Revolution für die Freiheit



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Rund um den Alcázar


Wird Toledo in die Hände Francos fallen, oder werden die republikanischen Truppen die Festung Alcazar vorher erobern? Die Bedrohung Toledos erhöhte sich täglich, es war ein Wettlauf mit der Zeit. Mit dem kubanischen Journalisten Brea, dessen Sprachkenntnisse für uns wertvoll waren, fuhren wir wieder nach Toledo. Mitten in der Stadt, auf einer Anhöhe tief in den Fels gemauert, ragte der Alcazar empor, die Militärschule der Kadetten. Die dort verschanzten Rebellen — Kadetten, Offiziere, Guardia Civil - hatten bisher jeden Angriff abgeschlagen. Die Belagerten wurden durch die Luft, wahrscheinlich von deutschen Flugzeugen, verproviantiert. Die Stadt befand sich in den Händen der Republikaner. Rund um die Festung, in Häusern, auf Dächern, hinter Straßenbarrikaden, schossen sich die Milizionäre mit einem unsichtbaren Gegner herum. Da lagen und standen sie hinter den Barrikaden in ihren buntscheckigen Fantasieuniformen: rote Hemden, rot-schwarze Hosen und Halsbinden, Baskenmützen oder breite Sombreros tragend, knallten die Männer von Zeit zu Zeit ihre Büchsen ab. Hinter den Barrikaden kochten sie sich am Holzfeuer ihren Kaffee, in den Schenken der Umgebung klatschten die Dominosteine auf die Marmortische.

In den dem Alcazar ferner gelegenen Stadtteilen war es ruhig. Wäre nicht das Artillerie- und Gewehrfeuer gewesen, so hätte man sich vor der hohen, majestätischen Kathedrale im tiefsten Frieden gewähnt. Kinder spielten auf der Straße, Frauen wuschen ihre Wäsche am Trog, besorgten ihre Einkäufe, Katzen räkelten sich träge in der warmen Sonne.

Wie überall zerfielen die republikanischen Einheiten in politische Richtungen; es gab bürgerliche Republikaner, Anarchisten, Sozialisten, Kommunisten. Ein Oberkommando war nicht festzustellen. Immerhin traten die militärischen und politischen Führer von Zeit zu Zeit zu einem Kriegsrat zusammen, mühten sich um bessere Koordination, um wirksamere militärische Aktionen. Wir durften an einem solchen Kriegsrat teilnehmen. Es gab unüberwindliche Probleme zu bewältigen. Der völlige Mangel an schweren Waffen, zum Beispiel Artillerie, und an Flugzeugen verhinderte eine gemeinsame, aussichtsreiche Unternehmung. Die Rivalitäten zwischen den verschiedenen politischen Gruppen verbesserten die Atmosphäre nicht. Wohl standen auf einem Hügel vor der Stadt zwei alte, leichte Feldgeschütze, die alle zehn Minuten losböllerten - mit viel Lärm und ohne Wirkung. In langen, stürmischen Verhandlungen, die wir dank Breas Dolmetschen gut verstanden, begriffen wir, um welche Schwierigkeiten es ging. Die in der Festung eingeschlossenen Rebellen hatten bei ihrem Rückzug aus der Stadt eine erhebliche Zahl von Zivilpersonen, Frauen, Kinder, Männer, als Geiseln mitgeschleppt. Konnte man das Leben dieser Gefangenen aufs Spiel setzen? Alle bisherigen Verhandlungen waren ergebnislos geblieben, die Angehörigen dieser Gefangenen indes für größere Aktionen nicht zu haben. Trotzdem beschloß der Kriegsrat, unter der Festung einen Tunnel zu graben und in die Mauern mit Dynamit eine Bresche für einen Angriff zu sprengen.

Wir gingen mit Brea zur «Artillerie» vor den Stadtmauern. Wie immer fühlten sich die spanischen Milizionäre durch die Anwesenheit von Ausländern geehrt. Sie wollten ihre Kriegskunst und ihre Grandezza vorführen. Kaum waren wir bei den Geschützen angelangt, kam der befehlende Offizier zu uns und ließ sofort schneller schießen. «Will uns die Senorita das Vergnügen machen und selbst einen Schuß abfeuern?» sagte er mit eleganter Verbeugung zu Clara. Lachend willigte sie ein. Die Kanoniere bereiteten alles vor, dann gab ihr der Offizier die Zündschnur in die Hand, kommandierte laut «Fuego», und der Schuß krachte los.

Der Offizier lud uns gleich zum Mittagessen ein. Ab zwölf Uhr war, wie überall üblich, der Krieg bis vier Uhr zu Ende. Die Mittagspause wurde geheiligt; es dauerte monatelang - Marokkaner, Fremdenlegionäre, deutsche und italienische Truppen hielten sich nicht an diese Tradition -, bis die Spanier sich an den «ununterbrochenen Krieg» gewöhnten.

Im Kriegsrat hatten wir gehört, die asturischen Bergarbeiter, von denen eine Gruppe in Toledo weilte, die «dinamiteros», würden am Abend ein Unternehmen starten. Wir wollten dabei sein. In einer Weinschenke verfolgten wir die Vorbereitungen. Ein halbes Dutzend Männer stopften Konservenbüchsen mit Dynamit voll und befestigten ihre Zündschnüre. Jeder hängte sich zwei bis drei Büchsen an den Bauchriemen, dann zogen wir mit ihnen los. Vorerst ging es durch einige leerstehende Häuser, vorsichtig durch Hinterhöfe, wir überkletterten ein paar Mauern und stiegen zuletzt durch eine Dachluke auf ein Hausdach. Schweigend, jeden Lärm vermeidend, krochen wir mit ihnen über mehrere Dächer, uns näher und näher an den Alcazar heranpirschend. Hinter einem Kamin auf hohem Giebeldach blieben wir liegen. Von hier konnten wir hinter die Mauern der Festung blicken. Im Schutze des Kamins wurden die Zündschnüre angesteckt. Eine Minute später flog im hohen Bogen die erste Büchse durch die Luft. Es gab einen Donnerkrach, sofort wurden wir unter Gewehrfeuer genommen. Eine Konservenbüchse nach der anderen landete hinter den Festungsmauern, die Explosionen rissen nicht ab. Die Aktion war geglückt, befriedigt zog sich alles zurück.


Siguenza


Mit Brea unternahmen wir eine Fahrt nach Siguenza. Nachrichten zufolge sollten dort italienische Truppen im Vormarsch sein. Das Städtchen war noch von den legalen Truppen besetzt. Unsere Frage nach der Front wurde ausweichend beantwortet, mit einer Handbewegung nach vorne. Deutlich hörten wir in der Ferne Kanonendonner. Links und rechts der Hauptstraße nach Zaragoza lagen Milizionäre in kaum knietiefen Schützengräben, Gewehr im Anschlag. Es war eine anarchistische Hundertschaft, Bauern aus der Provinz unter dem Kommando einer Frau, Mica Etsdoebehere. Ihr Mann war vor wenigen Tagen in einem Gefecht gefallen. Im Einverständnis mit der Mannschaft übernahm Mica das Kommando. Sie war Argentinierin und mit einem Basken verheiratet. Spanien wurde ihre zweite Heimat. In einer Unterredung äußerte sie ihre Befürchtung, den gut ausgerüsteten Gegner nicht lange aufhalten zu können. Es fehlte an Waffen, ihre Leute besaßen großenteils nur alte Jagdflinten, jegliche Verbindung nach hinten fehlte, es gab keinen Nachschub. Ohne Hilfe aus Madrid Siguenza halten, einen wichtigen Riegel in Richtung Zaragoza? Sie zweifelte. Ihre Männer, der Waffen ungewohnt, flüchteten sich bei jedem Fliegerangriff in die nahen Bauernhäuser.

«Die Italiener setzen Tanks ein, jedesmal, wenn die Miliz die Ungetüme sieht, laufen sie wie die Hasen davon. Wir haben nichts, um sie zu bekämpfen. Wenn Sie nach Madrid zurückkehren, berichten Sie, was Sie hier gesehen haben.»

Auf der Rückfahrt wurden wir von Fliegern überrascht; eilig retteten wir uns aufs freie Feld. Unser Chauffeur und Brea warfen sich in den Acker, wickelten sich fest in ihre Decken, um nichts zu sehen und zu hören. Die Maschinen flogen über uns hin und bestrichen uns mit Maschinengewehrfeuer. Clara und ich konnten die Köpfe nicht in die Erde stecken, wir mußten einfach das Hin und Her der Vögel über uns beobachten. Bald war es ohne großen Schaden vorbei. Unser Auto, wir hatten es auf der Straße stehenlassen, wies einige Einschüsse auf, die uns aber an der Weiterfahrt nicht hinderten. Wenige Tage später fiel Siguenza in die Hände der Italiener. Mica wurde mit etwa dreißig Mann in der Kirche eingeschlossen. Nach wenigen Tagen peinigten sie Durst und Hunger, auf Entsatz war nicht zu hoffen. In heftigen Debatten entschloß sich die Mehrheit der noch kampffähigen Männer zum Ausbruch, eine Minderheit wollte bleiben und sich ergeben. Mica und ihre Männer seilten sich aus einem Kirchenfenster ab, es gelang ihnen, mit geringen Verlusten sich in die nahen Berge zu schlagen. Da die Bauern jeden Weg und Steg der Gegend kannten, entkamen sie glücklich in das republikanische Gebiet.


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