsausbehausung. Ich konnte ohnehin Dein so frühmorgendliches "Enteilen" kaum glauben! Leider entging mir so die Chance an die Hymne oder eine Fahne zu gelangen; vielleicht hilft uns Magić mit seinem Internet oder eine Telefonübermittlung der Hymne aus der Wiener Botschaft. Irgend etwas werden wir machen müssen. Ein Papierfähnchen brächte Nofta zur Not aus seinem Computerprogramm. Noch immer schreibt er die übersetzte Kurzfassung der Horvat um, weil die weder den Sinn noch die Grammatik verstanden hätte. Er kennt die Legende so gut, dass er mir ständig Ereignisse und stilistische Nuancen in Erinnerung ruft, die ich längst vergessen habe! Er ist päpstlicher als der Papst!
19.00. Ich bin wieder schrecklich müde und entdecke, seit gestern Vormittag das Essen vergessen zu haben; der Katzenjammer vom gestrigen Abend verscheucht jeden Hunger. Ich werde hier nach einem kargen Joghurt wohl nicht mehr alt und schliesse die Seite. Bester Nymph, noch 33 Stunden und ich liege Dir zu Füssen; schlechte Metapher bei dem eisigen, zuweilen schneeigen Wetter. Selbst in Dalmatien soll noch kein Frühling sein und keine Knospe offen! Einerlei, wir werden uns gegenseitig wärmen., Faun.

und hier nun der Entwurf meiner Mini-Festansprache:
Liebe Ludbürger,

Als ich vor wenig mehr denn Jahresfrist zu Ihnen gebeten wurde, dem Restauratorenzentrum RZL im Schloss Batthyány als Berater unter die Arme zu greifen, glaubte ich mich ans Ende der Welt versetzt. Jetzt, da meine Mission langsam ihrem Ende zugeht, entdecke ich, dass ich mich am Mittelpunkt der Welt befinde. Eine alte Legende will, dass das von Kriegen und Seuchen stets verschonte Ludbreg der "Garten Eden genannt" wurde und dass Gott, als er die Welt erschuf, in Ludbreg seinen Zirkel einsetzte, den Erdkreis zu bezeichnen. In der Tat liegt Ludbreg nicht nur halbwegs auf der Mittelachse zwischen dem vulkanischen Island46 und dem wüstenheissen Mekka, es schreibt sich genau hälftens in den Kreis zwischen Santiago de Compostela und Jerusalem, den wichtigsten Pilgerstätten der Christenheit, ja deren Verbindungsweg über Land führte wie jener von Rom nach Byzanz über unser Castrum Iovia. Luftlineare Kreise umgeben es konzentrisch wie etwa jener, auf dem Lissabon und der Libanon liegt, über Faröer/Gorkij/Wolgograd/Erzurum und das genannte Jerusalem; einer führt über Paris/Athen/Odessa/Kiew und Kopenhagen, ein anderer über London/Stockholm/Krim/Bursa und Kreta und wieder ein anderer verknüpft Madrid/Dublin/Glasgow/Bergen/Petersburg und Samsun, gar nicht zu sprechen von dem noch näheren Zirkelkreis, der Rom/Genua/Zürich/Stuttgart/Leipzig/Lodz/Klui/Tirana und Bari berührt. Was wollen wir mehr, als uns unserer prominenten Stellung in Europa bewusst werden, das endlich lernt, auch den Osten wieder einzubeziehen, wie in jenen Zeiten, als Ludbreg zu seinem Namen fand. Die Herleitung des Namens von einem burgundischen Kreuzritter Lodbring befriedigte mich ebensowenig wie die Übersetzung als "Narrenhügel", als ich begann, in meinen zerstreuungsarmen Freizeitstunden in Briefen an die ferne Freundin literarisch vor mich hinzubrüten. Ich erfand vor genau sechs Monaten in einer Legendenerzählung die Gestalt der schönen Winzerin Ludberga, deren süsser Rebensaft die Messkelche Europas mit ihrem belebenden Weine ebenso füllte wie die Herzen der heimischen Zecher. Ich liess die brennende Teufelsquelle unweit Crn-Bels, wo sie gelebt haben soll, auf ihre Abenteuer mit dem Versucher zurückgehen und verband ihr Schicksal mit dem Mittelpunkt der Welt, in den sie letzteren verscheuchte und der eine vertikale Achse zu Antipodes inmitten einer vulkanischen Inselgruppe im neuseeländischen Südpazifik versinnbildlicht.


Auf der Schwelle des Florianstores zwischen sakraler und profaner Welt möchte ich Ihnen hiermit Ludberga als alternative Patronin Ihrer Stadt anempfehlen, deren Fest Sie jeweils am ersten April, dem Tag der fröhlichen Scherze fortan begehen mögen, damit dieser Ort ein solcher der guten Laune, der Eintracht im Rahmen geist- und humorreicher Tischfreuden werde. Für Kroatien soll Ludbreg die goldene Stadt eines neuen Optimismus, der Hoffnung und Lebensenergie sein: Centrum Mundi, Caput Croatiae; Živjeli!.

(207) Ludbreg, Sonntag 31.3.1996; 6.50

Nymph,

Sommerzeit? eigentlich ist’s ja erst 5.50, aber es macht kaum einen Unterschied zu gestern; nur die Tauben gurren auf Bäumen und Dächern um einige frühzeitige Grade mehr und der Priester läutet seine Glocken schon zum vierten Mal, um sein Weibervölkchen daran zu erinnern, dass es früher aus den Federn muss, um den gesalbten Worten zu lauschen. Dir heute zu schreiben ist fast müssig, denn Du wirst ab Mittag in Deinem Bus sitzen und den Osterferien entgegenfahren. Doch diesen letzten Tag vor Ludbergas Geburtstag wollen wir nicht auslassen: ihre Initiale ist unser Finale und ich habe mich endgültig entschlossen, den Depeschen aus Eden oder dem Paradies, ihren Namen voranzustellen. Ein Frauenname hat schliesslich immer etwas, das Neugier erweckt, auch beim weiblichen Geschlecht.
Nofta tüftelte gestern ja noch lange an ihrem Image herum, als ging’s noch immer um ihre Ehre: den Teufel wollte er gar zu gerne in die Kutte des Eremiten stecken, aber doch nicht augenfällige Blasphemie betreiben. Auch am "Protokol", wie man hier den Ablauf einer Zeremonie nennt, gab’s unendlich zu feilen, geht’s doch nicht nur um Minuten sondern auch um Metermasse, wo wer steht und was ins Mikrophon sagt. Die Musik sei so lumpig, dass man sie nicht zeigen sollte und ob man den Ess-stand zwanzig oder dreissig Schritt von der Tränke entfernen dürfe. Ob der Bürgermeister die Platte stemme, ob Dienstpersonal oder ob man sie vorher einbaue und nur die Gipskopie von den kleinen Pagen herumtragen lassen solle und ob eine kostümierte Ludberga den Wein servierte usw....
Die Fernsehequipe hatte sich für sieben Uhr (!) angemeldet, aber ob sie die Zeitverschiebung einberechnet haben, ist mehr als fraglich; nicht einmal Ivan, der beim Spengler untertauchte und nicht mehr gesehen ward, ist heute aus den Federn. Xenia rief gestern noch in Zagreb den befreundeten Moderator Martinovic an, um ihm auszurichten, die Sendung am 15. April sei mit unserer 1.4.-Aktion dann längst überaltert und er zeige, den M.d.W. ohne Mosaik und Bronzeplatte, was absurd sei. Mal abwarten was er dazu sagt. Die Equipe von heute hat mit ihm nichts zu tun, könnte ihm indessen Filmmaterial überlassen, das man noch in die Sendung hineinflickte...

Die M.d.W.-Strasse sieht wie ein Schlachtfeld aus. haben doch Spitzbuben unsere Styroporplatten zermürbt und den lästigen brösligen Staub in alle Winde gepulvert. Die Strassenkehrer werden Montag früh ihre Freude haben, den luftigen weissen Kügelchen nachzujagen. Wenigstens liess man das Mosaik unter seinen Schutzbrettern in Ruhe...

Der Einbau des Eisenringes wird einige Mühe bereiten, zumal Sonntag ist und niemand uns gern zur Hand gehen wird; morgen wäre es zu spät, wenn zwanzig Majoretten und eine Dorfmusik darüber hinwegtrampeln wollen.
7.40. Ich geh jetzt mal gen M.d.W. um zu sehen, ob sich wer tut.
8.00. Tut sich nichts. Bei Cernobyl klaute ich eine Etikettenfolie und faxe sie Dir und die Motive mit, auch wenn der Goldgrund das Kopieren erschwert. Man spürt, dass die Zeichnungen am Computer gemacht wurden und, sieht man sie sich von nahem an, etwas lieb- und leblos sind; die Weinpresse stammt aus einem Musterbuch wie das Feuersymbol, das eher auf einen Erdöltransporter passte... auch das Hufeisen hatte ich vertikal gemeint und die Aufschrift innerhalb. Inmitten der Legende wäre das Mittelplumpsloch geplant gewesen, durch das man den kleinen Kopfunterteufel hätte sehen sollen, henusode... Für eine aus dem Nichts gezauberte Fiktion mag's gelten, nicht wahr? Die nächste Etikette wird eine Spur künstlerischer, vielleicht in einem Wettbewerb ertrumpft. Aber wer weiss, ob Ludberga hier weiterwest, wenn ich mal abgezogen bin. Vielleicht zieht dann Don Canaglia gegen sie zu Felde und exorziert sie bis in die letzten Krümel ihres Daseins. Wenn er sie morgen einläutet, war das vielleicht der Aufklang zu ihrer Verfolgung.

Bester Morgennymph soll ich’s wagen, Dir zum Frühstück Ludberga zu servieren? Es ist zwar erst halb neun, aber wer weiss, ob's später noch klappt... Küsschen, Faun, der Dich brennend erwartet und wenn’s 10 unter Null sein wird!

13.00. Nach meinem Abschiedsfax suchte ich verzweifelt Ivan und den Spengler. Bei Ivans bekam ich sogleich Kuchen, Kaffee und unumgehbare Schnäpse von Väterchen Lustig serviert. Das Radio in der Küche sendete in kurzen Abständen über Ludbregs M.d.W. und interviewte Familienmütter, übernächtigte Schichtarbeiter und verschlafene Padroni.

Ivan fand ich schliesslich beim Steinhauer. Im Weichbild der Kirche seit zehn dann ein wachsendes Gewimmel: unzählige kleine Ministranten, Kinder, Halbwüchsige und ganze Familien mit Olivenzweigen, Haselkätzchen, Forsythien oder ganzen Blumensträussen in den Händen. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass Palmsonntag ist! Messdiener mit Prozessionskreuzen und -symbolen wallten gen Holyland; mittendrin unser Priester Schurke in Soutane, der uns keines Blickes würdigte. Wir arbeiteten am Einpassen der Marmorscheibe mit einem hochbeschwipsten Steinmetz, dass mir die Haare zu Berge standen, er möge sie in die Brüche gehen lassen; die Metallfassung wollte und wollte nicht passen, doch dem Spengler gelangen letztlich die nötigsten Vorkehrungen für morgen. Petrac kittete mit Blau sein Mosaik aus und entdeckte, dass das letzte Drittel wegen des Frostes nicht abgebunden hatte; ein Menge Steinchen hoben sich heraus, aber es gab kein Zurück. Wir mussten in den Gully nach endlosen Palavern einen letztlich von mir konzipierten Dreifuss zementieren, dessen oberer Ring die Bronzeplatte fasst. Alles klappte nach Wunsch, zur Neugier Hunderter von Kirchgängern die inzwischen wieder von Holyland singend zurückpilgerten. Als Don Coniglios in vollem Violett-Ornat vorbeihoppelte, drehte er sich zu uns um und schleuderte sein Anathema gegen uns Frevler, die wir am heiligsten Sonntag des Kirchenjahres arbeiteten. Wir erstarrten, der Bürgermeister hielt gestikulierend auf uns zu, Kain wurde gebeten, uns zu entschuldigen. Die Messe dauerte Stunden in denen uns Lautsprecher die kreuzfalschen Gesänge Don Canarinos in den Kirchhof donnerten. Was musste es auch ausgerechnet Palmsonntag sein, an dem wir unsere teuflischen Profaneinbauten vornahmen! Von Passanten erfuhr man, dass das österreichische Fernsehen Ludbreg und seinen M.d.W. ausgiebig vorgestellt hätte; wie, weiss wohl nur der liebe Gott! hatt ihm ein Soldatt gesaggt?? Das Zagreber Fernsehen erscheint nun doch erst am Nachmittag und das Komitee wird um halb drei bei Cernobyl versammelt sein. Man wird das "Protokol" verändern müssen, weil Petracens Mosaik unbegehbar ist. Schade.
Kain zeigt Donatorenstolz ob "seiner" Bronzeplatte, ist er doch als "DON. KAIN" darauf vermerkt. In der "Ludbergini" sass man verschiedentlich, ich nur noch bei Milch, bis Nofta hereinstürzte und einen winzigen Walkman wedelte, aus dem emphatisch die neuseeländische Nationalhymne erscholl: er hatte sie aus dem Internet gefischt, ebenso wie die Flagge, die er sich gleich farbausdrucken liess. Brave New World! Von den Cooksinseln konnte man praktisch jedes Haus abrufen, aber von Antipodes keine Spur; vielleicht gerät er wenigstens an Bounty, die recht ähnlich aussehen dürfte.

Draussen ist’s bitterkalt, aber die Sonne frisst sich durch wattige Wolkenherden, man riecht ein wenig Frühling und die Vögel arbeiten trotz des Sonntagsverbots in ihrem Gewerbe... Vielleicht haben wir morgen ein wenig Glück mit Petrus; Ludberga wird sich bei ihm für uns verwenden, hoffe ich. Stupic filmt fleissig und will ein TV-Portrait von mir machen; ich vertröste ihn auf den 15.4. an dem ich wieder hier sei.
21.00. Um halb drei traf die Fernesehequipe ein, als ich mit dem üblichen Kern, zu dem Kain gehört, Petrac und Nofta und als treues Anhängsel Stupic, beim Tomatensaft sass. Mit Bü. schwärmte man aus, zuerst zur Teufelsquelle wo man entdeckte, dass unser Hufeisen trotz allen Einrammens gestohlen worden war. Ivan gab eine Version der Legende zum besten, andere wollten es anders, ich schlug mich in die Büsche ob des zu vielen besserwisserlichen Geschwatzes. Dann fuhr man nach Selnik, wo eine Salzquelle entspringt, die unsere Moderatorin interessierte, weil sie möglichst verschiedene Ludbreger Sujets behandeln will, unter anderem Quellen, Wunder, Holyland, unser Restaurierungszentrum und natürlich das Centrum Mundi. Man besuchte die verwahrlosten Thermenausgrabungen und liess mich aus dem Schloss schreiten, filmte aber nicht wieder im Innern. Morgen früh um sieben muss ich des Lichtes halber bereits antraben und der M.d.W. wird im Detail aufgenommen; erst am Nachmittag dann die Lifesendung. Sie setzen sich ganz von Martinovic ab und scheinen mir etwas chaotisch; aber seit dem gemeinsamen Essen bei Cernobyl erträgt man sich besser, besonders Petrac, der anfänglich die Crew bissig angepoltert hatte. Nofta wollte angesichts der Thermen plötzlich kein Wort mehr sagen, als es dranging, die Ruinen zu kommentieren und er lief uns trotzig davon. Inzwischen ist auch er auf die allgemeine Weinbergtour gegangen, auf die ich verzichte, da ich ja noch mein neues Bett einweihen will, bevor ich nach Varaždin tobe. Ins Schloss kam ich nur, um hier mein Kästchen zu Bett zu bringen und die Schuhe zu wechseln; tschüss, meine fiktive Adressatin, Du bist längst unterwegs und ich beneide Dich nicht.
(dass ich zum erstem Mal in unserer amourösen Karriere Dein Kommen bis fünf vor vier verschlief und ich sieben nach vier in den Busni Kolodvor Varaždins einbog, wo Du, Ärmste, adressenlos, geldlos, trostlos, aber schon seit zwei Stunden im gottlob offnen Kaffee wartetest, weil sich Deine Fahrpläne verändert hatten, sei hier, am 16.4. nachgetragen; dass ich weder Hund noch Katze noch Fuchs noch Trunkenbold in der halbschlafenen Wahnsinnstour durch die ungezählten Dörfer überfuhr, ist dem Schutze Ludbergas anzulasten...)
Hier gehört nun eigentlich der Bericht zum 1. April hinein, Höheplumps der ganzen Geschichte47; ich habe indessen noch andere Karten zu mischen...
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(208) Ludbreg, Montag 15.4.1996; 7.15

Nymph,

Ludbreg liegt unter einer dichten, verzauberten Schneedecke und es schneit unentwegt! Im Tessin hatte ich die Leute sonnendurchwärmt in Hemdsärmeln vor den Kaffees sitzen sehen und den Sonnenuntergang zelebrierte man in Vicenza bei gegen zwanzig Grad! Als ich des Nachts hier bei strömendem Regen nach achteinhalb Stunden Fahrt von Luzern aus um halb eins im Hotel anlangte, wartete des Wirtes Sohn Boris noch auf mich, da Ivan mein Kommen für möglich angekündigt hatte. So war denn unser nächtlicher Anruf gleichsam ein schöner Empfang im unwirtlichen Ludbreg und ich brauchte nicht auf der Schlosscouch meine kurvigen Reise-Chimären austragen.

Hier ist alles beim alten, wenn man nicht zählt, dass Štefica ihre Gallensteine operierte und zwei Wochen ausfällt, Edita nicht kommt, weil sie wegen einer Hirnerschütterung – ein Auto überfuhr sie – im Spital liegt. Vielleicht schickt man Zvjezdana als Ersatz.
Winfried trudelte gestern gegen vier ein, nachdem Ivan zwei Tage und Nächte auf ihn geharrt hatte, weil niemand wusste, wann er vor der Türe stände. Er ist bei der Pomperin einquartiert, hat nun seinen ersten kargen Gablec hinter sich und wird von mir auf die Gewohnheiten des Hauses und seines Gesindes getrimmt. Ivan macht nun Gipsabgüsse seiner erneut silikonkopierten Scheibe in Serien; eine, die er wie mein Portrait marmorierte, für mich; der Bürgermeister hat eine im Amtsraum, im Putnik hängt eine weitere auf Pump: es soll sie demnächst in verschiedenen Materialien und Fassungen geben; eine kleine Ausgabe will ein Spielzeugproduzent erwerben, um ein Frisbee draus zu machen, Ivan und Kain heckten eine Küchenuhr aus, in tausend Exemplaren, ich stellte einen Schuhabsatz in Aussicht, den die hiesige Schuhfabrik herstellen könnte, als Negativrelief in Hufeisenform, so dass bei jedem Schritt sich ein positiver Weltmittelplumpsabdruck formierte. Ganz im Ernst! je kitschiger, desto besser!
16.25. Mit Winfried lässt sich bestens über Informatik parlieren (worauf ich ihn mit dem Spitznamen Winword bedachte), zumal ich ja nichts davon verstehe: er entwirft mir ein neues virtuelles Notebook ohne Firlefanz mit den nötigen Fernkommunikationsmitteln. Er weiss auch, wie man das Modem benutzt. Er verbringt seine ersten Stunden hinter der Stereolupe und ist recht guten Mutes, selbst nach meinen düsteren Zukunftsschilderungen. Er liess sich mit mir auf der Einwohnerkontrolle registrieren und ist gewillt, drei Monate auszuharren.
Die Sensation, dass es Ludberga schon gäbe, habe ich noch längstens nicht verdaut. Die Notiz der ‘Neuen Luzerner Zeitung’ auf der Wetterseite vom 3.April unter der Glosse des "Wetterfrosches" ist authentisch und nicht von meinem Mütterchen auf den 1.4. gezinkt, wie ich annahm, weil sie ja zu solchen Spässen durchaus fähig wäre: sie schwor bis zur Verzweiflung, am Gereimten keine Schuld zu tragen; hier der Wortlaut:

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