Revolution für die Freiheit



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Madrid, September 1936


Einige Tage vor der Bildung der Volksfrontregierung unter dem Sozialisten Largo Caballero trafen wir in Madrid ein. Die politische Atmosphäre unterschied sich von der in Barcelona grundlegend, da hier die Sozialistische Partei und die von ihr beeinflußte UGT den Ton angaben. Das Straßenbild der Hauptstadt war dafür ein ausgezeichnetes Barometer. Hier überwogen die roten Fahnen, die roten Mützen und Armbinden bei weitem; manchmal trugen die roten Fahnen Hammer und Sichel. Die Spanische Kommunistische Partei war noch schwach, ihr Anteil an der Niederwerfung des Militärputsches kaum ins Gewicht gefallen. Jetzt aber konnte sie dank der russischen Hilfe mit einem raschen Wachstum rechnen. Auch in Madrid basierte die Milizarmee noch auf Freiwilligkeit und gliederte sich in politische Richtungen auf. Sozialisten, Republikaner, Kommunisten, Anarchisten und die POUM hatten ihre eigenen militärischen Einheiten. Doch in Madrid war der Einfluß der Zentralregierung deutlich spürbar. Die Volksfrontregierung setzte sich aus Sozialisten, Kommunisten und Republikanern zusammen; Anarchisten und Poumisten waren darin nicht vertreten. Die Regierung unternahm Anstrengungen, um eine straffere militärische Führung, eine Art Oberkommando zu schaffen, stieß aber auf starke Widerstände. Der betont revolutionäre Charakter, der Barcelona prägte, trat in Madrid mehr in den Hintergrund. Die Enteignung der Bourgeoisie hatte sich hier auf die Beschlagnahme von Betrieben und Gütern beschränkt, deren Besitzer geflüchtet waren. Wer sich der Republik ehrlich zur Verfügung stellte, wurde nicht enteignet, eine Arbeiterkontrolle der Gewerkschaften überwachte in diesen Fällen das reibungslose Funktionieren. Auf dem flachen Lande bot sich allerdings ein anderes Bild. Der Boden war kollektiviert und in den Händen der Bauern. Die Mehrheit der Landarbeiter stand unter anarchistischem Einfluß. Außerhalb der Hauptstadt, ja bereits in den großen Vororten mit Arbeiterbevölkerung herrschten fast unumschränkt die lokalen Komitees der Gewerkschaften, der Parteien und der Miliz; ohne ihre Erlaubnis war nichts zu unternehmen, auch Erlasse der Regierung wurden nicht beachtet.

Mit den Papieren der katalanischen Regierung und des zentralen antifaschistischen Milizkomitees präsentierten wir uns auf dem Kriegsministerium. Die Organisation der Kriegskorrespondenten, von denen es knapp ein Dutzend in Madrid gab, lag in den Händen von Miguel, einem schweigsamen, undurchsichtigen, aber seine Arbeit beflissen ausführenden Berufsoffizier. Er verfügte über einen kleinen Wagenpark mit Chauffeuren, den die Korrespondenten unter der Bedingung benützen konnten, dem Capitán nach jedem Frontbesuch einen Bericht über den besichtigten Frontabschnitt zu liefern. Capitán Miguel wies uns im Hotel Savoy Quartier an; dort sollten wir auch verpflegt werden. Das Hotel war von der Miliz requiriert. Wir meldeten uns in der Kantine des Hotels, wo man uns erklärte, Verpflegung werde nur gegen Eßcoupons der Miliz abgegeben. Wir mußten die Bons einige Straßen weiter in einer Kirche abholen, die in ein Lebensmitteldepot umgewandelt worden war. Wir speisten mit den Milizionären zusammen und hörten aus deren turbulenten Unterhaltungen heraus, daß sie eine Höllenangst vor den «Moros» hatten. Über die Grausamkeit dieser marokkanischen Truppen gingen zahlreiche Gerüchte um. Als Ehepaar erhielten wir ein Zimmer für uns allein, die Milizionäre schliefen auf Strohsäcken, Betten und Decken in den Hotelzimmern. Obwohl die Milizionäre oft von der Front zurückkamen, herrschte eine tadellose Sauberkeit im ganzen Hotel.



Es drängte uns nun zu einem ersten Frontbesuch. Die Nachrichten waren schlecht, der Feind rückte überall gegen Madrid vor. Die erste Fahrt unternahmen wir weit über Toledo hinaus nach Talavera de la Reina, wo der Vormarsch der Franquisten besonders fühlbar war. Unser Chauffeur, ein kleiner, sehniger Andalusier mit einem riesigen Revolver, wagte sich nicht zu weit vor. Er fuhr uns ins Hauptquartier, ziemlich weit hinter der Font. Dort empfing uns sehr höflich der kommandierende General Asensio, ein Soldat der alten Schule; er offerierte uns Bonbons, die er selbst eifrig lutschte. Auf einer großen Landkarte zeigte er uns die «Frontlage» und behauptete, der auf der Gegenseite kommandierende General sei sein Bruder. Außer dieser pikanten Einzelheit ernteten wir keine weiteren Informationen. Schließlich konnten wir unseren widerstrebenden Wagenfahrer überreden, uns weiter nach vorne zu kutschieren. Ohne vom Feind etwas zu hören oder zu sehen, gelangten wir weit über Talavera de la Reina hinaus. Das Städtchen wimmelte von Truppen aller Parteirichtungen, die großen Straßenzüge waren von riesigen Barrikaden versperrt. Sobald wir ein Dorf oder ein Städtchen verließen, wähnte man sich im tiefsten Frieden. Wo war da Krieg? Es gab weder Schützengräben, Patrouillen noch irgendwelche Stellungen. Immer wieder knüpften wir mit den Milizionären hinter den Barrikaden in den Dörfern Gespräche an, erkundigten uns nach der «Front». «Da, wo geschossen wird», erklärten sie lachend. «Warum sind lediglich die Dörfer und Städte bewacht? Der Gegner braucht doch nur daran vorbeizumarschieren», fragten wir ahnungslos. Und jedesmal lautete die Antwort: «So etwas gibt es bei uns in Spanien nicht, wir führen den Krieg um unsere Häuser.» Auf dem Rückweg kamen wir durch das von den republikanischen Truppen besetzte Toledo. Rund um die Felsenfestung des Alcazar war ein Kordon von Barrikaden und besetzten Häusern gezogen. Die Belagerten schossen sich mit der Miliz in der Stadt herum. Anfang September begannen zahlreiche ausländische Korrespondenten in Madrid einzutreffen. Die Kriegsberichterstattung organisierte sich, die Regierung richtete eine Zensurbehörde ein, der die Auslandsnachrichten unterbreitet werden mußten. Viele der Journalisten reisten direkt aus Moskau an; beinahe ausnahmslos waren sie Parteikommunisten oder Mitläufer. Die Berichterstatter wurden zusammengefaßt und alle im Hotel Gran Via im Zentrum von Madrid untergebracht. Vorbei war es mit den schönen Tagen im Hotel Savoy, wo wir ständig unmittelbaren Kontakt mit den Milizionären gehabt hatten. Für uns bedeutete die Maßnahme eine einschneidende Änderung, unsere Bewegungsfreiheit schränkte sich ein, wir ahnten Schwierigkeiten. Sie blieben auch nicht aus. Beim ersten gemeinsamen Abendessen der Korrespondenten im Hotel knüpften wir Bekanntschaft mit dem deutschen Schriftsteller Gustav Regler an; Regler schrieb Berichte für die «Deutsche Zeitung» in Moskau. Bedingungslos unterstützte er die Stalin‘sche Politik, beurteilte die Moskauer Schauprozesse als verdiente Abrechnung mit Verrätern und Spionen. Von ihm unzertrennlich war der deutsche Kommunist Stern; ihre Gespräche lebten von der Hoffnung auf die einsetzende russische Hilfe, von überquellender Begeisterung über Stalins geniale Politik. Keinen Moment zweifelten die beiden am Sieg. Der Amerikaner Louis Fisher schrieb für die «Nation», er repräsentierte den damals häufigen Typ des Fellow-travellers, der, wenn auch ausgeglichener und reservierter, die russische Politik unterstützte. Von Zeit zu Zeit tauchte das fahle Mondgesicht von Michael Kolzow, dem Korrespondenten der «Prawda», auf. Kolzow verfügte in Madrid über eine eigene Wohnung und über beste Beziehungen zu den damals schon anwesenden russischen Technikern und Offizieren. Auch Franz Borkenau war dort - übrigens der einzige, mit dem wir offen reden konnten. Er warnte uns vor allzu freien Meinungsäußerungen, da Stalin bereits begonnen habe, seinen Polizeiapparat in Spanien aufzubauen. Borkenau wußte, daß wir längere Zeit der trotzkistischen Richtung angehört hatten. Das taten wir (offiziell) noch und doch schon nicht mehr; der ideologische Bruch war für uns bereits zu tief, um uns noch als Mitglieder der Vierten Internationale zu betrachten. Wir glaubten nicht mehr an die «verratene Revolution», an die sozialistischen Grundlagen der Oktoberrevolution. Für uns war mit Stalins Herrschaft die offene Konterrevolution ausgebrochen. Von freien Sowjets bestand in Rußland nichts mehr, dafür gab es ein mit Terror wie geschmiert funktionierendes Einparteiensystem. Und dann Kronstadt: Immer wieder hatten wir versucht, die Erklärungen Trotzkis zu verstehen, aber es wollte nicht gelingen. Es gab keine plausible Erklärung für die plötzliche Umwandlung der revolutionären Matrosen von Kronstadt in wilde Gegenrevolutionäre. Nein, diese Männer hatten sich gegen den Parteienterror der Bolschewiki erhoben, sie wollten freie Sowjets, in denen sich alle Parteien und Richtungen ungehindert äußern konnten. Darüber, über die Schauprozesse und die Massendeportationen in die Konzentrationslager Sibiriens, entzweiten wir uns endgültig mit den Trotzkisten. Diese geistige Haltung hätten die von Stalins Gnaden befeuerten Journalisten nie verstehen können. Schon an einem der ersten Abende kam es zum Disput.

Mit viel Verve und Erbitterung griffen Stern und Regler den Sozialisten Leon Blum an, der als französischer Ministerpräsident den ominösen Nichtinterventionspakt zusammen mit England veranlaßt hatte. Die Kritik war um so berechtigter, als bereits bekannt war, daß Hitler und Mussolini Francos Truppen massiv unterstützten. Deutsche und italienische Flugzeuge beherrschten den Luftraum um Madrid, italienische Truppen waren in Cadiz gelandet. Ich fand die Angriffe gegen Blum zu primitiv und schaltete mich ein. «Ihr habt tausendmal recht, Blum anzugreifen, doch ist er der Alleinschuldige?»

«Was soll das heißen?» riefen Stern und Regler entrüstet. «Nun, wir haben doch in Frankreich eine von den Kommunisten unterstützte Volksfrontregierung, wie sie sich für die baldige Zukunft auch hier in Spanien abzeichnet. Die französischen Arbeiter besetzen die Betriebe, zwingen die Unternehmer zu großen sozialen Zugeständnissen. Doch weiter geht ihr Kampfwille nicht. Fast drei Monate steht Spaniens Volk nun schon im schwersten Abwehrkampf, ohne daß sich die französischen Arbeiter gerührt hätten. Nicht ein einziger Solidaritätsstreik hat stattgefunden. Die Arbeiter, die mit den Fabrikbesetzungen die Unternehmer in die Knie zwangen, sollen nicht stark genug sein, um die Regierung Blum zu zwingen, die Grenzen zu öffnen, materielle und politische Hilfe zu leisten?»

Einige Minuten Schweigen, dann brach der Sturm los, alle redeten durcheinander. Borkenau starrte betroffen auf seinen Teller. «Unerhört, es sind doch die Führer, die die Arbeiter am Handeln hindern! Zudem haben wir auf Veranlassung der Kommunistischen Partei bereits französische Freiwillige hier!» schrie mir Regler empört entgegen.

Langsam ebbte die Erregung ab. Doch Clara und ich waren fortan suspekt. Das hinderte Regler keineswegs, Clara aufdringlich den Hof zu machen, wobei es zu komischen Intermezzos kam. Es gab im Hotel zwei Aufzüge; fuhren wir nach dem Essen auf unser Zimmer, so drängte sich Regler jedesmal in den Lift, den Clara benützen wollte. Im letzten Moment entschlüpfte sie, und verärgert fuhr er allein hinauf. Eines Morgens tranken wir an der Hotelbar unseren Kaffee. Ein uns unbekannter Journalist kam herein, der sich sofort für Clara interessierte. Er stellte sich vor: Arthur Koestler. Koestler kam gerade aus Sevilla, im letzten Augenblick hatte er das republikanische Lager erreichen können. Koestler schrieb für den «Manchester Guardian». Lebhaft und geistreich schilderte er uns, wie er den in Sevilla kommandierenden Franco-General Queipo de Lano auf eine Art interviewt hatte, die diesen sturen und dummen Haudegen vor aller Welt bloß stellte. (Koestler sollte das Interview teuer bezahlen. Der faschistische General hatte geschworen, diesen Kerl am nächsten Baum aufzuhängen, falls er ihn je erwische. Bei der Eroberung von Malaga geriet Koestler in die Hände der Franco-Truppen, kommandiert von Queipo de Lano. In seinem «Spanischen Testament» hat er ein erschütterndes Dokument hinterlassen.)

Rasch hatte sich die Nachricht verbreitet, Talavera de la Reina, das wir wenige Tage vorher noch besucht hatten, sei gefallen. Wir wollten nochmals in die Gegend fahren, um uns zu vergewissern. Die Chauffeure von Capitán Miguel, von denen uns einige gut kannten, liebten uns nicht sonderlich. Sie hatten keine große Lust, für unsere, wie sie fanden, viel zu kühnen Frontexpeditionen ihre Haut zu Markte zu fahren. Nach einigen Verhandlungen ließ sich Jose, der uns das erste Mal nach Talavera gebracht hatte, ein zweites Mal überreden. Wieder ging es an Toledo vorbei. Hinter der Stadt drosselte Jose das Tempo beträchtlich, reckte seinen dünnen Hals nach rechts und links. Es war nichts zu sehen und zu hören. Silbern leuchteten die Olivenbäume in der herbstlichen Sonne. Vorsichtig nahm Jose eine scharfe Kurve auf dem etwas schmalen Weg, stoppte unverhofft. Zwei dicht mit Milizionären besetzte Lastwagen näherten sich langsam. Hinter den Wagen, zur Seite, zu Fuß und auf Eseln, eine Kolonne Menschen in wilder Flucht.

«Los Moros, los Moros!» schrien uns die Männer entgegen. Wir stiegen aus. Mit einer raschen Bewegung riß Clara dem verdutzten Jose den Revolver aus dem Gürtel, sprang vor die Männer, und die Waffe schwenkend, rief sie laut: «Atras» (Zurück). Wie von Zauberhand gebannt, blieb alles stehen, starrte fasziniert auf die blonde Frau, die ihnen den Weg versperrte. Sie redeten und gestikulierten durcheinander, umringten uns. Wir alle drei, auch Jose war mutig genug, beruhigten die Männer, wiesen darauf hin, daß kein Schuß fiel, weit und breit keine Mauren zu sehen seien. Hingegen seien doch hier ein kleiner Fluß und Anhöhen, gut geeignet für eine Verteidigung. Allmählich kehrte Ruhe ein und die Vernunft zurück. Einige beherzte Milizionäre übernahmen das Kommando, verteilten ihre Leute zu beiden Seiten des Flusses, postierten sie hinter Felsbrocken und Olivenbäumen. Die Lastwagen wurden auf der Straße quergestellt. Die Panik war vorbei. Jose, verlegen und beschämt, zugleich stolz, die Flucht seiner Landsleute gebremst zu haben, nahm seine Waffe wieder in Empfang. Wir machten kehrt, wollten rasch Capitán Miguel informieren. Auf dem Rückweg mußten wir die Straße für drei Autobusse freigeben, die mit einigen Offizieren, Milizionären und Abgeordneten der Cortes auf der Suche nach der Front waren. Unter ihnen befand sich die sozialistische Abgeordnete Marguerita Nelken. Wir berichteten kurz über unser Erlebnis, dann fuhren die drei Busse bis zum Schauplatz weiter.


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