Revolution für die Freiheit



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Der bekehrte Emigrant


Nach Morel's Verhaftung und dem brüskierten Auszug der „Pensionäre” war unser Pavillon etwas leer geworden. Die zwei rumänischen Schwestern blieben bei ihrem Landsmann, von den anderen hörten wir nichts mehr. Diese Ruhepause tat uns gut. Außerdem war unsere Schweizer Bekannte mit ihrem Freund vom Land heimgekehrt, sie erwartete überdies ein Kind. Unsere Gruppe setzte die politische Aktivität unbehindert weiter. Da sollte uns ein völlig unerwartetes Ereignis in neue Aufregung stürzen.

Vor dem Kriege, als wir noch die Gruppenabende der Maslow-Ruth Fischer Gruppe besuchten, hatten wir einige deutsche Emigranten kennengelernt. Louis Salomon, mit dem uns später enge Freundschaft verband, war aus Deutschland, als Jude und politischer Flüchtling, emigriert. In der näheren Banlieue von Paris führte er mit seiner Frau einen kleinen, gut florierenden Parfümerieladen. Was Louis auszeichnete, war seine stete Hilfsbereitschaft, sein unverwüstlicher Humor. Auch in den schwierigsten Situationen des Lebens verstand er es, ihm eine optimistische Note abzugewinnen.

Sein nicht-jüdischer Emigrantionskollege Knauer war das gerade Gegenteil. Von Beruf Tischler, gehörte er schon in Deutschland zur Maslowgruppe. Im Gegensatz zu Salomon war Knauer ein ewiger Wichtigtuer und Dauerredner; er gehörte zu jenem Versammlungstyp, der keine einzige Gelegenheit vorbeigehen läßt, um seine Weisheit an den Mann zu bringen. Auch in der kleinsten Sitzung mußte Knauer reden, reden und wieder reden, wobei er meistens Blödsinn verzapfte. Als guter Berufsarbeiter fand er ein für Emigranten anständiges Einkommen, besaß zudem geschäftliche Tüchtigkeit, was ihn oft veranlaßte, mit einiger Herablassung auf die ungeschickten Intellektuellen herabzublicken, die sich im praktischen Leben so ungeschickt bewegten.

Zu unserem Erstaunen tauchte Knauer plötzlich im Winter 1942/ 43 mit Frau und Kind in unserer Wohnung auf. „Wo kommst du denn her?”, war meine erstaunte Frage. „Wir gehen nach Deutschland zurück, es ist doch klar, daß Hitler den Krieg gewinnt und ein neues Europa schafft. Die ganze Opposition hat keinen Sinn. Was wir nicht fertig brachten, die Nazis schaffen es. Ich habe mit Hitler Frieden geschlossen und kehre zurück.”

Schöne Bescherung. Knauer kannte unsere politische Einstellung, er mußte, wenn auch nur aus Emigrantengesprächen wissen, daß wir aktiv gegen den Krieg tätig waren. Da steht dieser Kerl seelenruhig vor mir und erklärt, er laufe zu den Nazi über. Ich erwiderte vorsichtig: „ Ich glaube nicht, daß Hitler den Krieg gewinnt; übrigens werden sie dich einstecken, wenn du zurückkehrst.”

„Keine Spur”, antwortete er überzeugt. „Ich habe in Montauban mit den deutschen Instanzen ein Abkommen getroffen. Ich muß in Deutschland einen sechsmonatigen Umschulungskurs absolvieren, in die Partei eintreten, nachher kriege ich Arbeit. Die Nazis sind gar nicht so schlecht, wir haben von der Emigration die Nase voll. Schau, gestern waren wir im Soldatenkino, neben mir in derselben Reihe saß ein General. Die Nazi meinen es ernst mit der Gleichheit”.

Ich fand keine Antwort. Seine Frau sagte kein Wort, Clara und ich beobachteten das Kind, das eben im Begriff war, auf unser Parkett ein kleines Bächlein rieseln zu lassen. „Hast du Nachricht von Salomon?”, fragte ich ausweichend. „Ja, natürlich, darum komme ich ja zu euch. Ihr wißt ja, daß Louis ein guter Freund von mir ist. Er erlaubte mir, seine bei euch eingestellten Möbel abzuholen, ich will sie nach Deutschland mitnehmen.”

„Mein Gott, wir hängen nicht an diesen Möbeln, aber Louis hat mir von dieser Sache nichts geschrieben. Gab er dir etwas Schriftliches mit?”

„Nein, wozu auch. Wir sind ja die besten Freunde, Louis kann ja mit den Möbeln doch nichts anfangen. Ich habe für morgen schon die Transportfirma Schenker bestellt, die Leute kommen um 10 Uhr, die Möbel abholen.”

Ich glaubte ihm kein Wort, ich wußte, daß er log. Doch was tun, uns waren die Hände gebunden. Es mit dem neugebackenen Hitleranhänger zu verderben, konnten wir uns nicht leisten. Zum bösen Spiel gute Miene machend, zeigte ich ihm einige Möbel der Familie Salomon. Er betonte nochmals, die deutsche Transportfirma sei anderntags um 10 Uhr da, daraufhin verzog sich die nette Familie. Clara und ich atmeten auf.

Auf unsere kleine Rache gegen diesen Überläufer wollten wir aber nicht verzichten. Die Betten der Familie Schröder, die wir im jetzt leerstehenden Atelier untergestellt hatte, waren richtige Wanzennester. Mit stillem Vergnügen halsten wir der Transportfirma die verwanzten Betten auf und retteten so die guten Betten der Salomons.

Auf unsere Nachfrage bei Louis bestätigte er uns einige Wochen später, daß Knauer's Angaben verlogen waren. Louis hatte gerade wegen seiner pro-nazistischen Wandlung mit ihm gebrochen. Den Verlust der Möbel, die wir dem Helden ausliefern mußten, verschmerzte er leicht.

Knauer's Schicksal ist nicht ohne Interesse. In Deutschland angekommen, wurde er nicht in ein Umschulungslager, sondern ins Gefängnis gesteckt. Dort saß er bis zur Befreiung durch die Russen. Von ihnen als Antifaschist aus dem Gefängnis befreit, genoß Knauer alle Vorteile eines anti-faschistischen Kämpfers. Er trat in Berlin sofort der kommunistischen Partei bei, wurde in wenigen Wochen leitender Funktionär in einer Wirtschaftsabteilung. Er lebte in Berlin, in den ersten schlimmen Nachkriegsjahren, wie ein Fürst in einer 6-Zimmerwohnung, besaß ein Auto, wurde mit Ehren überhäuft, lebte in Saus und Braus. Das ausschweifende Leben schlug ihn rasch um, das viele Saufen und Huren warf ihn auf's Krankenbett, im Spital erholte er sich langsam. Als man ihm eines Tages eröffnete, er könne als geheilt entlassen werden, löste die Nachricht einen derartigen Schock aus, daß er die Augen verdrehte und sein armes Leben aushauchte.

Ein spanischer Anarchist im besetzten Paris


Clara's Gesundheitszustand hatte sich inzwischen merklich gebessert, am Stock konnte sie ordentlich gehen. Sie hatte Lust, etwas auszugehen und Freunde zu besuchen. Wir gingen zu jenem Kunstmaler, bei dem wir die Schallplatten von Charles Wolf untergestellt hatten.

Marcel empfing uns herzlich. „Schön, daß ihr kommt, ich habe eine große Bitte an euch. Bekannte von uns haben einen Rabbiner und seine Frau bei sich versteckt, befürchten aber eine Denunziation von Nachbarn, sie suchen verzweifelt nach einem anderen Unterschlupf für die zwei älteren Leute. Sie haben bereits ihre Papiere, um in die freie Zone zu gelangen; in Marseille sind für die beiden bereits Pässe deponiert, um nach Amerika zu reisen. Ihr Sohn hat das organisiert, er ist ein in Amerika bekannter Pianist. Könnt ihr das Paar für ein paar Tage bei euch einquartieren?”

Wir hatten Platz. Konnten wir ablehnen? Wir sagten zu. Am selben Abend lotste ich das Ehepaar bei anbrechender Dunkelheit zu uns. Herr Kohn hatte seinen Bart schneiden lassen, doch, so schien es mir, war sein geistlicher Beruf unverkennbar. Beide waren sie sehr einfach und lieb, klagten nie, hofften nur, aus der Hölle zu entrinnen. Sie blieben nur drei Tage und Nächte bei uns, dann wurden sie abgeholt, um hinübergeführt zu werden; das brave Paar ist glücklich nach Amerika entronnen. Am l.Mai 1944 wünschte Clara auszugehen, sich an diesem Tag wieder einmal Paris anzusehen. Mit der Metro fuhren wir nach Montmartre hinauf, setzten uns am Boulevard Rochechouart in eine Milkbar. Noch bevor die bestellten Getränke kamen, sah ich bei einem zufälligen Blick durch die Fensterscheiben den Spanier Manuel vorbeigehen. Unverkennbar, es war Manuel, unser spanischer Freund von der Aragonfront.

„Hol' ihn schnell her”, verlangte Clara, „den müssen wir doch sprechen”.

Ich rannte auf die Straße hinter Manuel her, erwischte ihn und klopfte ihm auf die Schulter: „He, Manuel, was treibst du denn hier?”. Er zuckte zusammen, seine Hand fuhr in die hintere Hosentasche, dann erkannte er mich, wir schüttelten uns die Hände. Ich schleppte ihn zu Clara, es war rührend wie er sie umarmte. Nun ging das Erzählen los. Nach dem Zusammenbruch der spanischen Republik war Manuel mit den Resten der Kolonne Durutti auf französischen Boden übergetreten. Mit tausenden von Spaniern wanderte er in ein Pyrenäenlager. Nach wenigen Monaten türmte er. In der freien Zone verdiente er sein Leben als Gelegenheitsarbeitern, Holzfäller, arbeitete bei Bauern. Nach der Besetzung der freien Zone wanderte er langsam gegen Paris hinauf, in der Meinung, in der Großstadt sei es einfacher, sich zu ernähren und unterzutauchen. Seit drei Monaten lebte er in Paris; auf dem Montmartre hatte er sich in einem zum Abbruch reifen Haus eingenistet, aus dem Lager hatte er eine Pistole mitgeschleppt; nachts raubte er die Eßwarengeschäfte der Umgebung aus um sich zu ernähren.

„Manuel, das ist kein Leben. Wir haben eine Wohnung, einige Kameraden verstecken sich bei uns, doch ist für dich auch noch Platz, du kannst zu uns kommen”.

Nach einigem Zögern sagte er zu, doch nur unter der Bedingung, einen „Pensionspreis” zu bezahlen...

„Und nun, “ erklärte Manuel, “hinaus auf die Straße, es ist der l. Mai, und wir müssen demonstrieren”.



„Manuel , bei dir piept es wohl”, erwiderte ich. „Wir sind doch noch immer im besetzten Paris, bei Anwesenheit deutscher Truppen willst du manifestieren?” „Oh, ihr Marxisten habt immer Angst, ihr seid keine Revolutionäre, Angsthasen, Revolutionäre demonstrieren immer und über all am l. Mai. Los, hinaus auf die Straße!”

Wir ließen uns anstecken, mitreißen, ungläubig und neugierig zugleich, was da geschehen werde. Es war ein Wahnsinn. Auf dem breiten Boulevard Rochechouart nahmen wir Clara mit ihrem Stock in die Mitte, mit fester, klarer Stimme begann Manuel unbekümmert spanische revolutionäre Lieder zu singen. Wir marschierten neben ihm, schweigend, bestürzt, klopfenden Herzens. Die Hände tief in den Hosentaschen vergrabe, Rock und Hemd weit geöffnet, sang Manuel seine Lieder. Dann stimmte er die Internationale an und nun summten wir mutig mit. Die Menschen sahen uns an, blieben stehen, drehten sich nach uns um, deutsche Soldaten gingen vorbei, nichts geschah. Wir „manifestierten” bis zur Place Pigalle, hier machte Manuel halt und sagte zufrieden: „So, jetzt haben wir unsere Pflicht getan, gehen wir.” Von den Kameraden der Gruppe wurde Manuel trotz seiner bizarren Ideen schnell akzeptiert. Als ständigen Gast hatten wir zur Zeit nur noch Viktor bei uns, gelegentlich schliefen Kameraden der Gruppe eine Nacht bei uns, wenn sie die Sperrstunde verpaßt hatten. Seit einigen Wochen verteilten wir wieder Flugblätter in deutscher und französischer Sprache gegen den Krieg, gegen Faschismus und Bolschewismus. Bei der Verteilung hatten wir schon gewisse Erfahrungen gesammelt, operierten nur in Zweiergruppen. Manuel teilten wir zur Verteilung mit dem Napolitaner Mario ein und wiesen ihnen den Vorort Montrouge zu. Um 6 Uhr abend sollte sich die ganze Equipe - wir hatten vier Zweiergruppen gebildet - am Cafe an der Porte d'Orleans wieder treffen. Manuel und Mario kamen zuletzt. Mario war leichenblaß, konnte vor Erregung kaum reden, bis es endlich aus ihm herausbrach:„Keinen Schritt mehr tu' ich mit diesem verrückten Spanier. Er verteilt unsere Flugblätter einfach wie Prospekte an alle Vorübergehenden auf der Straße. Mir blieb das Herz stehen, als er seelenruhig zwei Polizisten auf ihren Rädern stoppte und ihnen die Zettel in die Hand drückte. Nie mehr, nie mehr mit ihm.” Manuel erklärte kurz und bündig:„Der Italiener hat Angst, so zu verteilen ist das einzig Richtige, dann fällt es gar nicht auf.” Endlich kam im Juni die so sehnsüchtig erwartete Landung der Allierten in der Normandie. Der Jubel war groß, die Hoffnung auf Hitler's Niederlage, die sich schon bei der Niederlage von Stalingrad abzuzeichnen begann, stieg an, die Aktionen der Widerstandsbewegung steigerten sich. Die Landung hatte unmittelbare Folgen für die Bevölkerung: die Lebensmittel wurden rar, auch auf Karten gab es kaum noch etwas, nur der teure Schwarzmarkt florierte. Gas und Strom wurden auf Minuten reduziert; das Gas reichte kaum zum Aufkochen einer Suppe oder einer un genießbaren Tasse des berüchtigten „Cafe National”. Strom wurde nur abends für eine halbe Stunde eingeschaltet, gerade genug, um einige Nachrichten des B.B.C. über das Kriegsgeschehen abzuhören. Wir hatten zu dieser Zeit nur Manuel und Viktor bei uns. In wenigen Tagen füllte sich der Pavillon wieder an: aus der einst freien Zone kamen 3 deutsche Emigranten an, die unsere Adresse erhalten hatten. Zwei Franzosen unserer Gruppe, Mario der Napolitaner und Pierre, die in Einzimmerwohungen hausten, kamen zu uns, sie alle hatten kein Gas mehr, keinen Strom, nichts zu knabbern. So stieg unsere Gästezahl wieder auf 9 Esser an, wozu Clara und ich kamen. Für 11 Menschen das tägliche Essen aufzutreiben wurde zum Hauptproblem. Glücklicherweise hatten wir in Voraussicht schlimmer Zeiten einen eisernen Vorrat angelegt; 30 Kilo Quick, ein Erbsmehl und ebenso viele schwarze Bohnen, in denen es schon ziemlich lebendig wurde. Abwechselnd stopften wir uns einen Tag mit Quick, einen Tag mit schwarzen Bohnen voll. Scheußlich war, daß wir kein Salz mehr auftreiben konnten. Diese „Mahlzeiten” weich zu kochen, vor allem die schwarzen Bohnen, entpuppte sich als ein schier unlösbares Problem. Das Gas reichte niemals dazu aus; so stellten wir in der Küche einen alten Kanonenofen auf, um den Frass weichzukochen. Doch es gab weder Holz noch Kohle. Alte Stühle, weniger wichtige Möbelstücke aus den vielen Emigrantenwohungen wurden zerschlagen und als Heizmaterial verwendet. Mit Clara gab es homerische Kämpfe, da sie immer wieder ein Möbelstück dem Feuertod entreißen wollte. Ende Juni war es schon ordentlich warm, die aufeinander gestülpten Ofenrohre ließen beissenden Rauch ausströmen, in einigen Minuten war die heiße Küche eine einzige Rauchhöhle; die „Köche” hielten es kaum 3 Minuten aus, dann stürzten sie weinend aus der Küche und die zweite Equipe stürzte sich todesmutig in den Qualm.

Von den aus den Emigrantenwohnungen geretteten Utensilien, Schreibmaschinen, einigen Bettlaken der Margot Schröder, verkaufte ich einiges, um wenigstens die selten gewordenen Lebensmittel zu kaufen, die es noch auf Karten gab. Findige Pariser hatten den Dreh bald gefunden, um etwas Nahrung auf ihren Tisch zu kriegen. Mit ihren Fahrrädern fuhren sie hinter die Front in der Normandie und kauften in den großen Bauernhöfen wohlfeile Nahrung ein. Das sprach sich mit Windeseile herum. Die Bauern dort unten gaben ihre Ware billig ab, sie befürchteten das Herannahen der Front, vielleicht den Verlust ihrer ganzen Habe, so verkauften sie gar nicht so ungern. Wir waren gezwungen, uns Nahrung um jeden Preis zu verschaffen. Mit Manuel und Pierre, einem jungen Franzosen unserer Gruppe, beschlossen wir, das Wagnis zu unternehmen. Im Keller befanden sich zwei uralte Fahrräder, unzählige Male zusammengeflickt. Pierre konnte sich ein altes Rad von einem Bekannten besorgen. So radelten wir eines Nachmittags los, Richtung Lisieux. Wir waren nicht die einzigen, als wir einmal die Pariser Vorstädte durchradelt hatten, befanden wir uns in einer langen Radfahrerkolonne, die reichlich mühselig in der gleichen Richtung pedalte. Während des Tages war von deutschen Truppen nichts zu sehen außer Feldgendarmen. Erst bei Anbruch der Nacht bewegten sich Tanks, Artillerie und Fußtruppen auf den Straßen vorwärts. Die Lebensmittel suchenden Radfahrer verzogen sich in Scheunen und Heuschober oder einfach in die Wiesen und Äcker. Wir drei fanden eine Scheune, in deren Stroh sich schon eine ganze Rotte Pariser eingenistet hatte. Schlaf gab es kaum, wir hörten von draußen das Rasseln der Tanks und Fuhrwerke, Kommandorufe, gelegentliches Maschinengewehrfeuer, in der Ferne war Kanonendonner vernehmbar.

Gleich im ersten Bauernhof, den wir besuchten, konnten wir uns Fleisch, Käse, Butter und Eier einhandeln. Die Julisonne brannte erbarmungslos, nach knapp zwei Stunden war das Fleisch von Maden bewohnt. Auf einem kleinen Nebenweg der großen Straße kochten wir ab, brieten auf einem kleinen Feuer das Fleisch und schmausten. In unser Tafeln hinein brauste plötzlich ein deutsches Motorrad mit Beisitzer, die zwei Soldaten stiegen ab, um unsere verdächtige Zigeunerwirtschaft anzusehen. Da ich mich mit ihnen in deutscher Sprache unterhielt, waren sie verträglich, rieten uns aber, lieber abzuhauen. „Entweder die Tommies knattern euch etwas auf die Haut, oder unsere Feldgendarmerie holt euch, verschwindet so rasch wie möglich”.

Sie saßen auf und rasten davon. Kaum hundert Meter weiter wurden sie von einem Flugzeug unter Beschuß genommen, das Fahrzeug überschlug sich, lautes Schreien und Gestöhne drang zu uns. Wir eilten zur Unfallstelle, der Beifahrer hatte den Oberschenkel aufgerissen und verblutete. Der Fahrer war mit leichten Sturzverletzungen weggekommen und begann mit seinem Hemd, das Bein seines Kameraden abzubinden. „Einer von euch kann mit dem Rad sofort ins nächste Dorf fahren und einen Wagen holen, sonst verblutet mir der unter den Händen,” schrie er uns an. Pierre, der das beste Fahrrad besaß, radelte in das einige hundert Meter zurückliegende Dorf. Nach einer Viertelstunde kam er mit einem Pferdewagen, der die beiden Soldaten ins Dorf abfuhr.

Die allierten Flugzeuge beherrschten den Himmel. Alles, was sich tagsüber auf der Straße bewegte, wurde unter M.-G.-Feuer genommen: Bauernwagen, Radfahrer, Fußgänger. Jedesmal, wenn die Vögel kamen, warfen wir Radfahrer uns in den Straßengraben suchten Deckung hinter Bäumen, auf der leer gefegten Landstraße radelte wild fluchend, verbissen und wütend Manuel weiter, wie ein Tour-de France-Fahrer...

Am dritten Tag konnten wir uns in einem Bauernhof reichlich mit Speck, Käse, Butter und Eiern eindecken; vorsorglicherweise hatten wir für Butter und Eier Blechbüchsen mitgenommen. Als wir im Begriff waren, den Hof zu verlassen, drang eine Schar deutscher Offiziere ein, angeführt von einem Obersten oder General. Die Herren musterten uns mißtrauisch, dann meinte der Führer der Bande lakonisch: „Na, die Burschen haben sich gut verproviantiert” und die ganze Suite stolzierte an uns vorbei. Das gefürchtete Hindernis für alle Proviantfahrer stellte die deutsche Feldgendarmerie dar, die Straßen und Wege überwachte. Es war beinahe unmöglich, diesen Kontrollen zu entgehen. Die Kerle waren raffiniert genug, die Radfahrer erst dann anzuhalten, wenn sie sich mit gefüllten Proviantsäcken auf den Rückweg nach Paris begaben. Wir mußten einige Male zusehen, wie den braven Familienvätern Fahrrad und Ware einfach weggenommen wurde; Bitten oder Proteste wurden mit Fußtritten und Drohungen beantwortet. Auch uns erwischten zwei Feldgendarmen, wir mußten von den Rädern steigen und sie kontrollierten unsere Vorräte. “Was ist eigentlich los?”, erkundigte ich mich bei dem Älteren. “Ach, Sie sprechen deutsch, woher kommen Sie denn?” “Wir sind Schweizer und haben etwas Lebensmittel eingekauft, weil es in Paris nichts mehr zu essen gibt. Wie sieht denn die Kriegslage aus?”

“Ha, die Tommies und die Amerikaner werden ins Meer zurück geschmissen. Die Geheimwaffe des Führers ist in Aktion getreten, Südengland steht in Flammen”, verkündigte er stolz. Sie ließen uns laufen. Es war eine harte Arbeit, mit den schwer beladenen Rädern vorwärts zu kommen, das ewige Flicken hatten wir schon längst aufgegeben, die durchlöcherten Schläuche weggeworfen. Die mit Gras ausgestopften Räder rissen unsere Hinterteile wund, in jeder Steigung mußten wir absteigen und die Räder schieben. Noch einmal nächtigten wir in einem Heuschober, während ein starkes Gewitter tobte.

Beim Eisenbahnknotenpunkt Trappes, einige Kilometer vor Versailles, wurden wir aufgehalten. Ein Munitionszug auf einem Nebengeleise war von der Widerstandsbewegung in Brand gesteckt worden, in kurzen Abständen explodierten Handgranaten und Gewehrmunition, hohe Flammengarben in die Luft schleudernd. Unser Versuch, von der Straße abzugehen und die Räder durch den vom Regen aufgeweichten Ackerboden zu schieben, mißlang. Was tun? Wir mußten durch. Manuel gab das Zeichen. “Wir rasen auf der Straße durch, Explosionen hin und her”, kommandierte er. Als erster setzte er sein Rad in Schwung und sauste durch die gefährliche Stelle, wir folgten ihm. Bald wurden wir von einigen anderen Radlern, die gezögert hatten, nachgeahmt. Kaum verließen wir die letzten Häuser von Versailles, als die Stadt von Fliegern angegriffen und bombardiert wurde. Ausgepumpt, voll von Blasen, Schürfungen, aufgerissenen Ärschen, doch zufrieden kamen wir zuhause an. Einen Teil der Waren handelten wir gegen Kartoffeln ein. Zwei Wochen später unternahmen wir eine zweite Reise, ohne jeden Zwischenfall. Manuel war viel zu nervös, um längere Zeit an einem Ort zu bleiben. Er fühlte sich im Kreise von “Marxistas” fehl am Platz. Seelenruhig setzte er uns auseinander: “Ihr seid für den Staat, autoritäre Marxisten, wir Anarchisten lehnen jede Staatsform ab. Wenn wir die Macht ergreifen, müssen wir Euch liquidieren. Ich bedaure es, aber verhindern kann man das nicht.”

Er wollte nicht mehr bei uns bleiben und behauptete, er finde Mittel genug, um sich selbst durchzuschlagen. “Auf jeden Fall”, sagte Manuel, „Ich werde einmal zurückkommen und meinen Pensionspreis bezahlen.”

Wir konnten nur den Kopf schütteln und ihn ziehen lassen. Gut einen Monat später klingelte es gegen 11 Uhr nachts, stark beunruhigt, wer zu so später Stunde anrückte, öffnete ich. Vor mir stand Manuel, ein schweres Paket unter dem Arm.

“Nanu, Manuel, wo kommst Du denn her?”, war meine Frage. “Ich komme meinen Pensionspreis bezahlen”, erwiderte er gelassen. Ich ließ ihn eintiefen und fragte ihn aus, während er sein Paket auspackte. Schwer versilbertes Besteck, Messer, Gabeln, Löffel, kamen zum Vorschein.

“Mensch, was soll das bedeuten? Woher bringst Du das Zeug?” “Damit bezahl ich Euch”, erwiderte Manuel. “Ich hab bei den Deutschen Arbeit gefunden. Die suchen nämlich Leute, um all die Blindgänger in der Pariser Umgebung auszugraben. Die gefährliche Arbeit wird gut bezahlt, da mach ich mit. In der Nacht habe ich schon zweimal Eisenbahnwagen aufgebrochen, die zur Abfahrt nach Deutschland bereitstehen und den Nazis ihr Beutegut wieder gemaust. Das ist doch ganz in Ordnung.” Er ließ das Silbergeschirr zurück, drückte mir die Hand, ließ alle Kameraden grüßen und wie er gekommen, verschwand er lautlos in der Nacht. Für uns blieb er verschollen, letzte Erinnerung an das spanische Volk.



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