Margot Schröder
Schon vor dem Kriege hatten wir im Kreise der deutschen Emigration die flüchtige Bekanntschaft des Ehepaar Schröder gemacht. Hans Schröder, ein in den dreißiger Jahren stehender , kerngesunder Mann, war aus Deutschland geflüchtet, weil er eine Jüdin zur Frau hatte. Vor Hitler's Machtantritt war Schröder eine Zeitlang Betriebsrat gewesen, ohne weitere politische Aktivität auszuüben. In der Emigration kümmerte er sich wenig um die Politik. Als er bei Kriegsausbruch interniert wurde, folgte ihm seine Frau beim Einsetzen der deutschen Offensive ins Lager nach. Wir hörten lange nichts mehr von ihnen. Anfangs 1942 begegnete ich zufällig Schröder auf der Straße. Er erzählte, daß er, aus dem Lager entlassen, vorläufig allein nach Paris zurückgekehrt sei, seine Frau als Jüdin, sei in der freien Zone geblieben. Schröder war legal in Paris, ja er arbeitete sogar in einem von den Deutschen requirierten Betrieb als Dolmetscher. Da bisher gegen die Juden noch keine Maßnahmen ergriffen worden waren, trug er sich mit der Absicht, seine Frau nachkommen zu lassen, da er gut verdiente. Er erkundigte sich bei mir nach den Möglichkeiten, für seine Frau falsche Papiere zu beschaffen, mit denen sie die Demarkationslinie überschreiten könnte. Ich wollte ihm weder zureden noch abraten, gab ihm die Ratschläge zur Beschaffung von Papieren.
Einige Wochen nachher traf seine Frau anstandslos in Paris ein und die beiden lebten friedlich in ihrer Wohnung. Sie hatten wenig Glück. Wenig später kam der Erlaß zum Tragen des Judensterns heraus. Margot Schröder sah zu jüdisch aus, um der Maßnahme entgehen zu können; in instinktiver Voraussicht sah sie weitere Maßregelungen voraus. Sie entschieden sich, getrennte Wohnung zu nehmen.
Mit drei schweren Überseekoffern, voll mit Wäsche und Kleidern übersiedelte Margot zu französischen Bekannten. Auf keinen Fall sollte ihr Mann beim Transport der Koffer dabeisein und sie rief mich zu Hilfe. Doch als die großen Razzien gegen die Juden begannen, bekamen es diese Bekannten mit der Angst zu tun und sie mußte erneut in eine andere Wohnung umziehen; wieder half ich ihr beim Transport der schweren Koffer. Nach wenigen Tagen aber, stand Margot erneut, unglücklich, verlegen und beschämt vor uns: auch im zweiten Unterschlupf war Furcht eingekehrt, inzwischen waren für das Verbergen der Juden schwere Strafen angesetzt worden und die Leute wollten Margot nicht mehr weiter bei sich dulden. Erneut sollten die drei schweren Koffer herumgeschleppt werden. Ich hatte genug davon und bot ihr an, bei uns Unterkunft zu nehmen, irgendwie würde auch für sie noch Platz sein. Sie nahm hocherfreut an, wir konnten sie, da es Sommer war, im Atelier unterbringen, die Koffer verstauten wir im Keller.
Die Wohnung ihres Mannes lag in unserem Quartier und bei Ein bruch der Dunkelheit besuchte sie ihn heimlich. Nach einem sol chen kurzen Besuch kam sie eines abends weinend zurück: ihr Mann war von der Sicherheitspolizei abgeholt worden. Sie war untröstlich. Weder hatte sie etwas über den Grund der Verhaf tung noch über den Verbleib ihres Mannes erfahren. Nach der ersten Bestürzung ging sie energisch daran, Nachforschungen an zustellen. Mit Hilfe der amerikanischen Quäker gelang es ihr, seinen Aufenthaltsort herauszufinden: Hans saß im Gefängnis Cherche-Midi. Durch die Quäker konnte sie ihm einige Lebens mittel zukommen lassen.
Margot war eine bildhübsche Frau, aber im schwersten Grade schwerhörig. Sie verstand es meisterhaft, ihr Gebrechen geschickt zu verbergen. Mit unglaublicher Geschicklichkeit verstand sie es, das gesprochene Wort von den Lippen der Sprechenden abzulesen. Erst nachdem sie einige Tage bei uns war, kamen wir auf ihre Schliche. In der Dunkelheit, beim Abhören des B.B.C. war sie machtlos, sie mußte fragen, ihre Schwerhörigkeit eingestehen. Sie war eine feinfühlige, gebildete und charakterstarke Person. Ihr jüdischer Typ, ihre Schwerhörigkeit bildeten für ein illegales Leben große Nachteile. Trotz ihrer großen Sorgen um ihren Mann, um ihr eigenes Schicksal, versuchte sie uns so wenig wie möglich damit zu belasten. Von Zeit zu Zeit besuchte sie die Hausschließerin der alten Wohnung, wo sie ihre Möbel zurückgelassen hatte, auch hoffte sie eventuelle Briefpost abzufangen. Von dort kam sie eines Nachmittags verstört zurück: die Gefängnisverwaltung hatte ohne Erklärung die Kleider ihres Mannes, die Wäsche bis zur Zahnbürste an ihre alte Adresse zurückgeschickt. Das war zu viel, Margot brach weinend zusammen, fest überzeugt, ihr Mann sei erschossen worden. Wir versuchten sie zu trösten und ihr einzureden, ihr Mann sei irgendwo anders hin befördert worden, obwohl auch wir das Schlimmste befürchteten. Margot glaubte uns nicht, wurde krank und legte sich für zwei Tage ins Bett. Nachdem sie sich einigermaßen erholt hatte, setzte sie sich erneut mit den amerikanischen Quäkern in Verbindung. Auf diesem Wege erfuhr sie endlich, daß ihr Mann lebte; er war nach Deutschland in ein Gefängnis abtransportiert worden. Sie war überglücklich und schmiedete Pläne, um den neuen Aufenthaltsort ihres Mannes herauszufinden.
Als wir Margot in unseren Pavillon aufnahmen, geschah es in der Absicht, sie bald in die freie Zone abzuschieben. Mit ihrem Einverständnis hatten wir die vorbereitenden Schritte unternommen. Jetzt, nach der Verhaftung ihres Mannes, nachdem sie ihn in Deutschland wußte, wollte sie von diesem Plan nichts mehr wissen.
„Ich will in der Nähe meines Mannes sein”, erwiderte sie halsstarrig auf alle unsere Einwände.
„Sobald ich weiß, wo Hans im Gefängnis sitzt, fahre ich in diese Stadt zurück”, wiederholte sie immer wieder. Vergeblich versuchten wir, ihr diesen gefährlichen Plan auszureden, sie beharrte darauf und unternahm alle Schritte, um ihn zu verwirklichen. Die deutschen Behörden durchkämmten zu dieser Zeit das ganze besetzte Frankreich, um „freiwillige” Arbeitskräfte unter allerlei Vorspiegelungen nach Deutschland zu locken; da sie damit wenig Erfolg hatte, griffen sie zu Zwangsverschickungen. Bedingung war: arbeitsfähig und Arier zu sein. Auch diese Bestimmung konnte Margot von ihrem Vorhaben nicht abbringen. Sie suchte eifrig nach Möglichkeiten und Gefährten, die dasselbe Wagnis wagen wollten. Die einsetzenden Judenverfolgungen verlockten manche Juden, mit falschen Papieren Arbeit in Deutschland anzunehmen. Sie hofften in der Höhle des Löwen sicherer zu sein. Margot gelang es mit Hilfe ungarischer Juden einen Arierausweis zu erhalten. Sie kam damit stolz zu uns, fest überzeugt, ihr Unternehmen werde gelingen. Ein einziges Hindernis war noch zu nehmen: die arische Blutprobe. Die hitlerschen Rassengesetze hatten einen findigen Charlatan, einen Genfer Bürger, der sich „Professor” Montandon nannte, veranlaßt, sich dank dem Blubo-Blödsinn ein lukratives Geschäft aufzubauen. Der „Professor” richtete in Paris mit Hilfe deutscher Stellen ein Laboratorium für rassische Blutforschung ein. Hier wurden die Arbeitskräfte für das Reich auf ihre rassische Reinheit untersucht. Margot ging klopfenden Herzens zur „Konsultation”; man zapfte ihr einige Gramm Blut ab, forderte sie auf, am anderen Tag die „Analyse”abzuholen. Sie bekam nach Bezahlung von 1000 francs ein pompöses Papier, das ihre rein arische Abstammung attestierte, womit ihrer Arbeit im großdeutschen Reich nichts im Wege stand. Als Margot mit diesem Papier bei uns anrückte, lachten wir uns beinahe krank über diesen blutigen Witz, hinter dem nichts als schnöde Geldgier steckte. So war Margot nun eine ungarische Arierin geworden und erwartete täglich ihre Abfahrt. Sie hatte inzwischen auf tausend Umwegen erfahren, daß ihr Mann im Gefängnis in Magdeburg saß. Der Tag ihrer Abreise kam, wir verabschiedeten uns, und mit anderen zu Ariern gewordenen Juden reiste sie nach Deutschland. Ihr Bestimmungsort war Wien. Wir verabredeten mit ihr, unter ihrem neuen Namen Verbindung aufrecht zu erhalten. Vor dem Abschied gab sie mir eine Vollmacht, um ihre Möbel, Wäsche und einige andere Kleinigkeiten aus der alten Wohnung zu holen. Ich begleitete sie zur Bahn. Es war ein Abschied für immer.
Einige Tage später holte ich die Möbel ab, die Concierge, durch Margot informiert, verhielt sich sehr anständig. Ein französischer Schachfreund der Schröders, half mir beim Verladen der Möbel. Der Franzose, den ich nur flüchtig kannte, war sehr zuvorkommend und wollte mir unbedingt helfen, den schwer beladenen Wagen bis in unseren Pavillon zu ziehen. Ich lehnte ab, ich wollte aus Vorsicht unsere Adresse nicht preisgeben. Er war aber von seiner hilfsbereiten Absicht nicht abzubringen und zog kräftig mit bis zu unserem Haus. Vor dem Wegfahren hatte mir die Hausschließerin einen Brief zugesteckt, der für Margot angekommen war. Erst zuhause sah ich, daß der Brief den Stempel SD, deutscher Sicherheitsdienst trug. Wir öffneten den Brief: es war eine Vorladung vor die Gestapo. Erst jetzt wurde mir klar, daß es ein kapitale Dummheit gewesen war, den Brief an mich zu nehmen. Nun war es zu spät, wir verbrannten ihn. Eine Woche später erschien der so hilfsbereite Franzose sehr verängstigt und erzählte: die Gestapo sei in die Wohnung der Schröders gekommen, habe sich nach der Vorladung erkundigt. Die eingeschüchterte Hausschließerin gestand, sie hätte den Brief dem Mann übergeben, der die Möbel abgeholt habe. Die Gestapo verlangte die Adresse, die die Hausschließerin glücklicherweise nicht kannte. Hingegen war ihr die Adresse des Freundes bekannt, die sie der Gestapo angab. Der Mann erhielt den Besuch der deutschen Polizei. Zum Glück war der Mann nicht auf den Kopf gefallen und versicherte, er kenne die Adresse nicht, er habe bloß geholfen, die Möbel aufzuladen. Die zwei Beamten hätten ihn bedroht und ihm eine Vorladung in Aussicht gestellt. Er sei jetzt gekommen, uns zu warnen und uns gleichzeitig zu versichern, er könne nicht garantieren, daß er unsere Adresse lange geheim halten könne.
Wir wußten auch keinen Rat, baten ihn, unsere Wohnung nicht preiszugeben, uns auf jeden Fall sofort zu benachrichtigen, sofern eine neue Wendung eintrete. Er versprach es. Sehr beruhigt waren wir nicht. Doch wider Erwarten geschah nichts. Viele Wochen später traf ich den Mann auf der Straße wieder, er hatte von der Sache nichts mehr gehört und nie eine Vorladung erhalten. Offenbar war die Sache als unwichtig eingeschlafen. Vom Leidensweg der Margot Schröder erfuhren wir nach Kriegs ende von ihrem Mann. Hans Schröder war wegen seiner einstigen Tätigkeit als Betriebsrat zu vier Jahren Gefängnis verurteilt wor den. Er saß sie in Magdeburg ab, überstand den Krieg und begann danach sofort mit Nachforschungen nach seiner Frau. Nach zahllosen Bemühungen durch das Internationale Rote Kreuz, der Organisation für Zivilinternierte erfuhr er ihr Schicksal. Margot arbeitete zuerst in Wien in einem Metallwerk, später in Linz. Irgendwie wurde ihre jüdische Abstammung entdeckt, sie geriet in Gefahr und versuchte bei Feldkirch die Schweizer Grenze zu überschreiten. Dabei wurde sie verhaftet und ins Lager von Neuengamme deportiert. Beim Vorrücken der Allierten wurde das Lager geräumt, die Insassen mußten einen langen Todesmarsch antreten, Margot hielt die Strapazen nicht durch, brach zusammen und wurde abgeknallt. „Professor” Montandon wurde nach der Befreiung von Paris von der Widerstandsbewegung erschossen.
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