Tagebuch ohne Fotos zum Drucken


) Advent     Montag, 01. Dezember 2008



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6.) Advent

 

 



Montag, 01. Dezember 2008

Ganz leise und schrittweise hat sich der Advent dieses Jahr bemerkbar gemacht: Vor ein paar Tagen hat die orthodoxe Kirche ihre Fastenzeit eingeläutet und diese wird auch größtenteils eingehalten. So gibt es in der Mensa jetzt keine tierischen Produkte mehr bis zum Weihnachtsfest und auch auf der Geburtstagsfeier gestern Abend hat es sich beim Essen bemerkbar gemacht - es standen viele Fischgerichte auf dem Tisch. Am Samstag brannte in der Vorabendmesse schon der Adventskranz und heute habe ich zum ersten Mal Weihnachtsmusik in dem Supermarkt gehört, in dem ich immer einkaufen gehe. Und auch die Stadt ist jetzt alles festlich geschmückt und beleuchtet. Ich hoffe, dass es für mich eine ruhige und besinnliche Zeit wird, in der ich mich auch geistlich ein wenig auf die Weihnachtsfeste vorbereiten kann.

Vor der Vorlesung nach dem Essen kam der Professor auf mich zu und drückte mir ein Heft in die Hand, in dem ein Artikel aus Münster stand und unterbreitete mir somit Neuigkeiten aus meiner Studienheimat. Ich habe den Artikel kurz überflogen und wusste dann, worum es geht. Das ist mir aber erst später bewusst geworden. Ich scheine sprachlich also doch Fortschritte zu machen. Nun möchte ich einige weitere Artikel aus der Zeitschrift lesen und habe mir sie vom Professor ausgeliehen. In dem Tschitalnij Sal steht neuerdings eine Glasvitrine, in die der Professor seinen Hut und eine kleine Tasche sorgfältig hineingestellt hat - als wären es kostbare Ausstellungsstücke. Und dann stand heute ein heikles aber höchstinteressantes Thema auf dem Lehrplan: Die Nützlichkeit bzw. Notwendigkeit der Hierarchie in der Ehe. Damit wird von der orthodoxen Kirche das familiäre Patriarchat betont und befürwortet. Ich denke, eine schwere Aufgabe für einen Priester und Professor, dies einer (fast) aus Frauen bestehenden Gruppe zu erklären. Und ich möchte hier ganz ehrlich sagen, dass ich die Befürwortung und Begründung nicht nachvollziehen kann.

Eigentlich war ich heute mit Olga zum Deutsch-Russisch-Tandem verabredet, aber sie ist leider krank geworden. So hatte ich den Nachmittag frei zum telefonieren mit meinen Eltern und meinem Bruder und konnte einen Artikel für die Zeitschrift "K-Teen" der Katholischen-Jugend-Ostfriesland schreiben, den ich nach der Veröffentlichung hier sicherlich präsentieren werde. Es ist gar nicht so einfach, die drei Monate in Russland in 1.200 Zeichen zusammenzufassen.

Und heute habe ich - wenn auch einen Tag zu spät - ein Namenstagsgeschenk von Lena bekommen - es ist ein Reiseführer über Moskau in deutscher Sprache. Über den habe ich mich sehr gefreut - aber nicht deswegen, weil er reichlich alt ist, sondern weil ich weiß, dass sie im Moment sehr wenig Geld hat und sich vielleicht nicht mehr leisten konnte. Für mich ist dies wirklich eine sehr große Geste der Freundschaft gewesen.

Den Abend habe ich mit Oleg und Pjotr verbracht - mit einer leckeren Flasche Bier und viel Spaß. Soviel zum Thema Fastenzeit. Vorher hatte ich bei den beiden an der Zimmertüre angeklopft. Pjotr war gerade dabei, mit einem Hammer auf dem Bettgestell Haselnüsse zu knacken. Dazu benutzte er einen Hammer, mit dem man normalerweise größere Sachen bearbeitet oder zerstört. Das sah alles so lustig aus, dass ich einen Lachanfall bekommen habe.


 

Montag, 02. Dezember 2008

Nun dachte ich, dass ich das Thema Philosophie mehr oder minder abgeschlossen haben könnte - zumindest mit den Prüfungen. Doch weit gefehlt. Gestern Abend kam Dmitri in mein Zimmer und fragte nach, ob ich nicht einen Text für ihn auf das Wesentlichste verkürzen könnte. Das habe ich dann gemacht - und habe den ganzen Abend damit verbracht. Ich mag diese Texte nach wie vor nicht und mein Geist scheint sich in dieser Beziehung nicht vergrößert haben. Mir kommt Philosophie immer mehr danach vor, dass sie zwar vermeintliche Lösungen findet, aber das Vielfache an Fragen aufwirft. Dennoch ist es interessant, was dabei so alles herauskommen kann. Ganz fertig geworden bin ich noch nicht, den Rest will ich morgen früh erledigen. Zum Glück weiß ich heute im Voraus, dass morgen wieder eine Stunde ausfällt, so dass ich morgen keine böse Überraschung erleben werde - dies hoffe ich zumindest.

Dann habe ich gestern krampfhaft versucht, den Spediteur zu erreichen, der mein Paket ausliefern soll, auf das ich mittlerweile sehnsüchtig warte. Nach Auskunft der Spedition soll es wohl diese Woche sein. Nun sollte ich mich aber mit dem Auslieferer für Moskau in Kontakt setzen, habe aber eine Nummer, mit der ich keine Verbindung bekomme. Und auch die Verbindung zu dieser Spedition war gestern sehr schlecht. Auf einmal konnte mich die Frau nicht mehr verstehen - ich sie aber noch und dann kam gar keine Verbindung mehr zustande. Nun hoffe ich, dass mailen weiterhilft. Die Hauptsache ist, dass das Paket bald mal ankommt, denn mir fehlt mein Ostfriesentee doch sehr. Vielleicht klappt es ja diese Woche doch noch.

 
Mittwoch, 03. Dezember 2008

Am Morgen dieses Tages habe ich den Rest von Dmitris Aufgabe erledigt, was noch einmal eine gute Stunde in Anspruch genommen hat. Es ging dennoch schneller als am Abend, da ich nicht so müde und schon an den Text gewöhnt war. Abends gab es dann eine kleine Belohnung - ich habe mit Dmitri und Evgeni zu Abend gegessen und ein Bierchen spendiert bekommen.

Kurz bevor ich dann ins Bett gehen wollte, kam ein Mitbewohner und sagte mir, dass für mich das Paket angekommen sei und bei der Wache liegen würde. So habe ich mir noch einmal Schuhe und Jacke angezogen und bin durch den Regen zum Wachhäuschen gegangen - vergeblich, denn dort war um 23:20 Uhr schon alles verriegelt und verschlossen.

 

 

Donnerstag, 04. Dezember 2008 - Fest des Einzugs in den Tempel der Allheiligen Gottesgebärerin



 

Heute ist der Beginn des Wohlgefallens Gottes

und die Vorherverkündigung der Erlösung der Menschen;

in dem Tempel Gottes zeigt sich deutlich die Jungfrau

und verkündet im Voraus den Christus allen.

Zu ihr lasset auch uns mit lauter Stimme rufen:

Sei gegrüßt, Du Erfüllung der Heilsordnung des Schöpfers.
Der reinste Tempel des Erlösers,

das kostbare Brautgemach,

die Jungfrau,

die heilige Schatzkammer der Herrlichkeit Gottes,

wird heute eingeführt in das Haus des Herrn

und führt mit ein die Gnade im göttlichen Geiste,

die Engel besingen sie:

Sie selbst ist das himmlische Zelt.

 

(Troparion, 4. Ton; Kondakion, 4. Ton)



 

Nun ist heute also schon wieder ein Feiertag in der Russisch-orthodoxen Kirche, der wieder für Unterrichtsausfall gesorgt hat und den ganzen Tag umgeworfen hat. Dieses Mal bin ich zwar etwas früher dahinter gekommen, aber dennoch kam heute alles anders, als geplant.

Zunächst habe ich das Paket bei der Wache abgeholt und es kurz durchstöbert. Zu meiner großen Freude habe ich dort wieder Pumpernickel gefunden und ein kleines Namenstagsgeschenk: Marzipan. Es mag wohl sinnvoll sein, dass ich dies alles gut hier verstecke, damit es mir keiner aufisst. Als allernächstes habe ich einen anderen Pullover angezogen, da ich meine einzigen drei Pullover, die ich im Koffer mitgenommen hatte, langsam leid bin und habe mich in den "neuen alten"  Klamotten den ganzen Tag also richtig wohl gefühlt. Zum richtigen Auspacken war aber keine Zeit mehr, weil ich zum Zug wollte, damit ich pünktlich in zur Göttlichen Liturgie komme. So war ich dann kurz nach zehn dort und die Liturgie muss schon eine halbe Stunde eher angefangen haben, jedenfalls wurde gerade das Evangelium gesungen. Nach der Liturgie wollte ich eigentlich zum Essen gehen, wurde aber noch von Masha aufgehalten - die Masha, bei der ich auf dem Geburtstag war, sie wollte mir eine Bekannte vorstellen: Gisela. Sie ist eine Ostdeutsche, die spät zum Glauben gefunden hat, irgendetwas mit der Orthodoxen Kirche und der Universität zu tun hat und mehr weiß ich auch noch nicht. Wir haben uns jetzt für Montag verabredet. Zum Essen bin ich so erst eine halbe Stunde später gekommen und habe dann erst zu Hause angerufen, dass ich erst später ins Internet komme, was dann auch tatsächlich der Fall war. So habe ich dann noch recht lange mit meiner Mutter telefoniert, das Neuste erzählt und erzählt bekommen und wir haben vor allem überlegt, was wohl im Paket gewesen sein mag. Es ist bei mir nämlich stark beschädigt angekommen. Es scheint aber alles vollständig zu sein. Anschließend habe ich mit einer Freundin per Internet aus Bayern telefoniert, die mich bald besuchen kommt. So haben wir einige wichtige Sachen besprechen können. Auf ihren Besuch freue ich mich schon sehr, ich denke, dass wir gemeinsam hier ein paar aufregende Tage erleben werden können und viel Spaß miteinander haben werden. Es gibt nur einen Wehrmutstropfen an der Sache: Das wir nicht gemeinsam Silvester feiern können - insbesondere aufgrund der blöden Zeiten im Wohnheim - wir müssen ja bis spätestens 23 Uhr zurück sein und dann ist das Tor auch in jedem Fall zu. Nun fährt sie leider schon einen Tag eher weg. Anschließend wollte ich noch den Fernsehturm Ostankino suchen - weiter als bis zur Station Vkno bin ich aber nicht gekommen, da nun schon wieder die Zeit für ein Treffen mit Elena drängte. Wenigstens habe ich dort die Station einer Art Hochbahn gefunden, mit der man schnell zum Fernsehturm kommt. Diesen hätte ich beinahe übrigens nicht gefunden, da er im Nebel und Dunst völlig versteckt war. Im Gesamten hat der Tag irgendwie in viel zu viel Gefühlsduselei und Traurigkeit geendet, so dass ich früh zu Bett gegangen bin, aber nicht ohne mein Zimmer aufzuräumen und eine Packliste des Pakets zu erstellen. 

Eigentlich war dieser Tag etwas anders geplant - zumindest bis nach dem Treffen mit Dmitri gestern Abend. Ich hatte gedacht, dass ich einfach zur Liturgie und anschließend zurück ins Wohnheim fahre und mir einen gemütlichen Tag mache. Nun ist alles anders gekommen, aber es ist auch alles gut.



Donnerstag, 05. Dezember 2008 - Todestag Patriarch Alexej II.

Heute in den Morgenstunden ist der Patriarch von Moskau und ganz Russland Alexej II. verstorben.


Chor:

Das wohlriechende Kreuz Gottes

und die Menschen errettende Predigt geht voraus.

In der Kirche Gottes erscheint klar die Gottesgebärerin

und Christus geht allen voraus!

So singen wir laut:

Freut Euch! Der Zeuge schafft Erfüllung!

Diakon:


In glückseliger Himmelfahrt,

gib' Gott, ewige Ruhe,

dem Knecht Patriarch Alexej

und erschaff' ewiges Gedächtnis.

Chor:


Ewiges Gedächtnis! Ewiges Gedächtnis! Ewiges Gedächtnis!

Seine Seele lasse sich in Ewigkeit nieder

und sein Gedächtnis sei für immer und ewig!

 

(aus der Panichida)


Der Tag fing an für sich schon ungewöhnlich gut an - ich hatte das erste Mal seit einigen Wochen wieder einen Ostfriesentee auf dem Frühstückstisch stehen. Dieser muss heute schon fast Wunder bewirkt haben. Ich hatte mir viel für den Tag vorgenommen, allerdings in dem festen Glauben, dass ich es nicht erreichen würde. Es kam anders. Ich bin heute etwas eher mit dem Zug in die Stadt gefahren, weil ich zuvor noch Geld abheben wollte. Zuerst habe ich dann allerdings im Kursker Bahnhof Fahrpreise für eine Freundin erfragt, die mich bald besuchen kommt. Wenn ich auch noch ein paar Leute vor mir hatte und dann zusätzlich den Schalter wechseln musste, bin ich zügig zum Ziel gekommen und hatte das, was ich wollte. Anschließend habe ich es sogar noch geschafft, Geld abzuheben. Hier war ich eigentlich darauf gefasst, vor einer verschlossenen Türe der Bank zu stehen, aber selbst das war kein Hindernis. Und so bin ich pünktlich um neun Uhr in der Uni erschienen und hatte schon mehr geschafft, als ich mir überhaupt vorgestellt hatte. Nach den beiden Vorlesungen habe ich dann in der Küche gearbeitet und dort erstmals Gerüchte vom Tode des Patriarchen erfahren, die sich dann im Laufe der Stunde immer mehr erhärtet haben. Den Hauptabwasch, der zwischen 14:00 Uhr und 14:30 Uhr anfällt, habe ich fast komplett alleine gemacht: Zuerst die Teller von Essenresten befreien, dann abspülen, danach in Seifenlauge abwaschen und zum Schluss mit klarem Wasser abspülen. Zudem habe ich die Tassen abgewaschen. So bin ich heute mächtig ins Schwitzen gekommen. Die anderen Studenten hatten um 14 Uhr frei und Valentina, mit der ich sonst immer zusammenarbeite - eigentlich auch heute - war in der Zeit länger verschwunden. Anschließend habe ich dann noch einmal warm gegesssen und habe um kurz nach drei den Dienst quittiert, um zur Bank zu gehen und die Überweisung für das Wohnheim zu tätigen. Das hatte ich mir für heute auch vorgenommen und gerade so zeitlich bis zur Chorstunde hinbekommen. Auf dem Nachhauseweg habe ich noch einen Abstecher zum Hotel gemacht, in dem die Freunde übernachten werden. Hier war aber schon alles geklärt, so dass ich gar nicht hätte hinfahren müssen. Vom Hotel bis zur Elektritschka-Station Textilschschiki hatte ich nur knapp acht Minuten bis zur Abfahrt des Zuges. Und selbst das hat heute gut geklappt. In der Regel ist es in Moskau ja so, dass man eher weniger schafft, als wie man sich vornimmt. Heute war es dann das Gegenteil: Ich habe vielmehr geschafft, als geplant. Sogar Postkarten habe ich noch geschrieben. Die muss ich morgen noch zur Post bringen. Das ist der glückliche Teil des Tages.

Trauer und Bestürzung hat die Nachricht des Todes von Alexej II. in den Tag gebracht. Andrej war der erste, der mir das gesagt hat, er wusste aber auch noch nichts Verlässliches. Im Laufe der nächsten Stunde haben mir aber so viele davon erzählt - ich hatte als Essensreste-von-den-Tellern-Wischer bis 14 Uhr ja genug Kontaktmöglichkeiten in die Stalowaja - dass es wohl stimmen musste. Elena drückte mir dann zwei Bonbons in die Hand - ein Zeichen in der orthodoxen Kirche, dass man für einen Verstorbenen beten soll. Und in der Chorstunde gab es dann Gewissheit. Wir haben nicht das übliche Lied zum Unterrichtsbeginn gesungen, sondern mit Diakon Vater Alexej ein Fragment aus der Panichida (Totengedenken) gesungen, dass schon sehr ergreifend war. Von ihm wusste ich auch, dass eine Panichida um 17:30 Uhr in der Fakultätskirche stattfinden sollte. Da war ich nach der Chorstunde dann auch. Die Priester trug zu diesem Zeitpunkt noch ein blaues Priestergewand mit blauer Stola - ebenso der Diakon. Beide haben das Totengedenken mit sehr viel Gefühl und sehr feierlich gehalten. Dazu sang leise und wunderschön ein kleiner Chor - absolut passend zum Anlass. Auch Priester und Diakon haben leise und andächtig gesungen, so dass es eine traurige, aber wunderschöne Panichida war.

 

Anschließend war dann noch ein Gottesdienst, bei dem sich alle Priester und Diakone vor der Ikonstase und dem Ambo im Kirchenraum befanden. Der Rektor der Fakultät, Vater Vladimir, hielt eine Trauerrede und sagte, dass Patriarch Alexej II. ein sehr wichtiger Patriarch für die Russisch-orthodoxe Kirche gewesen ist, große Taten vollbracht hat, den Anstoß zur Gründung dieser Universität gegeben hat und hier auch manchmal zu Gast gewesen ist. Er sprach von einem ungewöhnlichen und weisen Mann und das dieser Tag als ein schwerer Tag in die Geschichte eingehen wird. Vater Vladimir musste nach ein paar Minuten seine Rede abbrechen, da Gefühle und Traurigkeit ihn übermannten. Dies zeigte sich auch während des Gottesdienstes. Dieser wurde durch einen größeren Chor begleitet und sehr viele Gemeindemitglieder sangen mit. Oft habe ich aus der Liturgie das Wort "Radulßja" herausgehört - ein Wort, das mit "Freude" in Verbindung zu bringen ist. Und die liturgische Farbe war heute auch weiß, die auch Freude symbolisiert - so dass der Tod Alexejs II. als ein Fest der Freude gefeiert wurde - die Freude darüber, dass er jetzt im Himmelreich ist. Dennoch wurde auch sehr oft das "Gospodu pomiluj" (Herr, erbarme Dich) gesungen. So habe ich heute mit der orthodoxen Kirche, der Universität und den Freunden zusammen getrauert. Es muss für sie ähnlich sein, wie der Tod Papst Johannes Pauls II. im Jahr 2005 für die katholische Kirche. Viele - das heißt eigentlich alle - kennen doch bewusst gar keinen anderen Patriarchen. Der letzte Gesang des Gottesdienstes war:



 

"Svjatij Boshe, svjatij Krepkij, svjatij Beßsmertij, pomiluj nas!"

(Heiliger Gott, heiliger Starker, heiliger Unsterblicher, erbarme dich unser!)

 
Samstag, 06. Dezember 2008



Der Tag des Hl. Nikolaus, den ich hier beinahe vergessen hätte, war ein sehr langer Tag, der wieder im Zeichen des verstorbenen Patriarchen stand. Zunächst hatte ich wie üblich die Dogmatik-Vorlesung, habe dann in der Stalowaja gegessen und war dann im Internet. Bis hierhin war noch alles normal. Anschließend habe ich im Moskauer Kursker Bahnhof Fahrkarten für meinen Besuch gekauft. Das war gar nicht so einfach, obwohl ich mich gut vorbereitet hatte und alles auf einen Zettel aufgeschrieben hatte - einen alten, aber ziemlich langen Kassenbon. Zunächst musste ich etwas über eine Stunde warten, bis ich an der Reihe war und habe der Dame dann den Zettel gegeben. Doch anstelle auf die Seite zu schauen, wo sämtliche Reiseplanungen stehen, hat sich zunächst meine Einkäufe studiert. Das Buchen der ersten Reise war überhaupt kein Problem, aber die zweite Tour war gar nicht einfach, da schon viele Plätze ausgebucht waren und so musste ich zunächst telefonieren und alles abklären, bevor ich dann buchen konnte. Und die Schlange hinter mir wurde immer unruhiger. Aber letztendlich hat dann alles geklappt und alle sind zufrieden. Zwischendurch hatte sich Lena auch gemeldet und nachgefragt, ob ich mit ihr nicht vom Patriarchen Abschied nehmen wolle. Da hatte ich auch schon etwas mit geliebäugelt, wollte aber nicht alleine dorthin und so war ich froh, dass sie sich gemeldet hat. So habe ich mich dann entschlossen, erst meinen Rucksack und Laptop ins Wohnheim zu bringen und dann gleich wieder zurück in die Stadt zu fahren. Erst bin ich noch in die Fakultätskirche gefahren und nachdem ich das Ölkreuz nach der Vetschernaja erhalten habe, bin ich zur Metro-Haltestelle Ochotnij Rjad gefahren, wo ich Lena getroffen habe. Wir sind dann zusammen zur Christus-Erlöser-Kirche gefahren, wo die Gläubigen von ihrem Patriarchen Abschied nehmen konnten. Dort sind wir halb acht angekommen und haben uns dann hinten an die Schlange angestellt, die in einem großen Bogen einmal um die Kathedrale herumging. Als dann klar war, dass wir wohl sehr lange warten müssen würden, hat Lena für mich ein Quartier in ihrer Gemeinde besorgt und ich habe mich im Wohnheim abgemeldet und Bescheid gegeben, dass ich über Nacht nicht anwesend bin. Das war gar nicht so einfach zu bewältigen: Lenas Handyakku war aufgebraucht und von mir das Guthaben auf dem Handy war recht knapp. So haben wir zwischendurch oft die Simkarten ausgetauscht, so dass wir dann von meinem Handy telefoniert haben, jedoch mit verschiedenen Karten. Ich habe nachher nicht mehr gezählt, wie oft wir mein Handy auseinandergebaut haben. Aufgrund der langen Schlange war ich sehr froh, dass ich meinen schweren Rucksack im Wohnheim zurückgelassen und mich entschieden hatte, ihn dort abzuliefern. Aber ebenso deprimiert war ich, dass ich nicht mehr vernünftig zu Abend gegessen habe und so knurrte der Magen zwischenzeitlich ganz schön. Eine Freundin und Kommilitonin Elenas wollte auch noch zum Patriarchen und sollte dann etwas zu Essen mitbringen. Dies hatte aber keinen Zweck, da die Miliz keinen vorbeigelassen hat. Zwei Frauen, die das Telefonat mit Xenias Absage, Essen mitzubringen, mitbekam, hat mir dann freundlicherweise ihre Kekstüte und zwei Butterbrote überlassen, so dass ich meinen Hunger stillen konnte. Dafür war ich unheimlich dankbar, da es schon zehn Uhr war und ich seit Mittag nur drei Kekse gegessen hatte. Während Elena und ich uns auf Deutsch unterhielten, sprach mich auf einmal eine Frau auf Deutsch an. Sie wollte gerne nach München telefonieren. Wir haben uns noch kurz unterhalten, dann ist sie aber wieder zurück an ihren Platz gegangen. Etwa eine Stunde später hat sie mir einen Becher mit heißem Kakao gebracht, den Elena und ich uns dann geteilt haben. Um etwa ein Uhr nachts sind wir dann in die Kirche gekommen und konnten uns von Patriarch Alexej II. verabschieden. Er lag dort vollständig zugedeckt - eigentlich konnte man nur seine Mitra sehen. Zu seinen Füßen lagen bzw. standen Stab, Kerzenhalter, sein violettes "Gewand" und weitere Regalien. Wir haben noch einen Platz bekommen, wo man in größerem Abstand im Gebet innehaltend stehend, ihn von der Ferne aber sehen konnte und haben dort noch eine Zeit gestanden. Das war für uns ein sehr bewegender Augenblick, als wir ihn dort haben liegen sehen. In dem Bewusstsein, dass er vor nur etwa eineinhalb Tagen noch die Göttliche Liturgie gefeiert hat und anschließend verstorben ist, beschlich mich ein eigenartiges Gefühl des Verstehens und Nichtverstehens. Während ich dort stand, war ich dankbar, dass ich mir die Zeit genommen habe und zu ihm gekommen bin. Es war die letzte Chance, ihn zu sehen. Ich hatte so gehofft, dass ich ihn einmal in der Kirche erleben darf.

Nun fuhren um diese Zeit aber keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr. Wir haben noch auf Xenia gewartet und die Eltern haben uns dann bis fast zur Kirche gebracht. Es war noch ein weiterer Student mit im Auto und an einer Kreuzung sauste ein Polizeiauto an uns vorbei, bremse ab und setzte zurück. Sie hatten bestimmt die kleine Xenia bei uns auf dem Schoß sitzen sehen. In dem Moment haben wir sie schnell heruntergedrückt und so ist die Miliz dann weiter gefahren. Im Gemeindehaus von Elenas Gemeinde haben wir dann noch einen Tee getrunken und haben uns dann schlafen gelegt - ich in Elenas Zimmer und sie im Zimmer von und mit Anna Nikiforovna. Halb vier war es, als ich die Augen zugedrückt habe. Die letzten Gedanken waren die Worte Vater Alexejs (aus Kolomna), der Elena gesagt hat, dass wir uns freuen sollen, dass der Patriarch gestorben ist, weil er jetzt im Himmel ist. Weinen müssen wir, weil wir den Patriarchen nicht mehr haben.

 

 

Sonnstag, 07. Dezember 2008



Die Nacht war sehr schnell wieder zu Ende, weil wir zur Göttlichen Liturgie in Elenas Gemeinde gehen wollten und so hat Elena mich nach Matuschka-Manier um 7:00 Uhr geweckt: Die Tür ging auf, murmelte etwas wie "Tut mir leid, das muss jetzt sein!", das Licht ging an und die Türe flog mit einem Knall zu, so dass ich wach sein musste. Nach dem Frühstück mit Tee und Marmeladenbrot waren wir dann um 8 Uhr in der Göttlichen Liturgie, wo dieses Mal ein professionellerer Chor gesungen hat. Zuerst dachte Elena, dass wir zu spät seien, waren es aber nicht. Lediglich die Uhren im Zimmer von Anna Nikiforovna gehen falsch. Nach der Göttlichen Liturgie haben wir einen Gottesdienst für Heilige gesungen, die Moleben. Nach dem Mittagessen - es gab Matschukas Kohlsuppe und ein leckeres Gemüse - gemeinsam mit Vater Igor und Elena bin ich nach Hause gefahren und habe erst einmal meine Zähne geputzt und mich frisch gemacht und habe dort etwas mehr als eine halbe Stunde geschlafen. Zu 16 Uhr war ich wieder in der Gemeinde und wir wollen die Akafist singen, die dann aber ausgefallen ist und als Ersatz die wesentlich längere orthodoxe Vesper und Morgenliturgie gesungen wurde. Anschließend gab es noch Tee. Zurück in Pererwa habe ich noch Wasser im nahe gelegenen Supermarkt eingekauft. Zum Glück hat sich Pjotr angeboten, meinen Küchendienst zu übernehmen und dann lag ich gegen 23 Uhr im Bett. So habe ich diesen Tag eigentlich komplett in der Gemeinde "Hl. Märtyrerinnen Vera, Nadjeschda, Ljuba und Mutter Sofia" verbracht.
 

Montag, 08. Dezember 2008

Ein Tag voller Regen neigt sich dem Ende zu - eigentlich ist es heute keine Minute trocken gewesen und so ist meine Mütze, die ich mir für Regentage extra gekauft habe, heute voll zum Einsatz gekommen. Als ich in der Uni angekommen bin, hat sich Nina gleich meine Jacke geschnappt und sie über die Heizung zum Trocknen gehängt. Die Frau ist einfach klasse und total fürsorglich. Nach der Ethikvorlesung habe ich mich mit Gisela getroffen und wir haben uns in ein Café gesetzt und miteinander und übereinander gesprochen. Es ging darum, wie sie orthodox geworden ist und warum ich hier orthodoxe Theologie studiere. Daraus hat sich ein sehr interessantes Gespräch ergeben und wir haben viel gemeinsam überlegt und etwas in die Zukunft geträumt. Sie kommt aus dem östlichen Teil Deutschlands und so konnte ich mich zwei Stunden vollständig in meiner Heimatsprache unterhalten und auch mal wieder komplizierte Sätze formulieren. Aus diesem Gespräch sind eine Menge interessante Ideen und Anregungen für die Zukunft hier hervorgegangen. Ich bin mal gespannt, was sich davon umsetzen lässt.



Doch nun mal zur Frage, warum ich eigentlich hier bin. Wie kommt man von Ostfriesland nach Russland? Eigentlich fing alles im Jahr 2004 an, als meine Mutter einen Artikel im Kirchenboten gelesen hat, dass eine kleine Gruppe Jugendlicher über den Caritasverband Osnabrück zum vierten gesamtrussischen Treffen katholischer Jugendlicher nach Irkutsk fliegen wird. Da habe ich mich angemeldet und habe mich einfach auf das Abenteuer Russland eingelassen. In Russland habe ich eine Menge netter Jugendlicher kennen gelernt, ihren Glauben erfahren, von Russland erfahren und gesehen, wie sie leben und was sie denken. Und wir haben miteinander ein paar unheimlich tiefe Glaubenserfahrungen gemacht und Freundschaften geschlossen. Mit der Gruppe waren wir auch in einer recht großen Russisch-orthodoxen Kirche am Fluss Angara, wo ich eine Taufe beobachtet hat, deren Bilder sich mir irgendwie ins Gehirn gebrannt haben. Das war der erste Kontakt zu einer Russisch-orthodoxen Kirche, bei dem ich mir noch nicht viel gedacht habe. Dies wiederum war die Initialzündung für die Vorbereitung für die Tage der Begegnung des Weltjugendtreffens, das ein Jahr später in Köln stattgefunden hat. Ich habe mich aufgrund der Freundschaften sehr dafür eingesetzt, dass wir russische Gäste zu Gast bekommen, was auch der Fall war. So wohnten bei uns im Hause Vater Vladimir und Vater Mark und während dem Treffen habe ich viele Bekannte wieder getroffen und wir haben viel gemeinsam gemacht und die Erinnerungen aufleben lassen. Eine andere Bekannte habe ich ein Jahr später in der Nähe von Nürnberg wieder getroffen. Im Jahr 2005 fing auch mein Studium in Münster an - gleich mit einer Vorlesung zum Thema Taufe, in der der Professor einen Kurzfilm mit einer orthodoxen Taufe gezeigt hat, aber meinem Bombardement von Fragen nicht standgehalten hat und mich an den zuständigen Professor der katholisch-theologischen Fakultät verwiesen, den ich dann für meine Sache begeistern konnte. So habe ich im dritten Semester angefangen, die russische Sprache im Sprachenzentrum zu lernen und mich mit jeder Menge Vorlesungen und Seminare zum Thema Ostkirchen vorzubereiten. Mit jeder Vorlesung habe ich immer mehr Feuer gefangen und habe mich immer mehr für die Russisch-orthodoxe Kirche interessiert. Während der Lernstoff in anderen Vorlesungen oft nur quer durch den Kopf geschossen ist, konnte ich hier sehr viel behalten und habe eigentlich nirgendwo anders so aufmerksam gesessen. In den letzten zwei Jahren habe ich sehr viel auch neben und während dem Studium gearbeitet und versucht, mich auch finanziell vorzubereiten. Ich wusste bis kurz vor der Abreise ja nicht einmal, wo und wie günstig ich wohnen würde. In Moskau musste ich ja mit dem Schlimmsten rechnen. Und dann kam im Februar 2008 die Zusage für ein Stipendium vom Deutschen Akademischen Austauschdienst. Zwischendurch habe ich schon Kontakte über "meinen" Professor knüpfen können. Zwischendurch war ich auch hin und wieder mal in einer Göttlichen Liturgie, dem Abendflehen, der Vetschernaja oder der Panichida und habe so schon einen kleinen Einblick in die Liturgie bekommen, von der ich sehr begeistert war. Und so ging am 26. August der Flieger nach Moskau - mit mir an Bord. 

 

 



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