Ludberga bis 23 95



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Flieg Koffer flieg...
"Wo fliegst Du mich eigentlich hin?" Sie hatte der Enge des Habitakels halber und des wenig damenhaften Kauerns neben dem arg zusammengefalteten Kumpan, alle Höflichkeitsformen fallengelassen. Ranusio hob den Deckel des grossen Reisekoffers an und spähte nach unten "Wir sind über Split –" aber das Hinwegdonnern eines keineswegs so unsichtbaren Stealth-Aufklärers über ihm verschlug ihm die Stimme. "Es ziiieht!!" – "Ja, Spliiit!" – "Wieso wissen Sie – weisst Du, eigentlich nicht mal, wos hingeht?" – "Wie sollte ich; ich stiess doch erst in Ludbreg, beziehungsweise Varaždin zu Euern sonderbaren Ausflüglern. Und was sollen die ollen Zylinder hier drinnen, sie nehmen doch nur Platz weg... ich werde –" – "Um Himmels willen, Ludberga, die Hüte sind ebenso kostbar wie der Koffer, den zurückzubringen ich habe versprechen müssen; ansonst wären wir längst in Athen." – "Athen! Was soll ich in Athen?" – "- dort ist doch der Treffpunkt, wo wir uns sammeln und dann friedlich wieder auseinandergehn; die einen olympwärts, andere gen Eden, Gibraltar, Tiflis unprofor äh, undsofort. Du, als Heilige, solltest doch wissen, wo Du hingehörst." – "Ich bin Novizin und habe ein Anrecht auf Ignoranz. Meinereins hat man weder vorgestellt, noch mir eine Gebrauchsanweisung mitgegeben. Nicht mal ein Attribut gab man mir mit auf den Weg." – "Das werden wir schon richten; dieser chaotische Betriebsausflug kam Dir in die Quere; ich wusste in meiner Froschweste schliesslich auch nicht, dass Du gar nicht von der Partie warst." – "Wer hat eigentlich Deine Schaubude bewirtschaftet während Deines Quäker-Zustandes?" – "Der griechische Fahrer Ikonos und der Transsylvanier Klastevic. Aber ich hatte sie gestern entlassen, in Hinsicht auf das rauchende Ende meiner Mission." – "Du hattest das Feuerwerk geplant?" – "Nicht ganz so drastisch; aber ich war ja bei Hermes-Feuer mobiliarversichert. Hätte ein jeder zur geplanten Zeit seinen Zylinder gefasst, wären wir einträglich im Schwarm und gemütlich in Zweisitzern gen Süden gezugvögelt. Nach uns der Sintbrand..." – "So was nennt sich Hergötter, Heilige und Heroen! eine schlitzohrige Lausebande das! In meinem zwölften Jahrhundert hätte es das nicht gegeben." – "Nanana und die Milch der Madonna, die fünf erhaltenen Präputia Jesu, die Schuppe von Georgs Drachen und die Feder aus den Flügeln Michaels; war das nicht Reliquien-Geflunker genug?" – "Die haben trotz allem Wunder gewirkt." – "Mich nimmt eher wunder, was da draussen so dröhnt – Himmel, die wollen uns abschiessen!"

Zwei Jäger eskortierten in der Tat unseren Koffer auf Meternähe und als Ranusio den Deckel hob, fegte eine Warnsalve zwischen den Ledergriffen hindurch, um zu bedeuten, dass man es ernst meine: beide wippten mit den Flügeln und rieten zum Landeflug, den Ranusio wohl oder übel mit seinem weissen Handschuh zu pilotieren gezwungen war: der Flugzeugträger Satanooga dümpelte zwanzig Meilen vor Dubrovnik und man hatte bereits alles vorgekehrt, das seltsame Flugobjekt sicher an Bord zu geleiten. Der Admiral hielt in der weissesten Sonntagsuniform Kriegsrat übers rote Telefon mit CIA, Hermes-Interpol und dem Präsidenten, legte allen absolute Schweigepflicht auf und hiess das Deck vollkommen freiräumen; einen tankleeren Natobomber auf dem Rückflug von Gorazde liess man wohlgemut für 250 Millionen Dollar ins Meer fallen. Die Biocid-Sondertruppe in brandsicheren Weltraumkombinationen legten sich mit echten Laserkanonen auf die Lauer, als schon mit heftigen Poltern unser Koffer unter zwei Rückhaltenetzen hindurch über Deck schlidderte, dem Heck zu und plumps in das allerletzte Auffangsieb unter der Bordkante fiel. Die Truppe stürmte herbei, warf sich zu Boden, aus dem Lautsprecher ertönten mehrsprachige Aufforderungen zum Ergeben, ein desinfiziertes Mikrofon schraubte sich zu den im Koffer stehenden Passagieren hinunter, während sich das Sieb an massigen Gelenken an Deck hob und die Fracht recht unsanft an Bord leerte. Statt Ludberga aufzurichten, tasteten zwei vermummte Biocidler sie mit Geigerzählern ab und ein Dolmetscher gestikulierte aus seinem Helm, man spräche auch kroatisch. Der klinische Befund, die Luft sei rein, bzw. die beiden clean, ging über die Bordcomputer und am Ende näherte sich selbst Admiral Sacharin, Angehöriger eines Radarklubs, einer Sekte und der Lyons, aber was besonders wichtig war, Kenner jeglicher extraterrestrer Materie, Intimkorrespondent v. Dänikens, Telepath und regelmässiger Telekommunikand mit der Galaxie M 238c im Sternbild Erbse jenseits vom Wendekreis des Krebses.


"Odakle ste?" – "From Ludbörg." antwortete Ranusio auf englisch; "Darf ich vorstellen, Miss Ludberga, Heilige." – "Haben wir Sie nicht gefragt. Wer sind Sie?" – "Ranusio Zaba, Geisterfahrer." – "Ghostwriter. Hm. Was schreiben Sie so? etwa im Metaphysical Abecedarium?" – "Ich schreibe demnächst eine gerichtliche Anklage gegen Sie, wegen Nötigung auf freier Flugbahn, mutwillige Verletzung meines Flugkörpers und Missachtung der Flugverkehrsregeln." – "Hörn Sie mal, lieber Mann, wissen Sie, mit wem Sie hier zu tun haben?" – "Ihr Krieg interessiert mich nicht; ich bin auf Dienstreise und habe eine Verabredung in Athen." – "So, Athen. Sergeant!! ist Griechenland nicht Natomitglied?" – "Ich glaube Sir." – "Hm. Wir haben allerhand mit ihnen vor, Mister Zaba; bezüglich ihres Transportmittels. Wir hatten Sie seit Varaždin beschattet. Jawohl, nicht seit Ludbreg. Sie flogen an der Hauptstrasse bei Rot über die Ampel. Ich könnte sie von der kroatischen Strassenpolizei festnehmen lassen. Aber zur Güte hier ein Plan, der ihnen nur wenige Umstände macht und sie pünktlich um 24 Stunden verspätet in Athen ankommen lassen wird. Wie viele Passagiere fasst Ihr... Ihr, sagen wir, Reisekoffer?" – "Zwei." log Ranusio, "aber ich fliege nur mit meiner Frau; sie ist Medium." – "So; das kompliziert die Geschichte. Sergeant, wie viele Stealth-Geschwader braucht es, um aus 20000m einen Reisekoffer abzuschiessen?" – "Tags oder nachts? Sir?" – "Nachts." – "mindestens drei, Sir und die Eigenverlustquote ist hoch. Koffer und Passagiere können nur blind beschossen werden, weil sie sich auf den Radarschirmen nicht abzeichnen." – "Gut. Dann lohnt es sich also. Sie, Zaba, ob Sie wollen oder nicht, sind von jetzt an Geheimnisträger und haben eine nächtliche Top-secret Mission auszuführen. Über Banja Luka und Belgrad, in Telegraphenmasthöhe. Karadjc und Milosevic haben von uns vertrauliche UNO-Post erhalten, eine fiktive Einladung zu Friedensverhandlungen mit Tudjiman in Genf. Aber die Post war verwanzt; Mikro-Mega-Minichips in Staubform, die auf circa 20 Meter senden können. Finden Sie die beiden noch in derselben Nacht." – "Und dann?" – "Geht Sie nichts an, Mann." – "Und ob, Admiral. Sie wollen mir die Schuld am Mord dieses sogenannten Präsidenten in die Schuhe schieben? Ich bin ein gewaltloser, ehrlicher Malefiz." – "Wer spricht da von Mord; Aufklären sollen Sie, den Rest besorgen wir." – "Ihre Mikroneutronenbombe ins Ziel zu leiten ist etwa kein Mord?" – "Was?! Sie wissen –! aber Sergeant, dieser Mann ist ein Agent!" – "Gewiss, Sir." – "Drehen Sie ihn unverzüglich um!" – "Darf ich bitten, Mister Zabo, nein, rechtsherum." – "Idiot Sie; einen Agenten der Gegenspionage sollen Sie aus ihm machen Sergeant!" – "Na dann zum Elektroenzephalogramm, Mister. Haben Sie etwa Herzbeschwerden, Nierensteine?" – "Warten Sie mal, ich gehe auf ihre Bedingungen ein, wenn Sie mit heutigem Datum im Metaphysical hoch und heilig erklären, ihre Neutronenbömbchen nur auf Vorbestrafte zu werfen, wo auch immer es gälte, nur Lebewesen und nicht die zugehörigen Behausungen zu treffen." – "Mann, Sie sind eine Nervensäge; aber ich versprech das Versprechen. Sergeant! ein Fax an meine Leib-Redaktion."

Aber ER werde schlauer sein, als dieser Hund, dachte er sich. Inzwischen hängte man ein ultrasekretes Suchgerät unter den aufgebockten Koffer, von der Grösse einer Nuss, mit mehreren kleinen Antennen und einem mikrophonartigen Schwamm in der Mitte. Man führte die beiden Nachtschwärmer zu ihrem Vehikel, ohne Ranusios spitzbübisches Lächeln gewahr zu werden, als er Ludberga, von dieser barschen und ungalanten Männerwelt reichlich abgestossen, hineinhalf, nachstieg und vor dem Schliessen vorsichtig vier beulige Zylinder auf die vier Kofferecken schob.

Admiral Sacharin musterte befriedigt den meteorologisch gutgesinnten Himmel, liess bereits die drohenden Begleitgeschwader hochgehen und merkte erst, als deren Rauch verdampft war, dass das säuberliche Kartenmaterial der CIA, das den Koffer hätte begleiten sollen, herrenlos über die Flugbahn stob, dieweil der Mond das leere Deck beschien.

Es hätte uns ja gefreut, den Admiral sich wie Rumpelstilzchen vor Wut zerfetzen zu sehen, aber nein: er schmunzelte und meinte zu seinem dienstbaren Schatten: "Sergeant, er ist uns auf den Leim gegangen; mit der Sonde am Bauch, kriegen ihn die griechischen Kollegen auch unsichtbar vom Himmel herunter. Interessante Mechanik, der Koffer. Schreiben Sie sofort ein Angebot an IBM mit der Andeutung TOSHIBA sei auch schon im Gespräch; spätestens morgen Abend zerlegen wir Koffer, Zylinder und die Dame." – "Mister Zabo charakterisierte letztere als Heilige, Sir." – "Die und heilig! Sie kommen wohl von M 238c!" – "Nicht in den letzten Tagen, Sir, aber ich bin immerhin Mormone."


Aber auch Ranusio hatte dem Spionagespielchen nicht geglaubt und sägte seit Albaniens silberner Küste mit seinem Miniatur-Schweizermesserchen von Victorinox (der Absatz wurde von nämlicher Firma gesponsert; Mitt. d. Red.) einen Kreis um die verräterische Sonde, bis sie in die Adria plumpste. Zwei ferne Jäger machten es ihr nach, bevor die Piloten des Irrtums innewurden, aber sie wurden heldenhaft von der Presse aus Feindeshand befreit und später auf der Madison Avenue gebührlich bejubelt und papierbeschnipselt. Ludbergas unvermeidlicher Schnupfen war die Antwort auf den bodenlosen Ausguck. Ranusio schlief am Steuer bis Athen, den gerade nicht pilotierenden Arm wärmend um Ludberga gelegt. Sonst nichts. Ich will hier keinen Kolportageroman. Und keine wahre Geschichte. Schliesslich ist sie eine ehrbare Heilige und kein Comicstripteasegirl.

Die glückliche Landung auf der Agora wurde durch keinerlei Aufsichtspersonal gestört; niemand mochte im strömenden Platzregen nach dem Unrechten sehn, eine Gruppeneintrittkarte knipsen, geschweige eine Führung anbieten. Mit Ausnahme von Herkules und Deianeira waren alle da; durchnässt flüchteten sie sich unter den Portikus und beschworen den säumigen Reiseleiter, wen anderen als den blonden Hermes vom Ludbreger Touristikstand! der nichts anderes im Kopfe gehabt hatte, als sinistre Privatgeschäftchen einzufädeln – sie alle mit Schirm, Charme und Zylinder möglichst schnell in alle Winde zu entlassen. Den Letzte-Hilfe-Koffer mit den überzähligen zwei Zylindern wolle man im Fundbüro mit der Aufschrift der Adressantin "Deianeira" hinterlegen (denn Herakles traute man nicht die nötige Geistesgabe zu, etwa dort nachzufragen), denn in jeder anderen Gepäckaufgabe erhielte man ihn nur gegen Quittung oder mit dem Schliessfachschlüssel. Unsere beiden Mönche, inzwischen von einem modernen Hephaist der Handschellen entledigt, verabschiedeten sich zuerst, bevor sie sich elegant und wohlbehutet entsubstantialisierten; ihre Identität, man hatte sie als namenlose Santons eingeschrieben, deren es ja Hunderte gab und gibt, hatten sie geflissentlich nie preisgegeben (lediglich Weiss schien ein vertrauteres, schlimmstenfalls gespannteres Verhältnis zu Ranusio zu haben); Psyche und Lucy, inzwischen dicke angefreundet, die wir völlig aus den Augen verloren, deren Peripatetien und Peripathien wir aber andernorts einmal erzählen wollen, wurden von einem eifersüchtig wachsamen Amor untergehakt und entfleuchten mittels einer "drei-für-zwei-Aktion", weil jenem ein Windstoss den Zylinder zum Schaden der Motorik vom Kopf in die antike Kanalisation gefegt hatte.



Ja, da stand sie nun, wie Sankt Paulus auf der Agora, unsere buchstäblich verschnupfte Ludberga, und wusste weder ein noch aus. Ranusio suchte sie zu trösten: "Ich bring Dich nach Eden; ich hab da gewisse Beziehungen, dank derer kletterst Du im Nu in der Hierarchie; ich bin leider nur der unterste von allen und muss Dich an der Pforte lassen; aber wir sehn uns wieder, sobald Dir’s langweilig wird, dort oben. Komm, nimm den Hut." Sprachs und sie entfleuchten selbander...

(126) Ludbreg, Dienstag 17.10.1995; 6.50

Nymph, nachtschwärmerischer,

ich hatte noch recht lang damit zu tun, mein ausgeflipptes Programm zu rekonstruieren und um zwölf schickte ich Ludberga über den Äther; aber mein Nymph war noch um eins nicht zu begutenachten, als ich mich in alten Restauro-Heften festgelesen hatte. Hoffentlich büsst Dus nicht im nachmittäglichen Examen? In Kunstgeschichte solltest Du meinem Stolze zuliebe die beste sein, sonst bekomme ich Minderwertigkeitskomplexe...

Zu einem schriftstellerischen Intimexperiment hat’s natürlich nicht mehr gelangt, nach Ludbergas Vulgär-Peripatetien. Die Geschichte war alles andere als gepflegt und eigentlich nur als Bahnhofskiosk-Comicstrip zu geniessen, aber einmal drin, kommt man aus den Banalitäten nicht mehr heraus, weil eine Geschichte sich selbst fortspinnt und man nur verwunderter Zuschauer ist. Man sollte öfters aussteigen können, um sich am Ohr zu nehmen.

Ivan sorgt sich um meine Gesundheit und schlägt vor, mich einen Tag zum Fischen an die Drava mitzunehmen. Er habe immer noch Ferien und ich ja kaum was Vernünftiges zu tun in diesen problematischen Zeiten. Warum nicht, sagte ich mir und werde mich morgen schon um fünf aus den Federn bitten lassen. Željko bringt mir kniehohe Gummistiefel der Grösse 42, die recht qualvolle Auspizien bedeuten.

Darvin vertraute mir gestern an, dass Mendel nicht ungern Ludbreg von Zagreb abnabeln wolle, um uns die nötige Seelenruhe vor den Seiltänzelschaften Vrkaljs zu verschaffen, uns finanzielle Autonomie und Entscheidungsfreiheit zu verleihen. Wäre ideal, wenn Darvin ein grösseres Licht und seriöser wäre und die anderen verantwortungsbewusster. Die deutsche Vertretung bekäme allerdings mehr Einfluss und Bürden auferlegt, was eine Dauerpräsenz erforderte; ohne mich! Meine zeitweiligen Kollerphasen in Ermangelung menschlichen Umgangs würden wohl zum Dauerzustand, Die mitleidsvollen, aber nicht minder immer distanzierteren Blicke meiner Umgebung, die mich als angehenden Verrückten ansehen dürfte, sind Warnung genug. Sie kann ja nicht wissen, dass meine Nymphe die ausgehungerte Lymphe durch einen dünnen Faden nach B. ernährt, meine geistigen Strümpfe stopft, meine seelischen Rümpfe glättet, die Stümpfe meiner Energien heilt, mich aus Sümpfen der Melancholie zieht und stets letzte Trümpfe einer Flucht an ihren Busen bereithält! Triumph hat kein "ü" im Plural. Schade.
Zur Lymphe gehört Dein feines Geschichtchen. Hoffentlich reichen Energien und Emphase, daran baldigst weiterzuspinnen! (Mach zwischen den Gedankenwechseln einen kräftigen Bindestrich, damit man nicht über die falsche Person stolpert und benutze das Anrede-Gross-"Sie" zur besseren Unterscheidung der Adressaten. Durch das Faxen wird nämlich die Graphie undeutlicher und dadurch das Lesevergnügen beeinträchtigt. Bei meinen eignen kurzen Sprechwechseln sind die Bindestriche allerdings auch nicht schön; vielleicht lasse ich die Anführungszeichen ganz weg? Würde zumindest Platz sparen...)
16.00. Nun sitzt Du im Examen und Dein Anruf hat mich beruhigt; Du wirst ohne verhangene Augen und ohne Weckamindroge glänzen! Mein Daumen ist für Dich fast zum Rollschinken gewunden, meine übrige Existenz knobdurchlaucht, das Ausharrvermögen zu fördern (musste ich mich doch auch für die morgige Fischpartie feien!).

Blagaj schwänzelte zu mir herein, um über unser Fax in Deutschland einen neuen Geländewagen zu ordern. Er schwor, meine Beule am Auto, die ihn bekanntlich reich machte, der Versicherung anzuhängen und bei Wirt Crnković, des Spitznamens Tschernobyl (was ich mir besser merken kann), wolle er sehen, ob er die Miete für mich runterkriege; eine Hand wäscht die andere. Ein Schlitzohr horcht am anderen. Wenn ich ihm noch "Ludbergas Inn" und den bronzenen Weltmittelpunkt-Diskus abpresse, sind wir quitt.

Mein seit Tagen anhaltender Hang zum Schwindeln ist so gut wie verflogen. Ich flunkere nur noch beim Arbeiten, wenn es gilt, meine vorgeschützte Müdigkeit Lügen zu strafen und dann, hinter vorgehaltnem Notbuchdeckel... nichts zu tun.

Soweit ist es mit mir gekommen. Bal kan ich mir ein balkanisches Pseudonym zulegen und meine faule Haut wie ein Teppichverkäufer zumarkte tragen. (selbst dafür wäre ich wohl noch zu faul...). Dein Faul.
17.50. Im wieder mal nicht ausgedruckten obigen Endsatz unterschrieb ich natürlich mit "Dein Faul". Was mir in der Bleistift-Eile wieder entfiel. Man wird taperich hier, nicht nur faul. Aber Faulheit bewährt sich ja immer. Dass Du so gut abschnittst, war ja ebenso selbstverständlich, wie mein Daumen noch am Knöchel sitzt. Habe in der Küche Reste von mittags genascht: und schon keine Lust mehr zum Schreiben: ein voller Bauch... Und Erotika schon gar nicht. Ivan kam, um mir zu bedeuten, ich sollte schlafen gehn, er wecke mich schon um halb sechs, da die Fische dann besonders gern anbissen und man noch Platz fände unter der Dravabrücke. Kann ja heiter werden. Ich und Fischen; ungefähr das letzte, das ich hienieden freiwillig tun würde! Aber den Rat, nachhausezupompern ist vielleicht der schlechteste nicht. Du wirst ohnehin kaum vor zwölf vom harten Feierkern abnabeln wollen, können, dürfen, mögen, wagen. Also würde ich meine Gier auf Reinharts und Frau x-ens Gedanken kaum befriedigen können, geschweige noch erfahren, was Du über obenstehendes kommentiertest. Deshalb lass Dich vorzeitig auf alle Bäckchen küssen, pausenlos bis in den Morgen hinein, wenn ich mich als frischentwässerten Barsch, oder Hecht oder Dorsch kuschelnd zu Dir lege.

Faunuschel.
(127) Ludbreg, Mittwoch 17.10.1995; 17.00

Nymph, himmlischer!

Kaum vom Fischen heimgekehrt – Dein Vorschlag, ein ‘Arbeitsweekend’ bei mir zu verbringen! Welch glänzende Idee! Mir ist ganz zittrig bei dem Gedanken und muss mich arg zusammennehmen, Dir über den heutigen, merkwürdigen Tag zu berichten.

Ein Tag, wie ich ihn noch kaum erlebt habe: zwölf Stunden, in denen sozusagen nichts Aufregendes passiert, als hin und wieder einen Hecht aus der alten Drava zu ziehen. Es begann mit dem Abgeholtwerden um halb sechs; Ivan und sein serbischer Schwesterschwager Goran, im 480 000 kilometrigen R4 bei dichtem, noch nächtlichem Nebel und so gut wie ohne Scheibenwischer, auf menschen- und vehikelübersäten Strassen – genre Paris, heure de pointe, um fünf Uhr nachmittags! Ich staunte, lernte aber, dass man in den Fabriken in und um Ludbreg dreischichtig, also auch nachts malocht... Auf holprigen Feldwegen dann an die nebelverhangene Drava, die nach einem feuchten Fussmarsch – ich in 4 Nummern zu kleinen Gummistiefeln – erreicht wurde.

Man legte sorgfältigst fünf Angeln aus und stützte sie auf Zweiggabeln und behakte sie mit je einem lebenden kleinen Fisch, setzte sich wie am Balaton-See auf Faltstühlchen und wartete. Vier Stunden brauchte der Nebel, um von einer frierenden Sonne geschluckt zu werden; selbst die Wald- und Wasservögel begrüssten das Dämmerlicht nur zaghaft. Reiher standen in der Nähe und rührten sich kaum; nur in der Drava schwadderte, schmatzte, sprang und spritzte es wie in einem zu engen Fischteich; unsere Beiden wussten nach den Geräuschen zu schliessen, was das für Fische seien und sie interessierten sich nicht im geringsten für die Zappelei: sie seien für das gemeine Volk; Kleingemüse und gerade nur als Köder zu gebrauchen.

Was da viel später am anderen Ufer ankam und sich häuslich einrichtete, fing dieses ‘Zeug’ unentwegt und wir? nichts und nichts und nichts... Die Glöckchen an den Angelspitzen wollten nicht erklingen, die Schwimmer tatens den unermüdlichen Tauchvögeln nicht nach (nämlich verräterisch unterzutauchen), die uns zuweilen die Köder von der Schnur stibitzten. Die Beiden waren jedoch keineswegs beunruhigt, packten Unmengen von Proviant aus, Quarkkäse, Lendenspeck, Brot, Knoblauchzehen, Strudel, Tee, Kaffee, Bier Schnaps und was mehr unaufhörlich den Mägen zugemutet wurde.

Um zehn schreckte ich aus meiner Kältestarre, weil Bewegung in meine Kumpane geraten war, ein Netz schwangen und mit beträchtlicher Mühe einen über drei Kilo schweren und etwa 80cm langen Hecht an Land zogen. Er sollte der grösste bleiben, aber im Laufe der nächsten vier Stunden ereilte es vier weitere zum Neide der jenseitsufrigen Angler; und der Stahlreif, an den man die Ärmsten lebend kettete, um sie im Wasser frisch zu halten, begann knapp zu werden. Um die Zeit zu vertreiben ging Ivan auf Köderfang, angelte jedoch zwei hübsche flache Rotaugen, die gut im Öl zu braten seien. Ich schlief zuweilen auf meinem Dreibein in der nun immer wärmenderen Sonne ein, da ich vergessen hatte, den "Idioten" mitzunehmen, der ja in der Tat am Schlafen hindern kann, wie ich gestern Abend festgestellt hatte.

Das Herbstwetter war so klar und farbenfroh wie gemalt, der Wasserspiegel so glatt, dass man hätte unten und oben verwechseln können, wenn nicht hin und wieder ein Haubentaucher oder springende Fische ihre Wellenringe ins Spiegelbild geworfen hätten. Man hielt sich weitab vom Ufer, um bei der Klarheit des Wassers nicht von den misstrauischen Hechten gesehen zu werden, aber man hatte oft in die Hände zu klatschen, um die frechen Tauchvögel zu verscheuchen, die fähig waren, Fische von ihrer halben Leibesgrösse zu verschlingen: manchmal ein anstrengendes und langdauerndes ruckartiges Gewürge, das prompt futterneidische Kollegen von meist noch viel kleinerem Format zu unterbrechen suchten. In der Ferne stelzten Kormorane und Reiher durch die Untiefen, hin und wieder stakte sich die Belegschaft eines dieses flachen Nachen durch die Auen, mit Jägern, Fischern oder Jugendlichen. Ein Moment lang tauchte ein Kontrolleur auf und wollte die Fischerpatente sehn, aber nur Goran hatte eins, weil Ivan seit Jahren nicht mehr mit dem Stempel der Obrigkeit fischt. Doch da Ivan hier ein bunter Hund zu sein scheint, überging ihn der Aufseher elegant und trollte sich, andere Opfer zu verschrecken.

Morgen soll es Hecht geben, aber wenn Du übermorgen kommst, verzögere ich’s!

(128) Ludbreg, Donnerstag 19.10.1995; 6.40

Nymph,

ob ich Dir die heutigen Zeilen noch übermittle ist ungewiss, da Du sie Dir wohl selbst holen wirst, zu meiner überbordenden Freude.

Im Schloss wird mittags der grosse Hecht gespiesen. Ivan lädt Dich und mich Freitag nach der Arbeit bei sich zu Hause zu einem zweiten, intimeren Hechtessen ein. Das hiesse, dass Du vom Zagreber Kolodvor direkt den ersten Bus nach Varaždin besteigst, wo ich Dich zu einem Frühstück erwarte, wir gingen ins Museum, das Du ja immer noch nicht kennst und dann nach Ludbreg zu einem HB.-Rundspaziergang für den Hunger auf den Fisch. Samstag früh dann nach Budapest und von dort über das Szegeder 'Panorama' wieder zurück...

15.30. Nun hat sich alles verschoben und ich darf Dir nochmals ein viertel Briefchen zuschieben. Also, wenn Du Samstag früh in Zagreb bist, wär’s am besten, Du nähmst den ersten Bus nach Varaždin, wo ich Dich abhole und wir gleich nach Budapest weiterfahren (dasselbe gälte für Koprivnica, das auch auf der Ungarnroute. läge, sofern ein früherer Bus dorthin ginge. Nur müsste ich’s rechtzeitig wissen). So hätten wir den ganzen Sonntag und könnten ab Montag östlich oder südlich reisen.

17.00 Hier ist längst alles totenstill; ein herrlicher Herbstnachmittag, der zu hoffen gibt, dass Du diese Tage noch so erleben kannst.

Wegen der Sandbuddeleien machst Du Dir sicher schon zu viel Gedanken; Du wirst sehen, wie genügend Zeit Dir bleiben wird, für das runde Thema, dessen Gestalt Du jetzt schon absehen kannst. In F. wirst Du Literatur finden; fehlen die Interviews und die Inspektion der wichtigsten Originale, derer Du in B. und Z. mehr als genug finden wirst; vom konservatorischen Standpunkt ist nur die punktförmige Haftklebung freien Sandes ein Problem (Iseli, Roth(?), Arte Povera); sobald er eingebettet ist, hält er fast immer prächtig und hat sogar Krakelierungen verhindert (Kemény); dies gilt es zu demonstrieren und chemisch-physikalisch herzuleiten; nur Tàpies ist ein spezieller Fall, wegen der unverhältnismässigen Dicke der Schichten. Vielleicht hat der Sand und die kräftige Vorleimung in vielen Fällen die Leinwand am Korrodieren gehindert, die sonst längst am Ölüberschuss verrottet wäre (Masson). Man fragt sich, warum Tàpies keine festen Träger benutzte; der Reiz des Risikos?

Verzeih, wenn ich so vor mich hin simple; ich habe keinen Mut zu seriöserem; Dein angekündigter Besuch hat mich aus der Sublimationsbahn geworfen! Den morgigen Tag werde ich nur unter Qualen hinter mich bringen...
Nächste Woche kommen zwei bis drei Leute aus Zagreb zum Praktizieren; Bojana ist auch wieder da; sie stellte heute ihren 1,5-jährigen Knirps und einen wenig älter als 20 scheinenden Mann vor. Sie brachte mir unpubliziertes Material der verstorbenen Historikerin Marija Winter (und alte Fotos) über Ludbreg, was sich auswerten liesse, wenn’s nicht alles auf Kroatisch wäre! Ob die Gute das Zeug zum Restaurieren hat, lässt sich noch nicht feststellen; die Stereolupe mochte sie ohne Brille schon mal gar nicht aufsetzen.
Hoffentlich ermüdet Dich die Gewalttour nicht zu sehr; es ist ja bewundernswert, was Du da auf Dich nimmst! Ich werde Dich zu verwöhnen suchen, wie und wo auch immer. Nun werd ich mal an den Fax-Kasten rennen und sehen, ob Du da bist; vielleicht hast Du inzwischen ein paar Neuigkeiten aus der Stadt mitgebracht...Faun.

(129) Ludbreg, Freitag 20.10.1995; 8.00

Nymph,

eine Katze kann das Mausen nicht lassen; also sitze ich doch wieder heimlich am Kistchen, auch wenn Du selber kommst, meine Zeilen zu lesen.
Bojana brachte mir den Abdruck eines hiesigen kroatischen Liedes in Kajkavski-Dialekt (von Priester D. Denacic überliefert), das man früher am Heiligabend in Ludbreg und Umgebung sang (der 24. Dezember ist Namenstag von Adam und Eva!); ihre Grossmutter Bojana hat mir den Text in ihr gebrochenes Deutsch übersetzt, was so schön klingt, dass ich’s im Originalwortlaut wiedergebe.
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