Mitteilungen der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen Neue Folge Stadt und Hof Jahrgang 1 (2012)



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Methode

Zur Argumentationsgeschichte: Um das Agieren der Landesherren zwischen den Polen der Repression und der Fürsorge im Spannungsfeld der Randgruppenpolitik zu fassen und Argumentationsstränge nachzuvollziehen, sollen einzelne politische Leitbegriffe aus normsetzenden Texten, allgemeinen Erklärungen und Anweisungen, Briefen etc. herausgegriffen und isoliert werden. Die zugrunde liegende Überlegung der argumentationsgeschichtlichen Methodik besteht in der Annahme, dass sich die politische Kultur in einzelnen Leitbegriffen verdichtet. Die Normen beziehen sich auf Absichten und Funktionen des Gemeinwesens. In diesem Sinne bilden sie die Zielvorgaben einer Gemeinschaft ab und markieren einzelne Formen politischen Handelns als notwendig und zulässig bzw. nicht notwendig und unzulässig22. Welche Normen lassen sich also als die wesentlichen Elemente politischer Kultur im Rahmen der argumentativen Praxis nachweisen? Begriffe, die im Rahmen der Untersuchung der obrigkeitlichen Randgruppenpolitik etabliert sind, können vor allem für die „Konfliktpartei“ der herzoglichen Regierung gefasst werden. Diejenigen, die zum Objekt herzoglicher Ausgrenzungspolitik wurden, sind nur vereinzelt in den Quellen greifbar. Zum Teil prägen auch hier wiederkehrende Motive die Argumentation der Ausgegrenzten, aus denen im Umkehrschluss Leitbegriffe der politischen Kultur erschlossen werden können, kann man doch davon ausgehen, dass das Formulierte die Obrigkeit zur Unterstützungsleistung anregen sollte.

Ein Beispiel einer politischen Norm, die von beiden Konfliktgruppen in direkten oder indirekten argumentativen Auseinandersetzungen unterschiedlich ausgelegt wurde, besteht in der Vorgabe des Herzogs, ein milder Landesvater sein zu wollen. Während sich die herzogliche Regierung in ihrer Argumentation auf die (ihrem Urteil nach) wahrhaft Bedürftigen bezog, die ein milder Landesvater vor dem „räuberischen Gesindel“ zu schützen habe, rekurrierten die ausgegrenzten Gruppen in erster Linie auf die christliche Milde, die der Landesvater ob seiner Verpflichtung die Armen zu schützen, entgegenzubringen hatte. So zeichneten sich die herumvagabundierenden Armen als eine Gruppe in der Gesellschaft, die zwar integriert sein wollte, aber aus verschiedenen Gründen dieses Ziel nicht erreichen konnte (z.B. fehlende Unterstützung in ihrer Heimat trotz der Verpflichtung der Kommunen). An dem Beispiel des Leitbegriffes Landesväterliche Milde lassen sich entsprechend die Ansprüche der Regierung und der exkludierten Randgruppen erkennen und mit Hilfe des Theorierahmens der Herrschaftsrepräsentation im Sozialraum Stadt und des Inklusions- und Exklusionsparadigmas interpretieren. Das Ergebnis der argumentationsgeschichtlichen Studie besteht somit in einem Katalog von Leitbegriffen, der die Randgruppenpolitik und ihre Gegenreaktionen von Seiten der Ausgegrenzten fassbar werden lässt.

Zum Vergleich: Die Residenzstädte Schwerin, Ludwigslust und Neustrelitz werden vergleichend dargestellt. Dabei sollen die strukturellen Elemente der Armenfürsorge und der Randgruppenpolitik (z.B. Armenhäuser, Zucht- und Werkhäuser, Ämter wie Nachtwächter, Armenpfleger, militärisches Personal) aufgezeigt werden. Welche Maßnahmen wurden mit welcher Intensität von wem ergriffen, um armenpolitische Problemlagen zu bewältigen? Wenn auch nicht alle Aspekte in Gänze berücksichtigt werden können, so sollen doch die grundlegenden Tendenzen des obrigkeitlichen Umgangs mit Ausgegrenzten kontrastierend dargelegt sein. Hingegen werden die konkreten Ergebnisse der argumentationsgeschichtlichen Studien der einzelnen Untersuchungsorte weniger abgrenzend, als ergänzend zusammengetragen. Wenn auch die Parallelen und Differenzen zwischen den Städten im Sinne kurz- und langfristiger Veränderungsprozesse aufgezeigt werden sollen, so gilt es doch vor allem das komplexe Bild nachzuzeichnen, das durch die verschiedenen Facetten der Städte mit ihren kulturellen und sozialen Praktiken, Normensystemen und Deutungshorizonten entworfen worden ist. In diesem Sinne ist die Studie in erster Linie als ein verallgemeinernder Vergleich angelegt, der dem eingegrenzten Untersuchungsgegenstand scharfe Konturen verleiht. Bei der Auswahl der Untersuchungsorte wurde die synchrone Vergleichsebene eingehalten, so dass „benachbarte“ Gesellschaften eines Territoriums aus einer historischen Epoche thematisch in Beziehung zueinander gesetzt werden.



Raum und Zeit der Untersuchung

Zum Untersuchungsraum: Den Raum der Untersuchung bilden die drei Residenzstädte Schwerin, Ludwigslust und Neustrelitz, welche aufgrund ihrer (zeitweisen) Funktion als herrschaftliche Zentralorte der Mecklenburgeischen Herzoggeschlechter im Laufe des 18. Jahrhunderts und zu Beginn des 19. Jahrhunderts von Bedeutung waren. Die Fokussierung auf Residenzstädte erscheint insofern besonders wertvoll, als dass hier die höfische und städtische Gesellschaft unmittelbar aufeinandertraf und so die Herrschaftsrepräsentation zwischen Repression von Randgruppen und der Demonstration der eigenen Frömmigkeit von Seiten des Herrschers am ehesten greifbar ist. Die Entscheidung für die drei Städte im Speziellen ist drei konkreten Fakten geschuldet: (1.) Es handelt sich unterschiedslos um weltliche Residenzstädte, (2.) sie gehören geschlossen der protestantischen Konfession an und sind (3.) typologisch den Kleinstädten zuzuordnen. Die bewusst homogene Anlage des Forschungsdesigns erhöht die Aussagekraft der Forschungsergebnisse, indem der Fokus konkret auf eine einzelne Untersuchungskategorie, nämlich den obrigkeitlichen Umgang mit Randgruppen, gelenkt wird. Insbesondere die Größe der Stadt kann entscheidenden Einfluss auf die Untersuchungsergebnisse nehmen: Frühneuzeitliche Großstädte zogen aufgrund vermeintlich größerer Ressourcen eine höhere Zahl von mobilen Bettlern an, Kleinstädte wurden hingegen mit ihren begrenzten Abwehrmechanismen häufig von durchreisenden Vagabunden bedrängt. Die Wahrnehmung von Armut und Randgruppen sowie des vermeintlichen Bedrohungspotentials ist eine entsprechend andere, die es zu berücksichtigen gilt.

Zum Untersuchungszeitraum: Die Gesellschaft befindet sich mit dem Ende der Frühen Neuzeit und dem „Aufbruch in die Moderne“ ex post betrachtet an einer Wendemarke in der Geschichte, die durch die geistige Bewegung der Aufklärung eingeleitet wird. Der Zeitraum der Untersuchung ist insofern ein spannungsgeladener, als dass mit der Mitte des 18. Jahrhunderts ein deutliches Bevölkerungswachstum einsetzte. Gepaart mit den folgenden Teuerungen, der Abschottung der Zünfte und dem gleichzeitigen Verfall kirchlicher Einrichtungen folgte hieraus eine deutliche Zunahme der mobilen Unterschichten23. Können derartige Entwicklungen festgestellt werden, sind sie bei der Nachvollziehung der zeitgenössischen Wahrnehmung von Ausgegrenzten zu berücksichtigen: Die in diesem Fall vorauszusetzende Überlastung armenfürsorgerischer Institutionen und Entstehung von Versorgungsdefiziten kann die Wahrnehmung von Randgruppen wesentlich beeinflusst haben. Des Weiteren bietet sich ein Ausblick in das frühe 19. Jahrhundert an, so dass die Transformationsphase der „Sattelzeit“ den zeitlichen Bezugsrahmen des Dissertationsprojektes definiert24. Ein weiteres Ziel der Arbeit besteht somit auch darin, die konstruierte Epochengrenze zwischen Früher Neuzeit und Moderne aufzubrechen und thematisch hinsichtlich der Armen- und Randgruppenpolitik zu überwinden.


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