Sonntag, 21.06.2009 - Fest aller Heiligen Russlands
Am Morgen habe ich zunächst meine Sachen nach Masha gebracht - einerseits die Sachen, die ich in der nächsten Woche benötigen werde, wenn wir im Dorf sind und dann ein paar Haushaltsgegenstände, die ich bei Masha einlagern kann und hoffe, dass ein zukünftiger DAAD-Student sie mir günstig abkauft. Somit ist es heute in meinem Zimmer wieder ein wenig leerer geworden - außer ein paar Kartons und Wäsche ist dort eigentlich nichts mehr zu finden. Alles sieht nun also danach aus, dass ich die Zelte sehr bald abbrechen werde(n muss). Nachdem ich den schweren Rucksack bei Masha abgestellt hatte, bin ich mit ihr zur Göttlichen Liturgie gegangen, die mit fast 40-minütiger Verspätung anfing. Anschließend haben wir gemeinsam für mich Schuhe gekauft - sie sind hier in Russland ja wesentlich günstiger. Anschließend haben wir Lebensmittel fürs Dorf eingekauft, die wir dort hoffentlich alle essen werden, denn der Rucksack, den ich nach dem Essen gepackt habe, ist doch sehr schwer. Anschließend haben wir noch versucht, die beiden kleinen Katzen zu verkaufen und sind dazu in die Metro gegangen und haben uns dort hingestellt. Der erste Mann, der fragte, kam uns nicht vertrauenswürdig zu und der zweite, der kam, war der Wachmann, der uns aus der Station hinausgebeten hat. So sind wir zur Station Tretjakovskaja gefahren, wo wir dann allerdings im Durchzug gestanden haben und den Katzen kalt geworden ist. Etwas mehr Erfolg hatten wir im Durchgang zwischen den Stationen Ochotnij Rjad und Theatralnaja: dort fragte zunächst ein Mann, dem wir dann eine Telefonnummer gegeben haben und anschließend eine Frau mit ihrer Tocher, die sich eine Katze wünschen, das zu Hause aber noch besprechen wollen. Hoffentlich nehmen sie die Katzen, denn man muss beim Verkaufen immer auf die Miliz achten. Am Abend habe ich die Tasche noch einmal neu gepackt und die Ikone zu Ende verpackt: Sie ist jetzt von einem Karton umschlossen, jeder Menge Klebeband, meiner Sommerdecke, eine Schicht Lebensmittelfolie und letztlich mit 15m von der Blasenfolie. So dürfte es hoffentlich heile ein Deutschland ankommen - vorausgesetzt, dass der Zoll keine Schwierigkeiten macht.
Montag, 22.06.2009
Nach dem Aufstehen haben wir die restlichen Sachen gepackt und haben uns mit zwei schweren Rucksäcken zum Savjolovsker Bahnhof aufgemacht und sind dann ins Dorf gefahren. Bis Savjolovo war es eine gewöhnliche Elektritschka und dann ging es mit einer Kukuschka weiter. Das ist ein kleiner Zug, der auf einer Art Nebenbahn verkehrt. In diesem Fall ist es eine sechsachsige Diesellok mit zwei Waggons dahinter, die alle Sitzplätze haben. Nachdem wir die Tickets für den Zug gekauft haben, haben wir uns in den Zug gesetzt und nach etwa zwanzig Minuten Wartezeit ging es dann im gemütlichen Blumenpflücktempo los. In Kaljasin gab es einen längeren Zwischenstopp und dann ging es noch langsamer weiter. In Vysokoje zeigte sich mir dann eine Station, die kaum als solche zu erkennen ist. Dort steht im hohen Gras eine verwitterte Sitzbank, ein altes, verrostetes Schild zeigt den Bahnhofsnamen und ein paar Meter weiter steht noch ein altes Bahnhofsgebäude, das kaum zu sehen ist. Einen Bahnsteig gibt es nicht, einen Fahrplan auch nicht und Wege sind auch kaum zu erkennen. Nach etwa 40 Minuten Fußweg auf einer Sandpiste sind wir dann im Dorf angekommen. Es liegt direkt an der Wolga und besteht aus ein paar Holzhäusern. Nachdem wir die Gartenpforte geöffnet haben, begrüßte uns ein Grasfrosch, der aufgeregt vor dem Eingang hüpfte und versuchte, die Treppe zu erklimmen. Das ist ihm leider nicht gelungen. Nachdem wir die Rucksäcke soweit ausgepackt haben, sind wir erst in der Wolga baden gegangen. Der Strand ist keine zwei Minuten vom Haus entfernt und um schneller ins tiefere Wasser zu kommen, gibt es dort einen recht langen Steg. Das Wasser war noch recht frisch, so dass wir nicht lange im Fluss waren. An uns zog ein großes Passagierschiff vorbei, die dort wohl recht oft fahren. Nach dem Bad haben wir eine Kleinigkeit gegessen und vorher hatten die Handwerke die Pumpe im Brunnen repariert. Während dem Essen lief das Wasser in den Boiler und dann ging die Katastrophe los. Als genug Wasser im Kessel hat Masha die Druckpumpe eingeschaltet und prompt sind in der Küche zwei Anschlüsse gebrochen, so dass das Wasser nur so aus dem Fußboden sprudelte. Ich habe ein Loch notdürftig flicken können und auf das andere habe ich fest meinen Daumen draufgehalten - so lange, bis das gesamte Wasser - etwa 500 l - zurück in den Brunnen geflossen war bzw. durch die Dusche, Toilette und alle anderen funktionierenden Anschlüsse ins Abwasser. Das hat etwa 20-30 Minuten gedauert. Mit einer Hand habe ich versucht, die Überschwemmung mit einem Lappen zu mildern und mit der anderen Hand das Rohr zugehalten. Den Lappen haben ich immer über einem Kochtopf ausgewrungen, der in der Nähe stand. Als Masha ihn ausleeren wollte, mussten wir feststellen, dass da auch noch ein Loch drin war. Nach der Behebung der Überschwemmungskatastrophe habe ich im Garten etwas Gras gemäht - den Weg zum Brunnen, zur Toilette und zum anderen Haus freigemacht. Nach dem Abendessen haben wir uns noch den Sonnenuntergang an der Wolga angeschaut, der einfach nur herrlich war, wären die ganzen Mücken nicht gewesen. Einige waren sogar so hungrig, dass sie dem russischen Mückenspray widerstanden haben.
Dienstag, 23.06.2009
Man stelle sich vor, dass der Text von einer langsam sprechenden und rauchigen Stimme vorgelesen wird:
Es ist Mittag. Mitten im Herzen von Russland - an einer gottverlassenen Bahnstation. Vier Laternen, zwei Bänke, ein zerfallener Bahnsteig und ein Ortsschild, dessen Name Programm ist: Высокое (Vyßokoje)9 Und sonst nur Bäume und hohes Gras. Und jede Menge surrende und beißende Mücken.10 Auf dem einzigen Gleis - kein Zug. Zwei Menschen warten. Warten auf den einzigen Zug des Tages. Am Horizont verschinden die Gleise in der schummernden Hitze. Und sonst nur das Rauschen des Waldes und das gefährliche Summen der Mücken.11
So in etwa endete heute unser geplanter Ausflug nach Uglitsch. Wir sind etwas mehr als eine halbe Stunde zur kleinen Bahnstation gelaufen und haben dort dann knapp über eine Stunde auf den einzigen Zug des Tages gewartet, der dann nicht gekommen ist. So ist unser Ausflug nach Uglitsch ausgefallen und wir sind resigniert wieder zurück ins Dorf gelaufen. Dort haben wir erfahren, dass der Zug am Dienstag und Donnerstag nicht fährt. Und auch sonst soll es häufiger Unregelmäßigkeiten geben. Wir haben mit einer Bekannten von Masha ausgemacht, dass wir eine kleine Bootstour auf der Wolga mit zwei ihrer Söhne machen. Nachdem wir unsere Sachen gewechselt haben, sind wir zu dem Anleger gegangen und dann ging es nach einigen Paddelschlägen im seichten Wasser auch schon los. Das Ziel war ein kleiner Strand etwas abseits vom Dorf, wo man prima auch mit kleinen Kindern baden gehen kann. Das haben wir dann auch gemacht - das Wasser war recht angenehm warm und doch schön erfrischend. Die Mutter der beiden Jungs hat uns selbstgemachten Saft und ein paar Kekse mitgegeben, so dass wir sogar ein wenig Picknick machen konnten. Wir haben aus dem Wald, der direkt an der Wassergrenze ist, ein paar Baumstämme geholt und konnten da gut drauf sitzen. An der Stelle hat mir die Wolga besonders gut gefallen - der Strand mündete sofort am Waldrand, so dass einige Stellen des Strandes sogar vom Schatten der Kiefern und Buchen bedeckt war. Auf der anderen Uferseite war eine halb renovierte Kirche gut zu sehen - vor allem der Glockenturm ohne die Spitze. Nach einer Zeit sind wir wieder zurückgefahren und ich habe weiter das Gras rund ums Haus gemäht, bin aber nicht so weit gekommen, wie ich wollte. Am Abend nach dem Abendessen sind wir noch einmal an die Wolga gegangen, um den Sonnenuntergang wieder zu beobachten und wieder war er einmalig schön. Mittlerweile hoffe ich sehr, dass wir noch viele schöne Sonnenuntergänge hier beobachten können.
Der Morgen verlief eigentlich recht ruhig: Nach dem Aufstehen und einem Bad in der noch kalten Wolga habe ich angefangen, das gestern gemähte und halb getrocknete Gras auf einem kleinen Haufen zu sammeln. Diese waren nachher größer, als ich dachte. Irgendwann kam der Handwerker vorbei, der den Anschluss repariert hat. Mit ihm habe ich mich noch ein wenig auf Russisch unterhalten und auch er kannte noch etwas die Deutsche Sprache. Er hat zum Ende der Sowjetzeit hin in Neuruppin und Potsdam in der Armee gedient. Als er sah, wie ich Essen gekocht habe, hat er die ganze Zeit versucht zu erraten, was ich dort mache. Nudeln war für ihn noch einfach, als ich die aber in die Pfanne getan habe zusammen mit Zucchini, Tomatenmark, Ketchup und Gewürzen, ging ihm die Phantasie langsam aus - es war aber noch genügend da, um mir Tipps zu geben, was ich dem noch zufügen könnte. Letztlich habe ich ihn zum Essen eingeladen und just in dem Moment wollte er gehen. Nach einer Kostprobe fand er das Essen auch lecker - allerdings wäre es nach seiner Meinung nach mit Zwiebeln besser gewesen. Und nach dem Essen sind wir - wie geschrieben - zu der Bahnstation gegangen.
Mittwoch, 24.06.2009
Nun geht der Dritte Tag hier zu Ende - wieder mit einen so schönen Sonnenuntergang wie an den letzten beiden Tagen. Am Nachmittag hat sich der Himmel bewölkt und die Sonne ist verschwunden und seitdem hat sich nichts geändert. Der Tag war heute wieder schön, auch wenn es nicht viel zu berichten gibt: Am Morgen bin ich aufgestanden und bin dann direkt nach draußen gegangen, um das Gras zu mähen. Gegen Mittag sollte dann ein Lebensmittelauto ins Dorf kommen. Kurz nach neun kam ein größeres Auto vorbei und ein paar Augenblicke später läutete eine Glocke. Für mich war die Wahrscheinlichkeit groß, dass das schon das Versorgungsauto ist und habe Masha holter-di-polter geweckt. Die sagte dann nur, dass das nicht sein könne und so war es dann auch. Der Transporter kam dann später - etwa gegen halb drei. Dort kann man so ziemlich alle Lebensmittel kaufen, die ein Haushalt benötigt. Es sind auch ein paar Saisonartikel wie zum Beispiel Kirschen mit dabei. Vor dem Wagen standen dann in einer Schlange jede Menge meist ältere Frauen und die Verkäuferin mit ihrem Fahrer hatte viel zu tun. Den restlichen Tag habe ich eigentlich damit verbracht, auf dem Grundstück das Gras und jede Menge anderes Unkraut wie Brennnesseln mit der Elektrosense zu mähen. Zunächst habe ich im Schatten gearbeitet dann irgendwann in der Sonne, ohne dass es mir richtig bewusst geworden ist. Dadurch habe ich mir einen schönen Sonnenbrand geholt, den wir mit Kefir bekämpft haben. Gegen halb sieben haben wir uns dann zum Bootssteg aufgemacht, wo wir dann gemeinsam baden gegangen sind. Ich habe etwas Shampoo mitgenommen, um mir in der Wolga die Haare zu waschen. Anschließend haben wir erst heißen Tee getrunken, weil uns doch etwas kalt war. Danach habe ich einen Kartoffelauflauf gemacht und wir haben uns den Sonnenuntergang angeschaut.
Donnerstag, 25.06.2009
Der Abschied von Russland und all dem, was ich hier so lieb gewonnen habe, liegt kalendarisch so unvorstellbar nahe. In Wirklichkeit habe ich vielleicht noch gar nicht realisiert, dass ich am Dienstag, also in fünf Tagen, schon Abschied nehmen muss. Ich habe es ein Stück weit ausgeblendet und denke da fast gar nicht drüber nach. Die Vorstellung, schon sehr bald wieder in Deutschland zu sein, kommt so fremd vor, so unglaubhaft. Als ich am Sonntag mit meiner Mutter telefoniert habe, fragte sie mich in froher Erwartung und Fröhlichkeit in der Stimme, ob ich mich schon freuen würde. Sie erwartete mit Sicherheit ein "Ja!" zur Antwort, das ich ihr dann aber nicht geben konnte. Meine Antwort lautete: "Nein, eigentlich nicht so richtig." Und in den Briefen, die ich ab etwa Mai geschrieben habe, habe ich oft geschrieben, dass ich so viel verlassen muss: Die gewohnte und so lieb gewonnene Universität und deren Studenten, das Wohnheim mit seinen Mitbewohnern, meine Freunde hier, die orthodoxe Gemeinde St. Nicolai und generell die schönen Göttlichen Liturgien, das so günstige und leckere Speiseeis, Moskau (so nervig es auch oft ist) und die Umgebung (wo man so tolle Ausflüge hin machen kann) und noch vieles mehr. Der Abschied wird mir von meiner russischen Familie und vor allem von Masha am schwersten fallen. Dann kommt schon sehr bald die Zeit der Trennung - eine sehr schwere Zeit bricht dann an, die ich doch mit viel Zuversicht angehen will. Ein weiteres Zeichen dafür, dass der Abschied in so weiter Ferne liegt, ist, dass ich mich nur recht flüchtig von Mashas Bruder Kolja verabschiedet habe und es gar nicht weiter im Tagebuch erwähnt habe. Er ist jetzt schon in einem orthodoxen Ferienlager irgendwo an der Wolga. Auch jetzt beim Schreiben des Tagebuches ist alles immer noch so weit weg. Mehr als der Abschied beschäftigt mich eigentlich, wie ich die Ikone gut durch den Zoll nach Deutschland bekomme - verpackt ist sie ja nun. Und doch: Auf das Wiedersehen meiner Familie und Freunde freue ich mich.
Nun zu dem heutigen Tag - was habe ich gemacht? Eigentlich so gut wie nichts als Urlaub und lange geschlafen, eine ganze Zeit ein paar Eisenbahnbilder in die Eisenbahnsparte dieser Homepage eingefügt, die CD von der Pomolvka für meine Eltern übersetzt und dann hat Masha mir noch ihr Haus gezeigt, das ein paar hundert Meter von hier entfernt liegt. Und dort haben wir ein paar Pläne gemacht, was man mit dem Haus anfangen kann und wie es gut einzurichten ist. Anschließend sind wir wieder zurück gegangen und haben Essen gemacht. Nach dem Essen sind wir noch einmal zu ihrem Haus herüber gegangen, um die Fenster auszumessen, um Gardinen kaufen zu können. Währenddessen habe ich einen Baum ausgebuddelt, der direkt vor der Toilettentüre auf dem Grundstück gewachsen ist und den Zugang dorthin versperrt hat. Erst habe ich ihn wieder an anderer Stelle eingepflanzt, doch der Nachbar meinte, dass das nicht nötig sei, da sie sich sehr schnell vermehren würden. So habe ich ihn zur "Uferbefestigung" an der Wolga benutzt und das Steilufer hinabgeworfen. Anschließend sind wir noch von eben den Nachbarn eingeladen worden zum Tee. Wir haben dann bis in die Nacht dort gesessen und viel erzählt. Es war letztlich ein sehr schöner Abend und ich wurde sanft gezwungen, einen selbst gebrannten Schnaps zu probieren. Der schmeckte zwar recht gut, aber viel wollte ich davon auch nicht trinken. In der Mittagszeit waren auch Handwerker da, die die Wasserpumpe reparieren wollten, aber für jedes Ersatzteil wieder weggefahren sind. Zwischendurch haben wir den Sonnenbrand mit Kefir eingeschmiert, so dass Rücken und Schultern am heutigen Abend so gut wie gar nicht mehr schmerzen.
Schließlich gab es an diesem letzten Abend im Dorf an der Wolga leider keinen Sonnenuntergang, weil der Himmel den ganzen Tag über bedeckt war und es zeitweise auch geregnet hat. So haben wir eigentlich den ganzen Tag im Haus gesessen. Gegen Morgen bin ich auf der Suche nach einer Möglichkeit das Haus ohne Ofen zu wärmen fündig geworden: In der Toilette hing ein Heizlüfter, den ich einfach ins Wohn- und Esszimmer gestellt habe und es dauerte nicht lange, da war es schon warm.
Freitag, 26.06.2009
Nun sind wir leider schon wieder auf der Rückfahrt aus dem Dorf in die große Stadt Moskau und sehr bald schon wird es mit der erholsamen Ruhe zu Ende sein. Am Himmel ziehen schon die ersten dunklen Wolken auf und der Wetterbericht aus Moskau scheint zu stimmen. Den Tag haben wir noch einmal in Ruhe genossen und erst einmal ausgeschlafen. Gegen zehn Uhr bin ich dann aus dem Bett gestiegen und habe das Tagebuch vom gestrigen Tag geschrieben. Die Sonne schien und es schien ein ebenso schöner Tag zu werden. Nach dem Frühstück habe ich noch etwas an meinem Railsim-Programm herumgearbeitet und kurz darauf kam auch Masha. Zwischendurch habe ich noch die beiden kleinen Holzkirchen des Dorfs fotografiert, die schon fast majestätisch über der Wolga thronen. Wir haben die Zeit bis zur Abfahrt des Zuges damit verbracht, in der Sonne zu liegen, das Haus aufzuräumen, etwas zu essen und wir waren noch zwei Mal in der Wolga baden. Das erste Mal war es recht kalt, weil just in dem Moment die Sonne nicht schien. Kurz vor dem Abmarsch aus dem Dorf zur Bahnstation war das Wasser dann schön warm. Bei einer Bekannten von Masha haben wir die restlichen Lebensmittel abgegeben und sind dann zur bereits beschriebenen Haltestelle gegangen. Dieses Mal kam der Zug und es war ein recht Interessanter: Die Diesellokomotive hatte fünf Waggons am Haken - ein paar davon waren Schlafwagen. Allerdings war der Zug fast 20 Minuten zu spät. In Kaljasin gab es dann eine interessante betriebliche Situation, die ich mir erst gar nicht erklären konnte. Es kam ein zweiter Zug mit drei Waggons in den Bahnhof aus der Gegenrichtung gefahren. Die Lokomotiven vom Gegenzug wurde abgekuppelt und an das Ende unseres Zuges gesetzt, hat drei Waggons abgenommen und an das Ende bzw. Anfang ihres Zuges gesetzt. Dann kuppelte sie wieder ab und fuhr recht dicht auf unseren Zug auf. Wir fuhren los und sie langsam hinterher, bis sie dann im Weichenvorfeld des Bahnhofs stehen geblieben ist. Des Rätsels Lösung ist: Der Zug aus Savjolovo fährt weiter nach Sonkovo und muss so oder so in Kaljasin Kopf machen, das heißt einmal um den Zug drumzu, um dann in entgegen gesetzter Richtung weiterfahren zu können. Dabei hat sie drei Waggons von unserem aus Uglitsch kommenden Zug mitgenommen. Die letzten drei Waggons waren also nichts anderes als Kurswagen. Interessant ist die Strecke von Savjolovo so oder so: Hier verkehrt außer Dienstags und Donnerstags ein Zugpaar nach Uglitsch und zusätzlich Montags, Mittwochs und Freitags ein Nachtzugpaar von bzw. nach Moskau. So hat diese Waldbahn, die Kukuschka (Kuckkuck) genannt wird, tatsächlich noch Fernverkehr zu bieten. Der Einstieg an den Bahnstationen gestaltet sich jedoch recht schwierig: Nicht immer hält der Zug direkt am Bahnsteig und so ist die erste Stufe dann sehr hoch. Masha hatte mit dem Rucksack leichte Probleme dort hinaufzuklettern, zumal auch noch der Griff fehlte. Beim Ausstieg habe ich einer alten Dame geholfen, die mir zuerst ihre Handwägelchen gegeben hat und anschließend die Hand. Sie war sehr dankbar, dass ich ihr die Hilfe angeboten habe. Die Situation für alte Leute und solchen mit Gehproblemen ist in Moskau und besonders in ganz Russland völlig katastrophal. Es gibt mittlerweile zwar Niederflurbusse, aber selbst der Weg für einen Rollstuhlfahrer dorthin wäre nicht zu bewältigen: Es gibt kaum abgesenkte Bürgersteige auf den Straßen, die Einstiege in Busse, Bahnen, Straßenbahnen usw. sind einfach sehr steil und viel zu hoch. Und auch die Metro ist kaum zu erreichen. Einige Stationen sind mit Rolltreppen erreichbar, aber irgendwo versperren normale Treppen dann Rollstuhlfahrern wieder den Weg oder machen alten Menschen den Weg schwer. Beim Kursker Bahnhof gibt es zwar eine Rampe in den "Keller", wo es dann sogar vereinzelt Aufzüge gibt zu den Bahnsteigen, aber um die Rampe vor dem Bahnhof zu erreichen, muss eine hohe Bürgersteigkante erklommen werden. Und auch ein Ticket könnte der Rollstuhlfahrer nicht ohne Hilfe kaufen, da die Schalter zu hoch sind. Dazu kommt, dass wenn er in der Elektritschka sitzt, an längst nicht jeder Station aussteigen kann, da sie kein gleiches Niveau haben oder wiederum an Treppen von den Bahnsteigen scheitern. An für sich werden Behinderte in Russlands Gesellschaft und Leben völlig ausgeklammert und ausgeschlossen - als würden sie nicht existieren. Dementsprechend sieht man auch kaum Behinderte auf den Straßen und Plätzen, wohl aber alte Personen, die sich mit all ihrer verbleibenden Kraft die Treppen heraufquälen. Ich habe zwar schon von Behinderteneinrichtungen gehört, aber nur im äußerst schlechten Sinne, wo diese Menschen mehr oder weniger eingesperrt sind und vor sich hinvegetieren. Als ich diesen Text geschrieben habe, hat Masha von Häusern erzählt, die behindertengerecht gebaut worden seien, aber auch sie sind kaum von Nutzen, wenn die Gesamtsituation mehr als mangelhaft ist.
Samstag, 27.06.2009
Nach dem Aufstehen habe ich mich als erstes in Mashas Zimmer geschlichen und die E-Mails der letzten Tage beantwortet und das Tagebuch ins Internet gestellt. Das hat schon eine gewisse Zeit in Anspruch genommen, da ich seit Sonntag ja nichts mehr in dieser Beziehung gemacht habe. Dabei hat sich herausgestellt, dass meine Rückkehr von einer Firma bei Münster schon sehnsüchtig erwartet wird: Sie scheinen wieder viel Arbeit für mich angesammelt zu haben. Nach dem Mittagessen bin ich mit Masha zu einem großen Flohmarkt gefahren in der Nähe der Station Partisanskaja. Dort ist eine Art Park, der aus einem nachgemachten Kreml besteht. Die ganze Anlage sieht aus wie das Russische Disneyland und machte auf mich einen sehr beengten Eindruck. Dennoch ist alles sehr bunt gemacht hat mich nicht nur an einen Kreml erinnert, sondern in gewisser Weise an einen Tempel einer fremden Religion aus dem Fernen Osten. Davor war ein großer Markt in Holzbuden untergebracht und im Kreml ein Flohmarkt, wo professionelle Händler und Laien ihre Sachen feilgeboten haben. Besonders auffällig war, dass man sehr alte und sehr große Ikonen kaufen konnte, die mit großer Sicherheit aus irgendwelchen Kirchen stammen - entweder ein jüngster Zeit gestohlen oder sie stammen noch von den sowjetischen Enteignungen. Einige stammen sicherlich auch aus alten Häusern von verstorbenen Personen. Masha und ich haben uns eine Ikone für 500 Rubel gekauft, die erst 1500 Rubel kosten sollte. Es ist eine alte Marienikone, die auf Holz gemalt ist und mit Sicherheit über100 Jahre alt ist. Daneben konnte man bei den Händlern alles Mögliche und Unmögliche kaufen: Altes Spielzeug, Militärabzeichen und Münzen, alte Haushaltsgeräte usw. Alles glich eigentlich einem normalen deutschen Flohmarkt in Deutschland. Sogar alte Modelleisenbahnen aus Deutschland habe ich gesehen - eine wäre sogar sehr billig zu haben gewesen. Darunter war eine Firma aus der ehemaligen DDR, von der ich noch nie gehört habe. Wir haben dort noch zwei kleine Geschenke gekauft, dazu für mich einen kleinen alten UDSSR-Eisenbahnatlas für 30 Rubel und für uns eine Lampe in Form einer kleinen Dampflokomotive. Wir sind gegen 16 Uhr wieder zurück gefahren, da ich gerne 17 Uhr in dem Abendgottesdienst sein wollte - es ist für dieses Jahr wahrscheinlich mein letzter und daher war es mir wichtig, ihn noch einmal in voller Länge erleben zu dürfen. Zudem musste ich mit Vater Alexej einen Termin ausmachen, wann ich mit ihm die Hausarbeit bespreche. Das wird am Montag um 15 Uhr der Fall sein. Während dem Gottesdienst habe ich noch Gisela getroffen, mit der ich mich morgen länger unterhalten werde. Nach dem Abendgottesdienst habe ich bei Masha noch ein paar Bratkartoffeln gemacht.
Nach der Rückkehr im Wohnheim habe ich meine Sachen soweit zusammengepackt, dass ich morgen fast alles mitnehmen kann zu Masha. Dann bleiben hier noch noch die allerwichtigsten Sachen stehen, die ich nicht mitbekomme. Beim Packen bin ich natürlich beobachtet worden und ich habe versucht, dem ein oder anderen etwas in die Hand zu drücken, was ich nicht mehr gebrauchen kann. Das war letztlich gar nicht so einfach, weil natürlich alle Studenten ihren eigenen Kram haben. Wenn ich aber doch was losgeworden bin, dann wurde ich mit Gegengeschenken erschlagen, so dass ich jetzt kaum eine Gewichtserleichterung habe, die ich ja eigentlich erzielen wollte. Und nun sieht es von der Ostfriesland-Flagge abgesehen richtig kahl in meinem Zimmer aus, in dem ich jetzt nur noch zwei Male schlafen werde.
Sonntag, 28.06.2009
Nach dem Frühstück bin ich mit dem Großteil der restlichen Gepäckstücke nach Masha gefahren, wo ich sie zwischen gelagert habe. Damit sind im Wohnheim jetzt nur noch der Elektrokamin, ein Teller, ein Messer, eine Tasse und ein Löffel sowie Zahnbürste, Rasierapparat & Co. Somit ist jetzt nur noch eine Rucksackladung im Wohnheim zu finden. Das Gepäck habe ich dann bei Masha deponiert und bin gleich weiter zur Kirche gegangen, um ein letztes Mal in bei diesem Russlandaufenthalt in die Sonntagsliturgie zu gehen. Sie wollte ich vollständig miterleben, was mir auch gut gelungen ist. Zwischendurch bin ich noch einmal schnell nach Masha gehuscht, um den Artikel aus dem Kirchenboten zu holen - gestern hat mich ein Umschlag mit drei Exemplaren der Zeitung erreicht - gerade noch rechtzeitig. Einen davon wollte ich dem Hauptpriester und gleichzeitigem Rektor der Universität, Vater Vladimir geben. Der hat den Artikel entgegengenommen, aber nicht weiter angeschaut, weil er gerade die Kirchenbesucher gesegnet hat. Bei der Gelegenheit habe ich ihm noch einmal für die Studienmöglichkeit gedankt. Zudem habe ich mich von einigen Bekannten aus der Kirchengemeinde verabschiedet. Masha und ich haben dann etwas in der Stalowaja gegessen und sind anschließend zu ihr nach Hause gegangen, weil wir sehr müde waren. Aber dort bin ich selbst nicht zum Schlafen gekommen - zuerst habe ich das Gepäck sortiert und noch einmal abgewogen, so dass ich jetzt eine reelle Gewichtsangabe habe. Dementsprechend komme ich auf etwa 36kg. Die günstigste Variante für mich war jetzt, dass ich eine Bonuskarte kaufe und somit 10kg Gepäck mehr mitnehmen darf, so dass ich auf ungefähr +/- Null komme. Nach einigen Telefonaten war das dann geklärt. Masha und ich waren beide über die Freundlichkeit und Zuvorkommenheit des Servicepersonals erstaunt - sind wir doch aus Russland etwas völlig anderes gewohnt. Und während dem letzten Telefonat klingelte mein Handy und Yuri Valerjewitsch war dran. Masha hat mit ihm gesprochen und einen Treffpunkt ausgemacht zur Dokumentenübergabe. Ich habe mich mit ihm nach etwa einer Stunde in der Fakultät getroffen und wir haben uns noch gut eine Stunde unterhalten über mein Studium hier und welches Resultat ich gezogen habe bzw. bislang gezogen habe. Und für mich hat sich herausgestellt, dass ich doch Russisch gelernt habe, weil ich kaum nach Wörtern fragen oder sie umschreiben musste. Am Anfang des Studiums habe ich ihn ja kaum auf Englisch verstanden. Nach dem Treffen bin ich zurück nach Masha gegangen, wo wir dann unsere gemeinsamen Fotos ausgetauscht haben und wir waren beide erstaunt, wie viele schöne Bilder es schon von uns gibt und welch schöne und glückliche Zeit wir bislang erleben durften. Ich für mich muss ganz ehrlich sagen, dass ich Gott für diese Zeit unheimlich dankbar bin und ebenso dankbar, dass ich Masha kennen gelernt habe.
Nach wie vor gehe ich unheimlich gerne in die Göttliche Liturgie und die Vesper in der orthodoxen Kirche. Sie ist unvergesslich toll - da kann ich mich hinstellen, hören und beobachten und einfach alles um mich herum vergessen - alle Sorgen, die Zeit, den Stress, die Klausuren, das ist wirklich irgendwie, als wäre ich in einer anderen, total schönen Welt. Diese beginnt damit, wenn einer der Diakone, meistens ist es Vater Michael, aus der Ikonostase hervor und singt:
"Gib den Segen, Herr!"
Dann der Priester: "Gepriesen sei das Reich des Vaters, und des Sohnes und des Heiligen Geistes, jetzt und allezeit und von Ewigkeit zu Ewigkeit."
Der Chor: "Amen."
D(iakon): "In Frieden lasset uns beten zum Herrn." (In kirchenslawisch: Mirom Gospodu pamolimsja." - alles ist in kirchenslawisch)
C(hor): "Herr, erbarme Dich." (Gospodu pomiluj)
D: "Um himmlischen Frieden und das Heil unsrer Seelen, lasst uns beten zum Herrn."
C: "Herr, erbarme Dich."
D: "Für den Frieden in der Welt, das Wohl der Heiligen Kirchen Gottes und die Einheit aller, lasset uns beten zum Herrn."
C: "Herr, erbarme Dich."
D: "Für dieses Heilige Haus und alle, die es mit Glauben, Frömmigkeit und Gottesfurcht besuchen, lasset uns beten zum Herrn."
C: "Herr, erbarme Dich."
D: "Für den seligen Patriarchen Kyrill, für die Bischöfe, den Priesterstand, den Diakonat in Christus, für den ganzen Klerus und alle Gläubigen, lasset uns beten zum Herrn."
C: "Herr, erbarme Dich."
D: "Für das Volk und Vaterland und alle, die es beschützen und ihm dienen, lasset uns beten zum Herrn."
C: "Herr, erbarme Dich."
D: "Für diese Stadt, jede Stadt und jedes Land und die im Glauben darin lebenden, lasst uns beten zum Herrn."
C: "Herr, erbarme Dich."
D: "Um gedeihliche Witterung, reichlichen Ertrag der Früchte der Erde und um friedliche Zeiten, lasset uns beten zum Herrn."
usw.
Dabei steht der Diakon vor den Königstüren der Ikonostase, hält in der rechten Hand das eine Ende seiner Stola (das Orare) hoch (etwa auf Kopfhöhe) und bei jedem "lasset uns beten zum Herrn" bekreuzigt er sich damit. Und dann dieser schöne Text, der zwar in kirchenslawisch gesungen wird, aber dennoch nichts an Faszination verliert. Meistens dienen in der Fakultätskirche so zehn Priester und vier bis fünf Diakone. Wenn die dann alle draußen sind, dann gibt das ein richtig feierliches Bild ab!! So ganz anders als in der katholischen Kirche, die mir natürlich immer noch sehr am Herzen liegt, bei aller Schwärmerei für die Göttliche Liturgie. In dieser Form habe ich einmal einen Brief an eine Bekannte in Deutschland geschrieben und er hat nichts an Aktualität verloren. Am Anfang habe ich nicht so viel von der Liturgie verstanden, doch im Laufe der Zeit hat sich ein immer größeres Verständnis dafür entwickelt und manchmal kann ich erahnen, für was gerade gebetet wird oder was der Gesang zum Inhalt hat. Und so musste ich heute Abschied nehmen von dieser schönen Form des Gebets.
Am Abend habe ich meine letzten Sachen im Wohnheim gepackt und und mich von jedem einzelnen, der noch da war, verabschiedet. Die Abschiede waren allesamt sehr herzlich und wieder kam fast immer die Frage, ob ich im September wiederkomme. Für die meisten ist es kaum vorstellbar, dass ich nicht zum studieren wiederkomme. Von einigen habe ich sogar Abschiedsgeschenke erhalten - von Egor etwas Tee, von einem anderen Student ein Buch und von meinen direkten Nachbarn auch ein Buch. Und dann habe ich mich noch eine ganze Zeit mit und Oleg zusammengesetzt und mit ihm unterhalten. Dabei sind pro Person zwei Liter Bier draufgegangen. Der letzte Abend mit ihm war wunderschön, auch wenn wir uns teils über ernste Themen unterhalten haben. Mein großer Wunsch ist, dass wir Kontakt halten.
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