Nach einer Woche Ruhe wurde ich wieder geholt. Auf dem Gang vor der Zellentür mußte ich warten, oben in der Frauenabteilung entstand Lärm, ich hörte Claras Stimme. Sie protestierte, weigerte sich, zum Verhör zu gehen. Erst als man ihr versicherte, auch ich sei zum Verhör beordert, kam sie die Treppe hinunter, wie immer unter Bewachung. Wir wurden beide in ein Auto gesetzt und durch die stockdunklen Straßen Valencias gefahren. Unsere Hände verschlangen sich fest, wir sprachen nichts. War es das Ende? Im Scheinwerferlicht des Wagens lasen wir an einer Hauswand in großen Lettern die Frage: «Donde esta NIN?» (Wo ist Nin?) Sollte das auch unser Schicksal sein? Der Wagen fuhr viel länger als gewöhnlich, und als wir ausgeladen wurden, führten uns die Begleiter in ein unbekanntes Gebäude. Diesmal mußte ich zuerst zum Verhör. Vor mir saß ein enorm dicker Mann mit rabenschwarzem Haar; er sprach mich mit hoher Fistelstimme auf spanisch an. Zum erstenmal wurde ich von einem spanischen Beamten vernommen. «Sie sind seit acht Tagen verhaftet?» fragte er.
«Seit acht Tagen? Für uns beginnt jetzt die zehnte Woche», erwiderte ich.
«Warum sind Sie verhaftet?»
«Das wissen wir auch nicht.»
«Diese verflixten Ausländer!» begann er loszuschimpfen. «Sie verpfuschen uns alles, treten das Ansehen unserer Justiz in den Schmutz. Wo befindet sich Ihre Frau?»
«Sie sitzt draußen.»
Er klingelte der Wache, befahl, Clara hereinzuführen, bot uns Kaffee und Zigaretten an. Er behandelte Clara mit echt spanischer Grandezza, ließ uns ruhig unsere Abenteuer erzählen. Um vier Uhr morgens verabschiedete er uns mit der feierlichen Versicherung: «Morgen sind Sie frei, ich sorge dafür.»
Es ging zurück. Wir wußten nur zu gut, was «manana» bei den Spaniern hieß - es konnte ebensogut morgen wie in sechs Monaten bedeuten. Trotzdem klopften unsere Herzen rascher. In der Zelle sprach mir Pedro Mut zu, beauftragte mich, sofort für ihn Schritte zu unternehmen, falls ich freikäme. Ich hatte ihn im Verdacht, selbst nicht recht an unsere Befreiung zu glauben, wollte es aber nicht merken lassen; er war froh und traurig zugleich.
Den ganzen Tag über geschah nichts. Das Warten und Hoffen war zermürbend. Gegen Abend glaubte ich nicht mehr an das Versprechen. Flüsternd unterhielt ich mich mit Pedro bis tief in die Nacht. Dann kamen sie.
Drei mit Maschinenpistolen bewaffnete Zivilisten drangen in die Zelle und nahmen mich sofort mit. Beim Abschied hatte Pedro nasse Augen. «Viel Glück und denk an mich», waren seine letzten Worte. Im Klosterhof unten stand schon Clara mit ihren wenigen Habseligkeiten. Wir wurden ins Auto verfrachtet, zwei der Männer setzten sich zu uns, ein zweiter Wagen mit vier Männern folgte uns nach.
Einer der Männer erläuterte uns: «Sie sind frei, doch ist es viel zu spät, um in ein Hotel zu gehen. Sie müssen diese Nacht schon bei uns im Polizeihauptquartier bleiben.»
Wir hatten keine Wahl. Die Zweifel wichen nicht ganz: war das alles eine Falle der GPU?
Im Polizeihauptquartier wiesen sie uns ein kleines Zimmer zu, legten eine Matratze auf den Boden, wünschten uns eine geruhsame Nacht. Waren wir wirklich frei? Wir fanden keinen Schlaf.
Zeitig am Morgen wurden wir geweckt und zum Frühstück geführt. Um uns bildete sich eine Eskorte von Bewaffneten, vor und hinter uns marschierten je zwei uniformierte Männer, ihre Maschinenpistolen im Arm, neben uns zwei Agenten in Zivil, Revolver umgeschnallt. Die Menschen auf der Straße beobachteten neugierig den seltsamen Aufzug, wichen uns scheu aus. In einem vornehmen Hotel setzten sich die zwei Agenten mit uns an den Tisch, die Uniformierten rauchten vor dem Hoteleingang ihre Zigaretten. Wir erkundigten uns, was diese Vorstellung zu bedeuten hätte. «Sie stehen unter dem direkten Schutz des Innenministeriums. Wir haben Befehl, für Ihre Sicherheit zu sorgen und Sie zu bewachen. Sie werden selbst wissen, warum und vor wem.»
«Wir wissen es sehr gut, doch glauben wir, zwei Bewacher in Zivil genügen auch, dieser Aufmarsch an Polizeikräften erregt doch nur Aufsehen.»
«Da müssen wir erst bei unserer Behörde anfragen. Übrigens werden Sie noch heute im Innenministerium erwartet.»
Die gleiche Polizeieskorte führte uns wieder zurück, es ähnelte sehr einem amerikanischen Gangsterfilm. Plötzlich stieß mich Clara an — auf der anderen Straßenseite standen zwei unserer deutschen GPU-Agenten, die uns noch vor wenigen Nächten verhört hatten. Sie glotzten uns an, erstarrt, ungläubig. Clara konnte nicht an sich halten und streckte ihnen die Zunge raus. Hastig, aufgeregt diskutierend entfernten sie sich. Sie mußten von unserem Anblick nicht wenig verblüfft gewesen sein.
Vom Polizeihauptquartier holte uns ein Wagen ab und brachte uns ins Innenministerium, wo uns ein höherer Beamter empfing. Lächelnd erklärte er: «Ich bin der persönliche Sekretär des Herrn Innenministers. Verzeihen Sie das Ihnen zugefügte Ungemach, wir sind traurig über diesen Irrtum unserer Behörden, heute wissen wir, daß Sie nicht das gesuchte Ehepaar sind. Ab sofort befinden Sie sich in Freiheit und genießen den Schutz unseres Ministeriums. Sie können sich als Gäste der Regierung betrachten, wir stellen Ihnen einen Wagen zur Verfügung. Im Hotel Ingles haben wir Ihnen ein Zimmer reserviert, alles geht auf unsere Kosten.»
Er überreichte uns ein Schriftstück, unterzeichnet von Innenminister Zugazagoita, das besagte, wir seien als Gäste der Regierung zu behandeln, besäßen volle Bewegungsfreiheit, könnten nach Belieben in Spanien bleiben oder das Land verlassen.
Wir baten den Beamten, unsere «Schutzengel»-Eskorte auf das unentbehrliche Mindestmaß zu beschränken, was er versprach. Der Wagen, mit dem man uns ins Innenministerium kutschiert hatte, war jetzt «unser» Wagen, so wenigstens erklärten unsere zwei Begleiter. Sie betonten nochmals, sie hätten den Auftrag, alle unsere Wünsche zu erfüllen, und stünden ausschließlich zu unserer Verfügung. Wie betäubt von der unerwarteten Wendung, wußten wir nichts Gescheiteres, als zuerst einmal Zigaretten zu kaufen. Die Agenten beglichen die Rechnung.
Das Hotel Ingles war eines der besten Häuser am Platze. Ein feudales Zimmer, mit dicken Teppichen belegt, und ein modernes Badezimmer erwarteten uns. Im Eßsaal nahmen wir ein wahres Bankett ein: Hors d'oeuvres, Gemüse, Fleisch, Obst, Eis, Rot- und Weißwein. Wir ließen es uns munden im Verein mit den beiden Beamten, denen ihr Auftrag offenbar gut gefiel. Es dauerte nicht lange, und wir stellten fest, daß die meisten Hotelgäste höhere Staatsbeamte, Parteifunktionäre oder Offiziere der Volksarmee waren. Auch ein paar ausländische Korrespondenten befanden sich darunter. Die Aristokratie der Republik lebte nicht schlecht. Unangenehmerweise erschienen auch einige unserer GPU-Verhörer öfters beim Essen und warfen uns scheele Blicke zu. Unser Erscheinen im Hotel erregte natürlich viel Getuschel und Neugier!
Am zweiten Tag unserer Freiheit dachten wir an unsere Freunde im Gefängnis. Wir wollten wenigstens einigen von ihnen etwas Abwechslung in die langweilige Gefängniskost bringen. Vorsichtig fragten wir erst unsere Begleiter, ob dieser Besuch gestattet sei. Sie stimmten sofort zu. Bei verschiedenen Läden fuhren wir mit unserem Wagen vor, kauften Würste, Käse, Schinken, Früchte, Brot und Wein ein. In den Geschäftsauslagen sah man diese Waren nicht, doch unsere Agenten waren ein «Sesam öffne dich»: Wo wir auch erschienen, hieß es zuerst: «Wir haben nichts.» Flugs zückten die zwei Beschützer ihre Papiere, und im Nu bekamen wir alles, was wir verlangten. Schwer beladen, rückten wir vor Santa Ursula an. Erstaunt sperrten die Wachsoldaten Mund und Nase auf. Nach einigen Verhandlungen wurde irgendein Vorgesetzter geholt. Erneutes Parlamentieren; schließlich erhielten wir die Erlaubnis, unseren Proviant zu verteilen (ihn den Gefängnisbehörden abzuliefern, weigerten wir uns). Clara durfte mit einem der Agenten ins Gefängnis und die zwei Körbe Eßwaren selbst ausgeben, Gespräche mit den Gefangenen waren ihr verboten worden.
Als sie zurückkam, erzählte sie: «Was ist dieser Bonze nur für ein sturer Kerl. Sagt er mir doch: Seit wann arbeitet ihr mit den Gegnern der Partei zusammen? Ich gab ihm keine Antwort, Lebensmittel nahm er nicht an.»
Auf dem Innenministerium war uns empfohlen worden, den sozialistischen Parteisekretär von Valencia, Cordero, aufzusuchen. Cordero, ein älterer, robuster Bauerntyp mit herabhängendem eisgrauem Schnurrbart, war kurz angebunden. Als der eine unserer Agenten mit uns zusammen das Parteibüro betreten wollte, schnauzte er ihn an: «Wer sind Sie?»
«Ich bin Polizeifunktionär und hab die zwei Ausländer zu bewachen.» «Hinaus, sofort, ich dulde keine Polizeibeamten in meinem Büro», schnaubte er wütend und schlug dem verdutzten Mann die Tür vor der Nase zu.
Dann erklärte er uns kurz: «Ich habe vom Kameraden de Brouckere, dem Sekretär der Sozialistischen Internationale, den Auftrag erhalten, Sie zu befreien. Es sind meine Leute, die ins Gefängnis eingedrungen sind und Sie herausgeholt haben. Was gedenken Sie zu tun?» Er war uns offensichtlich nicht wohlgesinnt. Wir begriffen auch, warum. In der spanischen Sozialistischen Partei gehörte er zur Richtung Caballero, die in der ersten Zeit mit den Stalinisten zusammengearbeitet hatte. Mit dem Sturz der Regierung Caballero kurz nach den Maitagen war das lose Bündnis in die Brüche gegangen. Für Trotzki sten, wofür er uns hielt, noch dazu ausländische, hatte er nichts übrig. Wir gestanden, noch keinen Entschluß gefaßt zu haben.
«Nun, Sie stehen jetzt unter dem Schutz der Regierung, weiter kann ich nichts für Sie tun.»
Trotz der unfreundlichen Behandlung unterrichteten wir ihn über die Lage Pedro Hirtens. Cordero versprach nichts, machte sich Notizen und entließ uns.
Die Unterredung mit Cordero hatte unsere leise Ahnung bestätigt, daß unsere Befreiung über den Kopf der GPU hinweg von der Sozialistischen Partei organisiert worden war. Zum erstenmal hörten wir von einer ausländischen Einflußnahme auf unser Schicksal. Als wir noch am selben Nachmittag zum Lokalkomitee der Anarchisten fuhren, wurde unseren Schutzengeln erstmalig unangenehm zumute. Sie waren ja auch als Polizeibeamte Mitglied der Sozialistischen Partei und wollten wissen, welche Gründe uns dorthin führten. Wir erklärten ihnen ganz offen unsere Absicht, das Lokalkomitee der FAI über die Zahl und die Lage der in Santa Ursula inhaftierten anarchistischen Kameraden zu orientieren. Sie setzten eine sauersüße Miene auf, hinderten uns indessen nicht an unserem Vorhaben. Die Anarchisten waren teilweise schon informiert, nahmen aber unsere Angaben zur Kenntnis. Jedoch verhehlten sie keineswegs, daß wenig Hoffnung bestehe, eine Freilassung zu erzwingen.
So süß für uns die Freiheit war, die ungewohnte Situation benagte uns nicht. Wir hatten nichts zu tun. Unsere Beschützer bewachten uns wie ihre Augäpfel; nachts schliefen sie auf einem Kanapee vor unserem Hotelzimmer, tagsüber fuhren sie uns im Wagen durch die Stadt spazieren. Obwohl wir keinen Pfennig Geld besaßen, lebten wir wie hohe Regierungsbeamte in einem der besten Hotels der Stadt, hatten ein Auto, konnten nach Herzenslust einkaufen. All das war neu, interessant und bequem. Doch paßte uns weder die dauernde Bewachung noch unser Privilegiertenstatus inmitten einer hungernden Bevölkerung.
Unserer Einschätzung nach hatten die revolutionären Kräfte in Spanien die Partie verspielt. Die fatale Nichteinmischungspolitik der Westmächte (die «rote Gefahr» war der Hauptfeind, nicht der Faschismus), das Ausbleiben einer tatkräftigen Unterstützung durch das französische Volk reduzierte die Aussichten eines siegreichen Kampfes gewaltig. Stalin war es gelungen, in Spanien alle revolutionären Kräfte zu zerschmettern; die russische Hilfe sollte nur eine bürgerliche Republik restaurieren helfen, die unter russischer Kontrolle stehen würde, ohne daß das zu sehr in Erscheinung trat. Stalins Politik war darauf aus, es mit den Westmächten nicht zu verderben. Die Ausrottung der alten bolschewistischen Garde, von Stalin in Rußland mit blutiger Konsequenz durchgesetzt, erlebte in Spanien eine Neuauflage, die nur darum weniger blutig ausfiel, weil die russischen Agenten auf fremdem Boden arbeiten mußten und im spanischen Staatsapparat teilweise auf Widerstand stießen. Für irgendeine Republik von Stalins Gnaden wollten wir uns politisch nicht mehr engagieren oder an der Front weiterkämpfen. Wie so vielen anderen, wäre uns das früher oder später durch einen stalinistischen Schuß in den Rücken zum Verhängnis geworden. Es war angezeigt, Spanien zu verlassen. Doch wie? In Barcelona hatte die GPU unsere Pässe zurückbehalten, ohne sie konnten wir nicht ausreisen. Wir ent schieden uns deshalb, beim Innenministerium vorzusprechen und unseren Wunsch darzulegen. Derselbe Beamte wie beim ersten Besuch empfing uns; er telefonierte sofort nach Barcelona. Da er offenbar eine ausweichende Antwort erhielt, setzte er sich mit dem Innenminister in Verbindung. Fünf Minuten später wurden wir beide in dessen Büro geführt. Zugazagoita bat uns, Platz zu nehmen, ließ sich von dem Beamten nochmals die Sachlage schildern und griff zum Telefon. Kurz und energisch gab er seine Befehle, legte den Hörer auf und erklärte seinem Beamten: «In fünf Minuten fahren zwei Beamte des Ministeriums nach Barcelona, heute um Mitternacht will ich die zwei Pässe auf dem Tisch sehen.»
Mit höflich-beruhigenden Worten entließ er uns. Schlag Mitternacht erhielten wir von unseren Schutzengeln im Hotelzimmer unsere Pässe. Am Morgen besorgten wir unsere Ausreisevisa, worauf wir nochmals auf dem Innenmisterium vorsprechen mußten. Der uns bekannte Beamte erkundigte sich nach unseren Wünschen und erklärte, er sei ermächtigt, uns für die «erlittene Unbill» eine Entschädigung auszuzahlen. Wir lehnten ab. Für die Reise an die französische Grenze stellte er uns einen Wagen mit zwei Funktionären des Innenminsteriums zur Verfügung. Mitte September verließen wir Valencia, die Fahrt nach Barcelona verlief ohne Probleme.
In Barcelona wollten wir uns unbedingt nach dem Schicksal von Wolf und Moulin erkundigen. In den zehn Tagen der Freiheit in Valencia hatten wir vom mysteriösen Verschwinden Wolfs gehört. Seit seiner Freilassung aus der Puerta del Angel war er unauffindbar. An die Adresse der Wohnung, wo wir mit ihm und seiner Frau gehaust hatten, konnten wir uns nicht mehr erinnern, zudem hätten wir dort womöglich nur Menschen in Gefahr gebracht. Wie wir wußten, hatte Wolf mit einem italienischen Journalisten, der aber wie er für englische Zeitungen schrieb, in enger Verbindung gestanden. Wir kannten das Hotel, in dem der Italiener damals logierte, und suchten es auf. Während die beiden Beamten vor dem Hotel warteten, erkundigten wir uns im Empfangsraum nach Tioli. Der Hotelangestellte gab uns eine unklare Auskunft. Kaum hatten wir das Hotel verlassen, stürzten zwei Männer auf uns zu, tasteten uns nach Waffen ab und erklärten uns für verhaftet. Wenige Meter von der Szene entfernt stand mit der Pistole im Anschlag ein dritter Mann. Da griffen unsere Beamten ein; zusammen mit dem Chauffeur eilten sie herbei, die Waffen schußbereit in den Händen. Es kam zu keiner Schießerei, die Spanier diskutierten, unsere Agenten wiesen ihre Schriftstücke vor, der Zwischenfall wurde zur Zufriedenheit aller beigelegt.
Die Erklärung der Angelegenheit: Tioli, der italienische Journalist, war wenige Tage zuvor entführt worden. Seitdem bewachten Agenten der Sicherheitspolizei das Hotel, um jedermann zu verhören, der nach dem Entführten fragte.
Von Moulin wußten wir nichts, besaßen keine Adresse, keine Nachricht. War er noch am Leben? Und Wolf? Es fehlten uns alle Anhaltspunkte für längere Nachforschungen (die uns in unserer Lage auch schwerlich geglückt wären). Ob Erwin Wolf, Moulin, Mark Rein Opfer des GPU-Terrors geworden sind wie Kurt Landau, der italienische Anarchist Berneri und so viele andere, ist bis heute nie restlos aufgehellt worden. Am Abend erlebten wir eine mehr komische Episode. Unser Wagenlenker behauptete, er kenne ein gutes Lokal in der Stadt, und bestand darauf, daß wir dort gemeinsam zu Abend aßen. Kaum hatten wir in dem Restaurant Platz genommen, sahen wir, in welche Löwengrube wir gefallen waren: Sie entpuppte sich als das Stammlokal der Stalinisten. Wenige Tische von uns entfernt saßen einige Agenten, die uns verhört hatten. Sie erblickten und erkannten uns, tuschelten, drehten die Köpfe, dann brach der Tumult los. Der deutsche Agent, der jeweils den Vorsitz geführt hatte, erhob sich und schrie: «Das ist eine Gemeinheit, eine Provokation, Konterrevolutionäre in unserem Lokal, ich verlange, daß diese Leute sofort gehen!»
Wir blieben ruhig sitzen. Die Stalinisten näherten sich unserem Tisch, das Publikum wogte wie ein aufgescheuchter Bienenschwarm durchein ander. Das energische Auftreten unserer drei Beschützer stellte einigermaßen die Ruhe her. Wir schmausten weiter, die Stalinisten verließen das Lokal. Als wir dann später gingen, sahen wir sie draußen an einer Ecke stehen und uns wütende Blicke zuwerfen. Die letzte Strecke bewältigten wir am nächsten Tag. Im Laufe des Nachmittags kamen wir in Port Bou an, wo wir uns von den drei Beamten verabschiedeten. Wir waren frei. Gleichzeitig mit uns überschritt der spanische Außenminister Alvarez del Vayo die Grenze. Wir hätten ihn nicht bemerkt; doch als wir uns im Dialekt unter hielten, näherte sich uns eine Dame und sprach uns in echtem Bern deutsch an. Del Vayos Frau. «Sind Sie Schweizer?» erkundigte sie sich bei Clara. «Wo kommen Sie denn her?»
«Wir kommen gerade aus dem Gefängnis der GPU.» Die Dame gab sich einen Ruck, machte kehrt und verschwand an der Seite ihres Mannes.
Innenministerium
Amtliche staatliche Nachrichten-Abteilung
Auf Beschluß der vorgesetzten Behörde ist mit heutigem Datum das Ehepaar Thalmann unter Überwachung in Freiheit gesetzt worden. Seine Überwachung wird ausschließlich durch Personal dieses Departementes ausgeübt, und es wird hiermit bekanntgegeben, daß obgenannte Personen unter dem unmittelbaren Schutz der spanischen Regierung stehen und kraft dieses Befehls durch keinerlei Behörden außer dem genannten Departement verhaftet werden können. Ebenso wird bekanntgegeben, daß das Ehepaar Thalmann ermächtigt ist, zu jedem ihm genehmen Zeitpunkt Spanien zu verlassen. Dieses Schreiben hat den Zweck, den Betroffenen den Umständen entsprechend als Geleitbrief zu dienen und wird ausgefertigt im ausdrücklichen Auftrag seiner Exzellenz, des Herrn Ministers des Innern in Valencia, am 30. August 1937.
Der Vorsteher der staatlichen speziellen Nachrichten-Abteilung: sig. Francisco Ordonez
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