Mitteilungen der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen Neue Folge Stadt und Hof Jahrgang 1 (2012)


Hecht, Michael: Patriziatsbildung als kommunikativer Prozess. Die Salzstädte Lüneburg, Halle und Werl in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Köln u.a. 2010 (Städteforschung. A, 79) [Böhlau, 377 S., ka



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Anja Meesenburg, Kiel

Hecht, Michael: Patriziatsbildung als kommunikativer Prozess. Die Salzstädte Lüneburg, Halle und Werl in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Köln u.a. 2010 (Städteforschung. A, 79) [Böhlau, 377 S., kart., 52,90 Euro].

In seiner bei Werner Freitag und Barbara Stollberg-Rilinger in Münster angefertigten Dissertation nimmt sich Michael Hecht mit der Frage nach dem Patriziat einem Dauerbrenner der historischen Städteforschung an. Aus einem sehr knappen, aber präzisen Forschungsüberblick heraus verwirft Hecht einen definitorisch klar umrissenen Patriziatsbegriff , der sich an rechtlichen, sozialen und ökonomischen Zuweisungskriterien orientiert, und legt sein Erkenntnisziel stattdessen auf den Prozess der Patriziatsbildung, für ihn „ein kontinuierlicher, vor allem […] innerstädtischer Verständigungs- und Aushandlungsprozess […], der auf Kommunikation beruht […], eine stetige Hervorbringung von Ordnungsvorstellungen und Verteidigung von Geltungsansprüchen“ (S. 7). Die inhaltliche Ausrichtung der Untersuchung an den Ergebnissen und Prämissen des SFB 496 ‚symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme‘ ist augenfällig.

Hecht muss bei seinem Dreiervergleich nicht nur die Städte Lüneburg, Halle und Werl insgesamt mit ihren spezifischen politischen sowie gesellschaftlichen Entwicklungen im Auge behalten und jeweils auf die innerstädtische Sondergruppe der Sälzer herunterbrechen, sondern auch allgemeine soziale, rechtliche, politische sowie kulturelle Wandlungen zwischen dem Anfang des 15. und dem Ende des 17. Jahrhunderts berücksichtigen. Es sei bereits hier bemerkt, dass dies dem Verfasser gut gelingt und er der in der Anlage seiner Arbeit begründeten Gefahr entgeht, seine Abhandlung mit einer Vielzahl von Redundanzen zu schmücken. Vielmehr liegt hier eine gut systematisierte und wohldurchdachte Analyse vor, die es nun inhaltlich vorzustellen gilt.

Nach der Einleitung mit Aussagen zu Forschungsstand, theoretischen Grundlagen und historischen Abrissen der Entwicklungsgeschichte der drei Untersuchungsstädte nimmt sich Hecht im ersten inhaltlichen Kapitel ‚organisatorischen Grundlagen der Pfännerschaften‛ (S. 30-83) an. Dieses Kapitel ist der Vorstellung der drei Pfännerschaften gewidmet, hier werden Besitz- und Beteiligungsstrukturen, Kriterien für die Mitgliedschaft, die Ämterstrukturen und das soziale Profil der Pfännerschaften vorgestellt. Die jeweiligen Besonderheiten seien in Lüneburg die klare Trennung von Solgutbesitz und Siederecht sowie die starke Beteiligung geistlicher Institutionen, in Halle der ausgeprägte Handel mit Eigentumsrechten an den Siedepfannen sowie eine starke Stellung des Landesherrn und in Werl die stärkere Exklusivität der Besitz- und Beteiligungsformen sowie ein enges Konnubium der Sälzerfamilien gewesen.

Das folgende Kapitel ist der Kern der Untersuchung. Hierin untersucht Hecht ‚Praktiken der Integration und Distinktion als institutionelle Mechanismen‘ (S. 84-254) und wendet sich fünf Themenkomplexen zu. In der Ausprägung von städtischen ‚Erinnerungskulturen‘ hätten die Werler Sälzer einen deutlicheren Einfluss geltend machen können als die in Lüneburg und Halle. Auch bezüglich der ‚Initiationsrituale‘ habe Werl eine Sonderrolle eingenommen. Seien in Lüneburg und Halle Funktionsverschiebungen von der herstellenden zur darstellenden rituellen Handlung zu beobachten, habe die Aufnahmepraxis der Werler Sälzer die stadtgeschichtlichen Zäsuren ohne zeremonielle Überformung überstanden. Des Weiteren untersucht Hecht ‚Zulassungskonflikte‘ bei der Aufnahme neuer Korporationsmitglieder sowie ‚Präzedenzstreitigkeiten‘ der Sälzer innerhalb der städtischen Gesellschaften. Die ‚Erkennungszeichen‘ der Sälzer machen den letzten Punkt dieses Kapitels aus. Der Verfasser geht hier insbesondere Kleiderordnungen, Titeln, Wappen, Grabsteinen und Epitaphien sowie der Selbstdarstellung der Sälzer in der städtischen Architektur nach.

Im zweiten, deutlich kürzeren Hauptkapitel analysiert Hecht die ‚ständischen Rollen und Karrieremuster der Pfänner‘ (S. 255-298). Sälzer agierten als Händler, Ratsherren und im Fürstendienst. Zudem sei vor allem im 17. und 18. Jahrhundert eine deutliche Tendenz zur Orientierung an adeligen Lebensweisen zu beobachten. Damit einhergehend sei die Orientierung der Sälzer am Handelsgeschäft rückgängig gewesen. Dies beides habe zu einer wachsenden Loslösung der Sälzer vom Produktionsbetrieb des Salzes, von den Städten und den Salzwerken geführt.

Insgesamt sei trotz allgemein gleichförmiger Tendenzen nicht von einem einheitlichen Typus eines Salzpatriziats auszugehen. Die Vergemeinschaftungen und Konstruktionsprinzipien von Patriziat seien in den untersuchten Städten zu unterschiedlich gewesen. Es offenbaren sich nach Hecht in Lüneburg, Halle und Werl eher verschiedene Muster sozialen Wandels städtischer Eliten.

Die Anlage der hier besprochenen Arbeit ist komplex und zudem wendet Hecht sich verschiedenen historischen Forschungsrichtungen zu. Er muss seine Leser in die Erinnerungskultur ebenso einführen wie in den Konfliktbegriff, in die symbolische Repräsentation, in das Initiationsritual und vieles mehr. So liest man leider nicht nur an einer Stelle, dass es aus arbeitsökonomischen Gründen Einschränkungen geben müsse. So sei der Forschungsüberblick nur „sehr grob und holzschnittartig“ (S. 7) erfolgt, es sei Hecht nicht um eine Vollständigkeit gegangen (S. 70) oder es könne bei den „knappen Ausführungen nur um einige Sondierungen“ (S. 256) gehen. Dennoch: Die Wahl der Flughöhe seiner Betrachtung ist konsequent, inhaltlich logisch und begründbar. Er verliert sich weder in Details noch in Oberflächlichkeiten, vielmehr ist seine Analyse qualitativ hochwertig. Hecht liefert ein lesenswertes Buch ab, dem eine weite Verbreitung zu wünschen ist.



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