Dem somit vorwiegend bis ausschließlich arbeitsmarktintegrativen Employability-Konzept lässt sich in idealtypischer Weise der auf übergreifende soziale Inklusion abzielende, seitens der Sozialarbeit vertretene Ansatz des „Empowerments“ als Postulat der Selbstkompetenz gegenüberstellen. Das Verständnis von Qualifikationen und Kompetenzen ist im sozialpädagogischen Kontext definitiv nicht identisch mit jenem im betrieblichen Kontext (vgl. HENDRICH. 2004: 262). Zudem sieht sich „Soziale Arbeit“ angehalten, den transportierten Qualifikations- bzw. Kompetenzbegriff aktueller Verhaltensanforderungen an Arbeitslose kritisch zu reflektieren. Berufliche Qualifikationen sind grundsätzlich als Ergebnis eines arbeitspolitischen Aushandlungsprozess zu betrachten, die letztlich durch die jeweils verfügbare Macht-Ressourcen bzw. deren Inhaber definiert werden. Die gängige konnotative Auslegung des Begriffs „Beschäftigungsfähigkeit“ befördert „eher eine kulturelle Botschaft mit normativen Orientierungen für individuelle Verhaltensdispositionen“ (HENDRICH. 2004: 263). Letztlich geht es um „Verstärkung des Anpassungsdruckes auf den einzelnen“ (ebd.). Das individualisierte „Scheitern“ der Integration in den Arbeitsmarkt wird in der Folge mit dem Stigma der „Nicht-Beschäftigungsfähigkeit“ belegt.
Die seitens der Inklusionsarbeiter beabsichtigte Vermittlung weitestgehender Selbstermächtigung ihrer Klienten erfordert dem gegenüber ein wesentlich breiteres Konzept von Kompetenzen. Um in einer flexibilisierten, zunehmend wissensgeleiteten Wirtschaft mit immer weniger kontinuierlichen, planbaren Karrieren individuell sinnvolle Entscheidungen treffen zu können, bedarf es einer Integration von Wissen und Fähigkeiten im Sinne einer individuellen biografischen Reflexion. Dies lässt sich nur sowohl unter Berücksichtigung der systemisch/strukturellen als auch der subjektiven Dimension sozialer Integration bewerkstelligen. Weiters ist die Beachtung der Segmentierung von Bildung und Arbeitsmarkt sowie der Flexibilisierungsrisiken vonnöten. Ebenso unentbehrlich ist Einbeziehung von Effekten strukturbezogener und individualisierender Maßnahmen für „Benachteiligte“ (vgl. IRIS. 2001: 9). Dies umzusetzen, bedarf es eines hohen Reflexionsniveaus der Inklusionsarbeit sowie geeigneter Rahmenbedingungen, vor allem hinsichtlich Didaktik, Methodik, Zeitressourcen und hängt schließlich davon ab, ob eine Umsetzung auch seitens der Auftraggeber intendiert ist bzw. gutgeheißen wird. Mit Blick auf gegenwärtige Tendenzen ist eher davon auszugehen, dass diese Erfordernisse keineswegs (mehr) gewährleistet sind.
Fortschreibung des Konzeptes der Schlüsselqualifikationen
Oskar NEGT identifiziert sechs, zur Lebensorientierung in einer anomischen Arbeitsgesellschaft erforderliche Qualifikationen. In dieser „Zwischenwelt“, wo zwar noch die alten Regeln gelten, aber nicht mehr leb- und brauchbar sind, stellen die von Langzeit- bis Dauererwerbsarbeitslosigkeit bedrohten bzw. betroffenen Teilnehmer von „Integrationsmaßnahmen“ die Speerspitze kommender Entwicklungen dar46. Maßnahmen müssten sich demnach, unabhängig ob letztlich Integration in den Arbeitsmarkt gelinge, daran messen lassen, inwieweit sie diese Qualifikationen vermitteln.
Neben der Grundlagenkompetenz „Herstellen von Zusammenhängen“ bestehen diese Fähigkeiten in technologischer, ökologischer und historischer Kompetenz sowie Gerechtigkeitskompetenz (vgl. NEGT. 1998: 89-102). Näher betrachtenswert scheint hier die mit „Identitätskompetenz“ bezeichnete Fähigkeit des konstruktiven Umgangs mit bedrohter Identität, die in einer „durch ‚Vertreibung’ als konstitutives Element gekennzeichneten Gesellschaft (…) zur Lebensfrage“ (NEGT. 1997: 94) schlechthin wird.
Das auf die Sicherung von Identität und Verbesserung von Selbstkontrolle, Selbstwahrnehmung und des bewussten Umgangs mit sich selbst abzielende Identitätswissen ist in der beruflichen Bildung nach wie vor ein den Führungskräften vorbehaltenes Feld (vgl. REUTTER. 2003: 12). In der Referenzmaßnahme A bemüht man sich dagegen, auch den von Arbeitslosigkeit Betroffenen entsprechendes Identitäts- und Orientierungswissen zur Bewältigung der veränderten Anforderungen in der Erwerbsarbeit und letztlich auch ihrer prekären sozialen Lage zu vermitteln. Dagegen ist in Einrichtungen des Typs B auf Grund deren konzeptiver Engführung auf effiziente und rasche Arbeitsmarktintegration kaum eine über Vermittlung diesbezüglicher Handlungsfähigkeiten hinausgehende Befähigung zur Identitätswahrung beabsichtigt bzw. möglich.
Identitätskompetenz meint vor allem auch das Wissen um die Beschaffenheiten der gesellschaftlichen (Macht-)Verhältnisse (vgl. auch BOURDIEU. 1987) und ermöglicht so die Erkenntnis, dass Arbeitslosigkeit in der Regel kein ausschließlich individuelles, sondern im Grunde ein, der gegenwärtigen neoliberalen Umstrukturierung geschuldetes, gesellschaftliches Problem ist. Dieses Bewusstsein hilft den Betroffenen bei der Bewältigung ihrer Schuldgefühle und überführt jene, welche die Arbeitslosen gerne als in der sozialen Hängematte liegende „Schmarotzer“ denunzieren, der Blindheit gegenüber sozialen Tatbeständen. „Nicht ich habe mich zu schämen, als vielmehr jene, die meine Situation und die aller anderen arbeitslos Gemachten ausnutzen, seien es Unternehmer, Politiker und alle, die sich über mich stellen und glauben, sich über mein Schicksal selbst aufzuwerten“ – so eine diesbezüglich reflektierte Maßnahmenteilnehmerin.
Langzeitarbeitslose, welche sich diese Schlüsselqualifikationen aneignen, dürften nicht nur besser und flexibler innerhalb des Arbeitsmarktes und einer von Diskontinuitäten und wechselnden Bedingungen geprägten Erwerbstätigkeit zu Rande kommen. Sie würden sich vielmehr nicht mehr länger, gebannt von einer scheinbar unabänderlichen Realität, als Verlierer einer nach rein ökonomischen „Gesetzen“ funktionierenden, unreglementierbaren, sozialdarwinistischen Leistungs- und Arbeitsgesellschaft, mehr oder weniger resignativ in ihr vermeintliches Schicksal fügen.
Die langjährige persönliche empirische Erfahrung des Verfassers in entsprechenden Projekten zeigte, dass die Teilnehmer nahezu ausnahmslos für eine entsprechende Sensibilisierung hochgradig zugänglich sind. In Maßnahmen des gegenwärtigen Zuschnittes bzw. unter vorherrschenden Rahmenbedingungen ist dies, wie erwähnt, nur äußerst eingeschränkt möglich.
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