Urbanität zwischen Integration und Ausgrenzung


Die Stadt in den letzen zwei Jahrzehnten



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3. Die Stadt in den letzen zwei Jahrzehnten

Die Städte haben in Deutschland u.a. in den letzten zwei Jahrzehnten eine heftige Geschichte erlebt. In den1980er Jahren lauteten die Parolen „Städte in Not“ und „Rettet unsere Städte jetzt“.


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(Zeitungsartikel)

Städte in Not – Rettet unsere Städte jetzt! (1980er Jahre)

Es war die Zeit des Verkehrskollapses, der Unterfinanzierung, der allgemeinen Ratlosigkeit um künftige Leitbilder der Stadtentwicklung, vor allem aber die zunehmende Schwächung der Planungshoheit der Gemeinden, angesichts des Drängens von Interessenvertretern, behaupteter Sachzwänge und einer oft völlig fehlenden Konsenslinie. Vieles wurde auf dem kurzen Dienstweg geschoben bis hin zur Kungelei und absoluten Intransparenz. Kein Wunder, dass an dieser Stelle die Bürger wach wurden und sich als „Profibürger“ formierten, nicht nur Vorschläge machten, sondern auch blockierten, oft nach dem „not-in-my-backyard“-Prinzip. Die Probleme, die der Club of Rome als „Grenzen des Wachstums“ an die Wand malte, wurden zwar von vielen als Schwarzseherei diskriminiert, entfalteten aber doch eine eigene Wirksamkeit, in der AKW-Bewegung, in Initiativen zur Verkehrsberuhigung etc. Die Arroganz und Fehlerhaftigkeit von Verwaltungen, insb. der Straßenbauverwaltung, sorgten dafür, dass stellenweise gar nichts mehr ging (die über 40-jährige Planungsgeschichte der A 33 ist dafür nur ein Beispiel).


Nach allem Niedergang, nach allen Kulturkämpfen und nach der – vermeintlichen? – Rettung in Privatisierung und Public-Private-Partnership-Projekten hat sich das Rathaus in seiner altdemokratischen Alleinstellung überlebt. Hier tagt zwar weiterhin der Rat der Stadt mit den Delegierten des Souveräns, des Stadtvolkes; hier arbeitet auch noch immer eine Stadtverwaltung. Aber das Oberhaupt der Stadt, der Oberbürgermeister, ist nun eine so genannte „Doppelspitze“, er ist Vorsitzender des Rates und Chef der Verwaltung; damit ist das Prinzip der Gewaltenteilung schon mal erkennbar aufgehoben. Und auch im Inhalt der Arbeit diktiert immer mehr das Geld, was und wie gearbeitet wird. Stadtplanung wird kaum noch betrieben, es wird vielmehr nach Investoren gefahndet; und sobald irgendwo Geld winkt, kann man kaum noch nein sagen. Was früher „Planungshoheit der Gemeinde“ hieß, wird vielfach abgetreten an Investorenplanungen, und man kann nur noch abwarten, was passiert. Als z.B. das Neue Bahnhofsviertel im Kuddelmuddel der Interessenten unterzugehen drohte, sagte ein langjähriger und überaus planungskundiger Ratsherr: „Wir lehnen jede Verantwortung ab“. Das ist ein – zynisches, trotziges, hilfloses? – Bekenntnis des Bankrotts. Und bürgerschaftliche Gespräche über ein Leitbild der Stadtentwicklung gibt es derzeit auch heute nicht.
4. Neue Stadtpolitik: Good Governance
Wir kommen gleich zum Konkreten, nur eines soll noch vorab erläutert werden. Das ist die Frage, wie denn heutzutage eine Stadt geleitet wird, wenn so vieles privatisiert und kommerzialisiert worden ist und vielleicht auch werden musste. Ich meine die neue Stadtpolitik unter dem Namen der „guten Regierungsführung“ („Good Governance“). Die Politikwissenschaft versucht mit diesem Begriff die neuen Inhalte, Leitbilder, Grundüberzeugungen und Praktiken zu fassen. Die Umstrukturierungen betreffen nicht nur die generelle Ökonomisierung der Perspektive, das Stadtmarketing, die Einführung eines kaufmännischen Controlling, die „PPP“, eine verschärfte Sicherheits- und Ordnungspolitik; die neue Stadtpolitik macht durchaus auch den Versuch neuer Aushandelungsprozesse wie die Agenda 21 oder Runde Tische.
Was in der Gesellschaft unter der Fahne des Neoliberalismus geschieht, das geschieht also genauso in der Stadtentwicklung. Es gibt dazu ein theoretisches Konzept, das der französische Philosoph Michel Foucault am Ende seiner Schaffenszeit (1977/8) weiter entwickelt hat, das Konzept der „Gouvernementalité“. Das Konzept untersucht im historischen Vergleich u.a. die Machtformen, in denen politisch gesteuert oder administriert wird: Herrschaft im Einverständnis mit den Beherrschten, im Zusammenwirken von kodifizierten Verfahren, formalen Gesetzen und unbewussten Gewohnheiten.. Foucault unterscheidet die folgenden drei Machtformen:

  • die juridische Macht, die sich auf die Kontrolle eines Territoriums mit Hilfe repressiver Methoden bezieht,

  • die Disziplinierung von Individuen in ihrer Körperlichkeit durch Verbote, Beschränkungen und Überwachung,

  • die gouvernementale Führung aus der Distanz, die die Bevölkerung durch „Technologien des Selbst“ für ihre eigenes Handeln verantwortlich macht.

Mit Hilfe dieses Konzeptes kann erklärt werden, wie eine Gesellschaft sich durch Verinnerlichung von Normen wie Effizienz, Selbst-Management und Wirtschaftlichkeit nahtlos in einen größeren diskursiven Zusammenhang einfügt, ohne dass dazu eine direkte Machteinwirkung im Sinne eines strafenden oder disziplinierenden Staates notwendig wäre. Wir sehen kaum mehr Polizei auf unseren Straßen, die Gefängnisse sind nicht übermäßig gefüllt, einzelne Gewalttaten erfahren große Aufmerksamkeit. Diese Codierung von Bedeutungen und Handlungsweisen ist eigentlich normativ, Foucault bezeichnet sie aber als „Rationalitäten“; Rationalität ist dabei ein in den Konventionen der Gesellschaft hegemonial gewordenes Referenzsystem; dieses hat sich als Konsens des Denkens so sehr etabliert, dass es für natürlich und objektiv gehalten wird. Die Rationalität wird nicht mehr diskutiert, sondern sie ist bereits diskursiv legitimiert. Dies geschieht vor allem durch die Medien, jeden Tag und subkutan, also nicht erkennbar als Diskussion. Diskussionswürdig wäre die Frage: „Warum soll man denn etwa nicht auf dem Boden im Hauptbahnhof sitzen, wenn es dort keine Bänke gibt und man selbst nicht mehr stehen kann oder mag?“ Normative bzw. rationale Antwort: Ein abweichendes Verhalten kann sehr schnell zum Eingreifen durch Sicherheitskräfte führen und zu einem Fall werden, und darauf hat man im Zweifel weniger Lust als aufs Hinsetzen auf den Boden. Man wägt den Gewinn und das Risiko ab und entscheidet sich danach „rational“. Es wird nicht mehr diskutiert, warum es keine Bänke im Bahnhof gibt, sondern warum da jemand auf dem Boden sitzt. Verantwortlich für das Verhalten ist nicht mehr die gebaute Struktur (bzw. die dafür Verantwortlichen), verantwortlich gemacht wird vielmehr das Individuum. Dabei wäre es ja prinzipiell möglich und erklärungsstark, zusammen mit der Abweichung zu diskutieren, was dieser vorausging.


Konstruktiv kann dieses Prinzip dadurch gemacht werden, dass Individuen eine größere Rolle zugewiesen wird in einer Vielzahl von Planungs- und Entscheidungsprozessen. Viele Städte, haben in ihren Leitbildern die Bürger zum Engagement aufgefordert: „Es geht um Köln – als die umfassende Einheit aller Menschen, die sich in dieser Stadt zusammen finden und etwas bewegen wollen. Nicht durch die Aufforderung an andere, sondern durch die Selbstverpflichtung der Akteure, an der Zukunftsgestaltung mitzuwirken, werden die Inhalte zum gelebten Leitbild.“ („Leitbild Köln 2020“) Dadurch könnte Stadtpolitik legitimiert werden, Verantwortung könnte gestreut werden, die öffentliche Hand könnte entlastet werden.
Neben dem Terminus der „Technologien des Selbst“ gibt es die Hoffnung auf Demokratiegewinn durch den „aktivierenden Staat“ bzw. auf lokaler Ebene die „Bürgerkommune“. Damit würden sich der Staat und die Kommune nicht nur zurück ziehen, sondern sie würden dies mehr als ausgleichen durch Aktivierung der Bürger und neue urbane Governance-Formen. Dies ist heutzutage aber weniger durch die Erinnerung an die alte Polis-Ethik freier Bürger plausibel, sondern als unternehmerische Aufgabe von „Stadt als Standort“: „Die Leistungsfähigkeit unserer ‚Unternehmen Stadt’ wird einer der wesentlichen Parameter dafür sein, welche Standorte sich in Zukunft zu den Gewinnern rechnen dürfen oder aber schwierige Perspektiven aufweisen.“ (Birk/Leppa 2002, 5) Wenn dies die neue Rationalität ist, dann markiert es auch die „Abkehr vom Paradigma der staatlich-nationalen finanziellen Unterstützung zur Gewährleistung gleicher Lebensverhältnisse, verbunden mit einer Förderung der ‚Starken’ in der Hoffnung, indirekt weiter reichende Effekte zu erhalten.“ (Grabow/Hollbach-Grömig/Birk 2006, 7) Alles andere wird dann wohl weiterhin als Störung dieser Rationalität verstanden, wie es z.B. die Fruchtlosigkeit des Agenda-21-Prozesses in Bielefeld vor Jahren gezeigt hat; ein hoher Beamter der planenden Verwaltung hatte mir damals hinter kaum vorgehaltener Hand gesagt: „Lass sie hampeln“. (Und der Kesselbrink als eines der damaligen Themen ist bis heute ein trostloses Zeugnis stagnierender Stadtentwicklung geblieben.)
5. Spuren unter den „Sohlen der Erinnerung“ und Kleine Erzählungen
Kommen wir damit endlich in den äußeren Kreis, zu den beispielhaften Spuren in einer Vielzahl „kleiner Erzählungen“. Ich benutze dafür wie ein Flaneur die „Sohlen der Erinnerung“, von denen der holländische Stadtbeschreiber Ces Notebohm spricht; als Stadtbewohner mit einer Biografie in dieser Stadt besitze ich diese Sohlen.


  • Als erstes wähle ich zum Referenzpunkt Daseinsvorsorge die Sache mit dem Rollstuhl und dem Bus. Die Presse berichtete am Jahresende von einer EU-Richtlinie, die es den Verkehrsbetrieben vorschreibe, nur noch einen Rollstuhl zu transportieren und einen zweiten im Zweifel abzuweisen.

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(Rollstuhl vor Bus)

Daseinsvorsorge – Regulierung und Überregulierung
Man mag es kaum glauben, dass in der EU vorgeschrieben wird, wie ein Busfahrer mit einem behinderten Fahrgast umzugehen hat. Aber es wird umgesetzt, in Bussen ab dem Baujahr 2005 muss der zweite Rollstuhl draußen bleiben. Vorher erkennbar ist dies an den Bussen nicht, es wird auch nicht in die Fahrpläne geschrieben, weil nicht alle Busse so neu sind und sie unterschiedlich eingesetzt werden. Nun haben die Verkehrsbetriebe immerhin für Bethel eine andere Lösung gefunden, indem sie dort nur Busse einsetzen, die diese Restriktion nicht haben.

Bei einem Interview, das ich dazu und für den heutigen Vortrag bei den Verkehrsbetrieben geführt habe, wurde mir gesagt, dass dieses Problem von zwei gleichzeitigen Rollstühlen noch kein einziges Mal vorgekommen (genauer: dass es nicht bekannt geworden) sei, dass man aber trotzdem eine strukturelle Lösung durch Absprache mit dem Roten Kreuz suche. Im Übrigen hätten Rollstuhlfahrer ohnehin Anrecht auf eine gewisse Anzahl von Freifahrten mit solchen Hilfsdiensten. Die Frage, ob mit dieser EU-Richtlinie Rollstuhlfahrer vor sich selbst bzw. vor dem nächsten Rollstuhl geschützt werden sollten, wurde zwar bejaht, macht aber nicht wirklich Sinn.

Diese Erzählung zeigt uns zweierlei: (1) Das Risiko, den Bus benutzen zu können oder aber nicht, wird ausschließlich dem Betroffenen zugewiesen; er kann sich nicht vorbereiten und das Risiko nicht durch Eigenverantwortung vermeiden. Dazu gibt es ein wichtiges Fremdwort, das lautet „Kontingenz“; Kontingenz bedeutet, etwas kann eintreten, muss aber nicht eintreten. Der Bus kann Baujahr 2005 sein, muss es aber nicht. Der Bus kann bereits einen Rollstuhl an Bord haben, muss es aber nicht. Das Risiko dafür wird nicht strukturell/ technisch vermieden, man lässt es darauf ankommen. (2) Die EU-Richtlinien ihrerseits sind eigentlich für Problemkreise gedacht, in denen ein Nationalstaat allein nicht klar kommt oder sich nach EU-Normen unerwünscht verhalten könnte, das gilt etwa für den Tier- und Naturschutz. Nach dem Subsidiaritätsprinzip soll aber vor Ort gelöst werden, was hier besser gelöst werden kann. Zu fragen wäre: „Wer ist am nächsten dran?“ Diese Richtlinie ist ein Beispiel für das bereits erwähnte „Stretching“ bei der Regulierung des alltäglichen Lebens von allen Seiten. Und was die Bielefelder Verkehrsbetriebe betrifft: Was sie in Bethel schaffen, sollten sie auch in der ganzen Stadt schaffen, so wie Stadtwerke in anderen Städten auch.

(Man könnte in diesem Zusammenhang auch (3) das Beispiel der Hochbahnsteige erzählen, die es an einer Vielzahl von Haltestellen der Stadtbahn gibt und die das Einsteigen enorm erleichtern, insbesondere wiederum für Rollstühle. Aber auch hier gilt die Kontingenz: Kann sein, ich komme auch wieder heraus über einen Hochbahnsteig, kann aber auch sein, dass nicht. Ein Musterbeispiel für gleichzeitige Inklusion und Exklusion, dass auch nicht durch die viel beschworenen Sachzwänge erklärt werden kann. An der Stadtbahnhaltestelle zum Wohnpark Harrogate in Sieker wird jedenfalls das Fehlen eines Hochbahnsteiges beklagt, obwohl sehr viel Platz dafür wäre.

Noch ein vierter Aspekt passt (4) zu dieser Erzählung: Was die EU-Richtlinie eingebrockt hat und was die Verkehrsbetriebe vor Ort teilweise lösen, teilweise aber auch nicht, hat auch zu tun mit der gemeinsamen Verantwortlichkeit der Menschen in der Stadt, hier: beim mitmenschlichen Helfen. Mir wurde erzählt, dass ein Busfahrer in Werther, ohnehin voll mit Schülern, Probleme mit dem Blechbrett hatte, über das ein Rollstuhl in den Bus geschoben werden kann; nach einigem Geruckel und Palaver fuhr der Bus dann schließlich los, ohne Rollstuhl; der stand mit seinem Insassen draußen in Wind und Wetter und konnte eine halbe Stunde auf den nächsten Bus warten. Kann sein, dass bei diesem das Blech funktioniert, kann aber sein, dass nicht ... Es hatte sich niemand gefunden, der zusammen mit anderen den Rollstuhl mal eben ohne Blech in den Bus gehoben hätte. „Unterlassene Hilfeleistung“ im rechtlichen Sinne ist das vielleicht nicht, aber wie will man diese Exklusion sonst nennen?

In der dritten Aprilwoche d.J. kommt schließlich die Meldung durch die Presse, dass das Bundesverkehrsministerium die Verordnung aufgehoben habe. 1 Rollstuhl fährt jetzt EU-gerecht gesichert, die übrigen fahren wie bisher auf den bekannten Stellplätzen. Auch diese – fünfte – Erzählung müsste interpretiert werden: Wer hat wann eine unverständliche Regelung wieder aufgehoben, warum erst jetzt und mit welchen Mitteln?)




  • Kommen wir zu einem anderen Referenzpunkt: zur Privatisierung. Die Spur heißt „Der Blaue Strich“ und führt zu einer interessanten wissenschaftlichen Thematik. Die Thematik lautet: Wie hängt eine gebaute Raumstruktur mit sozialem und individuellen Handeln zusammen, was prägt was oder was ist dominant? Der Jahnplatztunnel ist jedem Bielefelder geläufig als Verbindung von Altstadt und Bahnhofsstraße, er ist ein öffentlicher Weg. Vor einigen Jahren wurde er als „Jahnplatzforum“ von privaten Investoren aufgemöbelt, es war eine technisch schwierige Prozedur, sie war nach damaligem Stand eine erhebliche Aufwertung.

Nun lungern ja auf öffentlichen Wegen gerne auch mal unerwünschte junge Leute herum und das ist ihnen schwer zu versagen, wenn sie nicht gerade aggressiv betteln oder die öffentliche Ordnung wirklich stören. Solche Orte und dazu passende Verhaltensmuster gibt es in jeder Stadt und die Polizei wird hier nicht ohne Not eskalieren, die Jugendlichen lediglich von einem Ort zum anderen jagen oder sie in den Wald fahren. Die mobile Polizeiwache, die es auf der Bahnhofstraße einmal gab, war der Versuch der Präsenz ohne Repression, er war wohl erfolgreich.
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(Jahnplatzforum, Der blaue Strich)

Öffentlicher Raum – privates Hausrecht
Nun habe ich ein soziales Experiment gemacht: Junge Leute sollten sich im Jahnplatzforum auf die Erde setzen, aber mit ihren Accessoires den Menschen angenehm sein: Gepflegtes Auftreten, Barockmusik, feines Picknick auf kleinen Tischchen. Es hat nichts geholfen: Sie wurden innerhalb kurzer Frist erkannt und zum Weggehen aufgefordert. Sie verwiesen auf den öffentlichen Raum und dass sie in keiner Weise stören wollten. Da wurden sie auf den „Blauen Strich“ verwiesen; dieser verläuft einen halben Meter vor den Schaufenstern und gehört zum angemieteten Ladenraum, er schützt damit das Schaufenster durch eine Abstandsfläche. Das ist eine interessante Variante der Privatisierung des öffentlichen Raumes, aber die jungen Leute waren damit nicht zufrieden. Sie zogen also zum Geschäftsführer des Jahnplatzforums und klagten ihr Recht auf Aufenthalt im öffentlichen Raum ein. Sie erfuhren dann dort etwas, was anders aber nicht zu erkennen war, dass nämlich das gesamte Forum nun privat kommerziell bewirtschaftet sei und es lediglich ein Wegerecht für die Stadtbewohner gebe. Wenn man den Blauen Strich lesen kann, weiß man das jetzt. Das wird aber erst offenbar, wenn man sich nicht synomorph verhält, synomorph wohlgemerkt zum Konsumraum und nicht zum Öffentlichen Raum. Das ist im Alltag kein Problem, weil das die meisten Bürger bereits verinnerlicht haben und sich entsprechend verhalten.

Hierzu passt dann auch die Erzählung vom Rauchverbot, das im öffentlichen Teil des Jahnplatzforums gilt und im privat-kommerziellen Teil an den Cafetischen nicht.


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(Artikel vom Rauchverbot mit Foto)

Öffentlicher Raum und zweifaches Recht
Der Luft ist das eigentlich egal, welcher Teil öffentlich und welcher privat ist, sie wird sich stets in beiden Teilen mischen; von Rechts wegen macht das aber offenbar einen Unterschied. Der Unterschied ist zwar nicht sachlogisch, aber er wird trotzdem vollzogen, im Rahmen der „Technologie des Selbst“ und der impliziten Rationalität der Machtausübung im Raum, die wir bei Foucault kennen gelernt haben.


  • Der nächste Referenzpunkt am konkreten Fall ist das Sponsoring, mit dem die Stadt fit gemacht werden für den Wettbewerb und für die weichen Standortfaktoren. Sponsoren tun meist mit Geld etwas, was der Stadt gut tut, was aber anders wohl nicht geschehen würde, sie tun dies aber auch aus wohlverstandenem Eigeninteresse. Sponsoren, die im Verborgenen wirken möchten wie z.B. die Sponsorin für einen Aussichtsfahrstuhl an der Altstädter Kirche, sind sehr selten. „Präsentiert von ...“ heißt die Formel.

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(Sponsoring Neues Bahnhofsviertel)

Öffentlicher Raum – Rentierliche und unrentierliche Kosten


Die Spur führt uns ins Neue Bahnhofsviertel, wo es einen „Boulevard“ geben sollte, aber nicht klar war, wer die unrentierlichen Kosten übernimmt. Man könnte meinen, das regeln wir wie im Kommunalabgabengesetz, wo alle Anlieger zur Kasse gebeten werden, wenn eine Straße neu gepflastert wird o.ä.. Aber hier ist der Anlieger eine Projektgesellschaft, die anders agiert. Jedenfalls sollte der ansonsten eher mickrige Boulevard aufgehübscht werden und dazu gab es dann die Idee einer Wasserwand an der aufwändigen Eingangstreppe. Die Sponsoren sind mittlerweile fast so groß angezeigt wie das Kunstwerk selbst. Sie geben immerhin Zeugnis dafür, dass ihnen die Eingangssituation in das Urban Entertainment Center im Neuen Bahnhofsviertel im Interesse der Stadt etwas wert ist.
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(2x Kunst am Bau)

Kunst am Bau: Eine öffentliche Pflichtaufgabe

Das hatten wir in ungleich schwereren Zeiten schon mal anders geregelt. In den Fünfziger Jahren des Wiederaufbaus gab es die Klausel von 2% der Bausumme für „Kunst am Bau“. Das wurde ohne Murren vollzogen, bei der „Freien Scholle“ an der Radrennbahn, am damaligen Bavink-Gymnasium und anderswo. Überall wurden nicht nur Wohnraum oder Nutzraum geschaffen, sondern zugleich Identifikation durch bedeutungsträchtige Symbole und Kunstwerke.




  • Dazu passt das Stichwort PublicPrivate-Partnership und später dann auch das Stichwort Investorenplanung. Sie werden sich erinnern, dass vor einigen Jahren hinter dem Bahnhof eine Brachfläche entstanden war durch Abriss alter Fabriken und anderer Schandflecken. In den alten Plänen zur Stadtsanierung aus den 1970er Jahren war hier aber weiter nichts vorgesehen als Grünfläche – nichts dagegen einzuwenden, aber das war offenbar nur ein Konzept mangels anderer Ideen. Eine private und gemeinnützige, also nichtkommerzielle Zukunftswerkstatt machte nun der Stadt Bielefeld das Angebot, hier eine Machbarkeitsstudie für ein neues Bahnhofsviertel zu erarbeiten. In kluger Vorarbeit waren die Mitglieder des Rates von der Grundidee überzeugt worden und der Rat stimmte dem einstimmig zu. Nach einem halben Jahr wurde der Plan vorgelegt.

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(Plan Zukunftswerkstatt)

Stadtentwicklung – Public-Private-Partnership


Er enthielt ein Paket von kommerziellen, kulturellen, gewerblichen und sportliche Nutzungen, die insgesamt ein optimiertes und genau passendes Angebot machten. Zum Beispiel wurde hier ein Spaßbad eingeplant, das an anderer Stelle in der Johannisbachaue verhindert werden sollte. Auf der Brache von Droop&Rein wurde sogar ein neues Stadion eingetragen, nach Vorgesprächen mit der Deutschen Bahn, der Polizei, mit dem Fußballverein Arminia u.v.a. So weit, so gut. Aber dann begann sich der Daumen zu bewegen, mit dem man sich in Hinterzimmern über Geld verständigt. Es begann ein Rattenrennen um Aufträge und Zuschläge, Banken sagten zu und wieder ab, weil eine Rendite von nur 18% zu niedrig schien, Kinos konkurrierten sich in Grund und Boden. Und die Deutsche Bahn zierte sich und ließ Bielefeld jahrelang mit einem maroden Hauptbahnhof hinter Baustellenfolien allein und zum Gespött der Zeitungen und Besucher werden. Die Akteure, die übrig bleiben, konnte man dann an den Bauschildern ablesen.
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(Bauschild Bahnhofsviertel)

Stadtentwicklung – Private Partnership
Das ganze gilt heute zwar als Erfolgsgeschichte,
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(Foto Wege-Broschüre)

Stadtentwicklung – Viele Väter
die Lokale im neuen Viertel scheinen zu brummen und werden sogar für das Aussterben am Klosterplatz mit verantwortlich gemacht. Aber wer hinter die Kulissen schauen konnte, war erschüttert darüber, wie hier Stadtentwicklung betrieben wurde. Es war eine suboptimale und notdürftige Planung, in der die Stadt nicht mehr das Gesetz des Handelns in der Hand hatte. Die Frage „Ist Planung noch möglich?“ wollte man phasenweise glatt verneinen. Man konnte nur noch zusehen.


  • Kreatives Milieu. Wenn man sich in der Stadtpolitik etwas von der Partnerschaft mit Privaten erhofft, und wenn man in einem Leitbild auch die Bürgerschaft mit einbezieht, geht es um die Öffnung des Milieus von Verwaltung und Parteipolitik. Die Stadt soll urban und konkurrenztüchtig werden mit Hilfe von Leuten, die sich darauf vielleicht besser verstehen als eine Behörde oder ein Parteisoldat. Man nennt dies in der wissenschaftlichen Literatur ein „kreatives Milieu“, in dem Stadt anders wachsen kann. Neben dem Beispiel der Idee zum Neuen Bahnhofsviertel gibt es viele weitere Beispiele in unserer Stadt, die es ohne ein kreatives Milieu in der Bürgerschaft so nicht geben würde.

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(Foto Lutterfreilegung)

Urbanität: Lust auf Wasser
Ich wähle die Freilegung des Lutterbaches vor dem Gymnasium am Waldhof, die von einem eigens gegründeten Verein „Pro Lutter“ betrieben, inzwischen vollzogen und 2008 sogar mit dem Umweltpreis der Stadt Bielefeld gewürdigt wurde. Es war ein langer Weg, ja auch Kampf in der Verwaltung und Politik. Der Verein musste darum bitten, mit eigenen Mitteln den Eigenanteil der Stadt für Zuschüsse des Landes erbringen und die Planung veranlassen zu dürfen. Es gab ein sozusagen negativ-kreatives Milieu, in dem die freizulegende Lutter sogleich mit Ratten, Müll und sogar toten Kindern assoziiert wurde. Politiker aus diesem Milieu scheuten sich später aber nicht, für Fotos eines Hochglanzmagazins an der Lutter Modell zu stehen. Auch in der Presse wurde fast genüsslich erörtert, inwieweit die freigelegte Lutter für eine feuchte Außenwand an der anliegenden Schule verantwortlich sei (Ergebnis nach einiger Zeit: Sie war es nicht.) Auch die mit dem Investor einer Großbaustelle verhandelte Fortführung in der Straße „Am Bach“ wurde beharrlich verhindert, obwohl dies keine Kosten für die öffentliche Hand verursacht hätte. Die Lutter ist ein freiwilliges und nicht lebensnotwendiges Projekt, sie macht die Altstadt ein bisschen urbaner, und die Plaketten auf den privat finanzierten Parkbänken zeugen von der Akzeptanz. Vier Schulen in der näheren und weiteren Nachbarschaft haben Patenschaften übernommen und einen attraktiven außerschulischen Lernort gewonnen.

Wenn man ein solches Projekt hinter sich hat (im Fall der Lutter geht die „Lust auf Wasser“ allerdings noch weiter), fängt man das so bald nicht wieder an. Es sei denn, man gewichtet das Ergebnis höher als die Mühen und Verletzungen im politischen Prozess.




  • Wo wir gerade beim kreativen Milieu waren und wo dies offenkundig zu einem kleinen Mehr an Urbanität geführt hat, ist es zur Frage des Verkehrs nicht weit. Der fließende Verkehr ist sozusagen die Kehrseite des Parks. Manchmal trifft sich beides aber auch, wie man am Beispiel der Ravensberger Spinnerei erkennen könnte. Das Fabrikschloss sollte abgerissen werden, weil es dort ein großes Straßenkreuz geben sollte. Bürger haben dies verhindert. Der Verkehr funktioniert dort heute auch so ohne Probleme. Probleme gibt es aber andernorts, z.B. an der Detmolder Straße.

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(Foto Detmolder )

Mobilität – Straßen-Infarkt


In einem jahrelangen quälenden Prozedere hat man sich nun endlich zu einem Plan durchgerungen, mit dem aber noch längst nicht alle Probleme gelöst und mit dem längst nicht alle zufrieden sind. Ich will hier nicht der Besserwisser sein, aber ich spüre unter den Sohlen der Erinnerung, dass eine ebenso völlig verfahrene Situation vor Jahren an der Stapenhorststraße bestand. Vier verstopfte Spuren mit Verkehren aller Art, mit Anhalten, Abbiegen, Spurwechseln, Radfahrunfällen, Bussen, Lieferwagen etc.pp. Der Bielefelder Westen wurde in den 1980er Jahren aufwändig beruhigt und neu strukturiert, einschließlich des heiß geliebten Siegfriedsplatzes und einschließlich der unterirdischen Stadtbahn. Aber an die Stapenhorststraße trauten sich die Planer nicht heran, sie war auf allen Plänen weiß und tabu. Dabei gibt es natürlich derartige Probleme in allen Großstädten und man muss das Rad nicht immer neu erfinden. Man muss das Rad aber drehen.
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(Fotos Stapenhorststraße)

Mobilität: Planende Verwaltung und kreatives Milieu
Und so geschah es, dass Laien in Gestalt von Oberstufenschülern und ihr Lehrer sagten: Wir gucken uns das Problem mal ganz anders an, wir machen einen Projektunterricht zu einem echten Problem, ohne Scheuklappen und ohne „deformation professionelle“. Im Ergebnis kam eine Planungsskizze heraus, die aus den vier verstopften Spuren zwei für den fließenden Verkehr machte und zwei für alle anderen Nutzungen. Dies war mit den Anliegern in Ruhe besprochen und alle waren der Meinung: „Schlimmer geht es sowieso nicht, von uns aus probieren wir es aus“. Die Neue Westfälische berichtete über die Planungsidee und dann war erstmal Ruhe. Bis zum nächsten Todesopfer mit dem Fahrrad, da wurde Druck gemacht und die Straße im Protest blockiert. Und ein souverän denkender Politiker erwirkte einen Ratsbeschluss, die Idee der Laien fachlich prüfen zu lassen. Das geschah, die Idee wurde zunächst mit dem Pinsel erprobt, alles lief bestens und dann wurde für einige Millionen die Straße umgebaut. Seitdem fließt der Verkehr, und mitten auf der Straße stehen sogar mittlerweile sehr ansehnliche Bäume. Man höre und staune: Auf einer unheilbar verstopften Straße wurden Bäume gepflanzt und alles wurde gut (dies ist natürlich eine etwas elliptische Erzählweise).

Die Lehre: Es gibt Zeitfenster, in denen Ideen erlaubt sind und in denen die richtigen Leute richtig hinsehen. Dann geht vieles, was eigentlich gar nicht geht. Aber was heißt eigentlich „eigentlich“?




  • Gehen wir weiter im Kreis der kleinen Erzählungen: Investorenplanung. Neben den Kathedralen, Rat- und Bürgerhäusern der alten Stadt ragen heute die neuen Tempel ins Stadtbild, Investments von Fonds in Gestalt von Bürohäusern, Parkhäusern, Spaßbäder Passagen. Das CentrO auf der grünen Wiese bei Oberhausen wurde von einem britischen Investor geplant, gebaut und finanziert, die Innenstadt ist vorhersehbar verödet. Daimler und Sony haben ihre dominanten Immobilien am Potsdamer Platz weiter verkauft, an wen und mit welcher Identität mit der Stadt ist unbekannt. Auch das oben erwähnte „Jahnplatzforum“ in Bielefeld wurde kürzlich von einem ausländischen Investor gekauft. Was ihn mit Bielefeld verbinden mag außer der erhofften Rendite? Wenn alles einfach weiterläuft wie bisher oder wie gewünscht, mag die Tätigkeit des Finanzkapitals angehen. Wenn aber soziale und räumliche Strukturen zerstört werden, wie etwa beim massenhaften Verkauf von Wohnungen aus dem sozialen Wohnungsbau für Einmaleffekte im städtischen Haushalt, oder beim Verkauf von Teilen der Stadtwerke an eine hedge-Fonds, sollte die Stadtpolitik eingreifen.

In Bielefeld ist eines von zahlreichen Beispielen das sog. Amerikahaus.
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(Amerikahaus)

Stadtentwicklung - Investorenplanung

In durchaus ansprechender Architektur und in exponierter Lage steht das Gebäude nun seit Jahren fast leer, nur zwischengenutzt von Billigheimern im Möbelbereich. Der Branchenmix von hochwertigem Angebot etwa für den Golfsport, Supermarkt, Edelbüros der Commerzbank, Parkhaus ist erloschen, die Planer haben keinen Durchgriff und auch sonst keine Idee. Jetzt soll die Stadtbibliothek und vielleicht die Musikschule dort einziehen. Aber nicht, weil es dort dafür ein guter Ort wäre, sondern weil das Gebäude vor der Verwahrlosung geschützt werden soll, mit übler Ausstrahlung auf die Umgebung von Bahnhof und Stadthalle. Das heißt: Investoren kommen, wenn Kapitalrendite winkt, und sie gehen, wenn sie nicht mehr winkt. Selbst das Leerstehen lassen ist mit den Möglichkeiten der Verlustabschreibung noch ein Geschäft. Die Stadt kann da nur zusehen, wie sie sich innerlich zersetzt.

Eigentlich würde zu einer gesunden Stadt gehören, dass Genehmigungen auch an Investoren nur mit Auflagen erteilt werden, für den vorhersehbaren Fall einer nötigen Folgenutzung etwa oder für die Behandlung anderswo verursachter Leerstände. Nicht jedes Investmentangebot ist gut für die Stadt. Gewinne werden traditionell privatisiert, Verluste dann gerne sozialisiert.

Was will man auch machen, wenn ein Investor später behauptet, insolvent zu sein oder sonst wie von der Bildfläche verschwindet (wenn er denn überhaupt jemals darauf war; denn oftmals sind es ja nur anonyme Fonds, die nicht wissen, wer oder was Bielefeld ist, weil sie das nicht interessiert)?

So hat eine aktive Bürgerschaft dafür gesorgt, dass die Nutzung der naturschutz-würdigen Johannisbachaue für ein privates Spaßbad, die sog. „Teutotherme“ mit Blick in die Abendsonne am Schildescher Viadukt, trotz der Zusage eines städtischen Dezernenten angeblich bei einem Hubschrauberflug, nicht gebaut werden konnte. (Eine derartige Therme befindet sich jetzt am Bahnhof, in der Trägerschaft einer Tochter der Stadtwerke als einer Tochter der Stadt, was einen gewissen Zuschussbedarf allerdings einschließt, wie bei der Stadtbahn auch). Der Investor übrigens ist inzwischen und seit langen Jahren pleite, auch ohne die Investitionsruine in der freien Natur.

Kluge Konstruktionen, Betreibergemeinschaften und Bielefelder Lösungen, gibt es auch, in Grenzen gelungen z.B. im Neuen Bahnhofsviertel, so dass die Zwänge der Kapitalverwertung nicht das letzte Wort in der Stadtentwicklung diktieren müssen.




  • Es folgt ein kleines Beispiel zur Raumaneignung auf Zeit und die Passung bzw. Nichtpassung in der Rationalität einer modernen Stadtpolitik.

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(Frühstück am Jahnplatz)

Öffentlicher Raum – Erlaubt? Verboten?


Im Rahmen eines Stadtprojektes haben junge Leute ein Frühstück auf dem Jahnplatz gefeiert, wiederum gepflegt und gesittet. Ihre Fragestellung richtete sich darauf, wie diese Aktion von außen, als Objekt, wohl beobachtet werden würde und wie sie selbst sich innerhalb der Aktion, im Medium, fühlen würden. Die Erwartung war, dass sehr bald die Polizei kommen würde, dass es aber kein Verbot geben werde, im Öffentlichen Raum zu sitzen und zu frühstücken. Nebenaspekt: In der Altstadt kann man überhaupt nur sehr vereinzelt noch im Öffentlichen Raum sitzen, ohne dafür zu bezahlen. Es passierte nichts Böses, keine Polizei kam, viele Passanten lächelten, manche waren leicht misstrauisch, die vorbeigehende Bürgermeisterin staunte still vor sich hin: „Dass die das einfach so machen ...“. Nach zwei Stunden und einem ungeplanten Besuch der Pressefotografin war die Aktion beendet und konnte ausgewertet werden. Es war eine Raumaneignung auf Zeit mit hohem Potential für eine urbane Stadt.

Ganz anders erscheint die Raumaneignung durch die Punks am Bahnhof. Im Rahmen der Planung des Neuen Bahnhofsviertels war der damalige „Drogenpavillon“ als allererstes abgerissen worden, ohne dass eine akzeptable bzw. akzeptierte Alternative vorbereitet gewesen wäre.


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(Bilder Jugendliche )

Öffentlicher Raum – Passivität/Aktivität
Dasselbe Problem wird erzeugt oder aktualisiert, wenn man Jugendtreffs schließt oder Jugendliche in Plattenhaussiedlungen allein lässt, wundert man sich über die vorhersehbaren Folgen? Ein Problem mit ähnlicher Wucht wächst alltäglich heran in kulturell entwurzelten Elternhäusern mit Migrationshintergrund. Ein vielgelobtes und überfälliges Buch dazu mit dem Titel „Schaut endlich hin“ ist soeben auch auf deutsch erschienen.
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(Buchttitel „Schaut endlich hin)

Öffentlicher Raum und privater Raum
Die holländische Soziologin Margalith Kleijwegt hat ein Jahr lang die Elternhäuser ausländischer Jugendlicher einer Hauptschulklasse besucht, zu besuchen versucht, müsste man genauer sagen.
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(Schild Olderdissen Sperlinge)

Urbanität und „unordentliche Nester“
Jetzt lungern sie wie die „Sperlinge“ in ihren unordentlichen Nestern am Bahnhof herum und am Eingang zur Stadtbahn, sie sind nicht wirklich „gut“ zu vertreiben. Ein Versuch dazu ist das Vergrämen mit akustischen Mitteln. In Großbritannien versucht man es an den Ladenfronten, ganz in der Logik des „Blauen Strichs“ mit einem Ton in hohen Frequenzen, wie ihn nur junge Menschen hören können (und mit denen man im Haushalt etwa Mäuse vertreibt). In Hamburg wird der Hauptbahnhof mit Barockmusik eingehüllt. In Bielefeld versuchen es die Verkehrsbetriebe mit dem Beethoven-Ohrwurm „An Elise“. Die Jugendlichen wechseln den Standort zur Wiese vor der Stadthalle. Nächster Schritt wird sein, diese Wiese aus städtischem Besitz, also als bisher öffentlichen Raum, zu verkaufen an die städtische Tochter „Stadthallen GmbH“, die dann hier das Hausrecht hätte. Das wünschen sich die Kaufleute in der Altstadt oder Bahnhofstraße übrigens schon lange, wie würden dann hier selbst und „privat“ für Ordnung sorgen können.

Es ist ein Dilemma, zugegeben, aber diese jungen Leute gehören zur Stadt wie die Sperlinge zur städtischen Natur – im Heimattierpark Olderdissen werden die Sperlinge als vertriebene, ignorierte oder unwillkommene Art schon ausgestellt.

Mal nebenbei gefragt: Wie störend im Vergleich finden Sie vielleicht die lieblosen Kleiderständer oder Topfständer auf den kostbar neu gepflasterten Fußgängerstraßen? Ist Ihnen vielleicht noch gar so nicht aufgefallen, dass hier öffentlicher Raum privat kommerziell genutzt wird, offiziell „Sondernutzung“ genannt? Aber über die Punks als „Sondernutzer“ des Öffentlichen Raums wären sich die meisten schnell einig, denn die sind zwar auch Bürger, aber geschäftsschädigend. Was tun? Den Öffentlichen Raum abschaffen!?

Folie 25


(Bänke)

Urbanität: Sitzen mit und ohne Geld


Die neuen Bänke in der Bielefelder Altstadt funktionieren offenbar ganz gut, es gibt so gut wie keine Graffitis auf dem Holz und es sitzen auch keine „Sperlinge“ darauf. Alles in Ordnung!?


  • Fällig wäre hier also das sehr spannende Thema der Ästhetik und Stadtgestalt, an dem sich die Geister so verlässlich scheiden.

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(Foto Werbung aus SZ und „Jenseits von Graubraun“ Studentenheim)

Stadtgestalt und Ästhetik – Über Geschmack lässt sich streiten


Auch über großflächige Werbung und ihre Ästhetik im Öffentlichen Raum könnte man sich einmal Gedanken machen; der Geldwert der Werbeeinnahmen für die Kommune beträgt ca. 8 € pro Einwohner.

In der Süddeutschen Zeitung wird das hier abgebildete Werbe-Dokument wie folgt gedeutet: „Jenseits kommunaler Entscheidungsprozesse amalgamieren die Außenwerber das Äußere von Städten inzwischen derart umgreifend, dass Plakate und Litfasssäulen dabei nur noch Tupfer auf ihren Produktpaletten sind. Gehandelt wird nämlich mit kompletten Monopolpaketen, die viel weiter gehende Zugriffsrechte auf den öffentlichen Raum beinhalten. In Deutschland schreiben die einzelnen Städte die Außenwerbe-Verträge auf Jahrzehnte hin aus und gehen dann dem Bewerber mit dem attraktivsten Angebot den Zuschlag. Das Ergebnis sieht jeder täglich, kann es dem Bereich der Außenwerbung aber meist nicht zuordnen. Die von den Werbekonzernen so genannten ‚Stadtmöbel’ überziehen die Städte mit ihrem jeweiligen Design. Haltestellen, Wartehallen, Leih-Fahrräder, Internet-Terminals, U-Bahn-Fernseher, Kioske, Wegweiser-Systeme für Touristen und City-Toiletten – so weit man blicken kann. ... Städtische Öffentlichkeit entsteht erst aus dem Zusammenspiel und Aufeinanderprallen diverser Nutzungen. Ob einem das gefällt oder nicht, Politessen, Straßenkehrer, Graffitysprayer – und im rechten Maß natürlich auch Werbefirmen. Städte sind keine Museen ihrer selbst, sie bestehen aus ununterbrochenen Überschreibungen und Definitionskämpfen ihrer Bewohner.“ (Florian Kessler: Das vertikale Gewerbe. In: SZ vom 17.3.08, S.12)


Folie 27

(Brunnen)

Stadtgestalt und Ästhetik: Kunsthandwerk oder Kunst?
Die Bäume absägen in der Niedernstraße? Mausbach-Alcina-Uhr auf dem Jahnplatz? Farbenstreit an der Arndtstraße und an der Jöllenbecker Straße? Der „Spiegel“ von Insa Genzgen vor der Stadthalle? Das neue Hochhaus am Adenauerplatz als Nachbar der Kunsthalle? Weg mit dem Merkurbrunnen und her mit der Wasserstelle am Alten Markt? Städte bestehen aus „ununterbrochenen Überschreibungen und Definitionskämpfe ihrer Bewohner“ ...

Aber dieses Fass muss hier geschlossen bleiben, obwohl es viel mit Identität und Qualität der urbanen Stadt zu tun hat, existentiell viel. Es wäre ein eigener Vortrag nötig. Deshalb hier aus Zeitgründen nur ein großes Ausrufezeichen!




  • Ich möchte schließen mit einer Kleinen Erzählung, die dem Referenzpunkt Demographischer Wandel zugeordnet ist. Die Süddeutsche Zeitung berichtet über den Besuch von Experten aus München, die sich in Bielefeld über das „Bielefelder Modell Selbstbestimmt Wohnen mit Versorgungssicherheit“ der BGW (Bielefelder Wohnungsbaugesellschaft).

Folie 28


(Deckblatt Broschüre BGW)

Privater Raum – öffentlich bedacht

Die BGW ist in der Mehrheit eine Tochter der Stadt Bielefeld. Kluge Köpfe haben erkannt, dass es dringend eine Alternative zum Altenheim und zur häuslichen Pflege braucht, das eine zu teuer, das andere eine häufige Überforderung. In den Wohnungsbeständen der BGW also wird im Zusammenarbeit mit freien Trägern der Pflege „Versorgungssicherheit“ hergestellt. Bezahlt wird diese aber nur, wenn man sie braucht. Die BGW und die Träger betrachten die älteren Menschen als Kunden, die es zu umwerben gilt und für die man gute Arbeit anbietet, auch mal kostenlos. Im Idealfall gibt es in jedem Stadtviertel oder Quartier eine solche Servicestation, die auch für die umliegenden Mieter in Privathäusern im Umkreis von 1000 Metern offen stehen, bis hin zum Nachbarschaftstreff und Mittagstisch. Hier treffen sich Konzept, Know how und Verlässlichkeit in Gestalt einer engagierten Tochter der Stadt und ihrer privaten Partner. „München“ kommt nach „Bielefeld“ zur Info und baut dieses Konzept nach, leider ohne den Begriff „Bielefelder Modell“ zu benutzen. Aber es geht ja um die Sache, eine urbane und humane Stadt, in Bielefeld und anderswo.
6. Warum „Kleine Erzählungen“?
Folie 29

(Luftbild)

Stadt als „Große“ und „Kleine Erzählung“
Ich möchte „wissenschaftlich“ schließen, und zwar mit einer kurzen Beleuchtung des Begriffs „Kleine Erzählung“, die ich für die Einzelfälle aus dem äußeren Kreis der Grafik auch benutzt habe. Sie ist der Gegenbegriff zur „Großen Erzählung“, wie sie der französische Philosoph Jean-Francois Lyotard 1979 in seinem Werk „Das postmoderne Wissen“ (1979) eingeführt hat. Er bezieht sich dabei u.a. auf die Figur der „Sprachspiele“ von Ludwig Wittgenstein.

Jede Kommunikation, also auch die urbane Stadt der Spätmoderne, läuft danach in bestimmten Regeln ab, je nach Partner, je nach Situation, je nach Nutzen. Man bewegt sich in zwei Formen des Wissens: im wissenschaftlichen Wissen der Moderne und im narrativen Wissen in Form von alltäglichen Geschichten und Erzählungen. Innerhalb der Wissenschaft unterscheidet Lyotard wiederum zwei Formen, einmal die politische Erzählung von der Aufklärung und zum anderen die spekulative Erzählung der Philosophie. In der Moderne gibt es aber darüber keine Einigkeit mehr; Wissenschaft ist unklar legitimiert, Philosophie ist nur eine Interpretation unter vielen. Eben deshalb bewegt man sich in Sprachspielen als einem Diskurs der Macht, der Effizienz, des Zugangs zu Ressourcen. Und eben deshalb können Individuen, „auf sich selbst zurückgeworfen“, allenfalls „kleine Erzählungen“ erfinden. Die großen Erzählungen von Demokratie, von Partizipation, von Urbanität sind auserzählt, sie können nur noch plural in „unübersetzbare Diskurse“ überführt und dort gelebt werden.

Im alltäglichen Handeln, im unübersetzbaren Diskurs zwischen Individuen also wird von Aufklärung und Vernunft gerettet, was noch zu retten ist. Aber das Subjekt ist ebenfalls brüchig und in seiner Erkenntnis perspektivisch begrenzt. In unserer Grafik mit den zwei Kreisen haben wir aber zusammengedacht, was zusammengehört, nämlich die Struktur, in der unsere Gesellschaft und also auch die Städte konstituiert sind, und das Handeln der Subjekte in ihrer jeweiligen Spiel- und Lesart von Welt.

Alle Einzelfälle konnten hier nur angedeutet werden, sie sind eigentlich sehr lange Geschichten, zum Teil über Jahre; es gibt ihrer auch viel mehr als in diesem Vortrag. Ich habe sie ausgewählt, weil ich sie für repräsentativ halte, aber auch, weil mich hier besonders auskenne und etwaigen Nachfragen standhalten kann.


Ich hoffe, Sie konnten in der Spurensuche einige der Sprach- und Machtspiele und der möglichen Lesarten zu unserer Frage nach der urbanen und humanen Stadt wieder erkennen und haben jetzt jede Menge Ideen zum Nachfragen.
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