Ludberga bis 23 95



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Kaum war Amor empörten Schrittes von der Bühne getreten, tat Psyche ein ihres, ihm in gespielter Besorgnis, aber moderaterer Gangart nachzueilen. Daraufhin wollte Atheodul unbedingt noch einmal nach dem verschollenen Kentauren forschen, bevor man sich nach den beiden sehenswerten Dörfern aufmache. Aber auch Phryne drängte ihre Amme, im Zimmer ihren Sonnenschirm zu holen. Orpheus meinte darauf, seine vergessene Leier könnte den Ausflüglern Zeit und Weg verkürzen. El Abba witterte des Rätsels Lösung und begab sich beschleunigten Fusses ebenfalls in die Herberge, sich flugs mit Hut und Knotenstock zu versehen. Das sonst entseelte "Antikaputtnik" glich einem Bienenstock.
Amor hatte sich kaum die Flügel umgeworfen, als Psyche die etwas schmuddelige Suite betrat. "Aber Männe, Du wirst doch nicht " – "- und ob ich werde; amüsier Dich noch gut, denn wenn ich zurück bin, mach ich den Ganoven die Vorhölle heiss!" sprachs und schwang sich vom Fenstersims in den hitzeflimmernden Äther, noch bevor Psyche zum müden Proteste geschweige einem Abschiedskusse anheben konnte. Ohne Anzuklopfen stürzte indessen Kuchenbeck herein und rief "Pardon, Madame, ich wollte Ihren Herrn Gemahl -!" – "-aber bitte, auch ich konnte ihn nicht zurückhalten." – "Sie meinen wirklich, der Bogen, hm. könnte nicht hier sein?" – "Wo denken Sie hin, Eminenz!" – "Vielleicht hat ihn einer Ihrer Reisegenossen, sagen wir aus... versehentlich..." – "an den Hut gesteckt? Eminenz, bleiben wir auf dem Boden der Realität: jeder anständige Dieb hat einen Grund für sein – Luz -? Herr Atheodul? wohin gehen Sss… - war das nicht unser Reiseführer?" – "Er hatte es eilig, vielleicht irrte er sich in der Zimmernummer."
Atheodul stand verdattert in der hintersten Tür und sah ungläubig El Abba auf der Bettkante sitzen, etwas ausser Atem, aber sichtlich zufrieden. "Kommen Sie näher, junger Mann." – "-ich wollte, ich suchte nach dem Zimmer von Herrn Amor." – "Etwas zu weit gefehlt, mein Lieber und der ist über alle Berge und sogar ohne seine Angetraute." – "Ja?" – "Gewiss. Er hinterliess uns ein kniffliges Kriminalstück." – "Ich verstehe nicht." – "Sie werden. Gott, die Hitze ist unerträglich. Oh, das verfluchte Alter, wären Sie vielleicht so freundlich, mir meinen Koffer da oben herabzureichen? es muss noch ein letztes Taschentuch drin sein." – "Keine Ursache, Verehrtester, nehmen Sie meines, ein Geschenk der Hermes Gesellschaft, mit Initialen, für unsere lieben Reisenden, hier." – "Ist ja rührend. Aber da oben wäre auch meine Thermosflasche noch drin-" – "Auch keine Ursache, die Gruppe ist mit allem Proviant und frischen Trinksamen ausgerüstet." – "Verwöhnt wird man von Ihnen!" – "Wenn Sie wollen, bringe ich Ihnen den Koffer an die Empfangstheke zur Verwahrung, man sagte mir schon, das Personal sei nicht so ganz vertrauensw..." – "Tun sie das, allerbesten Dank, ich komme gleich nach." meinte listig El Abba und beobachtete, wie mit jovialer Behendigkeit Koffer und Träger durch die Tür sputeten.

"Aber doch nicht ins Klo, Luzi!" der Koffer knallte jäh und schwer zu Boden. Auch das zweite Schloss flog somit auf und der erwartungsgemässe Inhalt rollte über den Läufer mit den roten Mäandern. Im mutlosen Umdrehen zeigte Atheodul zwar ein gefälliges Profil, aber jetzt kniff er die Augen unvorteilhaft zusammen. "Wusste ich’s doch! der Olle mit der Brille!" – "Du warst mir von Anfang an suspekt, Schurke! was wolltest Du mit dem Koffer sprich!" – "Den Inhalt brauch ich, nicht den äusseren Schrein, Seine Scheinheiligkeit." – "Pack die Klamotten ein und halt die Klappe, wenn Du willst, dass man angemessen mit Dir spricht." – Luzi bückte sich resigniert aber prompt und hatte gerade noch Zeit, den Deckel zu schliessen, als Kuchenbeck die Gangbreite füllte und rief: "Ach da ist ja unser Hermes-Mann! man wartet schon auf Sie Ach, und Sie sind auch da!" – Atheodul lächelte unterwürfig, doch El Abba unterbrach ihn, als er zu einer Verlegenheitsfloskel ansetzen wollte- "Eminenz, eine merkwürdige Sache: dieser, mein Koffer, wurde soeben an der Garderobe von Anonym abgegeben. Herr Atheodul brachte ihn mir freundlicherweise. Ich muss ihn inspizieren, ob alles da ist eine Sekunde!" – "Heilige Gerbdula!" – "Herrgott!" – "Beim Hades! – Amors Waffen!!!" – "Kaum zu glauben! in meinem Koffer! Als wäre ich der Dieb! ich bin empört! ich aah, mein Herz!" – "Beruhigen Sie sich, lieber Herr Abba, die Sache wird sich klären, wir halten Sie aus der Sache heraus. Und überhaupt, braucht der Fund jetzt nicht ruchbar zu werden; ich nehme das Corpus delicti zu mir, mit Verlaub, verpackt, wie es ist und erkläre zu gegebener Zeit publiciter seine frohe Wiederkehr." – "Mein Thermos " – "Entfernen Sie Ihr nötigstes Besitztum daraus; den Koffer wird Ihnen Fräulein Antispastika oder Polydoor zurückbringen.


Die drei Männer begaben sich zum Ausgang, wo inzwischen alles reisefertig wartete. Chrisanthemovic war, der zu würdigenden Gäste halber, trotz Fieber und Heiserkeit, die er gewaltig räuspernd unter den Scheffel stellte, hinzugestossen und wollte die Rosstour unbedingt auf sich nehmen, von Phryne und ihrer Magd mit Halstropfen in honiggesüsstem Wein gemischt, umsorgt. Frosso allein sollte von Kuchenbeck zu Antispastika begleitet werden, ihr im Namen aller eine besondere Aufwartung zu machen (hatte denn nicht Gerbdula wieder mal eine freundliche Hand im bösen Spiele gehabt?). Hippokid blieb immer noch aus. Man verteilte sich auf die vier Gemeindestreitwagen und rasselte im gestrichnen Galopp gen Osten.
Kuchenbeck klopfte an die Sakristeitür, wartete jedoch wie gewohnt, nicht mit dem Eintreten. "Beste, Du hast Besuch. Euphrosyne, eine Grazie aus dem ägäischen Lemnos. Sie hätte vielleicht Lust, bei Dir zu hospitieren; sie ist noch Praktikantin, kennt Delphi und Dodona; ich lass Euch ein Weilchen allein."
Die beiden Frauen begrüssten sich mit dem Lächeln der Auguren und waren bald in gesellschaftliche, häusliche und berufliche Dinge vertieft. Vor dem Fenster spielten kleine Rotznasen Räuber und Shandy, bewarfen sich mit Sand, übten sich im Schleudern von Kirschkernen. Irgendwann flogen Steinchen herein, ein Stöckchen fiel in den Strickkorb der Pythia und irgendwann ritzte etwas Scharfes deren Nacken. Sie fuhr herum, schimpfte etwas ungehalten; draussen erhob sich Lärm, in dem man die Stimme Kuchenbecks vernahm, der die Kinder rügte und verscheuchte. Er hatte wieder mal zwei Schleudern konfisziert und ein Säckchen Kerne.
Euphrosyne wollte schon gehn, als sie an Antispastika eine fortschreitende Veränderung zu sehen glaubte. Ihre Augen glitzerten plötzlich, wo sie doch noch heute früh so erloschen gewirkt hatten. Ihre Haut schien zunehmend straffer und rosiger, statt wie üblich, runzlig und schlaff. Ihre Haltung wurde plötzlich grazil, ihr Busen hob und senkte sich wie der eines Teenagers beim ersten Rendezvous. Ihre Stimme wurde heller und lebhaft, ihr Haar schien wie über Nacht voll und geschwärzt. Euphrosyne konnte sich kaum vor dem ungewohnt leichtlebigen und wissbegierigen Wortschwall retten, der die staatlich patentierte Jungfrau von Dingen plaudern lies, die man sonst nur im engsten weiblichen Kreise preisgab; mit mütterlicher Zärtlichkeit begleitete die gewandelte Pythia unsere Grazie zur Tempeltreppe, holte tief Luft und seufzte "Ach, könnte ich hier endlich weg, ins Leben hinaus, mal so richtig mich selbst sein, mich austoben, Leute meiner Wahl treffen, Dummheiten machen, und... Du wirst lachen, Frosso, mich sogar verlieben!" –

Frosso staunte, vor allem darüber, dass es gar nicht lächerlich wirkte: als die Nachmittagssonne durch Pythias Locken schimmerte und das etwas verschämte Lächeln streifte, konnte man sie gar als schön bezeichnen und von der geheimnisvollen Ausstrahlung eines Gebildetseins und einer Herzenskultur, die nur reifen Frauen eigen ist.

Kuchenbeck starrte sie an, wie vom Donner gerührt. "Antispastika, was ist Dir, bist Du gesund?" – "Wie noch nie, Eminenz, und es soll noch besser werden; ich möchte nach dreiundzwanzig Jahren endlich in die Ferien, F E R I E N ! lieber Kuchenbeck, der mich nie danach gefragt hat. Und ausserdem kündige ich." – "Antispastika! Stern meiner Augen! Goldkind der Partei! Ruhm des Erdkreises! kündigen! hat man jemals so was gehört? Wie stellst Du Dir denn die Nachfolge vor? Willst Du dass ich hic et nunc verzweifle, aufschreie, publice niederknie, Dein Bleiben erflehe? soll ich?" – "Alter Schauspieler! Die Neue steht vor Dir und wird lernen, Deine Schrullen zu parieren! Küss die Hand, Eminenz, ab morgen, wenn die Staatskasse mir vierzig Jahre Ausgleichkasse und Teuerungszulage nachbezahlt haben wird, meldet man sich bei mir über den Pförtner meiner Sommerresidenz an. Polydoor! Ah, da bist Du gute Seele, sattle mir den schönsten Schimmel Seiner Eminenz."
Kuchenbeck und Euphrosyne blieben sprachlos auf den obersten Stufen der Freitreppe zurück, sahen sich forschend an, als mässen sie ihre Kräfte, lächelten dann, ein jeder einen Pyrrhussieg auf den Lippen, aber gewillt, es einmal mit dem andern für eine Weile zu versuchen.

Sie sollten nie über das liebesverwundende Pfeilspitzenfragment sprechen und die Schleuder, die der Metropolit so geschickt behändigt hatte, als sei er dreizehn. Einen solchen Apfelschuss würde er nie wieder zu zielen haben, wenn er sich dem Diktat der Grazie unterwürfe und entsprechend manierlich bliebe... Seit ihm das schlechte Gewissen ob des Schicksals seiner so lange missbrauchten Pythia benommen war, schien er nicht nur gewillt, sich zu bessern, sondern wurde zum väterlichen Musterkavalier.



___ ___
Orpheus war nicht nur ein wenig mollig um die Hüften, sondern verbarg in seinen kostbaren Tuniken auch die mässigen Anzeichen von Plattfüssig- und X-Beinigkeit, wie das bei Opernsängern zuweilen vorkommt. Seine melodramatische Natur hatte ihn zwei Meilen vor Bargeld absitzen lassen. Er gedachte singend in das Zwitterdorf der Liebe einzuziehen, proviantiert mit einer Auswahl an Arien aus Traviata, Don Giovanni, La Bohème und Zauberflöte, hatte sich aber in der Distanz verrechnet und sass nun mit verstimmter Lyra und heiserem Barry-ton im Halse auf einem Meilenstein und rieb sich missmutig die geschundenen Füsse, als eine Staubwolke am Horizont das Heranpreschen eines Reiters ankündigte. Den Daumen zu erheben, kam ihm, dem illustren Maestro doch allzu erniedrigend vor, doch erhob er sich und humpelte ein wenig ostentativ gen Morgen, als ein Schimmel neben ihm bremste und hielt, eine fast hold zu nennende Passagiersstimme herniederfragte: "Sind Sie nicht Signor Orfeo, wackerer Wanderer?" – "In der Tat, Madame, ein entmutigter Heldentenor mit Blasen, statt Bläsern, oh Sohle mia!" – "Wollen Sie aufsitzen? ich dachte, mich Ihrer Gruppe anzuschliessen, die jene renommierten Dörfer besichtigt, welche zu sehen ich noch nie die Ehre hatte." – "Sie scheinen eine Verwandte der gerbduLer Pythia zu sein, nicht wahr?" – "Wenn Sie darauf bestehen. Eigentlich bin ich mit ihr so gut wie identisch. Aber ich hasse neuerdings und unerklärlicherweise alle Gerüche penetranter und aromatischer Art, das Sitzen auf unbequemen Drei- und das Deklamieren von noch schlechteren Versfüssen..."

(173) Ludbreg, Donnerstag 1.2.1996; 6.30

Nymph,

es wurde gestern doch noch 12, als Graf Batthyány durch die Gänge schlurfte. Ich grüsste ihn ergeben, bat ihn um ein Autogramm und fragte, ob er eine Anekdote über Sand kenne. Es gäbe deren wie Sand am Meer, meinte er, aber sein Gedächtnis stünde gezeitenweise, anmalen ebens, unter Flut und er käme nicht auf Grund. Zu gegebener Ebbe würde er sich meiner annehmen. Und ob ich etwa Blutgruppe 0 negativ angehöre. So, angenehmst. Und er verschwand durch den blechernen Bibliotheksschrank.

Draussen ist's mit 16-18 ° unter Null so kalt wie noch nie; der Schnee knuspert wie Glas unter den Füssen und man glaubt, die Lymphe gerinne in den Adern!

A propos: aus Varaždin kommt die mir als kostenfreie Hommage verehrte Kunde, man hätte mir in höchster Eisenbahn ein Karzinom entfernt. Da kann man nicht umhin, einen kleinen Schwindel zu verspüren. Aber es sei nun weg und ich solle gefälligst öfters zur Kontrolle.
14.40. Im Spital die Wunde gezeigt; morgen kommen die Fäden heraus. Der Arzt war zufrieden auch über das Lob, das man ihm für seine Schnetzelei gezollt hatte, aufgrund des Corpus iniuriae.

Venija besuchte mich, vielleicht wird sie früher einspringen, als vorgesehen; ihr Töchterchen will schon den Löffel halten; so kann die Mutter uns statt dessen die Zügel...

Mendel liess über den Bürgermeister vernehmen, unsere volle Autonomie würde dem Staate zu teuer. Dacht ich's doch.

...

Orf hielt sich, die Lyra um den Hals, an der schwarzen Mähne seines unverhofften Transportmittels fest und erhaschte den Blick seiner reitgewandten Gönnerin. Eine forsche, noch schöne und unternehmungslustige Dame; genau das, von dem er seit Kindesbeinen träumte und was sich mit dem Bilde seiner verblichenen Mutter deckte. Schon immer hatte er auf Ersatz gesonnen und seine disparaten Reisen hatten ihn um die Welt irren lassen, auf der heimlichen Suche nach einem Mutterland. Er verspürte eine Art wohliger Geborgenheit und seufzte.

Spasima – sie hatte selbst mit ihrem alten Namen gebrochen, der ihr so antipathisch geworden war, dass sie ihn nicht mehr hören noch aussprechen mochte, griff energisch in die Zügel wie zu Zeiten ihrer bäuerischen Kindheit. Den berühmten Orf fast hautnah auf ihrem Schosse sitzen zu haben, durchrieselte sie mit einem Gefühl des Triumphes. Sie entdeckte eine gewisse Zärtlichkeit für den eigentlich einsamen Mann, den die Menge erdrückte und fortriss, der aber nie zu sich kommen konnte. Was würde sie nicht tun, einen solchen oder ähnlichen Mann zu bemuttern, ja zu beschützen, sinnierte sie, als sie ins Dorf einritten und zur Reisegruppe stiessen.


Diese hatte soeben das Liebesmonument unbewacht vorgefunden, mit erbrochenem Gatter und keinerlei Auslage an Andenken oder Gerbdula-Devotionalien. Chrisanthemovic würde die Hexe Beffana unwirsch ins Gebet nehmen und ihr Rente und Gebisswartung kürzen, wenn das so weiterginge!

Viel sah man ja nicht, in dem sprichwörtlichen Liebesnest: gurrende Tauben, sich begattendes Federvieh, einen ithyphallischen Esel am Dorfbrunnen und einen Jüngling, der Öllämpchen aus Ton in der Form gestreckten Laufes zum Verkaufe darbot und deren etwa zehn losward. Des verliebten Volks war nichts Ungewöhnliches auszumachen; vielleicht wurde es nur in den vier Wänden tätig. Im Liebesmuseum konnte man sich das Original des Lämpchens besehen, Betten verschiedenster Breite und Herkunft, mit erotischen Schnitzereien, neckisch bemalte Bauerntruhen, aber auch die moderne Kunst war vertreten mit der atemberaubenden Polyesterkopie, bzw. -kopulation eines Jeff Koons mit einer Cicciolina, zweier offenbar podischer Bi-anal-Artisten jenes Fachs, wie es erklärend hiess. Illustrierte Inkunabeln aller "ars amandi"-Ausgaben Ovids, Raimondis Posen mit Aretins Poesien, Sade und Kamasutra lagen auf und gewandte Schreiber erboten sich an der Kasse, sie nächtens abzuzeichnen oder abzuschreiben. Aber auch Keuschheitsgürtel, gebrauchte und ungebrauchte Rütchen illustrer echter Perverser, gewisse Elixiere und ihre Ingredienzien, Tafeln berühmter Liebespaare und ihrer Mörder. Kurz ein Sammelsurium für eines jeden schlichten, schlechten oder ungeschlachten Geschmack.

Atheodul amtete seiner öffentlichen Führerpflichten recht nachlässig, wollte es doch Psyche immer besonders genau wissen und schleppte ihn dazu in die hintersten Winkel. Einem unbefangenen Besucher hätte gedünkt, die beiden würden sich am liebsten durch alle Ausstellungsbetten hindurchprobieren.

El Abba, dem es in solcherlei Museen nicht behagte, war auf einen Schwatz in die Dorfpinte gegangen, wo ein Schneider der Held des Tages war, der die unglaubhafte Mär verbreitete, ein Menschenpferd habe bei ihm in der Früh Frauengewänder etwa Grösse 36 erstanden und sei dann gen gerbduL davongestoben, ohne in der Eile zu bezahlen. Nun, er sei bei Hermes Insurance & Co gegen Diebstahl und Beraubung versichert. Die lachend Runde glaubte dem dürren Männchen nur das letztere, aber Abba schwante eine, wenn auch staunenswerte Weibergeschichte Hippokids. Ob denn der Kentaur braun, klein und struppig gewesen sei? Als ob es hier Kentauren wie Starenschwärme gäbe! nein, ein stattlicher Schecken sei's gewesen und ein Mann drauf, der sich sehen liess! El Abba wunderte sich nicht wenig über den Aufschneider und suchte das Weite.


Man ging ins Nebendorf und begrüsste die Autoritäten, die wieder mal ihre Dorfverbrüderung begingen. Eine Tanzgruppe in buntgemusterten orientalisch anmutenden Röcken führte vor der Bürgermeisterei alte plazebosnische Balztänze auf und die Dorfjugend schmuste auf den Alléebänken. Unsere Touristen staunten über die Flut an Kleinkindern, die gesäugt, gewiegt, herumgetragen und anderen Müttern vorgezeigt wurden; sogar die allgegenwärtigen Turteltauben, hatten Mühe, sich numerisch zu behaupten.
El Abba kam mit so manchem Bürger ins Gespräch und befragte sie nach Sitten, Erfahrungen und Mängeln einer Gesellschaft der Nächstenliebe und relativen Gewaltlosigkeit. Nur gewisse Indianer Nordamerikas, die Ainu und Eskimos und einige Pygmäenstämme Afrikas schienen ähnliche Lebensgewohnheiten zu praktizieren und kamen damit recht gut zurande; statt dem eher seltenen Ausgraben der Kriegsbeile der ersteren und der kannibalischen Familienfeste der letzteren, hatte man hier das Prügelfest, das erst unlängst über die Bühne gegangen war und eine gewisse gegenwärtige Verhaltenheit der Bürger in Zärtlichkeiten und ähnlichen erotischen Dingen erklären mochte. Nachahmenswerte Gebräuche, meinte unser Greis im Stillen und merkte sich manche für sein angelegenstes, wenn auch noch fernes Projekt, dereinst die Menschheit zu verbessern, die in vielerlei Hinsicht so verabscheuenswürdig geworden war.

Orf und Spasima waren inzwischen so in lebenswichtige Gespräche über Musik und Kultur vertieft, Chrisanthemovic so überschwenglich von Phryne umsorgt, Atheodul und Psyche so unauffindbar, dass sich die arme Pasiphä an Abba halten musste, um nicht verlorenzugehen. Ob sie sich denn im Zustande absoluten Gehorsams, der blinden Ergebenheit, Solidarität und Liebe zur Herrin wohlfühle, wollte er von ihr, die erstaunt ob solcher unsinniger Fragen sogar die Brauen zu heben wagte, wissen. Aber doch ohne Zweifel! Schutz, Geborgenheit, Alterssicherheit, garantierte Arbeit, Zuneigung und interessante Gäste – was wolle man denn mehr von dieser Welt. Hm. notierte sich Abba und trachtete, eine gewisse Art von Sklaverei in Utopia zulassen zu wollen.

Im Mondlicht kehrte die muntere Gesellschaft auf Pferden und Wagen wieder in die Metropole zurück, wo sie ein Festessen im "Antikaputtnik" erwartete, gestiftet von einem jovialen Kuchenbeck, der seine neue Pythia im Kreise der ungewollten Zulieferer feiern wollte, das wundersame Wiederauffinden der Waffen Amors, das seine Herolde inzwischen mannigfaltig ausposaunt hatten und als grösste Überraschung des Abends, die Revue des bis in die Diktion seines Namens verwandelten Hippoklid und seines Wunders von Braut.

Erst nach dem dritten Gang, zu Grascevino und Antisekt traten die beiden auf die kleine Hausbühne, zum Tusch eines Zigeunerduos; man bewunderte mit Applaus zuerst die Stattlichkeit seiner Pferdenatur, aber auch das blendende Menschengebiss wurde zu sehen verlangt und man datierte ihn auf etwa 28 Jahre. 26 Lenze hingegen dürfte die zierliche Beffanina zählen und das Auditorium war hingerissen. Das einzige, das von Beffanas Hexenwesen übriggeblieben, war in Momenten höchster Lebensfreude ein kleines keckerndes silbriges Hexenlachen, das sie allerdings voller Anmut – von sich zu geben wusste. Während gerade die Gläser auf ihr künftiges Heil angestossen werden sollte, es war Punkt zehn, und Hippoklid trug noch einmal Beffanina im Galopp von links nach rechts auf muskulösem Rücken über die Bretter, da gab’s ein Klick! ein schrilles Zirpen – Heilige Gerbdula! es plumpste die Braut ihres Sitzes beraubt, ein wenig unsanft zur Erde! weg! die hintere animalische Hälfte des Kentauren! dafür die vordere dem Menschmann so gut angepasst, dass dieser vor Scham sich einer Tischdecke bedienen musste, um den Damen im Raum ein wenig den Spass zu verderben. "Wir brauchen geschwind ein Zimmer!" rief, kaum vom Schock genesen, Hippoklid geistesgegenwärtig dem Wirte zu und schleppte Beffanina, die kaum wusste, wie ihr geschah, händlings aus der Gaststube. Alles klatschte ob der guten Aufführung und man meinte einem raffinierten Trick aufgesessen zu sein.



...

(174) Ludbreg, Freitag 2.2.1996; 8.00

Nymph,

zum ersten Mal seit langem verschlafen und noch im Hotel in Blagajs Fänge geraten. Morgen nachmittag oder Sonntag früh soll ich einen der Erziehungsminister empfangen; allein, weil ja niemand ausser Ivan da sein würde. Man putzt also und schönt.

Gestern abend ein Abschiedstrunk in der Hotelbar mit Drita, die ich vielleicht zu Thomas vermittle; sie dürfte ihm zusagen, eine Lokomotive wie sie ist. Nur zu schnell: in einem Tag 25 komplizierte Rissverschweissungen! Jemand, der zwölf Stunden am Tag zu arbeiten pflegt und nur dem Beruf lebt.

Seit Tagen kämpfen wir gegen die Trockenheit hier: bis zu 28% RF sinken die Werte und unsere Altarteile biegen sich, brechen durch, die Figuren werfen ihre Fassungen ab, wie lästige Kleider. Wir konstruieren fieberhaft Befeuchterwannen aus Aluminium, ersäufen die Zimmerpflanzen und benetzen die Böden; vergeblich. Draussen sinkt die Temperatur zuweilen auf -25°.

Du fragtest nach dem Namen von Z.: Zvjezdana Jembrih heisst sie, ist 1965 geboren, Künstlerin und Restauratorin, Malschwein wie Darvin (selbe Klasse der Akademie. Übrigens: der Leim, der auf der Insel Mijet gebraucht wurde, heisst "Drvofix" und entspricht unserem banalen Tischlerweissleim. Korrigiere bitte den Namen HRVOJE SERCAR; Evelina Maracic war die erste Frau Darvins. Selbst Velimir hat in der Akademie mit Sand und Drvofix gearbeitet. Ein Kollege machte lange Zeit Skulpturen aus Sand; Velimir wird dem nachgehen).
13.40. Auf ins Spital, die Fäden zu ziehen. 14.15. Geschehen. Manchmal ist es gut, mit der Gewissheit konfrontiert zu sein, dass uns der Tod immer irgendwo belauert; selbst in Badewanne und Strassenbahn.
16.00. Bürgermeister und Blagaj besuchten mich, über die Sitzung am 7. und unsere Strukturprobleme zu reden. Aus einem Telefonat mit Mendel geht hervor, dass Echterding in Zagreb nur für drei Stunden da ist und wir alle bisher gar nicht eingeladen sind; es ginge um die deutschen Kredite; basta. Nach Ludbreg käme er dann am 20.2. Das Narrenkarussell dreht sich weiter: was wir mühsam eingerührt haben, wird hintenrum wieder ausgelöffelt. Zagreb will uns nun allzweimonatlich einen neuen Leiter ins Haus schicken, eine Unmöglichkeit, bei den Nieten, die sie haben.
...

Kaum war die Verwandlung Hippoklids über die Bühne gegangen, kam Amor zu seinem unfreiwilligen Wiederauftritt. Er wollte eigentlich, kaum angeflogen und das Fenster geschlossen gefunden, durch den Hintereingang ins Gasthaus und von dort in sein Zimmer, grollend seine Abfuhr bei Hephaist zu überschlafen. Jener hatte ihm klipp und klargemacht, Bögen der besonderen Art gäb’s nur auf langsichtige Vorbestellung und mit Amor käme er ohnehin nicht gern ins Geschäft, er wüsste zu gut, was er mit der Waffe an Kontraproduktivem angerichtet hätte: die eigne Ehefrau in die Arme eines Unholds, Trunkenbolds, Dummkopfs und Schlächters getrieben und so... Er solle auf Reisen gefälligst besser zu seinem Gepäck schauen und dafür sorgen, dass es wiederaufgefunden würde.
Amor suchte sich mürrisch den Weg durch allerhand Gerümpel, Fässer und Müllsäcke, fand eine Tür, eine zweite: und fuhr geblendet zurück. Es empfing ihn der brausende Applaus einer feuchtfröhlichen Festgesellschaft, dann ein Tusch und Rufe, doch näher ins Fackellicht der Rampe zu treten. Amor machte eine fast klägliche Figur, mit seinen noch umgeschnallten, spinnwebbehangenen Flügeln, seinem beuligen Windhut und dem engen Reiseschurz und wusste nicht, wie ihm zumute sein solle.

Chrisanthemovic drängte nach vorn und hob triumphal ein in eine Satteldecke eingeschlagenes Paket in die Höhe und verbreitete die frohe Kunde erneut, man habe seine, Amors, unseres gefeierten Protagonisten Waffe, wiederaufgefunden. Geistesgegenwärtig spielte der Liebesgott seine unerwartete Rolle, packte strahlend wie ein weihnachtsbeschertes Kind Bogen und Köcher aus, zog sich darauf den Hut tief über die in die Runde forschenden Augen, legte bedächtig, ja wie probeweise einen Pfeil ein und: – verschoss den jäh blindlings ins Auditorium, das halb lachend, halb furchtsam unter Tischen und Stühlen in Deckung ging.

Der erste Schuss des Ferntreffenden traf den ratlosen Polydoor, der, mit offnem Munde, auch gar nichts begriffen hatte.

Das nächste Opfer war Kuchenbeck, der seine Würde behalten wollte und aufrecht sitzengeblieben war.

Auch Pasiphä blieb nicht verschont, weil sie sich über ihre erblassende Herrin geworfen hatte.

Noch in der Tür erwischte es Orpheus, der zur Garderobe eilte, seine Lyra zu greifen, um Amors hämischen Furor zu besänftigen: sogar nach einem kapitalen Blattschusse führte er sein Vorhaben aus, hinderte jedoch nicht, dass erst in der zweiten Arie die erhoffte Wirkung eintrat und Amor von seinem Schiessbuden-Amüsement abliess.

Vorher aber erlegte er – im übertragnen Sinn, denn die Pfeile waren weder tödlich, noch wirkten sie immediat – Chrisanthemovic, Euphrosyne und Spasima, denn Liebespfeile benötigen nicht unbedingt den direktesten Weg von A nach B. Die beiden Zigeuner traf ein einziger Pfeil durch und durch, was absehbare Konsequenzen für das Duo zeitigen sollte, denn sie blieben forthin unzertrennliche Zweitonartisten.

Das letzte Opfer war die eigne Frau, die der unverwundbare Atheodul vergeblich mit dem Tischtuch zu schützen suchte.


Amor setzte sich erschöpft auf die Bühnenrampe und liess sich Schadenfreude, Wut und Rachsucht mit Orfeos Gesängen von der Seele waschen, bestellte ein Glas Met und prostete jovial der Runde, die sich langsam und misstrauisch hinter ihren Schutzbauten hervorwagte aufmunternd zu. Der Abend verlief in eitel Minne, nur die Verwundeten waren gezwungen, sich ihren gesteigerten und sichtlich zunehmenden unabwendbaren Liebesregungen auszuliefern.

...
19.10. Schrecklich die Kunde vom Selbstmordversuch Deines Mitbewohners. Sie nimmt mir alle Lust weiterzuschreiben und alte Gespenster tauchen in meiner Erinnerung auf; wie viele hatten es in meiner Umgebung geschafft, wie viele versucht. Dass Peter irgendwann eine Tragödie auslösen würde, war mir voll bewusst. Seine ungezügelte und doch völlig verstellte Psyche musste ausbrechen; am ehesten gegen ihn selbst, wenn nicht gegen andere. Alle, die in Deinem Hause nisten, auch die ausgezogenen sind nicht davor gefeit. Die erst Panik, die Du spürtest, als Du einzogst, hat Dich nicht betrogen. Diese Menschen sind bedauernswert, sie leben in Schubladen eines grauen Möbels in einem farb- und fensterlosen Raume; ihr kleines Glück liegt im Detail und wie schnell bricht das. Man kann ihnen nicht helfen, ohne für sie verantwortlich zu werden, sie greifen nach uns Stärkeren wie nach dem Strohhalm am Ufer. Wenn sie sich aber zum Gehen entschlossen haben, sind sie so kalt und berechnend wie Du Dein nächtliches Erlebnis beschreibst. Sie müssen den Tod versachlichen, um nicht störenden Gefühlen zu erliegen, die sie von ihrem Vorhaben abbringen könnten. Und ein Abschiedsbrief verpflichtet, ja ist fast eine Ehrensache: man muss wenigstens mit dem Tod zurandekommen, wenn man im Leben versagte.


19.50. Echterding beim häuslichen Kochen überrascht; er will nur mich in Zagreb am 7. sehen, werde also auch zur Politmauschelei eingeladen; entweder fahre ich noch abends oder am nächsten Morgen gen F. So habe ich dies Wochenende doch nicht unnütz in den Kamin schreiben müssen und hole E. nach Ludbreg, wenn ich im März wieder da bin.
20.20. Nach dem Essen eines uralten Suppenrestchens, fühle ich mich besser. Ivan wütet mit der Oberfräse an einer begradigten Altaroberwand und setzt Schwalbenschwänze ein. Sein Maschinchen heult wie der Bohrer beim Zahnarzt.

Nymph, soll ich vielleicht doch am Geschichtchen weiterbasteln? Lass sehen, obs Dich morgen nicht etwas aufzumuntern versteht.
...

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