Tierwohl im Reitsport -
Eine Analyse von Einstellungen und dem Verhalten von Reitern im deutschen Pferdesport
Zielsetzung der Arbeit:
In den letzten Jahren hat die Diskussion um das Tierwohl von Pferden erheblich zugenommen. Wiederkehrende Berichterstattungen über Tierschutzfälle im Reitsport - wie beispielsweise Berichte über Dopingvorfälle, schwere Unfälle oder tierschutzwidrige Ausbildungsmethoden - schaden dabei nicht nur dem Image des Pferdesports, sondern stellen auch zunehmend die sportliche Nutzung des Pferdes in Frage. Neben der Haltung und dem Management stellt der Mensch in seiner Rolle als Pferdebesitzer, Reiter oder Stallbetreiber dabei einen wichtigen und entscheidenden Einflussfaktor auf die Pferdenutzung und –haltung und somit auf das Wohlbefinden der Pferde dar, der bisher im Rahmen der Tierwohlforschung allerdings noch wenig erforscht ist. Insbesondere im Hinblick auf die Bedeutung von Tierwohl ist wenig über die Beweggründe, Einstellungen, Interessen, Motive und tierwohlrelevanten Verhaltensweisen von Reitern bekannt. Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich die vorliegende Dissertation mit eben diesen Einstellungen, Meinungen sowie dem Verhalten von Reitern bezüglich der Tierwohldiskussion im Reitsport und versucht detailliertere Einblicke in die Beziehung zwischen Reitern und ihren Pferden zu liefern. Somit soll ein besseres Verständnis für die aktuelle Tierwohldiskussion sowie damit verbundene Potentiale und Herausforderungen im Pferdesport gewonnen werden.
Material und Methode:
Die kumulative Dissertation setzt sich aus acht verschiedenen Beiträgen zusammen, in deren Rahmen unterschiedliche statistische Methoden eingesetzt wurden. Die Datengrundlage für die jeweiligen Beiträge wurde mit Hilfe von Onlineerhebungen gewonnen. Die Fragebögen wurden auf Basis der Literatur entwickelt, zunächst einem Pretest unterzogen und dann online durchgeführt. Im Anschluss an die Erhebungen wurden die Datensätze im Hinblick auf qualitative Aspekte bereinigt. Die Stichprobengröße der einzelnen Erhebungen reichte dabei von ca. 1.000 bis 3.000 Teilnehmern. Die anschließende statistische Auswertung erfolgte sowohl über qualitative als auch quantitative Methoden. Im Rahmen der qualitativen Methoden wurde die inhaltlich strukturierende Inhaltsanalyse angewendet. Im Hinblick auf die quantitativen Methoden wurden neben einer grundlegenden deskriptiven Auswertungen je nach Fragestellung die multivariaten statistischen Verfahren Faktorenanalyse, Clusteranalyse, multiple Regressionsanalyse, einfaktorielle Varianzanalyse (ANOVA) sowie die Strukturgleichungsmodellierung (PLS-Ansatz) angewendet.
Ergebnisse und Diskussion:
Im Folgenden werden die Kernergebnisse der einzelnen Beiträge der Dissertation kurz zusammengefasst und diskutiert. Der erste Beitrag der Arbeit (I.1) untersuchte, inwiefern sich verschiedene Gruppen von Pferdesportlern auf Basis intrinsischer und extrinsischer Reitsportmotive unterscheiden lassen. Die Clusteranalyse basierend auf verschiedenen intrinsischen und extrinsischen Faktoren ergab vier verschiedene Gruppen von Reitern: die Gesundheitsbewussten geselligen Freizeitreiter, die Vielseitig motivierten Turnierreiter, die Tierlieben Individualisten und die Indifferenten Pferdesportler. Diese unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich ihrer Motive den Reitsport auszuüben, sondern z.B. auch hinsichtlich ihrer Turnierteilnahme, Vereinsmitgliedschaft oder ihrem Leistungsniveau. Insgesamt zeigte sich, dass den Pferdesportlern die intrinsischen Motive, wie z.B. Spaß, Tierliebe, Entspannung und das Naturerlebnis, beim Reiten am wichtigsten sind und extrinsische Motive, wie z.B. Wettbewerb, Erfolg und Anerkennung, eine eher untergeordnete Rolle spielen. Die Ergebnisse dieses Beitrags vermitteln ein besseres Verständnis für die unterschiedlichen und zum Teil sehr heterogenen Gruppen von Pferdesportlern. Auch unterstreichen die verschiedenen Typen die Entwicklung des Pferdesports hin zu einem Freizeitsport, da nur bei den Vielseitig motivierten Turnierreitern (25% der Stichprobe) das Leistungsmotiv stark ausgeprägt ist, wohingegen die anderen Cluster den freizeitsportlichen Motiven wie dem Naturerlebnis und der Entspannung mehr Bedeutung beimessen (Isenbügel, 2002; Bandemer et al., 2016). Da Motive des Weiteren als wichtige Determinanten für das individuelle Verhalten gesehen werden (Maslow 1943), können diese Ergebnisse zudem als ein Hinweis dafür gesehen werden, dass sich diese verschiedenen Motivtypen auch in Bezug auf die Tierwohleinstellungen sowie das tierwohlrelevante Verhalten unterscheiden. Diese Motivheterogenität sollte entsprechend auch im Tierwohlkontext berücksichtig werden.
In Beitrag I.2 wurde die Wahrnehmung der Tierwohlprobleme im Pferdesport aus Sicht der Reiter explorativ untersucht und es zeigte sich, dass die Mehrheit der befragten Pferdesportler diesbezüglich verschiedene Probleme beobachtet. Die meisten davon wurden in der Umsetzung einer artgerechten Pferdehaltung gesehenn und betrafen vor allem eine zu starke Einschränkung des Bewegungsbedürfnisses und des Sozialkontaktes der Pferde sowie die Artgerechtheit bestimmter Haltungssysteme. Als zweitgrößter Problembereich wurde das Training der Pferde identifiziert. Bezugnehmend auf das Training kritisierten die Studienteilnehmer vor allem einen schlechten Trainingsaufbau und die Anwendung nicht pferdegerechter Trainingsmethoden, wie z.B. der “Rollkur”. Die Fütterung identifizierten die befragten Pferdesportler als drittgrößten Problembereich und bemängelten vor allem eine nicht bedarfsgerechte Fütterung, insbesondere in Form einer zu geringen Rau- und zu hohen Kraftfuttergabe. Die Frage nach den Verbesserungswünschen hinsichtlich der Haltung der eigenen Pferde zeigte auf, dass die Wünsche in diesem Bereich die zuvor identifizierten Problembereiche sehr stark widerspiegelten, wie z.B. die Wünsche nach einem verbesserten Bewegungsangebot, einem pferdegerechteren Haltungssystem oder nach einer bedarfsgerechteren Fütterung. Die Hindernisse, welche den Reitern bei der Umsetzung derartiger Verbesserungen im Wege stehen können, zeigten sich recht vielfältig und betreffen zum einen allgemeine Restriktionen wie zu hohe Kosten oder ein mangelndes Angebot an Alternativen, aber auch persönliche Faktoren in Bezug auf die Reiter (z.B. berufliche oder familiäre Gründe) sowie die individuellen Gegebenheiten des Stalls, wie z.B. die örtliche Lage. Die Ergebnisse dieses Beitrags zeigen auf, wie vielfältig sich die Tierwohldiskussion im Reitsport gestaltet und helfen potentielle Problemfelder zu identifizieren. Ferner unterstreichen die Ergebnisse die Bedeutung, die der Haltung und den natürlichen Bedürfnissen des Pferdes in der Wahrnehmung der Reiter zukommt. Auch in der Literatur wird die Haltung als ein besonders wichtiger Faktor im Hinblick auf das Tierwohl von Reitpferden gesehen, da diese heutzutage meistens den Großteil ihrer Zeit (nicht selten bis zu 23 Stunden) in ihrem Haltungssystem verbringen (Hoffmann, 2008) und die Haltung der Pferde zudem erhebliche Auswirkungen auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Pferde haben kann (z.B. Korries, 2003; Szivacz, 2012; Visser et al., 2014). Dies unterstreicht, dass die artgerechte Haltung von Pferden für die Wissenschaft ebenso wie für die Praxis im Pferdesport ein wichtiges und aktuelles Thema darstellt.
Der letzte Beitrag im ersten Kapitel (I.3) beschäftigte sich mit der Unsicherheit von Reitern in Bezug auf die Einschätzung der Qualität von Pferdepensionsbetrieben und dem potentiellen Interesse an einem Tierwohllabel für artgerechte Pferdehaltung. Obwohl sich zeigte, dass sich die befragten Pferdesportler relativ sicher bei der Qualitätsbeurteilung eines pferdehaltenden Betriebes fühlten, äußerten diese dennoch ein relevantes Interesse an einem Label, das artgerechte Pferdehaltung kennzeichnet. Eine der größten Herausforderungen für die Vergabe eines Labels wurde dabei von den befragten Reitern darin gesehen, dass sich Stallbetreiber auf die, in der Regel im Vorfeld angekündigten, Kontrollen im Rahmen einer Labelvergabe vorbereiten können und die Situation bei der Betriebsprüfung somit häufig nicht der Realität entspricht. Zum anderen wurde angemerkt, dass sich die vielfach subjektiv geprägten Meinungen der Reiter in Bezug darauf, wie artgerechte Pferdehaltung gestaltet sein sollte und was unter Tierwohl bei Pferden zu verstehen sei, sehr unterscheiden können. Dies erscheint angesichts der zunehmenden Vielfalt im Reitsport und der Reitsportler (Bandemer et al., 2016), welche auch im Rahmen der Ergebnisse des Beitrags I.1 bestätigt wurde, sehr wahrscheinlich. Insgesamt lässt sich festhalten, dass ein recht großes Interesse an bzw. Potential für ein Tierwohllabel für artgerechte Haltung besteht. Dieses stellt insbesondere für unerfahrene Reiter und Pferdebesitzer, deren Anteil im Pferdesport in der letzten Zeit deutlich zugenommen hat (Isenbügel, 2002; Visser & van Wijk-Jansen, 2012), wichtige Informationen über eine gewisse Qualität bzw. eine artgerechte Pferdehaltung bereit und kann diese somit bei der Auswahl eines Pensionspferdebetriebes unterstützen (Caswell et al., 1992). Mit Hilfe eines derartigen Tierwohllabels für Pensionspferdebetriebe könnten Fehler in der Haltung durch unerfahrene Reiter und Pferdebesitzer vermieden sowie eine Sensibilisierung für das Thema Tierwohl in der Pferdehaltung erreicht werden.
Der erste Beitrag im zweiten Teil der Dissertation (II.1) untersuchte den Zusammenhang zwischen verschiedenen demographischen sowie reitsportbezogenen Einflussfaktoren und den Tierwohleinstellungen von Reitern. Die Ergebnisse zeigten, dass die Zuneigung zu Tieren, die Nutzenorientierung der Reiter und die Einstellung zum klassisch organisierten Reitsport die drei stärksten Einflussfaktoren darstellten. Ferner konnte für das Geschlecht, das Einkommen, den landwirtschaftlichen Hintergrund, die Bedeutung von Tradition, die Markenorientierung sowie die Wichtigkeit von Rasse und Abstammung des Pferdes ein signifikanter Einfluss auf die Einstellungen der Reiter zum Tierwohl bei Pferden festgestellt werden. Die Ergebnisse bestätigen, dass auch die Einstellungen von Reitern zum Tierwohl von Pferden sehr komplex sind und vielen verschiedenen Einflussfaktoren unterliegen (siehe z.B. auch Serpell, 2004; Kendall et al., 2006). Dabei spielten jedoch intrinsische und extrinsische Aspekte, wie die Zuneigung zu Tieren und der instrumentelle Nutzen des Pferdes, eine Schlüsselrolle. Vor dem Hintergrund, dass Einstellungen von Menschen zu Tieren wichtige Determinanten des menschlichen Verhaltens sind (Serpell, 2004; Apostol et al., 2012), vermitteln die Ergebnisse einen detaillierten Einblick in die Einstellungen von Reitern zum Tierwohl bei Pferden und helfen somit ein besseres Verständnis für die Mensch-Pferd-Beziehung zu bekommen.
Mit der Bedeutung von Wissen und Emotionen in Bezug auf das Verständnis von Tierwohl sowie auf verschiedene Haltungspraktiken der Reiter beschäftigte sich der zweite Beitrag im zweiten Kapitel der Arbeit (II.2). Die Ergebnisse zeigten, dass sowohl das pferdebezogene Wissen, als auch die emotionale Beziehung zum Pferd in diesem Zusammenhang wichtige Einflussfaktoren für das Tierwohl darstellen. Mit Hilfe einer Clusteranalyse, die auf Basis der emotionalen Beziehung zum Pferd und dem objektiven Wissen der befragten Pferdesportler durchgeführt wurde, konnten drei verschiedene Gruppen von Pferdesportlern identifiziert werden und zwar die Emotionalen Laien, die Gut-informierten Freizeitreiter und die Pferdeexperten. Die emotionalen Laien verfügten über den geringsten Wissensstand und hatten gleichzeitig die am stärksten ausgeprägte emotionale Beziehung zu ihren Pferden, was sich unter anderem darin bemerkbar machte, dass die Reiter in dieser Gruppe eher zu übertriebenem Schutz und Vermenschlichung ihrer Pferde neigten. Die anderen beiden Gruppen zeigten eine weniger stark ausgeprägte emotionale Beziehung, wobei die Pferdeexperten das höchste Wissen besaßen und sich die Gut-informierten Freizeitreiter im Hinblick auf ihren Wissenstand zwischen den anderen beiden Gruppen platzierten. In Bezug auf das Tierwohlverständnis maßen diese beiden Gruppen außerdem den natürlichen Bedürfnissen des Pferdes eine größere Bedeutung bei, was sich zum Teil auch in der Haltung ihrer Pferde widerspiegelte. Die Ergebnisse dieses Beitrags zeigen, dass auch Wissen und Emotionen eine wichtige Rolle spielen und sowohl das Tierwohlverständnis als auch das Verhalten gegenüber Pferden beeinflussen können.
Im dritten Beitrag des zweiten Kapitels (II.3) wurde, basierend auf den Erkenntnissen aus der Umweltbewusstseinsforschung, ein umfassendes Modell des Tierwohlbewusstseins und -verhaltens für den Reitsport entwickelt und angewendet. Dabei war das Ziel die komplexen Zusammenhänge zwischen den Einflussfaktoren, den Einstellungen und dem tierwohlrelevanten Verhalten zu analysieren, die sich teilweise schon im Rahmen der ersten beiden Beiträge in diesem Kapitel hinsichtlich der Einstellungen zum Tierwohl (II.1) bemerkbar machten. In Bezug auf das Tierwohlbewusstsein ließ sich feststellen, dass sowohl das pferdebezogene Wissen und die emotionale Betroffenheit, aber auch die Einstellungen zum Tierwohl einen signifikanten Einfluss auf das tierwohlrelevante Verhalten im Pferdesport ausübten. Neben den anderen untersuchten Einflussfaktoren zeigte sich, dass vor allem das Feedback bzw. die Rückmeldung, die ein Reiter von anderen Personen oder auch seinem Pferd bezüglich des eigenen Verhaltens bekommt, sowie auch die Rahmenbedingungen der Haltung eine große Rolle für das tierwohlrelevante Verhalten gegenüber den Pferden spielen. Ordnet man diese Ergebnisse in Bezug auf die anderen Beiträge in diesem Kapitel ein, so fällt zum einen auf, dass die Einstellung zum Tierwohl sowohl in Beitrag II.1 als auch hier relativ stark von einem Motivfaktor mit Bezug zur Partnerschaft mit dem Pferd sowie vom Geschlecht beeinflusst wurde. Die Ergebnisse zeigten außerdem, dass Emotionen, hier in Form der emotionalen Betroffenheit, sowie das pferdebezogene Wissen nicht nur das Verständnis von Tierwohl und bestimmte Haltungspraktiken beeinflussen (siehe Beitrag II.2), sondern auch eine wichtige Rolle hinsichtlich des tierwohlrelevanten Verhaltens allgemein spielen, wobei darauf hinzuweisen ist, dass im Rahmen des tierwohlrelevanten Verhaltens auch die Haltungspraktiken der Reiter berücksichtigt wurden. Insgesamt liefert das entwickelte Modell einen ersten umfassenden Überblick über den komplexen Zusammenhang zwischen Tierschutzbewusstsein und dem tierwohlrelevanten Verhalten im Reitsport.
Im Rahmen des letzten Beitrags des zweiten Kapitels (II.4) wurden Faktoren untersucht, welche die Nutzung alternativer Heilmethoden bei Pferden beeinflussen. Angesichts der Tatsache, dass sich alternative Heilmethoden zunehmend großer Beliebtheit - sowohl bei Menschen als auch bei Pferden - erfreuen (Bodeker & Kronenberg, 2002; McKeown, 2015) zeigte sich zum einen bezüglich der Anwendung alternativer Heilmethoden allgemein, dass das Wissen über alternative Heilmethoden, deren empfundene Wirksamkeit sowie die Anwendung alternativer Heilmethoden bei den Pferdebesitzern selbst die größten Einflussfaktoren auf deren Einsatz bei Pferden darstellen. Zudem konnte festgestellt werden, dass sich die Einflussfaktoren auf die Nutzung von manuellen Therapien (z.B. Osteopathie, Physiotherapie, etc.) von den Einflussfaktoren, welche die Anwendung von Naturheilverfahren (z.B. Schüssler Salze, Bachblüten-Therapie, etc.) beeinflussen, mitunter deutlich unterscheiden. Vergleicht man die Einflussfaktoren auf die Anwendung von Naturheilverfahren, mit dem im vorangegangenen Beitrag (II.3) beschriebenen Modell des Tierwohlbewusstseins und –verhaltens, lassen sich einige Gemeinsamkeiten feststellen: so spielen beispielsweise in beiden Fällen das Geschlecht, das Wissen sowie soziale Einflüsse eine signifikante Rolle. In einer Studie von McKeown (2015) wird „dem Pferd etwas Gutes zu tun“ als einer der Hauptgründe für die Anwendung von alternativen Heilmethoden genannt, die laut dem Autor wiederum mit Wellness und ganzheitlichen Gesundheitsaspekten in Verbindung stehen. Vor diesem Hintergrund sind die Anwender alternativer Heilmethoden sehr wahrscheinlich auch davon überzeugt, dass damit das Wohlbefinden ihrer Pferde verbessert wird. Da die Wirkung alternativer Heilmethoden jedoch mitunter umstritten ist (Deegen, 2006; Furnham, 2007), ist es auch im Hinblick auf das Tierwohl von Pferden interessant, ein besseres Verständnis für deren Nutzung bei Pferden zu gewinnen, wofür die Ergebnisse dieser Studie einen wichtigen grundlegenden Beitrag leisten.
Der inhaltliche Exkurs am Ende der Arbeit (III.1) analysierte mittels multipler Regressionsanalyse den Einfluss von zehn verschiedenen Faktoren auf das Sicherheitsverhalten von Reitern. Die Ergebnisse zeigten, dass die Einstellungen gegenüber Sicherheitsprodukten sowie das sicherheitsrelevante Verhalten der Stallkollegen den größten Einfluss auf das eigene Sicherheitsverhalten der Reiter ausüben. Ferner wirkten sich das Alter, die Reiterfahrung, die ausgeübte Reitdisziplin, die genutzte Pferderasse, die Risikowahrnehmung und die Tatsache, ob die befragten Reiter Kinder haben oder nicht, signifikant auf das Sicherheitsverhalten aus. Da sowohl Tierschutzvorfälle als auch negative Berichterstattungen über schwere Unfälle im Reitsport einen negativen Einfluss auf das Image des Reitsports ausüben (Münch & Wiegand, 2016), lassen sich bezüglich dieses Beitrags auch in Bezug auf das tierwohlrelevante Verhalten der Reiter einige Parallelen ziehen. Dabei zeigt sich interessanterweise, dass sowohl hinsichtlich des Sicherheitsverhaltens als auch im Hinblick auf das Tierwohlbewusstseins und die Nutzung alternativer Heilmethoden (Beiträge II.3 und II.4) Einstellungen sowie der soziale Einfluss durch andere Pferdesportler wichtige Einflussfaktoren für das Verhalten von Reitern darstellen.
Mit Blick in die Zukunft stellt sich die Frage, wie sich die Tierwohldiskussion im Reitsport weiterentwickeln wird. Vor dem Hintergrund, dass in unserer Gesellschaft aktuell das Tierwohl zunehmend intensiv diskutiert wird (Spiller et al., 2015) ist zu erwarten, dass die Tierwohldiskussion auch im Reitsport zukünftig ein wichtiges Thema bleiben wird (siehe auch Münch & Wiegand, 2016). Aufgrund immer höherer Preisgelder und dem zunehmenden ökonomischen Druck in der Pferdebranche nimmt vor allem im Turniersport die Versuchung zu, eine Leistungssteigerung des Pferdes durch Doping oder aus Tierwohlsicht fragwürdigen Trainingsmethoden zu erreichen (Atock & Williams, 1994; McLean & McGreevy, 2010). Dagegen stellt der steigende Anteil an unerfahrenen Reitern, denen es häufig an einem grundlegenden Wissen über das Pferd mangelt (Isenbügel, 2002; Visser & van Wijk-Jansen, 2012), insbesondere im Freizeitsport ein weiteres zunehmendes tierwohlrelevantes Problem dar. So kritisiert auch Isenbügel (2002) zum einen eine zu instrumentelle Einstellung zum Pferd als Sportgerät, sowie auf der anderen Seite einen zu emotionalen und vermenschlichenden Umgang mit dem Pferd als problematisch für das Tierwohl. In diesem Zusammenhang stellen auch die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit einen Einfluss der Zuneigung zu Tieren bzw. Emotionen und auf der anderen Seite der Nutzenorientierung als wichtige Einflussfaktoren heraus (siehe Beitrag II.1, II.2 und II.3). Des Weiteren haben die Ergebnisse die große Bedeutung des pferdebezogenen Wissens auf die Einstellung zum Tierwohl und das tierwohlrelevante Verhalten gegenüber Pferden gezeigt (siehe Beitrag II.2 und II.3). Somit stellt die Wissensvermittlung einen wichtigen Ansatzpunkt dar, um das Tierwohl im Reitsport zukünftig zu verbessern. So sollten zum einen unerfahrene Reiter, denen grundlegendes Wissen rund um das Pferd fehlt, geschult und zum anderen turniersportorientierte Reiter stärker für die aktuelle Tierwohlproblematik sensibilisiert werden.
In diesem Kontext stellt sich auch die Frage, inwiefern den Reitern und Pferdebesitzern die Diskussion in der Öffentlichkeit um das Wohl von Sportpferden bewusst ist. Basierend auf den Ergebnissen dieser Arbeit (Beitrag I.2) spricht einiges dafür, dass zumindest ein Teil der Reiter mittlerweile durchaus ein entsprechendes Problembewusstsein entwickelt hat. Ob ihnen jedoch auch die Tragweite der Diskussion bewusst ist, die in Extremfällen sogar schon so weit geht, dass Tierrechtsorganisationen das Reiten von Pferden komplett verbieten möchten (MeinPferd, 2015), ist ungewiss. Angesichts der zunehmend negativen Berichterstattung im Reitsport, die vor allem auch Tierschutzvorfälle betrifft, gilt es zu zeigen, dass diese Ereignisse Ausnahmen darstellen und nicht die Regel. So sollte der Pferdesport im Hinblick auf seine Kommunikation mit den Medien positive Beispiele und prominente Reiter in den Vordergrund rücken, welche anderen Pferdesportlern in Bezug auf den Umgang mit dem Pferd und der Pferdehaltung als Vorbild sowie als positives Beispiel für die Öffentlichkeit dienen können, um das Image des Pferdesports langfristig zu verbessern. Entsprechend gilt es, die Akteure im Pferdesport weiter für einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Pferd bezüglich seines physischen und psychischen Wohlbefindens zu sensibilisieren, wenn sichergestellt werden soll, dass die Gesellschaft auch in Zukunft noch akzeptiert, dass Pferde im Sport eingesetzt werden. Eine entsprechende Sensibilisierung könnte dabei zum einen über bereits existierende oder neu ins Leben gerufene Tierschutzpreise und Wettbewerbe für einen tiergerechten Umgang bzw. eine tiergerechte Haltung, aber auch über eine Betriebskennzeichnung (siehe Beitrag I.3) für artgerechte Pferdehaltung erfolgen.
Im Rahmen der vorliegenden Ergebnisse hat sich gezeigt, dass das Tierschutzbewusstsein und -verhalten von Reitern sehr komplex ist und sehr vielen und auch zum Teil sehr unterschiedlichen Einflussfaktoren unterliegt. Auch wenn die Ergebnisse der vorliegenden Dissertation erste wichtige grundlegende Einblicke in die Zusammenhänge in diesem vielschichtigen Forschungsfeld geben, gilt es in Zukunft noch mehr darüber zu lernen, um ein noch besseres Verständnis für das Verhalten von Reitern gegenüber ihren Pferden und die Beziehung zwischen Mensch und Pferd zu erlangen. Neben diesem Aspekt bleibt außerdem eine wichtige Aufgabe der Wissenschaft, das Tierwohl aus Pferdesicht weiter zu erforschen. Dies gilt insbesondere für die Pferdehaltung, die nicht nur von der Wissenschaft als multifaktorielles Problem gesehen wird (Korries, 2003), sondern auch in der Wahrnehmung der Reiter als eines der zentralen Probleme in Bezug auf das Tierwohl von Sportpferden ermittelt wurde (siehe Beitrag, I.3). Ähnliches gilt für das Training des Pferdes, das in der Forschung bisher noch vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit bekommen hat (von Borstel et al., 2009).
Um die lange gemeinsame Geschichte von Menschen und Pferden fortsetzen zu können, liegt es jedoch vor allem in der Verantwortung des Menschen sicherzustellen, dass das Pferd artgerecht gehalten und behandelt wird, um somit dafür zu sorgen, dass der Reitsport auch in Zukunft von der Öffentlichkeit akzeptiert wird und dieses besondere Kulturgut erhalten bleibt.
Literatur
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