Revolution für die Freiheit



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Rudolf Klement


Unsere politischen Verbindungen zur trotzkistischen Bewegung beschränkten sich auf regelmäßige Zusammenkünfte mit Rudolf Klement. Er stammte aus einer alten hamburgischen Kaufmannsfamilie. Irgendwie war er zur Arbeiterbewegung gestoßen und in den Reihen der linken Opposition gelandet. Dank seinen außerordentlichen Sprachkenntnissen war er zu einer wesentlichen technischen Hilfskraft von Leo Trotzki geworden. Klement sprach fließend russisch, übersetzte in die deutsche, französische und englische Sprache. Dauernd schleppte er politische Dokumente mit sich, Artikel oder Bücher, an deren Übersetzung er arbeitete. Durch ihn fanden wir Anschluß an französische Arbeiter in einem Vorort von Paris. Oft wurden wir dort mit Klement zusammen zum Essen eingeladen; Klement selbst wohnte einige Zeit bei den Leuten. Da er sich aber von der G.P.U. bespitzelt wußte, wechselte er öfters seine Wohnung.

Ende 1938 hatte sich unsere materielle Situation wesentlich verbessert. In einem Dokumentationsbüro, das von deutschen Emigranten geleitet wurde, fanden wir beide Arbeit und kärglichen Verdienst. Es reichte immerhin aus, um in Paris selbst eine kleine Einzimmerwohung mit Küche zu mieten. Fritzchen konnte sich zu seiner Schwester, die in Dänemark Unterkunft hatte, absetzen. In den ersten Märztagen 1939 traf ich auf der Straße Erich Hausen; wir kannten uns aus dem Schaffhauser Gastspiel, das ich in der Brandlerischen Opposition gegeben hatte. Hausen fragte mich sofort:„Weißt du, daß Klement seit einigen Tagen verschwunden ist? Man vermutet, die G.P.U. habe ihn verschleppt.” In aller Eile fuhren Clara und ich zu unseren und Klements Bekannten. Sie wußten nichts, konnten nur mitteilen, er sei zu einer Verabredung nicht erschienen. Da unser Freund von pedantischer Pünktlichkeit war, blieb sein Ausbleiben rätselhaft. Es vergingen Tage und Wochen, ohne daß von dem Verschwundenen Nachricht eintraf. Die alarmierte Polizei unternahm ergebnislose Nachforschungen. Da kam unerwartet eine Karte von Klement bei unseren Bekannten an. Die Karte war in zittriger Handschrift beschrieben und Klement teilte lakonisch mit: „Bin auf dem Weg nach Spanien. Es geht mir gut. Viele Grüße: Klement.”

Nachforschungen durch die Behörde und durch am Ort wohnende Kameraden ergaben nur, daß Klement in Perpignan nie gesehen wurde. Die Affäre wurde durch diese Karte, deren Echtheit nicht feststand, noch mysteriöser. Da seine Entführung wahrscheinlich in Paris organisiert worden war, mußten jedesmal, wenn eine unbekannte Leiche aus der Seine gefischt wurde, Klements Freunde und Bekannte zur Identifizierung in der Morgue erscheinen. Das war weder angenehm noch leicht, da niemend Klement gut genug kannte, um seinen Leichnam mit Sicherheit zu erkennen. Clara und ich erinnerten uns einer Begebenheit, die nur wenigen Freunden Klements bekannt sein konnte. Im Januar, ungefähr zwei Monate vor seinem Verschwinden , hatte Klement mit seinen Freunden einen Jagdausflug unternommen. Auf der vereisten Straße war das Auto ins Gleiten gekommen und gegen eine Mauer gestoßen. Klement erlitt am rechten Oberarm einige tiefe Schnittwunden, die gut verheilten. Wir drängten unsere Bekannten, diese Sache den Behörden mitzuteilen. Die frischen Narben mußten eine Erkennung erleichtern. Sie taten es widerstrebend, nur ungern wollten sie in die ganze Affäre verwickelt werden. Schon wenige Tage später, bei der zweiten oder dritten Identifizierung einer Wasserleiche, gab es keinen Zweifel. Der Kadaver trug am Oberarm frisch verheilte Narben. Der Leichnam, vom Wasser aufgeschwommen, war stark verstümmelt, beide Hände waren von scharfen Instrumenten durchbohrt.

Die Presse schlachtete die Angelegenheit aus und erst jetzt gab die Polizei einige Ergebnisse ihrer Ermittlungen bekannt. In der letzten von Klement in Paris bewohnten Wohnung hatte auf demselben Stockwerk ein lettischer Staatsbürger logiert; der Lette verschwand zur selben Zeit wie Klement. Die jederzeit mit Dokumenten prall gefüllte Aktentasche von Klement war nicht mehr aufzufinden.

Der Mord wurde nie aufgeklärt. Der pro-russische Einfluß in den Verwaltungsstellen und Regierungsbehörden war damals stark genug, um unliebsame Affären auf ein totes Geleise zu schieben. Klement dürfte das Opfer jener G.P.U.-Agenten geworden sein, die den ehemaligen russischen Geheimagenten lgnaz Reiss ermordeten und wahrscheinlich auch den ältesten Sohn Trotzki's, Leo Sedow, in Paris vergifteten.

Die Wandlung des Herbert Bucher


Einige Wochen nach der Begegnung mit Abramowitsch gingen wir zu einer Verabredung ins Cafe „Dome” am Montparnasse. Kaum hatten wir die Terrasse des Lokals betreten, fiel unser Blick auf den deutschen G.P.U.-Agenten, der in der Puerta del Angel die Verhöre geleitet hatte. Der Mann hatte uns ebenfalls erkannt und wurde totenbleich. Wir waren starr. Meine erste Reaktion war, mich sofort auf ihn zu stürzen, doch Clara hielt mich zurück. „Bist du verrückt, wir können keinen Skandal riskieren, wir haben ja noch nicht mal unsere Aufenthaltspapiere. Bleib hier, beobachte ihn, ich werde französische Kameraden herbeitelefonieren.” Sie verschwand in der Telefonkabine. Ich setzte mich in einer Entfernung an einen Tisch und behielt den Mann im Auge. Er war nervös, blickte dauernd um sich, erhob sich plötzlich, warf einen Tisch vor mich hin und rannte mit Windeseile auf die Straße. Obwohl ich ihm nachsprang, glückte es ihm in ein Taxi zu steigen und wegzufahren. Ich war zu blöde und zu langsam gewesen und ärgerte mich schrecklich. Clara kam angelaufen und meldete, Lucien Weiz wird sofort kommen und den Kerl ins Gebet nehmen. Weiz kam zu spät.

Nach kurzer Überlegung beschlossen wir, zu Abramowitsch zu fahren und ihm den Vorfall zu berichten. Mit seinen guten Verbindungen zu Regierungsstellen und der sozialistischen Partei konnte er eventuell Nachforschungen anstellen, den Agenten ausfindig machen. Wir gaben Abramowitsch eine genaue Beschreibung und er wurde sofort unheimlich aktiv. Er telefonierte an verschiedene Orte, fuhr dann mit einem Wagen zur Polizeipräfektur, wo er das von uns beschriebene Signalement angab. Es war vergeblich, der Mann blieb verschwunden.

Erst 5 Jahre später, wenige Monate nach Kriegsende, löste sich das Geheimnis um diesen Mann. Ein enger Freund von uns, Gustav Kern, fragte uns unvermittelt: „Wollt ihr eueren Verhörer aus Barcelona traffen, er wäre bereit, euch zu sprechen?” Wir wollten es kaum glauben und zögerten. „Doch, doch, glaubt mir, der Mann ist sauber, ich kenne seine ganze Geschichte, der Mensch hat eine tiefe, innere Wandlung erlebt und ihr seid teilweise daran mitschuld”. Wir akzeptierten.

Das Rendez-vous fand im Cafe „Bonaparte” neben der Kirche von St. Germain statt. Bei unserem Eintritt erhob sich die uns so gut bekannte Gestalt. Bucher zitterte am ganzen Körper, hatte Tränen in den Augen und stammelte unzusammenhängende Worte. Kern lud uns zum Sitzen ein und sagte:„Nun, Herbert, erzähl deine Geschichte”.

„Vorerst”, so begann er, „stand ich im Dienst der russischen Geheimpolizei. Als Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschlands mußte ich nach einem Jahr illegaler Arbeit nach Frankreich flüchten. 1936 ging ich nach Spanien. Mit meiner Mithilfe formierten wir an der Aragonfront das Bataillon Thälmann, dem rund 400 deutsche Emigranten angehörten. In den Kämpfen um Sietamo an der Aragonfront erlitt das Bataillon schwere Verluste und wurde zur Neuorganisierung von der Front nach Barcelona zurückgezogen. Das neue Bataillon Thälmann wurde darauf an die Madrider Front abkommandiert. Ich blieb in Barcelona und erhielt den Auftrag, die Abwehr gegen die faschistischen Elemente in Zusammenarbeit mit deutschen und russischen Parteimitgliedern zu organisieren. Ich habe mich nie als Geheimagent gefühlt und war ehrlich überzeugt, eine wichtige politische Arbeit auszuführen. Sie stand, wie ich glaubte, im Einklang mit meiner politischen Einstellung. Ich sah den Krieg in Spanien als einen Krieg gegen Hitler an, dem sich alles zu unterordnen hatte. Darum akzeptierte ich die Linie der Kommunisten und die russische Hilfe in Spanien, trotz manchen Zweifeln, die sich aus meiner Tätigkeit ergaben.

Meine Zweifel verstärkten sich durch die Verhöre mit den politischen Gefangenen, mit denen wir es an der Puerta del Angel zu tun hatten. Langsam fielen mir die Schuppen von den Augen, daß wir es hier nicht mit faschistischen Agenten zu tun hatten, sondern mit Antifaschisten, die eine andere Meinung als wir Kommunisten vertraten.

Die aufrechte Haltung jener Anarchisten, die in der Garage saßen, eine Flucht ablehnten, um die zurückbleibenden Gefangenen nicht zu gefährden, eure Haltung bei den Verhören erschütterten meine politischen Ansichten. Innerlich fest entschlossen mit der kommunistischen Partei zu brechen, bereitete ich sorgfältig den Absprung vor. Meine Frau konnte legal aus Spanien ausreisen. Mir gelang die Flucht mit falschen Papieren. Damals, als ihr mich im Cafe Dome erblicktet, war ich bereits von kommunistischen Agenten gehetzt. Meine früheren Parteifreunde glaubten, ich würde meine Kenntnisse westlichen Geheimapparaten liefern, woran ich ja nie dachte. Kurz nach jenem Zusammentreffen im Dome mit euch erlitt ich eine schwere Herzattacke und nur dank der Aufopferung meiner Frau kam ich wieder auf die Beine. Während des Krieges tauchte ich in der französischen Untergrundbewegung in Savoyen unter. Das ist meine Geschichte, der Politik habe ich endgültig den Abschied gegeben. Ich hoffe, ihr könnt mir verzeihen.”

Stumm hatten wir dieser Beichte zugehört. Wir waren ergriffen, zweifelten nicht an der Ehrlichkeit seiner Darstellung und Haltung. Herbert Bucher ist uns ein lieber Freund geworden.



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