Rechtskunde einführung in das strafrecht der bundesrepublik deutschland anhand von tötungsdelikten


Unrechtsausschluss durch Rechtfertigungsgründe (RF)



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2.2 Unrechtsausschluss durch Rechtfertigungsgründe (RF)




2.2.1 Darstellung

Unrecht ist nur die unerlaubte Rechtsgutsverletzung. Eine tatbe­standliche, tatsächlich existierende Rechtsgutsverletzung ge­schieht beim Begehungsdelikt aber dann erlaubt, wenn durch die Handlung einem vorrangigen Rechtsgutsanspruch zur Geltung verhol­fen wird - den in den Fällen des § 218 a Indikation zum Schwangerschaftsabbruch im einzelnen zu begründen schwer fallen kann. In einem solchen Fall einer erlaubten Rechtsgutsverletzung wird das im UTB zunächst als be­gründet an­genommene Unrecht durch einen Rechtfertigungsgrund wieder aufgehoben. Die Rechtsgutsverlet­zung geschah dann rechtmäßig. Eine Straftat liegt folglich nicht vor, denn der Täter durfte so handeln, wie er gehandelt hat. § 34 rechtfertigender Notstand z.B. trifft für den Fall des Notstandes ei­ne auf dieser Güterabwägung beruhende Regelung. Der Wortlaut dieses Paragraphen spiegelt ganz klar die Güterabwägung wider:


"§ 34 Rechtfertigender Notstand

Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigen­tum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzu­wenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Ab­wägung der wider­streitenden Interessen, namentlich der betrof­fenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich über­wiegt. Dies gilt jedoch nur, so­weit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden."


Aber nicht alle Rechtfertigungsgründe sind im AT des StGB gere­gelt. Dort findet sich nur noch die Bestimmung darüber, wann die Rechtmä­ßigkeit einer Notwehrhandlung gegeben ist. Auf diese Pro­ble­matik muss gleich noch weiter eingegangen werden.
Dem Gehalt nach ist auch die im BT des StGB angesiedelte Bestimmung des § 218 a Indikation zum Schwangerschaftsabbruch als Rechtfertigungs­grund zu verstehen, nachdem in § 218 die grundsätzliche Strafbar­keit des Abbruchs einer Schwangerschaft bestimmt worden ist. Wenn z.B. das Leben der werdenden Mutter durch die Schwangerschaft in Gefahr ist, dann wird es von unserer Rechtsordnung als gerechtfer­tigt angesehen, das sichere Leben der Mutter zu retten, indem das noch unsichere Leben des erst noch zu gebärenden Kindes geopfert wird. (Das deckt sich aber nicht mit allen religiösen Überzeugun­gen! Literarisch ist das Problem als ein Teilproblem in dem Buch „Der Kardinal“ verarbeitet.)
Viele Rechtfertigungsgründe sind gar nicht gesetzlich geregelt.
"Ohrfeige erlaubt

the Freiburg - Mit Nasenbluten lief die Schülerin zum Lehrer. Ein 16jähriger hatte ihr eine Mirabelle an den Kopf geworfen. Der Lehrer gab ihm eine Ohrfeige. Das Amtsgericht Titisee-Neustadt lehnte jetzt eine Klage der Eltern auf Schmerzens­geld ab. Die Strafe sei gerechtfertigt gewesen. Begründung: Der Lehrer war in einer ‘notstandsähnlichen Situation'."

Schmidhäuser bildet als gründlicher Systematiker in einer Typi­sierung der Rechtfertigungsgründe zwei große Gruppen. Dieses ge­schieht wegen der Notwendigkeit der abstrakten Begriffsbildung wenigstens der Oberbegriffe auf einem von der Alltagssprache sehr abgehobenen Begriffsniveau. Da­von darf sich der Lernende aber nicht einschüchtern lassen. Das ist wie Vokabellernen. Für eine angemessene Fallbearbeitung ist dieses Vokabel-Wissen aber nicht unbedingt erforderlich, wenn man die dahinter stehenden Rechtfertigungsgründe sieht und richtig anwendet.
Zunächst soll an einem (hoffentlich) einsichtigen Bei­spiel klar­ge­macht werden, wo­rum es den Systematikern geht: Man kann ungeordnet Äpfel, Pflau­men, Birnen, Johannisbee­ren, Kirschen, Mirabellen, Walnüsse, Bananen, Melonen und Apfelsi­nen zusammenmi­xen. Das gibt so aber keinen nachvollziehbaren wissenschaftlichen Sinn - höch­stens einen vermutlich wohlschmeckenden Obstsalat, wenn noch ein Schuss Alkohol dazukommt. Ge­mein­samkeiten einzelner vorgenannter Nahrungsmittel werden bei obiger An­einanderreihung nicht deut­lich. Man wird diese Esswaren aus anderem als ­ku­linari­schem Interesse darum wohl irgend­wie zu ordnen suchen, als Germanist z.B. nach dem Alphabet. Damit hat sich dann das ordnende Interesse eines Ger­ma­nisten wahrscheinlich er­schöpft. Doch ein um Systematik be­müh­ter Biologe wird als Fachmann für Pflanzenkunde nach den Be­dürf­nissen seines Fachgebietes all die ver­schiedenen Früchte nach gewissen Ge­sichtspunkten ordnend in Grup­pen zusammen­fas­sen und Oberbegriffe bilden, um Gemeinsamkeiten herauszustellen. Der Oberbegriff wäre Obst, die systema­tisch differen­zie­ren­den Gruppenordnungsbe­griffe könnten dann z.B. Obst der gemäßigten Breiten und Obst der Tropen sein. Mit dieser durch­aus möglichen Grobeinteilung verzichtete man aber auf noch genauere Differenzierungsmöglichkeiten durch die Aufteilung des Obstbegrif­fes in Kern-, Stein-, Bee­ren-, Schalen­obst, Gurkengewächse und Südfrüchte. In diese von ihm nach seinen Bedürfnissen gebauten Schubladen wird der Biologe nun die einzel­nen Obst­sorten einord­nen.

Weil wenigstens die Juristen von der Juristerei (vielleicht nicht immer zu Recht) behaupten, dass sie eine Wissen­schaft sei - woran bei der Beliebigkeit mancher juristischer Er­gebnisse durchaus Zweifel entstehen können -, wird auch in der Juristerei ord­nend vorgegan­gen. Aber auch hier sind die Ein­teilungen und Gruppenbildun­gen genau so wenig zwingend wie in dem vorstehend gedanklich zubereiteten Obstcock­tail. Der Cocktail der Rechtfertigungsgründe à la Schmidhäuser be­steht zunächst aus den beiden Gruppen

- Rechtfertigungsgründe aus überindividueller Zweckhaftigkeit und

- Rechtfertigungsgründe aus individueller Zweckverfolgung.

Diese beiden Gruppen unterscheiden sich dadurch, dass bei der er­steren Gruppe das individuelle Handlungsziel des Handelnden für die Rechtfertigung seiner Handlung als unerheblich angesehen wird, während für das Eingreifen der in der zweiten Gruppe zusammengefassten Rechtfertigungsgründe erforderlich ist, dass der Handelnde mit dem Willensziel einer vorrangigen Rechtsgutsbeachtung tätig ge­worden ist.

Zur Gruppe der Rechtfertigungsgründe aus überindividueller Zweck­haftig­keit gehören im Einzelnen die Rechtfertigungsgründe:


- soziale Adäquanz mit

a) Fällen sicherer Verletzung des Rechtsgutes:

Boxen zielt auf Körperverletzung, gleichwohl ist sie als sportliche Betätigung gerechtfertigt, wenn die Regeln eingehalten werden;

b) Fällen möglicher Verletzung des Rechtsgutes bei Einhaltung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt:

Als ein am Rande eines Fußgängerüberweges auf dem Gehsteig an der Hand seiner Oma stehendes Kind durch den Sog eines mit erlaubter Geschwindigkeit vorbeifahrenden LKWs losgerissen wurde und unter den Hänger geriet, war das Fahren trotz der bedauerlichen Rea­­li­sierung des mit dem modernen Massenverkehr oftmals ver­bundenen Todesrisikos gerechtfertigt gewesen.

Das gilt aber nicht mehr, wenn ein Rechtsgut verletzt wird, weil die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht beachtet worden ist, der Fahrer z.B. zu schnell fuhr.

c) Fällen existenzgefährdenden Glücksspiels nach erteil­­ter staatlicher Erlaubnis,

weil manche Menschen ein solches Ventil brauchen, und der Staat daran verdient. Russisches Roulett gehört nicht dazu, denn das ist nicht mehr existenzgefährdend, sondern mit einer hohen Wahrscheinlichkeit existenzvernichtend.




  • gebotenes Handeln der Staatsorgane:

Wenn man Thomas von Aquins Ausspruch zustimmt: „Steuern sind ein erlaubter Fall von Raub“, dann kann die Rechtfertigung des so gesehenen Raubes nur darin bestehen, dass es sich bei der Steuererhebung um ein gebotenes Handeln der Staatsorgane handelt. Das Anstößige kann dabei die Höhe des jeweiligen Steuersatzes sein. So entschied das BVerfG, dass einem Steuerpflichtigen wenigstens die Hälfte seines Einkommens verbleiben müsste, und der Bundesgesetzgeber musste den Spitzensteuersatz von 53 % auf höchstens 50 % absenken. Doch solche Fälle sind mit diesem Rechtfertigungsgrund nicht gemeint. Wenden wir uns den „normalen“ Strafrechtsfällen zu:
Die Polizei setzt ihre Schusswaffen zur Fluchtverhinderung ge­zielt ein, weil sie einen fliehenden Verbrecher dingfest zu machen versucht.
"Die nackte Frau in der fremden Wohnung - tot?

Gießen - Ein Mann blickte von außen durch den Türspion einer Woh­nung in Gießen. Er sah ein Bild des Grauens: Eine Frau mit nacktem Oberkörper, den Kopf zur Seite geneigt. Hatte sie sich erhängt?

Der Mann informierte die Polizei - anonym, da ihm seine Neu­gier offenbar peinlich war. Auch die Beamten sahen die Frau durch den Spion. Da brachen sie die Tür auf - die ‘Tote‘ war auf einem le­bensgroßen Foto abgebildet."


„Lärm im Mietshaus: Rentner schießt um sich

66-Jähriger verletzt drei Nachbarn – Drama in München

Horror in einem Münchner Mietshaus: Vermutlich die Wut über den Lärm seiner Nachbarn hat einen 66-jährigen Rentner zum Amokläufer werden lassen. Knapp 30-mal feuerte Walter S. mit einem Gewehr durch die Wohnungstüren seiner Nachbarn und schoss auf zwei Bewohner im Treppenhaus. Ein 54-jähriger Bosnier, der dem ausgerasteten Rentner das Gewehr aus der Hand riss, hätte seinen Heldenmut fast mit dem Leben bezahlt: Ein bereits zum Tatort geeilter Polizist schoss auf den Helfer, weil er ihn wegen der Waffe in der Hand für den Täter hielt. … Der Bosnier lief nach draußen, wo er irrtümlich für den Täter gehalten wurde. Ein Beamter hatte ihm zugerufen, er solle die Waffe fallen lassen. ’Da war er nicht schnell genug’, sagte Polizeisprecher Reichel. Ein gezielter Schuss aus der Polizeiwaffe traf ihn in den Oberarm. …“

(Allgäuer Zeitung 27.07.04)


Nicht gebotene Handlungen von Staatsorganen werden (u.a. bei uns, aber leider nicht in allen Ländern der die auf der Achtung der Menschenrechte basierende Freiheit ihrer Mitglieder verteidigenden Nato - erwähnt seien z.B. die früher staatlicherseits vorgenommenen Folterun­gen in türkischen und durch „US-Verhörspezialisten“ in irakischen Gefängnissen -, geschweige denn in vielen anderen Ländern der Erde) strafrecht­lich verfolgt:
"Polizist verurteilt

ap München - Ein Polizist (25) wurde vom Amtsgericht München zu neun Monaten Haft mit Bewährung verurteilt. Er hatte seine nicht durchgeladene Dienstpistole dreimal auf einen Gastwirt abgedrückt. Der von ihm festgenommene Inder sollte nieder­knien und um Verzeihung bitten."


Dass ein bestimmtes Handeln der Staatsorgane - den Ausführenden vielleicht sogar durch (später so festgestellte) Unrechtsgesetze - angeblich geboten war, reicht, wie wir zuletzt an den Verfahren wegen der Todesschüsse an der Berliner Mauer und im Grenzstreifen der DDR gesehen haben, für deren Rechtfertigung allein nicht aus. Der BGH stellte fest: Die Staatspraxis der DDR, vorsätzliche Tötung von Flüchtlingen mit Schusswaffen, Selbstschussanlagen oder Minen zur Vermeidung einer Flucht aus der DDR in Kauf zu nehmen, kann die Täter nicht rechtfertigen. Eine solche Staatspraxis verstößt offensichtlich und unerträglich gegen elementare Gebote der Gerechtigkeit und gegen völkerrechtlich geschützte Menschenrechte.
- wahrheitsgetreue Parlamentsberichterstattung:
"Proinnsias de Rossa, 52, Vorsitzender der Arbeiterpartei Ir­lands, trickste die Pressezensur mit parlamentarischen Mitteln aus. Nachdem alle nach Irland gelieferten Exemplare des briti­schen ‘Guardian‘ eingestampft werden mussten, weil die Ausgabe die Telefonnummern britischer Abtreibungskliniken enthielt, ver­las er die Anzeige der Kliniken Wort für Wort im Parlament. Am nächsten Tag standen die Telefonnummern ganz legal in allen irischen Zeitungen - nach einem Gesetz dürfen nämlich Parla­ments­diskussionen unzensiert veröffentlicht werden. De Rossa versprach, die Methode bei Bedarf zu wiederholen, bis die In­for­mationsfreiheit per Referendum im Herbst festgeschrieben wird."
So hatte die SPD schon im Kaiserreich agiert, als die Verbrei­tung ihrer poli­tischen Ziele durch die Sozialistengesetze Bis­marcks unter­bun­den werden sollte.
- Kriegshandlungen im Rahmen des Völkerrechts:

Wenn ein Soldat einen Gegner im gegenüberliegenden Schützengraben erschießt, dann wird er nicht gefragt, warum er es tat. Das fragt er höchstens sich selber. Sein Handeln wird in einem solchen Fall losgelöst von seinen individuellen Motiven von der Völkerrechtsordnung als gerechtfertigt angesehen - auch wenn er aus blanker Mordlust schoss!

Zur Klarstellung: Nicht jeder Schuss eines Soldaten wird von der Völkerrechtsordnung gebilligt. Marodierende Soldaten könnten theoretisch zur Verantwortung gezogen werden; praktisch geschieht das fast ausschließlich bei den Verlie­rern. My Lai oder die Frust-Vergewaltigung eines irakischen Mädchens mit anschließender Tötung der ganzen Familie zur Straftatverdeckung waren da - wegen des Druckes durch die Weltpresse - seltene Ausnahmen.
Zu der Gruppe der Rechtfertigungsgründe aus individueller Zweck­ver­fo­lgung, bei denen die Handlung des Täters nur gerechtfertigt ist, wenn er handelt, um einen vorrangigen Rechtsgüterschutz zu verwirklichen, gehören
- Handeln im dringlichen Interesse des Berechtigten:

Unter einer Wohnungstür quillt Wasser hervor. Die anderen Mieter des Hauses benachrichtigen nicht Polizei oder Feuerwehr,


"Abfluss frei

ap/ADN Bremen - Die Polizei wurde am Freitag in ein Bremer Wohnhaus gerufen, weil Dampf aus einem Badezimmerfenster quoll und das Wasser schon in den Keller tropfte. Die Beamten öffneten die Wohnung und fanden einen Mann (26) schlafend in der Dusche. Er hatte mit seinem Allerwertesten den Abfluss verstopft."


sondern treten die Etagentür zu der Wohnung des abwesenden Mieters ein, um z.B. den Haupthahn abdrehen zu können, damit aus dem geplatzten Schlauch der Waschmaschine nicht noch mehr Wasser in die Wohnung laufe.

Wird die Wohnungstür aber eingetreten, um Sachen aus der Wohnung entwenden zu können, und wird dabei vom Dieb der geplatzte Wasserschlauch entdeckt und von ihm nun der Hahn abgedreht, so ist das nicht nur anfänglich rechtswidrige Handeln nicht nachträglich gerechtfertigt. Es bleibt von Anfang an rechtswidrig! Der Dieb handelte bei seinem Einbruch eben nicht, um einen vorrangigen Rechtsgüterschutz zu verwirkli­chen. (Und den Wasserhahn stellte er vielleicht ja auch nur deswegen ab, damit das Wasser nicht eventuell unter der Tür hervorquelle und einen aufmerksamen Beobachter alarmiere, der ihn bei seiner Klautour stören würde!)


- Fälle erlaubter Zweckverfolgung ohne Notlage

Erziehungsberechtigte Eltern hatten bis 2000 ein vom Erziehungs­recht gedecktes maßvolles Züchtigungsrecht gegenüber ihren eigenen Kindern, bis die SPD-geführte Bundesregierung im Frühjahr 2000 zum Schutz von Kindern vor prügelnden Eltern das gesetzlich verankerte Recht von Kindern auf eine gewaltfreie Erziehung durchsetzte. (Dem nicht mehr erziehungsberechtigten Elternteil, den Nachbarn oder dem Lebenspartner dagegen stand es ihren Kindern gegenüber nicht zu, wenn der Erziehungs­be­rechtigte sein Erziehungsrecht nicht an den Lebenspartner delegiert hatte. Das ist natürlich teilweise etwas praxisfern, aber juristisch korrekt. Außerdem kann man in vielen Fällen fragen, wieso keine Notlage herrscht, wenn das Züchtigungsrecht ausgeübt werden muss! Nicht nur Pubertät kann eine Form von Terrorismus sein! Aber denken Sie immer dran: Schlagen Sie Ihre Kinder nicht zu oft und nicht zu doll, denn die suchen später das Altersheim für Sie aus.)

Allerdings musste vor der gesetzlichen Neuregelung schon durch Richterrecht das Handeln der Eltern dem Willen zur Erziehung – und nicht z.B. aus Sadismus - entspringen und ge­eig­net sein, dieses Ziel zu erreichen.

Darüber hinausgehende kör­perliche Züchtigung war auch den Eltern nicht erlaubt und mindestens als Kindesmisshandlung strafbar.


"Vater verurteilt

dpa Paderborn - Ein Schlosser (58) aus Brakel ist vom Schwur­ge­­richt Paderborn zu 13 Jahren Haft verurteilt worden. Er hatte seine beiden Söhne (4 und 1) nach einem Familienstreit in die eiskalten Fluten des Emmerstausees geworfen. Sie starben."


Und aus Gründen der Gleichberechtigung die Quotenfrau:
"Mutter tötete Baby: Es störte beim Fernsehen

ap Hannover - Weil ihr drei Monate altes Baby beim Fernsehen zu schreien begann, drehte Carola T. aus Hannover durch. Sie nahm ein Kissen und drückte solange zu, bis die kleine Fran­zis­ka ganz still war. Ein Polizeisprecher: ‘Das Kind starb qualvoll durch Ersticken. Die Mutter sagte in der Ver­nehmung aus, dass ihr das Geplärre auf die Nerven ging, weil sie nicht in Ruhe fernsehen konnte.' Carola T. wurde festgenommen.

Gegen die 22jährige, die in einer Wohngruppe lebt, leitete die Kripo ein Ermittlungsverfahren wegen Mordverdachts ein. Ihren Mitbewohnern hatte sie zunächst erzählt, dass Franziska vom Wickeltisch gefallen sei und dabei tödliche Verletzungen erlitt. Erst im Polizeiverhör verwickelte sich die junge Frau immer mehr in Widersprüche, bis sie schließlich die grausame Tat gestand."
Laut UNICEF sterben in Deutschland jedes Jahr ca. 100 Kinder an den Misshandlungen durch ihre eigenen Eltern; jeden dritten Tag eines!
- Handeln auf dienstlichen Befehl bei Ordnungswidrigkeiten:

Anweisung zu einem bestimmten Verhalten im Straßenverkehr, das gegen die Bestimmungen der StVO verstößt.

Der von einem Bundesverteidigungsminister nach Überprüfung des Flugsicherheitsgesetzes durch das BVerfG und der erklärten Verfassungswidrigkeit dieses Gesetzes zwei Jahre später 2007 angekündigte notfalls ergehende Befehl, trotz gegenteiliger Rechtsprechung des BVerfGs unter Berufung auf einen "übergesetzlichen Notstand" im Einzelfall ein nicht nur von Entführern besetztes entführtes Flugzeug abschießen zu lassen, dass nach dem Willen der Entführer als Kerosinbombe z.B. in ein Hochhaus oder auf ein Atomkraftwerk gelenkt werden soll, ist nicht nur keine Ordnungswidrigkeit, sondern - laut BVerfG eine grundgesetzwidrige - Straftat.

Da sich kein Soldat mehr auf den unter den Nazis noch Geltung beansprucht habenden, aber in den Nürnberger Prozessen und im Wehrstrafgesetz für ungültig erklärten Grundsatz: "Befehl ist Befehll" berufen darf, darf kein Pilot in dem Zwiespalt zwischen Gehorsam oder Verfassung einem solchen Befehl, wenn er ihm erteilt würde, nachkommen.


- Handeln zur Rechtsverfolgung im Notfall:

Gemäß § 127 I StPO kann jemand, der auf frischer Tat betroffen oder verfolgt wird, wenn er der Flucht verdächtig ist oder seine Identität nicht sofort festgestellt werden kann, von jedermann ohne richterliche Anordnung vorläufig festgenommen werden. Der Festnehmende begeht keine Straftat der Freiheitsberaubung, wenn er mit den vorgenannten Willenszielen der Fluchtverhinderung oder der Identitätsfeststellung handelt.


- Handeln im rechtfertigenden Notstand § 34:

Ein Arzt wird von einer Feier weg zu einem Schwerverletzten gerufen. Andere Hilfe ist nicht schnell genug er­reichbar. Kein anderer Führerscheininhaber ist nüchterner als der Arzt. Trotz einigen Alkoholkonsums fährt der Arzt selber zu der Unglück­sstel­le, kommt aber zu spät, denn der Verletzte ist in der Zwischen­zeit verstor­ben. Weil die Fahrt trotz Alkoholgenusses nach Sach­verhalt die einzige verbliebene Chance der Gefahrenab­wehr und somit eine reale Notstandslage gegeben war, durfte der Arzt mit Rettungswillen so handeln. Die Trunkenheitsfahrt war ein an­gemessenes Mittel zum Versuch der Gefahrenabwehr von dem höher­rangigen Rechtsgut Leben des Schwerverletzten. § 34 rechtfertigt das Handeln auch dann, wenn die Hilfe zu spät kommt, dies aber vorher objektiv nicht erkennbar war. (Vom rechtfertigenden Notstand nicht mehr gedeckt wäre dagegen eine Rückfahrt in leicht beschwipstem Zustand nach dem Motto: „Wenn ich es angesäuselt hergeschafft habe, dann schaffe ich es auch angesäuselt zurück!“ Da müsste der Doc schon einen nüchternen Fahrer auftreiben oder ein Taxi nehmen.)


Rettungsversuch kann hohes Tempo rechtfertigen

NEUSTADT/WIED - Einem zu seinem verunglückten Kind eilenden Vater kann unter Umständen eine Geschwindigkeitsüberschreitung nicht vorgeworfen werden. Darauf weist das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe hin.


In dem Fall erhielt ein Vater einen Anruf, daß sein Kind schwer gestürzt sei. Sofort machte er sich auf den Weg und wurde von einem Meßgerät mit 61 km/h in einer Tempo-30-Zone erfaßt. Der Amtsrichter verhängte ein Bußgeld und ein Fahrverbot von einem Monat. Das OLG hielt weitere Sachaufklärung für erforderlich und läßt den Fall neu aufrollen.
Die Richter erklärten, daß eine ein Fahrverbot rechtfertigende grobe Pflichtverletzung ausnahmsweise dann nicht vorliege, wenn ein Vater zu seinem verunglückten Kind eile und dabei Verkehrsregeln überschreite. Denn dieser handele nicht aus grobem Leichtsinn oder grober Nachlässigkeit, sondern aus Sorge um sein Kind. Allerdings rechtfertige nicht jeder Hilferuf eine solche Beurteilung. Vielmehr sei dies nur dann der Fall, wenn eine sofortige Hilfe durch den Vater zwingend erforderlich ist oder dieser vom Vorliegen einer solchen Gefahrensituation ausgehen darf (Az.: 1 Ss 81/05).

mid


HH A 21.01.06

- Notwehr

"Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwehren."

So hat es der Gesetzgeber in § 32 II definiert.

"Notwehr" ist also die in einer gegenwärtigen Notwehrlage mit Ver­teidigungswillen vorgenommene jeweils gerade erforderliche Ver­teidigungshandlung. (Jedes Wort oder sogar jeder Wortteil dieser Definition ist wichtig!)

Dabei setzt die Notwehrlage einen rechtswidrigen Geltungs­angriff gegen ein geschütztes Rechtsgut voraus.


„Mutter erstochen

dpa Paris – Offenbar in Notwehr hat ein Siebenjähriger in Corbeil-Essonne bei Paris seine Mutter (40) erstochen. Die aus Peru stammende, depressive Frau soll versucht haben, ihren Sohn zu erwürgen.“


„BGH: Wer einen Erpresser tötet, ist kein Mörder

Karlsruhe – Wer einen Erpresser bei der Geldübergabe tötet, handelt aus Notwehr – und darf nicht wegen Mordes aus Heimtücke verurteilt werden. Das entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe in einem Grundsatzurteil. Der Erpresser sei 'der wirkliche Angreifer'. Er könne nie arglos gegenüber einem möglichen Angriff des Erpressten sein. Diesem steht das Notwehrrecht zu.

Der Bundesgerichtshof hob ein Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth auf, das einen Mann wegen Mordes aus Heimtücke zu lebenslanger Haft verurteilt hatte. Er hatte seinem Erpresser bei der Übergabe von Schweigegeld die Kehle durchgeschnitten.

Der BGH sah anders als das Landgericht, das von 'Selbstjustiz'’ sprach, eine 'Notwehrlage'. Der Angeklagte kann in einem neuen Prozess jetzt eventuell sogar mit einem Freispruch rechnen. Der Erpresser hatte dem Mann damit gedroht, dessen Handel mit CD-Raubpressungen anzuzeigen und die ganzen Ersparnisse des Sozialhilfeempfängers (3000 Euro) gefordert. (ddp)“

(HH A Januar 2003)


Ist kein rechtswidriger Geltungs­angriff gegeben, so liegt auch keine gegenwärtige Notwehrlage vor. Die Annahme des Rechtfertigungsgrundes der Notwehr scheidet dann aus. In den nachfolgenden beiden tragischen Fällen ist das ganz offensichtlich:
"Sohn erschossen

ap Jackson - Ein dreijähriger Junge ist in Jackson (Mississippi/USA) versehentlich von seiner Stiefmutter erschossen worden. Als er dem Weihnachtsbaum im Wohnzimmer einen nächtlichen Besuch abstatten wollte, wurde ihm der Bewegungsmelder zum Verhängnis: Die Frau hielt ihn für einen Einbrecher."


Warum bloß ist sie nicht auf das Christkind gekommen!?!
"Tochter erschossen

Der Vater hielt sie für einen Einbrecher

SAD Baton Rouge - Der schnelle Griff zur Waffe hat in den USA zu einer Familientragödie geführt. Ein Vater in West Monroe (US-Staat Louisiana) erschoss aus Versehen seine Tochter. Er hatte sie für einen Einbrecher gehalten.

Die 14 Jahre alte Mathilda Maye Crabtree sollte bei einer Freundin übernachten, weil ihre Eltern ausgehen wollten. Die Mädchen beschlossen aber, den beiden einen Streich zu spielen. Sie kehrten in Mathildas Elternhaus zurück und versteckten sich in einem Wandschrank im Badezimmer. Gegen ein Uhr nachts hörten sie Robert Crabtrees Wagen in der Garagenauffahrt. Als er ins Haus kam, machten die Schülerinnen der West Monroe High School Geräusche im Schrank. Der Vater holte seine Pistole, mit der er dem vermeintlichen Eindringling auflauern wollte. In dem Augenblick, in dem Mathilda ihm mit einem Schrei entgegenlief, verlor er die Nerven und schoss. Er traf seine Tochter in den Hals. Sie brach schwerverletzt zusammen und starb zwölf Stunden später in einem Krankenhaus. Ihre letzten Worte: ‘Papa, ich hab' dich lieb.' Die Freundin wurde nicht verletzt.

Polizeichef Richard Fewell sagte: ‘Es ist traurig. Mathilda tat etwas, was jedes Kind schon einmal gemacht hat. Ich weiß nicht, wie der Vater damit leben wird. ...‘"
Ganz offensichtlich lag in diesen beiden Fällen keine Notwehrlage vor. Das Handeln des jeweils als »Angstbeißer« schießenden Elternteils war folglich nicht durch Notwehr gerechtfertigt.

Es waren aber Fälle der so genannten Putativnotwehr, die erst auf der Stufe der subjektiven Zurechnung bei der Prüfung des Vorliegens der Vorsätzlichkeit über


"§ 17 Verbotsirrtum

Fehlt dem Täter bei Begehung der Tat die Einsicht, Unrecht zu tun, so handelt er ohne Schuld, wenn er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte. ..."


dergestalt gelöst werden, dass wegen des fehlenden aktuellen Unrechtsbewusstseins (als eine der beiden Voraussetzungen neben dem aktuellen Tatbewusstsein) die Vorsätzlichkeit entfällt. Die schießenden Eltern nahmen irrig Umstände an, die, hätten sie vorgelegen, ihre Handlung gerechtfertigt hätten. Das sind die Fälle eines konkreten/indirekten Verbotsirrtums.
Weitere - teils strittige - Fälle des Vorliegens oder Nichtvorliegens einer Notwehrlage:
"Streit um Parkplatz: Keine Notwehr

rtr Frankfurt - Autofahrer, denen die Einfahrt in eine Park­lücke versperrt wird, können sich nicht auf Notwehr berufen. Das hat das Frankfurter Amtsgericht entschieden. Es verurteil­te eine Frankfurterin, die einen Kontrahenten umgefahren und verletzt hatte, zur Zahlung von DM 1.000 [€ 511,-; d. Verf.] Schmerzensgeld."


Leider wird in der Zeitungsmeldung nicht mitgeteilt, warum das AG Frankfurt das Vorliegen von Notwehr verneint hat: Ist ein gesuchter und schließlich gefundener freier Parkplatz kein geschütztes Rechtsgut? Andererseits übte der die Zufahrt auf den Parkplatz versperrende Fußgänger auf den Auto­fahrer nicht nur eine bußgeldbewehrte Ordnungswidrigkeit sondern meiner unmaßgeblichen Mindermeinung nach schon eine Nötigung aus. Und gegen Nötigung kann man sich grundsätzlich zur Wehr setzen. Oder ist Parkraumnot nicht als eine Not­wehr­lage anerkannt worden? Lag eine Notwehrüberschreitung vor?
Wenn man aus Notwehr - auch in der Form der Nothilfe für einen ange­griffenen Dritten - einen Angreifer erschießt, dann ist zu­nächst nicht offensichtlich, worin die vorrangige Rechtsgutsbe­achtung liegen sollte, die die Tötungshandlung rechtfertigen könn­te. Schließlich wird z.B. bei einem Raub statt der Verlet­zung des Eigentums oder des Lebens des Angegriffenen u.U. das Leben des Angreifers vernichtet. Würde sich jemand mit einer Pistole gegen einen Räuber zur Wehr setzen und ihn dabei erschießen, so überwöge ganz of­fen­sichtlich nicht das Rechtsgut des gefährdeten Eigentums das Rechtsgut Leben des Angreifers.
"Wut nach Freispruch

SAD Paris - Zu schweren Krawallen im Justizpalast von Reims führte der Freispruch für die Bäckersfrau Marie-José Garnier (30). Sie hatte einen 23jährigen Franzosen algerischer Ab­stam­mung erschossen, als er Croissants aus ihrem Laden steh­len wollte. Die Frau: ‘Ich war in Panik. Ich wollte ihn nicht töten.' Die Geschworenen erkannten auf Notwehr."


Gleiches gilt bei der Gefährdung des Lebens des Angegriffenen, denn beider Leben ist gleichran­gig. Unsere Rechtsordnung unterscheidet nicht zwischen "minderwertigerem" und "erhaltenswerterem" Leben; und auch nicht nach der Vielzahl zu rettender von einer Minderzahl dafür zu opfernder Leben. Das BVerfG hatte schon im Zusammenhang mit § 218 StGB Schwangerschaftsabbruch formulierte (BVerfGE Bd. 39, S. 36 ff): „Das menschliche Leben stellt innerhalb der grundgesetzlichen Ordnung einen Höchstwert dar; es ist die vitale Basis der Menschenwürde und die Voraussetzung aller anderen Grundrechte. Art. 2 Abs. 1 GG enthält eine umfassende Pflicht zum Schutz dieses Lebens. ... Der Schutz des einzelnen Lebens darf nicht deswegen aufgegeben werden, weil das an sich achtenswerte Ziel verfolgt wird, andere Leben zu retten. Jedes menschliche Leben ... ist als solches gleich wertvoll und kann deshalb keiner irgendwie gearteten unterschiedlichen Bewertung oder gar zahlenmäßigen Abwägung unterworfen werden“. Es gilt ein Verrechnungsverbot für die Abwägung Leben gegen Leben, weil es gegen die Würde des Menschen als höchsten staatlich garantierten Wert verstoße, wenn Menschen zu Objekten staatlicher Maßnahmen degradiert würden! Nach den Erfahrungen mit der menschenverachtenden - Stichwort: „lebensunwertes Leben“ - und menschenmordenden Ideologie des Nationalsozialismus – Stichwörter: „Endlösung der Judenfrage“ und „Liquidierung“ - ist es dem Gesetzgeber unter der Geltung des Grundgesetzes verboten, Gesetze zu erlassen, die das Recht eines Bürgers auf Leben missachten! Nach bisher allgemein gültiger Rechtsauffassung kann nur derjenige, der eine Gefahr für ein hochwertiges Rechtsgut hervorgerufen hat und aufrecht erhält, seinerseits durch einen „finalen Rettungsschuss“ zu Gunsten der Geisel/n getötet werden, wenn seine Tötung als das ultimativ letzte Mittel der Gefahrenabwehr anzusehen ist, nicht jedoch darf das Geiselopfer getötet werden. Deswegen unterzeichnete Bundespräsident Köhler zwar nach sieben Monaten Bedenkzeit und rechtlicher Prüfung trotz rechtlicher Bedenken das Luftsicherheitsgesetz, dem zufolge es, wie in den USA, erlaubt sein sollte, ein Flugzeug, das als Kerosinbombe in ein Hochhaus, eine chemische Fabrik oder ein Atomkraftwerk gelenkt werden soll, wie es am 11.09.01 von muslimischen Dschihad-Kämpfern, den "Barbaren Allahs", in New-York vorexerziert worden ist, vor Erreichen seines angesteuerten Zieles abzuschießen, regte aber eine Überprüfung durch das BVerfG an, weil durch das Gesetz möglicherweise eine unserer Rechtsordnung bisher fremde und unzulässige Abwägung von Leben vorgenommen werde: Um der Hoffnung willen, eine vergleichsweise größere Zahl von Leben retten zu können, solle das Leben – und die Würde? – einer kleineren Zahl von Menschen geopfert werden.

Diese die Bedenken des Bundespräsidenten auslösende Abwägung sah der damalige Bundesinnenminister nicht als gegeben an, da die Terroristen die Leben der Menschen in der Maschine auf jeden Fall opfern wollen. Es gehe nicht darum, Leben gegeneinander abzuwägen. Da die von Terroristen für den Selbstmordanschlag mit der »Flugzeugbombe« in Geiselhaft genommenen Passagiere ohne jede Rettungsaussicht eh sterben werden, komme es für die rechtliche Beurteilung nur darauf an, dass durch den Abschuss der Maschine zusätzliche Todesopfer vermieden werden.



Einige CDU/CSU geführte Bundesländer griffen die Anregung des Bundespräsidenten auf und halfen ihm aus der Klemme, indem sie Klage vor dem BVerfG erhoben. Und das BVerfG entschied Anfang 2006 in seiner Entscheidung zum Luftsicherheitsgesetz in eindringlicher Klarheit: § 14 des Luftsicherheitsgesetzes wird für verfas­sungswidrig erklärt. Von Terroristen gekaperte Flugzeuge mit Passagieren als Geiseln dürfen nicht abgeschossen werden, bevor die Flugzeuge als Bombe gegen viele Menschen oder ein Atomkraftwerk benutzt werden können. Ein »Rettungstotschlag« - so Gegner des Gesetzes, und so es denn einer ist und kein irrtumsbedingter (zum Glück nur vorbereiteter) Abschuss, weil kein Funkkontakt zu der Maschine hergestellt werden kann, wie es am 18.04.06 bei einer Maschine der Vietnam Airlines der Fall gewesen war, die von tschechischen Abfangjägern abgeschossen werden sollte, weil die Piloten in der Kanzel schliefen und auf keine Funkkontakte reagierten - unter staatlicher Regie sei verfassungswidrig: Unschuldige dürften nicht bloße Objekte einer Rettungsaktion sein. Unschuldige Passagiere verdinglicht als Kollateralschaden einer Rettungsaktion in Kauf zu nehmen, verstoße gegen das Recht der Unschuldigen auf Leben und es würde ihnen dadurch, dass sie nur noch als Teil einer von Terroristen eingesetzten Waffe gesehen würden, ihre Würde als Mensch aberkannt. Das Gericht hat klargestellt, dass es im Rahmen der Amtshilfe von der Bundeswehr an die Polizei keine gesetzliche Regelung geben kann, wonach der Abschuss eines Flugzeuges, in dem auch unbeteiligte Menschen sitzen, möglich ist. Hoheitliches Töten Unschuldiger, um das von Terroristen bezweckte Töten weiterer Unschuldiger zu minimieren oder zu verhindern, sei daher verfassungswidrig. Und die Urteile des BVerfGs haben Gesetzeskraft! Da nimmt es einem schier den Atem, wenn im September 2007 der Bundesminister der Verteidigung ungefragt und ohne weiteren aktuellen Anlass als den gerade abgewehrten Sprengstoffanschlag eines türkischen und zweier deutscher Konvertiten zum Islam als "homeborne terrorists" in der Öffentlichkeit davon schwadronierte, er werde ein als Bombe benutztes Flugzeug trotz des an Deutlichkeit nicht zu überbietenden Urteils des BVerfGs notfalls abschießen lassen, da er das als "übergesetzlichen Notstand" ansehe, was das BVerfG ausdrücklich verworfen hatte! Mit dem angekündigten Verfassungsbruch im Ernstfall hat der Bundesverteidigungsminister eine rote Linie überschritten! Er hat in seinem Amtseid gelobt, die Gesetze zu achten. Die Ankündigung, das nicht tun zu wollen, müsste zu seiner sofortigen Entlassung führen!
Das sehen andere Länder anders: Am 18.04.06 War ein Flugzeug der Vietnam Airlines auf dem Weg von Hanoi nach Frankfurt nicht über Funk ansprechbar. Tschechische Abfangjäger stiegen auf, um das vom Kurs abgekommene Flugzeug abzuschießen. Im letzten Augenblick sahen die Kampjet-Piloten, dass Pilot und Co-Pilot in dem Verkehrsjet schliefen; die hatten wohl den (nicht exakt arbeitenden) Autopiloten eingeschaltet.
Die vorrangige Rechtsgutsbeachtung, die die in der Notwehrhand­lung liegende tatbestandliche Rechtsgutsverletzung rechtfer­tigt, ist darin zu sehen, dass die Geltung der Rechtsordnung durchge­setzt wird und sich im gesellschaftlichen Zusammenleben nicht der unrechtmäßige Angriff behaupten können soll, wenn er abge­wehrt werden kann. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Gel­tung der Rechtsordnung die Grundlage jedes gedeihlichen Gemein­schaftslebens ist, dann ist diese Sicht der Dinge nachvollzieh­bar. "Das Leben ist der Güter höchstes nicht!" (Schiller)
Den für die Annahme einer (gegenwärtigen) Notwehrlage vorausgesetzten rechtswidrigen Geltungsangriff können Kin­der, total Be­trun­kene, Geisteskranke80 und sonstige schuldlos Handelnde nicht vornehmen, da sie nicht in der Lage sind, den von dem ein­zelnen Rechtsgut ausgehenden Achtungsanspruch zu erkennen und ihm zu folgen. Gegen ihr Handeln kann darum nur aufgrund von Not­standsüberlegungen ein Rechtfertigungs- oder (noch zu er­ör­ternder) Entschuldigungsgrund geltend gemacht werden. Notwehr oder Nothilfe aber ist gegen das Handeln im zuvor beschriebenen Sinne "Schuldloser" rechtlich nicht zulässig.
"Einbrecher erschossen

ap Passau - In Panik legte eine Frau (28) in Passau auf einen ‘Einbrecher' an. Sie traf den nackten Mann tödlich. Es handelte sich um einen 32jährigen aus Passau, der wiederholt in nervenärztlicher Behandlung war. Ihren Ehemann (33) verletzte die Täterin mit zwei Schrotkugeln."


Dass manche Frauen immer ein geladenes Gewehr neben dem Bett zu stehen haben scheinen! Wir sind doch nur von der Ex-DDR aus gesehen im Wilden Westen!

Der Frau muss und kann durch die Anwendung einer anderen Bestimmung als § 32 Notwehr geholfen werden.


Ist ein rechtswidriger Geltungsangriff vom Täter schon abge­schlos­sen oder gar abgebrochen worden, so liegt keine gegenwär­tige Notwehrlage mehr vor. Das könnte in dem nachfolgenden Beispielsfall so gewesen sein, oder der rechtfertigende Rückgriff auf § 32 Notwehr wurde z.B. deswegen versagt, weil der Täter entweder nicht mit Verteidigungswillen - sondern aus Rachegelüsten - oder zwar mit Verteidigungswillen, aber unter Überschreitung des Notwehrrahmens nicht aus Angst, sondern aus Wut gehandelt hatte, oder die Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung (eventuell wegen der Lebensgemeinschaft Ehe!) vom Gericht verneint worden ist:
"Ehemann verurteilt

dpa München - Das Schwurgericht München II hat einen Arbeiter (54) wegen Totschlags zu zwei Jahren Haft mit Bewährung verurteilt. Die Strafe wurde gegen 10.000 Mark Buße zur Bewährung ausgesetzt. Der Mann hatte seine Frau (47) erwürgt. Sie hatte ihn geschlagen und die Möbel zertrümmert. Am Tattag schleuderte sie ihm einen Gemüseeintopf ins Gesicht."


Ein nachträglicher Eingriff in die Rechtsgüter des vormaligen Angreifers wäre eine ihrerseits rechtswidrige Rachehandlung. Sie kann nach dem Wegfall der Not­wehrlage auch gar nicht mehr mit Verteidigungswillen erfolgen: Wo nichts mehr angegriffen wird, da ist auch nichts mehr zu ver­teidigen!
"Nachbarn erschossen

dpa Frankfurt - Im Streit um ein angeblich falsch geparktes Auto hat ein 71jähriger Rentner seinen Nachbarn erschossen. Das Landgericht Frankfurt verurteilte ihn zu sechs Jahren Haft wegen Totschlags. Eine Notwehrsituation habe nicht bestanden, so der Richter, da die tödlichen Schüsse das Opfer in den Rücken trafen."

Wo kriegen die Leute bei Nachbarschafts- und anderen Streitigkeiten bloß immer so schnell eine Pistole her? Der - meist unerlaubte - Waffenbesitz muss verbreiteter sein als gemeinhin angenommen!
"Ehemann erstochen - und doch frei

Bewährung für die Frau, die jahrelang gequält wurde

Nach diesem Urteil kommen Juristen wieder einmal nicht zur Ruhe, können kontrovers über Totschlag und Notwehr diskutie­ren. Der Frau, die nach jahrelangem Ehe-Martyrium am 7. Juli 1991 in Billstedt ihren Mann erstochen hatte, ist aber nur eines wichtig: Sie wird - über zwölf Wochen Untersuchungshaft hinaus - mit keinem weiteren Tag Unfreiheit büßen müssen. Das Schwurgericht verurteilte Ingeborg B.-St. (51) wegen Tot­schlags zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten mit Bewäh­rung. Das Urteil entspricht damit dem Antrag des Staatsan­walts. Das Gericht folgte dagegen nicht der Auffas­sung der Verteidigung, die in der gesamten Tat einen Akt der Notwehr sieht und auf Freispruch plädiert hatte. In ihrer ausführli­chen Begründung erwähnte die Vorsitzende Richterin Britta Schlage die außerordentlich geringe Strafe für eine Tat, die sich allerdings auch in der Nähe zu einem außerordentlichen Notstand befunden habe.

Eine Gratwanderung: Ein Mann quält, prügelt, erniedrigt seine Frau über Jahre, bringt sie an den Rand ihrer Existenz. Dann ist die Grenze erreicht. Die Frau ersticht ihren Mann, um sich vor weiterer Gewalt zu schützen. Und der Staat hat den Tod eines Menschen zu sühnen.

Das Schwurgericht hat die vier Messerstiche der Angeklagten nicht als Einheit gewertet. Der erste Stich, von vorne ins Herz, sei Notwehr gewesen, befand die Kammer. Die weiteren drei in den Rücken, erfolgt mit Verzögerung, aber so heftig, dass die Klinge den Knochen des Schulterblattes durchstieß, seien dagegen aus juristischer Sicht mit unbedingtem Tötungs­vorsatz geführt worden. Totschlag also. Zwar im minderschwe­ren Fall, auch unter Berücksichtigung von 2,3 Promille zur Tatzeit und hirnorganischen Defekten mit erheblich verminder­ter Schuldfähigkeit, aber Totschlag.

Nach dem ersten Stich - ‘anders konnte sie sich vor den unmittelbar bevorstehenden Schlägen nicht wehren', sagt die Richterin - habe noch die Möglichkeit bestanden, Hilfe zu holen, vielleicht das Leben des tyrannischen Mannes zu retten. Das Gericht meint, dieses feststellen zu müssen.

Aber diese säuberliche Trennung zwischen straffreier Notwehr und strafbarem Totschlag, wie juristisch einwandfrei auch immer, ist gemessen am Leben dieser Angeklagten nicht mehr als reine Theorie."
Ungefähr zum gleichen Zeitpunkt hat das Landgericht Lüneburg in einem „wegweisenden Urteil“ einer von ihrem Ehemann wiederholt geschlagenen und schwer misshandelten Frau Notwehr zugebilligt, als der in betrunkenem Zustand wieder einmal angriff: 51-mal hat die Ehefrau mit einem breiten Messer zugestoßen, um ihre von dem Angetrunkenen angegriffene Tochter und sich vor dem gewalttätigen Ehemann zu schützen, während ihre beiden kleinen Söhne in einem Nebenzimmer schliefen. Wie hätte sie die so schnell in Sicherheit bringen sollen, fragte sich das Gericht. Weil sie kein anderes Mittel einsetzen konnte, um den bevorstehenden Angriff abzuwehren, seien die drei Stiche in die Brust, einer davon mit tödlicher Auswirkung, von dem er aber noch einmal aufstand, und als er weiterlief in den Rücken, erforderlich gewesen, denn er hätte ja seinerseits ein Messer holen können. Der Staatsanwalt war mit dem Freispruch nicht einverstanden und legte Revision ein: Schläge dürfe frau nicht mit Messerstichen beantworten; sie wusste, dass Schläge kommen würden, es hätte «keine besondere Eskalation» gegeben.

Wegweisend kann das Urteil deswegen sein, weil nach Schätzungen des Kriminologischen Forschungszentrums Niedersachsen pro Jahr rund 1,5 Millionen Frauen von ihren Partnern tätlich angegriffen werden. Nur ein kleiner Prozentsatz von ihnen – ca. 3 % (50.000) – flieht in Frauenhäuser. Jede 10. Frau habe in einer ihrer Beziehungen Gewalt erlebt. Fast 60 % der Frauen, die ihren Partner töten – jede zweite mit dem Messer – sind von ihm zuvor misshandelt worden; teilweise jahrelang! (SPIEGEL 10.09.01)


Die Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung gebietet, nur das schonendste der geeigneten Mittel gegen den Angreifer zur Bre­chung des unrechtmäßigen Angriffs einzusetzen; soweit in Ordnung. Alles andere wäre eine nicht mehr gerechtfertigte, unter bestimmten Voraussetzun­gen höchstens entschuldigende Überschreitung der Notwehr; wie die Tat der Ehefrau des letzten Beispiels nach Zeitungslektüre auch hätte eingeordnet werden können: Warum kann nicht ein Notwehrexzess aus Furcht und Schrecken, der Angreifer käme wieder in eine Angriffsposition und schlage sie nach dem Messerstich ins Herz vielleicht tot, bevor er selber „den Löffel abgeben“ müsse, vorgelegen haben, da nach Meinung der Richterin trotz des Stichs von vorne ins Herz noch rechtzeitig medizinische Hilfe herbeirufbar gewesen sein soll?
Genau so kritisch hinsichtlich der Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung muss der nachfolgende Fall aus einer Zeitungsmeldung gesehen werden, der als die näheren Tatumstände nicht weiter schildernder Papierfall letztlich nicht zu entscheiden ist:
Liebhaber einen Monat im Schrank

Nashville - Tödliches Ehedrama in Nashville (Tennessee). Ein Liebhaber hat etwa einen Monat lang im Kleiderschrank in einem von vier Schlafzimmern eines Einfamilienhauses gewohnt. Als der gehörnte Ehemann ihn plötzlich schnarchen hörte und schließlich entdeckte, drängte der Freund der Frau den Ehemann ins Badezimmer und erschlug ihn. ap

HH A 14.04.05

Nicht so glimpflich wie die Frau, die ihren sie ständig peinigenden Ehemann erstochen hat, ist die Frau aus der folgenden Zeitungsnotiz davongekommen:
„Selbstjustiz

dpa Bochum – Eine Frau (33), die ihren Vergewaltiger (35) wenige Wochen nach der Tat in ihre Wohnung lockte und tötete, ist in Bochum wegen Mordes zu zehn Jahren Haft verurteilt worden.“


Ihre Handlung war Mord aus Rache, denn eine Notwehrlage lag einige Wochen nach der Vergewaltigung nicht mehr vor.

Ebenfalls keine Notwehr – mangels Notwehrlage – ist der Zeitungsmeldung über den nachfolgenden Fall zu entnehmen:


„Wut über SM-Sex: Frau sticht zu

Lüneburg – Das Landgericht Lüneburg hat eine 43jährige aus Munster wegen Totschlags zu sechs Jahren Haft verurteilt. Sie hatte die sadomasochistischen Sexpraktiken ihres Mannes (52) nicht mehr ertragen, ihn mit einer Flasche bewusstlos geschlagen und erstochen. (dpa)“

(HH A 21.03.05)


Ebenfalls nicht auf Notwehr, sondern auf (unerlaubte, letztlich gegen das Gewaltmonopol des Staates gerichtete) Selbstjustiz wurde auch in dem folgenden Fall erkannt, obwohl hier - im Gegensatz zu dem vorhergehenden - noch ein Rechtsgut, das gefährdete Eigentum, verteidigt wurde; aber eben unter unrechtmäßigem Mitteleinsatz:
"Autobesitzer schoss auf Dieb

Heidelberg - Er rief nicht die Polizei, sondern holte seine Pistole aus dem Schrank ...

Selbstjustiz in Deutschland: Ein 42 Jahre alter Fliesenle­ger aus Oftersheim (Baden-Württemberg) hat gestern nacht einen Autodieb durch Schüsse lebensgefährlich verletzt. Der Handwerker, der schon seit Jahren von seinem Schützenverein wegen ‘Gewalttätigkeit' ausgeschlossen wurde, hatte durch ein Fenster beobachtet, wie draußen ein Mann den Stoßdämpfer seines Autos ausbaute. Mit der Waffe in der Hand schlich er aus dem Haus, überraschte den auf dem Rücken liegenden Dieb und feuerte dreimal in dessen Brust - Lungendurchschuss! Dann ließ er den 20jährigen in seinem Blut liegen. Die Pistole warf er in einen Bach.

Ein von Nachbarn alarmierter Rettungswagen brachte den schwerverletzten Maurer in eine Heidelberger Klinik. Der Fliesenleger wurde festgenommen. Im Polizeiverhör sagte er: ‘Der Dieb wollte mich angreifen, ich fühlte mich bedroht.'“
Wie ein unter einem Auto Liegender einen vor ihm stehenden und mit einer Pistole Bewaffneten bedrohen können sollte, ist nicht erfindlich. Auf jeden Fall ist von dem Schießwütigen nicht das schonendste der geeigneten Mittel eingesetzt worden! Konsequenz: Keine Rechtfertigung durch Notwehr, sondern versuchter oder vollendeter Totschlag, wegen des vorausgegangenen Diebstahlsversuchs vielleicht in einem minderschweren Fall.
Wer durch die Notwehrhandlung gegen den Angreifer erkennbar(!) andere unbe­tei­ligte Personen in Gefahr bringt oder deren Rechtsgüter ver­letzt, muss auf Notwehrmaßnahmen verzichten, denn die Verletzung unbeteiligter Personen oder auch nur ihrer Rechtsgüter ist rechts­widrig. Der Bundesgerichtshof hat schon früher das Notwehrrecht eingeschränkt, wenn der Täter sich planmäßig in eine tätliche Auseinandersetzung mit seinem Gegner eingelassen habe. Dann komme ein entschuldigtes Überschreiten der Notwehr nicht in Betracht. In einem ähnlich gelagerten Fall hat der BGH das Notwehrrecht selbst erheblich eingeschränkt (Aktenzeichen 5 StR 493/93). Der Fall:
Bei einer Prügelei in einem Lokal war der Angeklagte von einem 'weit überlegenen' Gegner besiegt und nicht unerheblich verletzt worden. Er musste unter Zurücklassung 'seiner gesamten Oberbekleidung' fliehen. Nachdem ein Kumpel seine Jacke aus dem Lokal geholt hatte, vermisste das Prügeleiopfer einen Betrag von 16.000 DM, der sich in der Jacke befunden hatte. Um seinen Gegner zur Rückgabe des Geldes zu zwingen, betrat der Angeklagte mit einem abgesägten, geladenen Schrotgewehr wieder das Lokal. Das Gewehr leicht nach unten auf die Beine des Gegners gerichtet, forderte er das Geld zurück. Dieser zog eine neben ihm stehende, unbeteiligte Person als 'Schutzschild' vor sich und schoss mit der anderen Hand aus einem Revolver zweimal in Richtung auf den Angeklagten. Ein Schuss traf eine zufällig bei dem Angeklagten stehende Person tödlich. Der Angeklagte riss sein Gewehr hoch und schoss aus einer Entfernung von nicht mehr als vier Metern zweimal gezielt in Richtung auf den Gegner und die vor ihn gestellte Person, die tödlich getroffen wurde. Der hinter seinem »Schutzschild« stehende Gegner erlitt nur oberflächliche Gesichtsverletzungen und konnte fleihen.

Das Landgericht sah die Eröffnung des Schusswechsels durch den Gegner und vermutlichen Dieb als rechtmäßige Notwehrmaßnahme an. Unter dieser Voraussetzung habe dann der Angeklagte rechtswidrig gehandelt, weil es gegen rechtmäßige Notwehr anerkanntermaßen keine Notwehr gebe.

Der BGH sah das jedoch anders: Der zur Rede Gestellte habe nicht sofort auf den Angeklagten schießen dürfen; sein Notwehrrecht sei mit Rücksicht auf seinen eigenen vorwerfbaren Beitrag zur Entstehung der Situation eingeschränkt gewesen. Nachdem er den Angeklagten schwer provoziert und auch erheblich verletzt hätte, habe er zunächst seine Bereitschaft bekunden müssen, mit dem Angeklagten über den Verbleib des Geldes zu verhandeln. Der Angeklagte habe durch seine Aufforderung, das Geld herauszugeben, und dadurch, dass er seine Waffe - nur - auf die Beine und nicht auf den Oberkörper des Gegners gerichtet habe, zu erkennen gegeben, dass er eine Antwort erwarte. Er sei an der Herausgabe des Geldes, nicht aber an einer 'Hinrichtung' des Gegners interessiert gewesen. Nach der dargestellten BGH-Ansicht waren die Schüsse des Zur-Rede-Gestellten auf den Angeklagten nicht durch Notwehr gerechtfertig.

Aber auch der Angeklagte habe nach Ansicht des BGH nicht in rechtmäßiger Notwehr gehandelt: Der Angeklagte habe zumutbare Möglichkeiten gehabt, den Schusswechsel zu vermeiden. Er habe aber die Möglichkeit erkannt und billigend in Kauf genommen, dass sein Verhalten einen Schusswechsel unter besonders gefährlichen Umständen - Gefährdung des Lebens Dritter durch Schrotgeschosse in dem kleinen und stark besuchten Lokal - herbeiführen könnte. Wegen seines rechtswidrigen 'Vorverhaltens' sei das Notwehrrecht des Angeklagten ebenfalls eingeschränkt gewesen.

Zwar hielt der Senat an der ständigen Rechtsprechung des BGH fest, dass auch vorsätzliche Provokation der Notwehrlage dem Betroffenen das Notwehrrecht nicht vollständig nimmt. Jedoch seien an den Täter umso höhere Anforderungen im Hinblick auf die Vermeidung gefährlicher Konstellationen zu stellen, je schwerer die rechtswidrige und vorwerfbare Provokation der Notwehrlage wiege.

Der Bundesgerichtshof hat die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts, das ihn (vor allem) wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt hat, in vollem Umfang verworfen. Selbst gegen den strafverschärfenden Hinweis des Tatrichters, dass die Rechtsordnung 'Wildwest-Methoden' der Selbstjustiz aus Gründen sowohl der Generalprävention wie auch der Verteidigung der Rechtsordnung entgegentreten müsse, hat der Bundesgerichtshof keine rechtlichen Bedenken geäußert und die Beurteilung so akzeptiert.

Erstaunen erregt nach dem bisher Gesagten die Argumentation des LG: Wenn der Gegner noch das gestohlene Geld hatte, dann war die Straftat des Diebstahls zwar schon vollendet, aber noch nicht beendet. Dann muss dem Angeklagten ein Notwehrrecht grundsätzlich zunächst zugestanden haben, auf das er aber verzichten musste, als er sah, dass er mit seiner Schrotflinte in dem engen und vollen Lokal Dritte, insbesondere die als Schutzschild benutzte Person, gefährden werde. Auch die Schüsse auf ihn können seine Handlung dann nicht rechtfertigen.

Mit der gleichen Argumentation scheidet nach meinem Verständnis aber auch das dem Gegner von dem Landgericht befremdlicherweise grundsätzlich zuerkannte Notwehrrecht aus, da auch er mit seiner Tathandlung erkennbar das Leben unbeteiligter Dritter (leider nicht nur) gefährdete.


"Fünf Jahre für Todesschützen

Der 21 Jahre alte Halit A., der im Mai 1992 einen Mann in der Disco ‘Top 10' erschossen hat, ist wegen Totschlags, gefährlicher Körperverletzung und unerlaubten Waffenbesitzes zu fünf Jahren Jugendstrafe verurteilt worden. Halit A. war im 'Top 10' in einen Streit geraten, beschimpft und zu Boden gedrängt worden. Darauf zog er seine Waffe und schoss, so der Vorsitzende Richter Günther Olters in seiner Urteilsbegründung, 'ungezielt in die Gruppe und nahm Verletzungen anderer billigend in Kauf'."


Dem Angegriffenen bleiben aber im ärgsten Fall oft noch die Notstandsmöglichkeiten, insbesondere die des (bei den Entschuldigungsgründen zu erörternden) entschuldigenden Not­standes.
Es war herausgestellt worden, dass für die Annahme einer durch Notwehr gerechtfertigten Handlung nicht in Rechtsgüter unbeteiligter Dritter eingegriffen werden dürfe. Wer durch die Notwehrhandlung gegen den Angreifer erkennbar(!) andere unbeteiligte Personen in Gefahr bringt oder deren Rechtsgüter verletzt, muss auf Notwehrmaßnahmen verzichten, denn die Verletzung unbeteiligter Personen oder auch nur ihrer Rechtsgüter ist rechts­widrig.

Wird nicht erkennbar in die Rechtsgüter eines unbeteiligten Dritten eingegriffen, wird - im Gegensatz zum vorstehenden Fall - z.B. nicht die Verletzung Unbeteiligter billigend in Kauf genommen, indem ungezielt in eine Gruppe geschossen wird, und ist gar keine Potentialität, keine Erkennbarkeit hinsichtlich einer möglichen Verletzung eines Rechtsgutes gegeben, so liegt kein Unrecht, sondern ein Unglück vor.


Notwehr

Polizistin (23) erschießt zwei Brüder

HA München – Es begann als Routineeinsatz – und endete mit einem tödlichen Drama: Eine 23jährige Polizistin hat in München zwei Brüder erschossen. Der eine – der hochgradig schizophrene Robert T. (48), der unter Verfolgungswahn litt – griff sie mit einem Brotmesser an. Der ältere Bruder Leon T. (51) erschien zum falschen Moment im Flur. So kam es, dass ein einziges Polizeigeschoss beide tötete. Alles begann am Sonnabend um 08.40 Uhr. Leon T. alarmierte die Polizei, weil sein Bruder drohte, sich mit einem Messer die Pulsadern aufzuschneiden. Er hatte sich bereits acht tiefe Schnitte am Unterarm zugefügt. Als Dienstranghöchste leitete die 23jährige den Einsatz. Als sie mit zwei Kollegen am Tatort eintraf, stand Robert T. im zweiten Stock an der Treppe, fuchtelte mit seinem Messer herum und schrie: ‘Laßt mich in Ruhe, sonst bringe ich mich um!‘

Robert T. ging in die Wohnung zurück und fiel dort über seinen Bruder her. Kriminaloberrat Udo Nagel: ‘Er schrie um Hilfe. Jetzt mussten die Beamten handeln, sonst hätten sie sich strafbar gemacht.‘ Die Polizisten traten die Tür ein, und als Robert T. im düsteren Wohnungsflur mit erhobenem Messer auf die Polizistin losging, feuerte die Beamtin einen Schuss ab. Das Projektil durchschlug Robert Ts Brust, doch er lief weiter. Die Beamtin feuerte ein zweites Mal. Dieses Projektil durchschlug Robert Ts Unterlippe, trat am Hinterkopf wieder aus – und traf den Bruder, der völlig unerwartet hinter ihm erschienen war, in die Schläfe über dem rechten Auge. Leon T. war sofort tot. Sein Bruder starb kurz danach im Krankenhaus. ...“


„Mann stürzt mit Säge – Frau tot

London – Ein Mann (56) ist in London mit laufender Motorsäge vom Baum gefallen und hat dabei seine Ehefrau getötet. Er hatte das Gleichgewicht verloren und war mit der Säge direkt auf die Frau gestürzt. Der Mann kam mit einem schweren Schock ins Krankenhaus. (dpa)“

(HH A 05.08.04)




2.2.2 Anwendungsfall und Besprechung

Fall 56


Tankstellenräuber erschießt Rocker und verletzt einen anderen schwer

Der Tankstellenräuber T wurde nach seinem unter Einsatz von Waf­fengewalt verübten Raubüber­fall auf eine Tankstelle an an­de­rer Stelle der Stadt in einem einsamen Park von zwei jugend­li­chen Halbstarken überfallen, die glaubten, zwar einzeln halb, zu­sammen aber ganz stark zu sein. Die Rocker meinten, sich mit einem ihnen unterlegen erscheinenden Passanten einen »Spaß« erlauben zu müssen. Sie schlugen T zusammen. Dem schwerver­letzt am Boden liegenden T gelang es, seine Pistole zu ziehen, mit der er zuvor den Tankstellenwärter bedroht und beraubt hat­­te. Als ihn die beiden Rocker erneut angriffen, erschoss T den Rocker R 1 und verletzte den anderen Rocker R 2 lebensge­fähr­lich.


Lösungsskizze:

(A) Die Strafbarkeit von R 1 wird nicht mehr untersucht. Für den ist in erster und nunmehr allerletzter Instanz ein anderer Richter zuständig.

(B) Strafbarkeit des R 2

An der Strafbarkeit von R 2 wegen des Vergehens einer gefähr­li­chen Körperverletzung gemäß § 223 a - schon allein wegen der ge­meinschaftlichen Begehung - ist nicht zu zweifeln.

(Die Prüfung wird an dieser Stelle aber nicht exemplarisch vor­geführt, weil dafür weitere, erst noch zu erarbeitende Kenntnisse des Prüfungsschemas erforderlich sind.)
Hat sich aber auch T strafbar gemacht?
(C) Strafbarkeit des T

(I) T erschießt R 1, als der mit R 2 weiter auf ihn einschlagen will.

(1) Zu prüfen ist ein Verbrechen des Totschlags gemäß § 212.

(a) UTB


Die Anwendung des UTB des § 212 erfordert, dass ein (anderer) Mensch getötet wurde. Das hat T getan, als er R 1 erschoss. Eine Handlung als gewolltes Tun liegt in dem Durchziehen des Ab­zugs­bügels der Pistole vor. Sie führte zu der tatbestandlichen Rechtsgutsverletzung: In dem Tod des R 1 realisierte sich die durch den gezielten Schuss des T geschaffene Gefahr. Der einge­tretene Todeserfolg ist damit der Handlung des T objektiv zu­zu­rechnen.

Ergebnis: Der UTB des § 212 ist erfüllt.

(b) RF

Die festgestellte Rechtsgutsverletzung kann aber gerechtfer­tigt sein, wenn dem T ein Rechtfertigungsgrund zur Seite stand. Nach Lage des Falles kommt Notwehr in Betracht.



Notwehr ist die in einer gegenwärtigen Notwehrlage mit Vertei­di­gungswillen vorgenommene erforderliche Verteidigungshand­lung.

Der - gemeinsam vorgetragene - Angriff von R 1 und R 2 war ein rechtswidriger Geltungsangriff. Er war gegenwärtig. Das Vor­liegen einer Notwehrlage ist somit zu bejahen. T handelte auch mit Verteidigungswillen, als er auf R 1 (und R 2) schoss. Für den schwerverletzt am Boden liegenden T ist der Gebrauch seiner Pistole gegen die ihn erneut angreifenden R 1 und R 2 als erforderliche Verteidigungshandlung zu werten. Ein schonenderes Mit­tel zur Abwehr des rechtswidrigen Angriffs stand ihm nicht mehr zur Verfügung. T handelte somit in Notwehr.

Ergebnis und Endergebnis: Es liegt keine Straftat des T i.S.d. § 212 vor, denn das (zunächst nur) tatbestandliche Unrecht der Tötung des R 1 ist durch das Ein­greifen des Rechtfertigungsgrundes der Notwehr aufgehoben.
(II) T verletzt R 2 durch einen Pistolenschuss schwer.

Bezüglich der Prüfung

(1) eines versuchten Totschlags gemäß §§ 212, 22, 23 oder

(2) einer vollendeten gefährlichen Kör­perverletzung gemäß § 223 a in der Begehungsform "mittels einer Waffe" gilt das zu (I) Ausgeführte entsprechend. Die Hand­lung war durch Notwehr gerechtfertigt.


(III) T bedrohte einen Tankstellenwärter mit einer Pistole und beraubte ihn.

(1) Zu prüfen (und von einem Fallbearbeiter zu bejahen) ist schwerer Raub gemäß § 250 I Nr. 1. (Kann hier noch nicht weiter ausgeführt werden, bevor nicht das Prüfungsschema vollständig erarbeitet ist.)

(2) Zu prüfen ist für Staatsanwaltschaft (StA) und Gericht au­­ßer­dem ein möglicher Verstoß gegen einschlägige Bestimmun­gen des Waffengesetzes (z.B. § 52 a WaffenG), wenn T die Pistole unerlaubt besessen ha­ben sollte.


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