6. Fazit und Konsequenzen
Um mein Ergebnis zu verteidigen, möchte ich noch kurz einigen möglichen Einwänden begegnen.
Zum einen könnte mein Ergebnis nahelegen, dass Personen, wie Hanna, nicht verantwortlich für das sind, was sie anderen Menschen angetan haben. Schliesslich scheint sie durch bestimmte Faktoren in eine Situation hineingeschlittert zu sein, die zunehmend ihre eigenen rationalen Fähigkeiten ausschaltet. Auf diese Weise, so könnte man zugespitzt einwenden, werden Täter zu Opfern ihrer Umstände gemacht. Mein Ergebnis scheint daher unzumutbar exkulpatorisch.52
Es impliziert jedoch nicht, dass Hannas Verhalten nicht tadelnswürdig ist oder keine Strafe verdient. Ihr Beitrag zu einem kollektiv begangenen Schrecken bleibt genauso furchterregend! Ihre moralische Verantwortung hängt schliesslich davon ab, wie sehr sie das Verlernen ihrer eigenen rationalen Fähigkeiten hätte verhindern können. Dies muss Gegenstand einer eigenen Untersuchung sein. Mein Ergebnis macht Mittäter nicht nur zu Opfern der Umstände, sondern zeigt, wie sie sich unter diesen Umständen zu sekundär amoralischen Personen entwickeln.53
Zum zweiten liegt der Einwand nahe, dass meine Analyse schliesslich dazu führt, Mittäter gar nicht mehr als Beteiligte an einer kollektiv begangenen Gräueltat auszeichnen zu können. Schliesslich verfügen sie weder über entsprechende kollektive Absichten noch notwendigerweise über ein kollektives Ziel (wie etwa die Judenvernichtung). Diese Diagnose spricht meiner Ansicht nach nur dafür, unsere Theorien kollektiven Handelns auszuweiten. Der Beitrag einzelner zu Gräueltaten muss nicht über ihre partizipatorische oder Wir-Absicht individuiert werden, ein unmoralisches Ziel mitzuverursachen. Er kann auch in der Absicht bestehen, das zu tun, was die sozialen Normen, die Rolle oder die Pflicht erfordern, sofern dies in Abstimmung mit anderen ausgeführt wird.
Zum dritten lässt sich einwenden, dass die Figur der Hanna viel zu blass bleibt, um meine Analyse zu motivieren. Ich habe diesen Einwand bereits zu entkräften versucht, indem ich das Verhalten Hannas durch andere (historische und sozialpsychologische) Quellen zu stützen versucht habe. Mir scheint sie daher prototypisch für Mittäter einer bestimmten Art. Wie bereits angedeutet, impliziert dies nicht, dass es nicht andere Täter gab – solche etwa, die wussten, dass sie unmoralisch handeln, die böse Absichten hegten und die moralisch höchst pervertierte Auffassungen vertraten.54 Die moralpsychologischen Voraussetzungen, die Täter und Mittäter von kollektiv begangenen Gräueltaten auszeichnen, sind vielfältig und komplex. Ich habe hier lediglich versucht, einen Typus näher zu analysieren. Eine Analyse der Hanna lehrt uns, wie Entmoralisierung durch das Zusammenwirken persönlicher Fähigkeiten wie sozialer Umstände entstehen und zur Beteiligung an grausamen Taten führen kann.55 Dies sind die motivierenden Gründe, die ihr Verhalten erklären. Dass sekundäre Amoralität eine eigene Kategorie des Unmoralischen ist, sollte von einer Theorie gemeinsamen Handelns ebenso berücksichtigt werden wie von der Moraltheorie. Es muss einer weiteren Arbeit überlassen werden zu zeigen, welche Eigenschaften Personen erwerben sollten, um sekundäre Amoralität zu vermeiden.56
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