Ludberga bis 23 95



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Da geschah das in Kroatien heute jederzeit unvermeidlichste; das katzenpfotene Anrollen des blauweissen Popel Kadett wäre Anrainern höchst alltäglich vorgekommen, doch den beiden Mönchen, die soeben über den Tresen einer Devotionalienbude gebeugt, je eine Maschinenpistole mit Platzpatronen durchluden, war die H.B.-Patrouille zumindest ein ungewohntes Bild rechtsstaatlicher Idylle von Law and Order, die man in himmlischeren Sphären mit etwas mehr Diskretion vorgekehrt hätte. Die barschen schwerbewaffneten Policija-Herolde in offnem Hemd tippten gleichzeitig auf die fremden kratzwollenen Schultern und an die uniformen Schirmmützen und forderten Papiere. Ja Herrgott, wo waren denn die, suchten beide verzweifelt an sich zu ertasten und wogen resigniert die Köpfe, als einer der Beamten sich anschickte, ihrem Suchen auf eigene Faust nachzuhelfen. Der andere entwaffnete inzwischen die vermummten Individuen vermutlich serbischer, weil bärtiger Herkunft, steckte die verdächtige Miniatur-Barbie-Unterwäsche, die dynamitene Lakritze, eine H.B.-Souvenirmonstranz und die süssen Splitterbomben zum übrigen Arsenal in eine Tüte der Croatian Airlines, deren Überproduktion fürs Horten von Beweismaterial der Polizei verwendet wird, und lud die jammernden und ihre Unschuld zu beweisen suchenden Kuttenträger unter der Anteilnahme der nachwallenden Bevölkerung auf die engen Hintersitze und stob in blaulichterner Eile zum Posten an der Blazica Ulica.

Da nur Weiss sich des kroatischen Idioms mächtig sah – er hatte es vor Zeiten einer Taube zur Selbstverteidigung beibringen wollen – versuchte er vornehmlich Schwarz vor der Anklage staatsfeindlicher Umtriebe ohne Identität, Taufschein und Aufenthaltsbewilligung zu entlasten und behauptete, beider Taschen mit den notwendigen Papieren in Varaždin verloren oder vergessen zu haben. So, in Varaždin also, warum denn und wo, das könne man doch auch in Ludbreg. Das Schicksal hätte nun mal Varaždin vorgezogen, entgegnete Weiss ungehalten. Der erklärte Ludberger Gendarm – er spielte und verlor regelmässig mit seinem Club gegen die feindliche Fussball-Provinzhauptstadt-Liga – meinte, die erkennungsdienstliche Suche nach den Mönchspapieren könne sie teuer zu stehen kommen und bei Misslingen im Bezirksgefängnis enden, sofern sie nicht einen Abt oder Priester vorzeigen könnten, der ihre Identität beglaubigte.

Man orderte einen etwas geräumigeren Streifenwagen und begab sich unverzüglich unter Mitnahme eines weiteren Bewachers auf den Weg. Schwarz und Weiss wechselten hastig auf jiddisch ein paar Worte, ihre Lage zu klären und künftige Winkelzüge zu vereinbaren, ohne zu radikaleren Mitteln greifen zu müssen, die sicherlich die Flugabwehr, die Uno oder die Nato auf den Plan gelockt hätten. Doch die Hermandad schritt lauthals ein, fremdländisches Sprechen sei verboten und solches ein Beweis mehr für ihre verbrecherische Identität. Als die Unglücksraben nach dem eventuellen Fundort ihrer Papiere befragt, den dortigen Rummelplatz angaben, war der Verdacht erneut erhärtet: serbische Zigeuner also seien sie, fahrendes Natterngezücht! Was hätten auch Mönche auf einem Rummelplatz am Stadtrand Varaždins zu suchen! Die Notlüge, sie hätten dort missioniert, erschütterte den Lenker des Vehikels so sehr, dass ein Huhn in Stefanec das Leben lassen musste. Man hielt ordnungsbewusst, nahm den Tatbestand auf und büsste ein schreiendes Mütterchen mit 40 Kuna, weil es die Dorfstrasse verkehrswidrig und mit unangemessener Geschwindigkeit überquerte und ausserdem ihr Huhn habe an verbotemem Orte unangeleint weiden lassen. Dass das Huhn, kaum war der hundertfach zum Teufel gewünschte Blaublinker ausser Sicht, sich wohlbehalten aus dem Staube erhob und die Bäuerin sprachlos aus der Bussenquittung einen 100 Kuna-Schein entfaltete, war eine, der Polizei später nie zu Ohren gekommene Episode, die jedoch wieder einmal nur vom gemässigt schwachsinnigen Matija auf seinem Fahrrad beobachtet worden war, als er zwei Kohlköpfe zu Elena, seiner Schwägerin vorbeibringen wollte.
Inzwischen bog das gefürchtete Dienstauto in die trostlose Anlage ein, wo ein Kinderkarussell seine melancholischen Runden drehte, ein um diese Zeit noch unbesuchter Scooter-Tempel kreischend-rumpelnde Technomusik verbreitete und zuhinterst die noch unbeleuchtete Geisterbahn aufragte. Man hielt, nicht ohne die zwei Mönche mit Handschellen aneinanderzufesseln, damit sie nicht in separate Richtungen entfliehen könnten, wenn sie mit ihrer Identität brechen oder, wie erwartet, Ernst machen wollten.

Die beiden ungleichen Brüder näherten sich etwas unsicher der Kasse und suchten durch die schmierige Scheibe einen Bewohner auszumachen; allein der stand plötzlich wie ein Schatten hinter ihnen, galant, verblichen-adrett, mit pfiffigem Lächeln, sich wie zufällig einen weissen Handschuh überziehend. "Nun, die Herren, ein – gemeinsames, wie ich sehe – Fährtchen gefällig?" und zu den drei Bewachern gewandt: "An Mönchskutten habe ich eigentlich keinen Mangel und eine lebende Fütterung ist kostspielig in diesen Zeiten!" – Aber die Polizisten hatten weder Zeit, Hirn, noch Lust auf Spässe, erklärten den Fall, diese Delinquenten hätten behauptet, sie seien ihrer Papiere just im Um- oder Inkreis seiner Geisterbahn verlustig gegangen. Ob es wahr sei, dass die sicherlich falschen Mönche seine Maschinerie benutzt hätten.

Ranusio zögerte einen Augenblick, nicht ohne einen von der Hermandad ungesehenen zwinkernden Träller den handinhand etwas begossen dastehenden Alten zuzuwerfen. Bei dem unverhältnismässigen Andrang geisterbesessenen Publikums dieser Tage, sei es schwierig, sich einzelner Gesichter zu erinnern. Weiss räusperte sich ungeduldig. Aber in der Tat habe er, Besitzer, Kassenwart und Mechaniker der Anlage, den weissen Kuttenträger schon gesehen. Räuspern. Vielleicht habe er auch die Bahn benutzt. Erneutes Räuspern. An seiner Kasse wären zwar keine verlorenen Utensilien abgegeben worden, nur ein grösserer leerer Koffer stünde herum und ein Regenschirm. Räuspern. Und der schon seit Freitag. Schwarz drängte "m'akh dok schnellah!" und Weiss drohte murmelnd Unübersetzbares. Man müsse halt den Tatort befahren; und lud die Herrschaften mitsamt den Bewachern ein, für ein reduziertes Kinderbillett pro Nase, das Tänzchen mit Graf Frankenstein zu wagen. Es sei gegen Gesetz und Verordnung nicht angeschnallt, aber auch, gegenseitig angekettet zu sein. Ein Polizist müsse unter den gegebenen Umständen voransitzen und zwei hinterdrein, um die Verdächtigen in Schach zu halten. Es sei auch die Regel einen Zylinder aufzusetzen, gemäss Betriebsreglement, da sie die Funktion von Schutzhelmen hätten; die bereits bemützte Polizei sei natürlich dispensiert.

Geniert stieg der erste Uniformierte in den nächsten Zweiplätzer, während Ranusio das lärmige Licht- und Stromaggregat anwarf, hämisch eine tosende Walzermusik entfachte, deren Refrain "...in den Himmäl hinaiiiin!" jedes deutsche Herz zum Schmelzen gebracht hätte. Dieweil hatte man Schwarz und Weiss von den Schellen entbunden, Ranusio ihnen die Zylinder schief in den Nacken gedrückt und nun stieg die Polente in dritter Reihe mit entsicherter Waffe zu. Ruckartig begann die quietschende Reise durch die Därme Monstriens, während sich Ranusio am offenen Polizeiwagen zu schaffen machte, Knotenstock und Bündel der Delinquenten entnahm, um eilends im Innern seines Infernos, wo es heulte, donnerte, prasselte, schoss und schrie, zu verschwinden. Er hatte noch zu tun.


In einem tuchverhangenen Winkelchen stand ein abblätternder Louis Quince-Sessel, darauf ein schweratmendes Lumpenbündel, aus dessen Kontur man erahnen konnte, das es zu einer Frau gehören musste. "Ludberga“, zischelte Ranusio, "wir müssen weg hier; gleich ist die Hölle los!" – "Was ist?! wo bin ich?!" – "Sie waren in der Geisterbahn ohnmächtig geworden, trotz aller meiner Warnungen; fast wären sie von dreizehn Wagen überrollt worden, wenn ihnen der Himmel nicht gnädig gewesen wäre!" – "Nie, nie steige ich wieder in –" – "schon gut, schon gut. Schnell in den Koffer, den Notkoffer für Pannen aller Art." – "Ich, in einen Koffer! Unerhört! Boccaccios Ehebruchkabalen las man zu meiner Zeit nur unter der Bettdecke; geschweige –" – "Schweigen Sie! Sofort hinein und ohne Widerlesens; ansonst werden Sie für ein weiteres Lebensende in Ludbreg bleiben müssen." – "Aber wir sind doch in Varaždin! Ranusio, ich habe sogar von Ulrik geträumt – " – "Quatsch, die alten Gamellen; und jetzt auch ich noch rein. Mann, ist das eng! So. Zu den Deckel und los!"

Die Geisterbahn war auf Probefahrt gestellt, auf "nur für Erwachsene", auf "Schnellfahrt" und auf "unbegrenzt". Die Sondernummer war wohl die letzte ihrer Art und ähnelte doch fast auf ein Haar Tinguelys New York-City-Happening der Sechziger-Jahre. Die Geister- begann sich mit einer Achterbahn zu verwechseln und legte stetig an Geschwindigkeit zu. Höllenrachen zerfetzten, Skelette flogen an die Stalagtitendecken, dass die Fledermäuse nur so herunterregneten; Frankenstein wurde beim dritten Durchgang quergeschlitzt, dass die Holzwolle herumstob. Ein rotäugiges Pferd verpuffte im Kurzschluss, die Funken stoben von den Schienen, entzündeten ein Plastikraumschiff und im beissenden Qualm schlossen die Polizisten, längst zentrifugal unter ihre Sessel gerutscht endgültig die verzweifelt hilfesuchenden Augen. Auf der Space-Rampe über dem schwindelnden Abgrund, den der gewandte Pflasterkünstler Kurt Wenner so naturalistisch gemalt hatte, dass auch in der Geisterbahn stets Tüten der Croatian Airlines bereitliegen mussten, hatten sich unsere Mönchspassagiere endlich ihres Erdendaseins entledigen können und waren selbander unversehrt durch die horizontlose Leinwand katapultiert. Doch die übel klaffende Wunde sollte dort nurmehr minutenweise bestehen, bevor der Revolver des noch gerade geistesgegenwärtigen Gendarmen, der die Wollkutten über sich hatte wegsegeln hören, sechs weitere hässliche Löcher hieinsiebte, die Lampe, die den Mond fingierte, traf, was einen allgemeinen Blackout erzeugte, alle Notsicherungen enthemmte, die Waggons aus den Schienen springen und in die Kulissen und weiter rückwärtig, in die Wiese rasen liessen, dieweil der erste Stock mit den Dinosauriern, die nun echtes Feuer spieen auf den unteren mit den Dynamobatterien niederbrach, dass die Erhängten auf die Skelette niederprasselten. Die Pappteufel heizten zum letzten Mal ihre glühenden Kessel, bevor sie selbst in Asche sanken. Es bogen sich zu Kreislers Song "Der Zirkus brennt" Träger, Verschalungen, die Pneus der Zugfahrzeuge, die Maschinerie, die Transformatoren und die Hydraulik. Es explodierten zur Freude halb Varaždins, das inzwischen neugieriglich zusammenlief, Benzintanks und Gasflaschen, die Birnenguirlanden und Neonröhren, die Fernsehmonitoren im Spacetrakt und schliesslich die restliche Polizistenmunition. Nur die Kasse konnten unsere beherzten Gesetzeshüter, kaum im sumpfigen Gras zur Besinnung wiedererwacht, aus dem Kassenhäuschen retten, bevor auch dieses im Rasseln niederknickender Gestänge von Plakatwänden und Festwimpeln begraben wurde.

Die Feuerwehr kam wie immer so spät, dass sie nur noch die Schaulustigen auseinanderspritzen konnte, hatte aber so ungestüm gebremst, dass von unserem unbeleuchtet und gesetzeswidrig geparkten Polizeiauto nurmehr zwei Hälften übrigblieben und es völlig gleichgültig war, ob daraus ein Knotenstock und ein Bündel Mitbringsel vom Heiligen Sonntag fehlten.
17.40. Den Rest male Dir selber aus, bester Nymph. Ich bin ganz ausser Atem gekommen und brauche eine Verschnaufpause bei all der Dramatik.

...

Ein serbischer Anschlag zweier in Mönchskutten vermummter Terroristen mit falschen Bärten, hiess es anderntags im 'Varaždiner Boten', habe der von Müttern, Kindern und Greisen vollbesetzten Geisterbahn und einem ebenso vollbesetzten Polizeiauto gegolten. Nur die Geistesgegenwart der Gendarmen, ihr Mut, ihr Opferwille und ihre Vaterlandsliebe habe ein Massensterben verhindert. Lediglich der Betreiber der Anlage, ein älterer bosnischer Serbe, unverheiratet und krebskrank, sei mit den Delinquenten im Inferno des höllischen Brandes umgekommen; in den Bergen von Skeletten, Dinosauriern und teuflischem Unrat sei es aussichtslos gewesen, die sterblichen Reste der Untäter zu identifizieren. Das Auto sei kaskoversichert und den Polizisten werde beim nächsten Besuch des Präsidenten eine Medaille für besonderen Mut vor dem Feind verliehen.

So waren’s denn alle am Glück im Unglück Beteiligten zufrieden. Nur mit Ausnahme zweier Touristen, die dem Spektakel mit gemischten Gefühlen gerade noch hatten zusehen können, als sie sich etwas atemlos durch die Phalanx der Gaffer gekämpft hatten; nun ja, immer die drängelnden Deutschen, dachten einige, die die unzeit- und unortsgemässen Krachledernen des Dicken und das Dirndl der Schmächtigen aber Schönen im Flackern des Grossbrandes erkennen konnten. Sie waren wieder einmal zu spät gekommen; hatten wieder mal in einer Bar umgetrunken und geschäkert; hatten bereits den Ludbreger Termin verpasst und nun das Ultimatum in Varaždin. Das schlimmste war, dass sie, die ewigen undisziplinierten Schlachtenbummler, den Notkoffer, bzw. den Letzte Hilfe-Koffer bei Ranusio gelassen hatten, um ellbogenfrei in der neuen Bierschenke an der Augusta Cesarska Ulica zu schunkeln und auf die harzigen Weine des Olymp anzutrinken, womit sie einen Rausschmiss riskierten, aber dank klingender Münze den Misston in mitjuchzende Zuneigung verwandelten. Ejakulovic und Dianja, wie man sie alsobald kumpelte, wurden immer wieder zurückgehalten, eine neue Runde zu stiften, bis ruchbar wurde, dass die Geisterbahn brannte und alles, mitsamt Wirt, Küchenmops und Kellnern hinaustürmte. Nur Matija war soeben von seinem Fahrrad gestiegen, sich für den nächtlichen Heimweg einen anzutrinken, was ihm auch kostenfrei gelang, weil alle ihre Gläser vor Eile nicht hatten leeren können. Ja, den Koffer, den hatte er natürlich hoch über der Ampel beim Schlosspark wiedererkannt; diesmal scheinbar unbesetzt und bei rot. Also könnte er ja eigentlich nicht wahr sein, so ohne Handsteuerung und verkehrswidrig, sinnierte er. Aber er würde ihn auch leer für sich behalten, es glaubte ihm ja doch keiner...

Von der Feuerspritze pudelgenässt und sichtlich ernüchtert bummelten die zwei Olympier, geben wir Ihnen doch ihre Identität zu, wieder stadteinwärts. Sie haderten mit ihrem Schicksal und begannen, sich gegenseitig die Schuld zuzuschieben. "D U wolltest zum Ludbreger Heiligen Sonntag 95!" – "Aber D U hast das ökumenische Rundschreiben Gabriels letztlich unterschrieben, als ich längst ans Münchner Oktoberfest wollte." – "Ein schrecklicher Gedanke, von hier nach Athen zu kommen! allein zehn Stunden Marijan-Express, hat man mir gesagt. Es war der Buschauffeur, der mit der roten Nase." – "Von Zagreb aus könnte man fliegen." – "Oder von München." – "München? Buschauffeur? Der wollte doch heute nacht noch –!" – "-schnell zum Busni Kolodvor! Das Oktoberfest ist in vollem Gange, Herz!" – "Aber Kulilein, wir haben unser ganzes Geld verprasst." – "Egal, mit dem Chauffeur hab ich mich schon geduzt; in der Gepäcklade werden wir noch Platz finden, für die letzten 28 Kuna; wir verschnüren uns gegenseitig und geben uns als Koffer auf." In der Tat hatten Ejakulovicens Freigiebigkeit, der folgliche Biersegen und die Trinkbruderschaft mit Josip dem Fernfahrer dessen Herz, Knie und Eingeweide soweit erweicht, dass die beiden als blinde, taubstumme und lahme Gepäckstücke über die nächtlichen Grenzen gelangen konnten. Weder der verschlafene Drogenhund, noch die deutschen, dem Fahrer allzugut bekannten Grenzer mochten in der von Viktualien, Wein und gebündelten Secondhand-Kleidern, prall umschnürten Koffern und Kartons überquellenden Remise die zuhinterst eingeklemmten Olympier inspizieren, die da dem Feste aller Feste entgegengeschüttelt wurden. In München winkte ihnen eine Dependance der Hermes Healthinsurance, wo sie gegen einen kleinen Versicherungsbetrug, der sich bei Lloyds verzehnfacht auszahlte, ihre blauen Flecken kurieren und sich blaue Nasen antrinken konnten, bis sie ein olympischer Wink oder ein Flug der Hermes-Olympic nachhausespedierte...

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(125) Ludbreg, Montag 16.10.1995; 6.35

Nymph, bald im Schulschwitzkasten geprüfter,

Heute beim verfrühten Aufwachen, noch im Morgengrauen, wenn man sich wohlig räkelt und noch ein wenig nachdenken will – was Dir ja fremd sein dürfte, weil Dir Dein jugendliches Alter auszuschlafen gebietet, was Du vor zwölf nicht hattest magazinieren können – da kam mir die Furcht, ob all das Geschreibsel, Beschreiben und Fabulieren eigentlich genügend sei, für die Zwecke des Dialogs zweier ja eigentlich verliebter Wesen. Kommt das Nahe, Zärtliche, Intime nicht zu kurz ob aller Schriftstellerei? Die Vision überkam mich, dass dieser Wust an Papier einmal fein sortiert, datiert und gebündelt, mit Paketschnur verzurrt auf einem Estrich dämmert, weil man den Inhalt ja zu Genüge ausgelesen, übergelesen hat und neue Horizonte sich über die alten, verstaubenden legen, und ich überlegte, ob man nicht so aktuell schreiben könnte, dass ein Inhalt weder mit dem Leser noch dem Schreiber alterte. Was zählt ein Ivan, ein Darvin im nächsten Jahr, was zählt der Schnee vom vergangenen Januar, was Blagajs geröstete Kastanien von letzter Woche, was Ludbergas jüngstes Abenteuer mit Ranusio? So dachte ich an die Briefe, in denen Du Musik beschreibst, an Rhythmen, die aus Deinem Innern kommen, an Gefühle, Erfahrungen; ich erinnerte mich des adamitischen Streichelbriefes und sah, dass da ein Unterschied zum Alltäglichen besteht. Gibt es etwa das absolut Aktuelle, Gegenwärtige, nach dem man greifen könnte und es in Worte münzte? Könnte man einen Blick, eine Stimme, das Gefühl von Neigung, Hautnähe, den Duft von Haar so treffend bannen, dass der Ausdruck unvergänglich wird? Dafür hat man immer schon Gedichte gemacht, aber Briefe? Gedichte sind zumeist anonym in die Welt gesetzt, auch wenn sie ursprünglich an eine geliebte Person gewandt waren; Passepartouts; das macht schliesslich die Grösse von Dichtern, da sich jedwelcher Leser in ihren Werken widerspiegeln können, sich angesprochen fühlen. Aber Briefe sind direkter, auf eine Person bezogen, die gerade jetzt lebt und fühlt und morgen nicht mehr sein wird, also einen Brief wie Nahrung aufnimmt, die so beschaffen und nicht anders sein darf, damit sie den Leser und keinen andern stärkt, erfüllt, umgarnt, zum Blühen bringt. Briefe müssten also höchst personell und doch zeitlos zugleich sein. Und Da schiebt sich nun ein Verständigungsproblem dazwischen, das so alt ist wie die Geschlechterunterschiede an sich. Was empfindet eine Frau, was ein Mann vom "gegengeschlechtlichen" Schreiben, wenn schon die unmittelbaren Gefühle so unterschiedlich sind; was erwartete in Wirklichkeit der eine vom andern, wenn er tief in sein Wesen hineinschaut und fordern könnte, wollte, müsste, was ihm nottut, ihm wohltäte, ihn bis ins Innerste erfreute. Man hat sich so an Konventionen gewöhnt, dass man "frisst, was man bekommt", weil man sich dem andern ja doch nicht verständlich machen kann; und Verliebte sind dankbar, sind bereit, das kleinste Geschenk zu überschätzen, lernen aber nie, sich auszusprechen über die nahesten und die fernsten Dinge, die sie wirklich bewegen. Das Ausschalten des Hirns im Verliebtenstadium hat einen physiologischen Grund: die Menschheit wäre längst ausgestorben ohne den raffinierten Trick. Man sollte ihn von rechts überholen können und auch als Verliebter endlich an die Wahrheiten gelangen, die den anderen prägen und erklären helfen, warum gerade diese zwei zueinander passen, und nicht ein x-beliebiges anderes Duo für sie stehen könnte. Du lachst immer wieder, schalkhaft, weise, unbewusst, oder vorsichtig, ich weiss es nie, wenn ich behaupte, Du seiest mir noch immer ein unergründliches Rätsel, eine faszinierende Sphinx, ein ewig unbekanntes, immer wieder neues Wesen. Aber es ist wahr und auch unendlich schön, gut und unerschöpflich; hinter Deiner Stirn verbergen sich Welten, die ich nie erforschen werde, könnte, vielleicht nicht einmal dürfte. Deine Ängste, Vergnügen, Phobien, Freuden, Deine Interessen, Deine Träume, Sehnsüchte, Ärger, Schwächen und Stärken bilden ein Mosaik, dessen Bild ich nie zusammensehen werde in einer nachfühlbaren mit irgendeinem Medium reproduzierbaren Zeichnung, wenn nicht in einem Hologramm einer nächsten für uns unerreichbaren Dimension. Vielleicht will es die Natur, dass man diese Neugier nach dem Unbekannten nie befriedigen soll. Ich gäbe ein Jahr meines Lebens dafür, zu wissen, wie Du und was Du darüber denkst und fühlst...
16.15. Der Tag versinkt in immer tieferem Grau, das Schloss hat sich wieder geleert, nachdem man zu viert mit Geschenken bewaffnet den ersten Besuch bei Venija und ihrem neuen Töchterchen bei Kuchen und Tranksame verbracht hatte. Man bewunderte den rosigen Wurm, der sich noch ganz auf seine Eingeweide konzentrierte, Freude und Leid in geschwindester Abwechslung in furchterregenden Grimassen kundtat, aber nach einem Monat schon ganz manierlich menschlich aussah. Venija, wieder gedünnt und geschönt, von sorgsamen Eltern verwöhnt, geniesst die Aufmerksamkeit der wiedererwachten Umwelt, während an dieser das eifersüchtige Söhnchen sein Mütchen zu kühlen sucht: die typische Familienidylle zwischen Ludbreg und den Antipoden.

...Faun

(16.10.1995; 17.46)



Meinster, für den Anfang schon mal ein Seitchen. Fortsetzung folgt vielleicht morgen.
..."Er ist es, tatsächlich! Was für ein Zufall und ich habe ausgerechnet sein neues Buch in meiner Tasche. Wie könnte ich ihn nur ansprechen? '...Herr Reinhart, es freut mich wirklich Ihnen einmal persönlich zu begegnen, ich wollte Sie nämlich schon lange mal fragen...', hm nein, das klingt viel zu offiziös. Es müsste etwas Witziges sein, etwas Persönliches und überhaupt, was sollte ich ihn denn schon fragen... Er schaut schon die ganze Zeit aus dem Fenster, sicher denkt er sich gerade einen neuen Roman aus, oder er geniesst nur die Landschaft – es ist ja auch recht schön hier – komisch, ich bin diese Strecke eigentlich noch nie tagsüber gefahren. Aber nein, ein Schriftsteller seiner Grösse, schaut nicht einfach so aus dem Fenster, er denkt, er dichtet, er sinniert über das Leben..." – "Dieser Idiot, dieser kleine dumme Spiesser, was versteht der schon von Literatur...ha, glaubt, er könne mich im Ernst kritisieren! Nur weil er da mal vor Jahren ein dünnes Bändchen geschrieben hat, lächerlich! Aber ich hab mir immer schon gedacht: der Junker kann nichts und wird auch nie was können. Schreibt in der 'Frankfurter Allgemeinen': im neuen Buch von Reinhart sei ein roter Faden nicht zu finden und das sei noch der geringste Mangel... ha, wenn man so borniert ist, wie der liebe Herr Junker, kann man den Faden natürlich leicht verlieren. Ich hätte Anna sagen sollen, dass sie mir die langen Unterhosen einpackt, verdammt kalt hier. Aber in letzter Zeit ist ihr ja alles andere wichtiger. Zieht mit dieser dummen Kuh herum, diesem affektierten Weibstück... Musik, was versteht die schon von Musik..." – "'Herr Reinhart, wären Sie so nett mir ein Autogramm in Ihr neues Buch zu schreiben?' ... nein, das geht auch nicht, dann hält er mich für eine dumme Gans und damit wäre unser "Gespräch" auch schon beendet. Was könnte ich nur sagen? Er schaut immer noch zum Fenster hinaus, so kann man natürlich keine vernünftige Unterhaltung anknüpfen. Dabei hätt ich ihm immer schon mal bedeuten wollen, dass er genau wie Joseph aussieht, 'jawohl, Herr Reinhart, ob Sie's glauben oder nicht, Sie sehen genau wie mein alter Freund Joschi aus, der jetzt gestorben ist. Er mochte Ihre Bücher übrigens nicht... Warum? Weil Sie so verschlungene, komplizierte Sätze schrieben, dass man am Ende, den Anfang nicht mehr wüsste, meinte jedenfalls Joseph. Ich musste Sie immer in Schutz nehmen vor seiner Kritik. Hm, der gute Joschi, hätt er nur nicht so gesoffen. Zum Schluss mochte er ausser mir niemanden mehr sehen, nicht mal seine eigne Frau. Die hat ihn ja nie verstanden. Sie müssen nämlich wissen, dass Joschi ein zwar cholerischer und rechthaberischer Mensch war, aber im Grunde herzensgut. Er konnte einem nichts abschlagen. Nur wenn er sich aufregte, weil man nicht seiner Meinung war... einmal gingen wir zu dritt essen, seine Frau, Joschi und ich. Wir plauderten über ein Theaterstück, ich weiss nicht mehr welches, und waren natürlich nicht derselben Meinung, er geriet immer mehr in Rage, je mehr ihm seine Frau widersprach. Er hat sie geohrfeigt, in aller Öffentlichkeit, stellen Sie sich vor. Daraufhin ist er wieder wochenlang vor ihr gekrochen. Sein, allerdings zu recht schlechtes Gewissen trieb ihn manchmal zu den absurdesten 'Versöhnungstaten' Ich habe immer gesagt: Elfriede, lass ihn schreien, hinterher behältst du sowieso recht. Im Grunde hat sie ihn beherrscht, ja schikaniert. Wenn er's schliesslich nicht mehr aushielt, kam er zu mir. Nein, nein es ist nicht so, dass man nicht mit ihm hätte auskommen können, wenn man seine Schwächen nur kannte, ausserdem war er ein hochintelligenter Mann...'. Ach, gleich sind wir in Ljubljana und ich habe ihn immer noch nicht angesprochen. Ich stell mich wirklich an, wie eine dumme Göre..." – "Ich weiss überhaupt nicht, was ich mit dem reden soll. Anna meint, ich müsste ihn nun endlich einmal kennenlernen. Wie konnte sie nur so einen Hohlkopf heiraten! – meine Tochter! wo sie doch sonst soviel Geschmack von mir geerbt hat. Lässt sich von diesem Gernegross kaufen wie ein simples Möbelstück. Was soll ich denn mit dem reden, etwa über meine Bücher? Wahrscheinlich hat er noch gar keins gelesen. Und wenn, dann höchstens "Ein Mann ohne Schatten" – das kennen ja alle. Also wenn er d a s gelesen hat, nur um mir zu imponieren, ist er bei mir sowieso gleich abgeschrieben. Zwanzig Jahre älter als sie, der könnt ja fast mein Bruder sein...".

Küsschen, Nymph.

...

17.46. Dein langersehntes Geschichtchen flattert herein! und macht mich hungrig auf mehr! herrlich, wie sich die beiden anschweigen, eine Art Undialog! glänzende Idee. Gibt’s den Schattenlosen nicht wirklich? Oder war’s eine Frau?

Ich bin neugierig auf morgen...

Hier nur schnell Ranusios (von Rana, dem Frosch; zaba heisst er auf kroatisch...) Athenflug, damit ich endlich mit Ludbergas Litanei abschliessen kann!


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