Mitteilungen der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen Neue Folge Stadt und Hof Jahrgang 1 (2012)


Städtische Gemeinschaft und adlige Herrschaft in der mittelalterlichen Urbanisierung ausgewählter Regionen Zentraleuropas



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Städtische Gemeinschaft und adlige Herrschaft
in der mittelalterlichen Urbanisierung ausgewählter Regionen Zentraleuropas

Seit dem Jahr 2010 fördert die Deutsche Forschungsgemeinschaft am Historischen Seminar der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel ein Projekt, das gemeinschaftlich an den Professuren für Wirtschafts- und Sozialgeschichte (Prof. Dr. Gerhard Fouquet) und für Regionalgeschichte (Prof. Dr. Oliver Auge) durchgeführt wird. In exemplarisch-regionaler Perspektive wird darin die mittelalterliche Urbanisierung Europas in den Blick genommen, mithin jener lange dynamische Prozess der herrschaftlichen wie genossenschaftlichen Verdichtung und Vernetzung urbaner Strukturen, der nach außen am Anstieg der Zahl städtischer Siedlungen und ihrer qualifizierten Einbettung in Räume, Umwelten und Netzwerke, nach innen an der sozioökonomischen, politisch-rechtlichen und topographisch-architektonischen Differenzierung von Stadträumen ablesbar ist. Im Mittelpunkt steht dabei ein Aspekt, der zu den wesentlichen Momenten der damit umrissenen Entwicklungen zählt: die Beziehungen zwischen den Formen urbaner Vergemeinschaftung und städtischer Verfasstheit auf der einen, der fürstlich-dynastischen Herrschaftspraxis auf der anderen Seite. Anhand einzelner Fallbeispiele – den Rahmen der Analyse bilden ausgewählte Regionen Zentraleuropas, von den Alpen bis zur Ostsee, im Zeitraum von ca. 1150 bis ca. 1500 – werden das Verhältnis, die Wechselwirkung und die Kommunikation zwischen Stadtgemeinden, Räten und städtischen Gruppen (zum Beispiel Familien und Korporationen), den fürstlichen und gräflichen Stadtherren und ihren lokalen Vertretern sowie weiteren sozialen Gruppen, insbesondere der fürstlichen Ministerialität und dem regionalen Adel, untersucht. Hinzu kommt das Verhältnis zu anderen partizipierenden (oder auch konkurrierenden) Herrschaftsträgern.


Gefragt wird somit zunächst nach der Funktion von Städten innerhalb der herrschaftlichen Verdichtungsprozesse des Hoch- und Spätmittelalters: Welche Bedeutung hatten Städte für die Interessen einer dynastisch-patrimonial orientierten Herrschaft (Herrschaftssicherung, Landesausbau, ökonomisch-fiskalischer Nutzen)? Gab es eine herrschaftlich initiierte und – in welcher Form auch immer – konzeptionalisierte „Städtepolitik“ oder überwogen in der Urbanisierung die Reaktionen des Herrn auf Forderungen und Aktivitäten von Ministerialen, Adligen und städtischen Verbänden?
Ebenso ist aus entgegengesetzter Perspektive nach den städtischen Interessen gegenüber dem Herrn zu fragen: Wie reagierten Städte auf die angesprochenen Prozesse herrschaftlicher Verdichtung, inwieweit wandelten sich Funktionen und Selbstverständnis städtischer (Führungs-)Gruppen? Entwickelten sich Formen der zwischenstädtischen Kooperation und Vernetzung angesichts dynastisch-fürstlicher Ansprüche? Konkurrierten Städte aber auch um die Gunst des Herrn? In welcher Weise waren Städte und städtische Gruppen also nicht allein Objekte herrschaftlichen Handelns, sondern ebenso Akteure der Urbanisierung?
Dieser Fragenkomplex wird nicht primär rechtsgeschichtlich abgehandelt (obwohl rechtsgeschichtliche Fragen nicht ausgeblendet werden können), sondern in seinen sozialgeschichtlichen Dimensionen. Im Mittelpunkt stehen personale Beziehungen und Verflechtungen im Spannungsfeld von Koexistenz und Konfrontation, von Kooperation und Konflikt genossenschaftlicher und herrschaftlicher Strukturen. Mithin geht es um die Begegnung von Stadt und Herrschaft bzw. deren Vertretern, um Urbanität als Form vertikaler und horizontaler Vergemeinschaftung und regionaler Vernetzung, um die Stadt als sozialen Ort und als kommunikativen Knotenpunkt. Analysiert werden soziale Interaktionen innerhalb städtisch-herrschaftlicher Netzwerke: zum Beispiel die Ausbildung von Patron-Klient-Beziehungen, die Tätigkeit von Agenten und Brokern, die Prozesse der Gruppenbildung im Überschneidungsfeld der Aktionen von Stadtherren, Städten und Adel sowie die Positionierung städtischer Räte oder herrschaftlicher Funktionsträger zwischen Herr und Stadtgemeinde. Unmittelbar verknüpft mit diesen Soziabilitäten ist die Kommunikation zwischen den Akteuren, mithin der Austausch und die Vermittlung von Informationen, Bedeutungen und Wertungen. Das Spektrum reicht von Formen und Inhalten der alltäglichen Informationsübermittlung über den Austrag von Konflikten bis hin zur symbolischen Kommunikation durch Zeichen aller Art – Gesten und Riten, Bilder und Bauten.
Das analytische Vorgehen ist auf einer mittleren Ebene angesiedelt: Es geht weder um die isolierte Betrachtung einzelner Städte noch um eine – beim gegenwärtigen Forschungsstand gar nicht zu leistende – allgemeine, umfassende Synthese. Vielmehr werden im Sinne der historischen Komparatistik verschiedene Untersuchungsregionen zusammengeführt. Entsprechend der Ausrichtung am Verhältnis von Stadt und Herrschaft sind die ausgewählten Beispiele in erster Linie nicht naturräumlich oder nach vorgegebenen (oftmals modernen) regionalen Identitäten definiert, sondern zunächst aus herrschaftlicher Perspektive: Vorrangig thematisiert werden die Städte der Herzöge von Braunschweig-Lüneburg, der Grafen bzw. Herzöge von Württemberg und der Grafen von Tirol. Außerhalb der DFG-Förderung sind laufende Kieler Vorhaben zu zwei weiteren Regionen – zu Holstein und zum Elsass – eng mit dem Projekt verbunden. Neben den beiden Projektleitern gehören der Arbeitsgruppe momentan an: Christian Hagen, M.A. (Tirol), Stefan Inderwies, M.A. (Holstein), Nina Kühnle, M.A. (Württemberg), Anja Meesenburg, M.A. (Braunschweig-Lüneburg), Dr. Sven Rabeler (Braunschweig-Lüneburg), Dr. Gabriel Zeilinger (Elsass).
Zwischenergebnisse zu einem zentralen Themenausschnitt wurden auf der internationalen Tagung „Mittler zwischen Herrschaft und Gemeinde. Die Rolle von Funktions- und Führungsgruppen in der mittelalterlichen Urbanisierung Zentraleuropas“ präsentiert, die auch der Zusammenführung und vergleichenden Diskussion der Teilbereiche des Projekts diente (Kiel, 23. bis 25. November 2011, in Kooperation mit dem Institut für Österreichische Geschichtsforschung und dem Verein für Geschichte der Stadt Wien; Programm unter www.histsem.uni-kiel.de/de/abteilungen/wirtschafts-und-sozialgeschichte/tagungen/tagung-mittler-zwischen-herrschaft-und-gemeinde). Die Beiträge der Tagung werden voraussichtlich um die Jahreswende 2012/13 erscheinen: Mittler zwischen Herrschaft und Gemeinde. Die Rolle von Funktions- und Führungsgruppen in der mittelalterlichen Urbanisierung Zentraleuropas, hrsg. von Elisabeth Gruber, Susanne Claudine Pils, Sven Rabeler, Herwig Weigl und Gabriel Zeilinger (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte, 56). Weitere Publikationen, die aus dem Vorhaben bislang hervorgegangen sind oder damit in Verbindung stehen, sind auf den mit der Homepage des Projekts verknüpften Mitarbeiterseiten verzeichnet (www.histsem.uni-kiel.de/de/abteilungen/wirtschafts-und-sozialgeschichte/projekte/staedtische-gemeinschaft-und-adlige-herrschaft-in-der-mittelalterlichen-urbanisierung-ausgewaehlter-regionen-zentraleuropas).
Sven Rabeler, Kiel



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