14.12.2009
Gericht
Asylgerichtshof
Entscheidungsdatum
14.12.2009
Geschäftszahl
C15 306099-1/2008
Spruch
C15 306.099-1/2008/13E
Im Namen der Republik
Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Maurer-Kober als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX, StA. Türkei, vertreten durch: gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 22.09.2006, FZ. 05 23.096-BAG, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 01.04.2008 zu Recht erkannt:
Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I und II wird gemäß §§ 7, 8
(1) abgewiesen.
Der Beschwerde gegen Spruchpunkt III wird stattgegeben und Spruchpunkt III ersatzlos behoben.
Text
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
1. Die Beschwerdeführerin reiste am 24.12.2005 illegal in Österreich ein und stellte unter Vorlage ihres türkischen Personalausweises am 28.12.2005 einen Asylantrag. Ein Abgleich der erkennungsdienstlichen Daten ergab, dass die Beschwerdeführerin bereits am 29.03.2005 in Deutschland einen Asylantrag gestellt hatte. Am 09.01.2006 wurde die Beschwerdeführerin daraufhin in der Erstaufnahmestelle Ost einvernommen und gab dabei an, ihre Eltern, zwei ihrer Brüder und zwei ihrer Schwestern würden in der Türkei leben; zwei weitere Brüder - XXXX und XXXX - würden als anerkannte Flüchtlinge in Deutschland leben. Sie habe von 1990 bis 2004 in Istanbul als Schneiderin gearbeitet. Im Jahre 2004 sei sie im September mit einem für ein Monat gültigen Visum legal nach Deutschland gereist. Danach sei sie wieder nach Istanbul zurück geflogen. Am Flughafen sei sie kontrolliert und ihr ihr Reisepass abgenommen worden. Sie sei dann in einem Auto mit verbundenen Augen weggebracht und zu einer Polizeistation gebracht worden, wo sie verhört und misshandelt worden sei. Zur gleichen Zeit, auch im Oktober 2004, sei ihr Vater von der Polizei abgeholt worden. Bei ihrem Verhör sei sie beschuldigt worden, in Deutschland für die KP-IÖ (Kommunist Partisi Insa Örgütü), eine illegale Organisation, politisch tätig gewesen zu sein. Ein Angehöriger dieser Organisation habe sie wohl an die Behörden verraten. Sie habe bestritten, für die KP-IÖ tätig gewesen zu sein, man habe ihr jedoch nicht geglaubt. Man habe ihr auch eine Zusammenarbeit angeboten, welche sie abgelehnt habe. Insgesamt sei sie am Flughafen zwei Tage angehalten worden. Im März 2005 sei sie dann wieder nach Deutschland gereist. Dort sei sie bis Juni 2005 geblieben, wobei sie einen Asylantrag gestellt habe, welcher negativ entschieden worden sei. Sie sei dann in der Folge auf eigene Faust mithilfe eines Schleppers in die Türkei zurück gereist, um nicht offiziell in die Türkei abgeschoben zu werden. Nach ihrer abermaligen Rückkehr nach Istanbul habe sie dort illegal gelebt. In Istanbul habe sie auch an einem Begräbnis in XXXX teilgenommen, wo die Teilnehmer vermummt gewesen seien und Parolen gerufen hätten. Angehalten sei sie jedoch nicht worden. Man habe sie jedoch identifizieren können; es seien dort auch Personen mit Kameras gewesen. Sie habe dann nicht mehr zu Hause gewohnt. Die Polizisten seien jedoch nach Hause gekommen und hätten ihren Vater und ihre Schwester belästigt. Auf die Frage, warum sie im Jahre 2005 nicht direkt von Deutschland nach Österreich gereist sei, sondern zurück in die Türkei, gab die Beschwerdeführerin an, dass sie daran nicht gedacht habe. Zu ihren Misshandlungen auf der Polizeistation gab die Beschwerdeführerin an, dass sie an den Haaren gerissen, mit Händen und Füßen getreten und geschlagen worden sei sowie auch unsittlich betastet worden sei. Vergewaltigt worden sei sie jedoch nicht.
Bei der ärztlichen Untersuchung im Zulassungsverfahren gab die Beschwerdeführerin an, dass ihr Bruder gefoltert worden sei, da er bei der kommunistischen Partei gewesen sei. Er hätte deswegen auch in Deutschland Asyl bekommen. Im Oktober 2004 sei sie bei einer legalen Ausreise aus der Türkei angehalten und für zwei Tage in einer Polizeistation festgehalten worden. Man habe sie getreten, geschlagen und an den Haaren gerissen. Sie habe sich ausziehen müssen und sei sexuell genötigt, aber nicht vergewaltigt worden. Die untersuchende Ärztin stellte fest, dass bei der Beschwerdeführerin eine Anpassungsstörung im Sinne von Angst und einer depressiven Reaktion vorliege. In weiterer Folge wurde das Verfahren zugelassen.
Bei einer neuerlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt Graz am 29.08.2006 gab die Beschwerdeführerin an, dass sie in den neunziger Jahren - zumindest vor dem Jahr 2000 - von der Polizei mitgenommen worden sei, als auch ihr Bruder XXXX festgenommen worden sei. Ihnen sei vorgeworfen worden, dass sie Revolutionäre unterstützt hätten und ihnen Unterschlupf gewährt hätten. Ihr Bruder sei daraufhin vor Gericht gekommen, sie wisse aber nicht, was daraus geworden sei; er sei nicht im Gefängnis gewesen. Sie selbst sei zwar eingetragenes Mitglied der KP-IÖ gewesen, und habe Zeitungen und Informationsblätter der Organisation verteilt, könne aber keine konkreteren Angaben zu den Zielen, der Struktur, den leitenden Personen der Organisation oder der Finanzierung dieser Partei machen. Die Organisation habe sie in Istanbul unterstützt und ihr auch geholfen, nach Österreich zu kommen. Zu den Vorfällen im Oktober 2004 ergänzte sie, dass nach ihrer zweitägigen Anhaltung die Polizei eine Woche darauf wieder bei ihrem Vater gewesen sei, wo sie gewohnt habe, und sie wiederum mitgenommen worden sei. Sie sei eine Nacht lang angehalten und noch schlechter behandelt worden, wobei ihr gedroht worden sei und man sie zur Zusammenarbeit nötigen habe wollen. Ferner gab die Beschwerdeführerin an, sie habe nach ihrer Rückkehr aus Deutschland im Jahr 2005 in Istanbul an verschiedenen Adressen gewohnt, beispielsweise bei ihrem älteren Bruder, dann bei ihrer älteren Schwester, auch bei ihren Eltern wie auch bei Bekannten. Mitte Juni 2005 sei die Polizei auch in ihr Elternhaus gekommen. Einige Wochen danach sei die Polizei ein zweites Mal ins Haus gekommen; zu diesem Zeitpunkt sei sie bei ihrer älteren Schwester gewesen. Grund für die Suche nach ihr sei ihre Teilnahme an einem Begräbnis gewesen, wovon die Polizei offensichtlich erfahren habe. Deshalb sei bei ihrem Vater nach ihr gefragt worden.
2. Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 22.09.2006, FZ. 05 23.096-BAG, den Asylantrag der Beschwerdeführerin gem. § 7 AsylG ab (Spruchpunkt I), stellte in Spruchpunkt II fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin in die Türkei zulässig sei (§ 8 Abs. 1 AsylG) und wies in Spruchpunkt III die Beschwerdeführerin gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Türkei aus. In der Begründung führte das Bundesasylamt zusammengefasst aus, die Asylwerberin habe keine gegen sie gerichteten Verfolgungshandlungen glaubhaft zu machen vermocht, weil ihr Vorbringen nicht glaubwürdig gewesen sei. Ihre Angaben zur Reiseroute seien unkonkret und detaillos gewesen; ihre angeblich illegale Rückkehr in die Türkei im Juli 2005 sei nicht nachvollziehbar. Das Eintreten der Asylwerberin für die KP-IÖ sei nicht glaubhaft, weil die Asylwerberin weder den Namen des Vorsitzenden der Organisation noch Angaben zur Parteistruktur oder Parteifinanzierung zu machen vermocht habe, obwohl sie angeblich vier bis fünf Jahre für die KP-IÖ tätig gewesen sei. Ihren Behauptungen zu ihrer Verfolgung fehle jegliche Substantiiertheit und sei nicht nachvollziehbar, dass die Asylwerberin trotz Angst um ihr Leben erst im März 2005 ihr Heimatland verlassen habe. Bezüglich der Traumatisierung wurde ausgeführt, dass die Asylwerberin in Österreich bislang keine Therapie in Anspruch genommen habe.
3. Dagegen richtet sich die fristgerechte Beschwerde, in der dem Bundesasylamt Ermittlungsfehler vorgeworfen werden und die Beschwerdeführerin vorbringt, dass die Polizei immer hinter ihr und ihrer Familie her gewesen sei, weil sich ihre Brüder XXXX und XXXX über lange Zeit intensiv mit Politik - der KP-IÖ - befasst hätten und auch sie Anhängerin der KP-IÖ sei. Ihr Zuhause sei mehrmals von der Polizei gestürmt worden und sie sei wegen ihrer Brüder mehrmals verhört und auch im Rahmen einer zweitägigen Anhaltung misshandelt worden. In diesem Zusammenhang verwies die Beschwerdeführerin auf ein Gutachten von Amnesty International aus dem Jahre 2005, wonach es häufig vorkomme, dass Angehörige von gesuchten Personen - insbesondere wenn es sich um Aktivisten bewaffneter politischer Organisationen handle - willkürlich festgenommen, misshandelt und bedroht würden, um den Aufenthaltsort des Gesuchten in Erfahrung zu bringen; oft aber auch bloß zur Repression, da in der Regel vermutet werde, dass die politischen Ansichten und Ziele der gesuchten Person von den engeren Familienangehörigen geteilt würden.
4. Am 01.04.2008 fand vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beteiligung eines Sachverständigen für die politische und menschenrechtliche Lage in der Türkei statt. An der Verhandlung nahm die Beschwerdeführerin teil, nicht aber das Bundesasylamt, welches sich entschuldigt und die Abweisung der Beschwerde beantragt hatte (vgl. Verhandlungsprotokoll OZ 12Z).
Im Rahmen der mündlichen Berufungsverhandlung ergänzte die Beschwerdeführerin, dass ihre beiden Brüder im Jahre 2004 bereits in Deutschland gewesen seien. Sie habe kein Problem gehabt, ein Visum zu erlangen. Auf die Frage, wo sie zwischen Oktober 2004 und März 2005 in der Türkei gelebt habe, gab sie an, dass sie in Istanbul bei ihren Eltern gewohnt habe sowie in verschiedenen Wohnungen. Ihr Bruder sei vor 2004, nachdem er nach Deutschland gegangen sei, in einem Gerichtsverfahren in Abwesenheit verurteilt worden. Ihr Vater und sie seien drei bis vier Mal abgeholt und zur Polizeistation gebracht worden. Sie sei ein bis zwei Tage jeweils dort geblieben. Sie sei dort über ihren Bruder befragt worden. Sie sei vorgeladen gewesen, aber nicht erschienen, deshalb sei sie vermutlich abgeholt und zu ihrem Bruder befragt worden. Im Rahmen der Verhandlung erstattete der beigezogene Sachverständige aufgrund Recherchen eines Vertrauensanwalts in Istanbul ein mündliches Gutachten über die Gefährdungssituation der Beschwerdeführerin. Demzufolge liegt gegen die Beschwerdeführerin kein aktueller Such- oder Haftbefehl vor. Der Bruder der Beschwerdeführerin, XXXX, sei vom Staatssicherheitsgericht in Abwesenheit im Jahr 2005 verurteilt worden, weshalb der ehemals bestehende Suchbefehl gegen die Beschwerdeführerin zum Zwecke der Ladung als Zeugin vor Gericht, welcher ergebnislos geblieben sei, aufgehoben worden sei.
II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
1.1. Zur Person der Beschwerdeführerin:
Die Beschwerdeführerin ist türkische Staatsangehörige kurdischer Volksgruppenzugehörigkeit und stammt aus Istanbul, wo nach wie vor ihre Eltern, ihre jüngere Schwester und die Töchter ihrer älteren Schwester leben. Auch ihre zweite Schwester sowie zwei ihrer Brüder leben nach wie vor in der Türkei. Ihre Brüder XXXX und XXXX leben in Deutschland und haben laut Angaben der Beschwerdeführerin dort Asyl erhalten. Die Beschwerdeführerin arbeitete von 1990 bis 2004 in Istanbul als Schneiderin. Da ihre Brüder XXXX und XXXX politisch für die kommunistische Partei KP-IÖ aktiv waren, wurde die Familie der Beschwerdeführerin in gehäufter Zahl mit Hausdurchsuchungen durch die Polizei konfrontiert. Die Beschwerdeführerin wurde dabei, wie auch andere Familienmitglieder, die im Elternhaus lebten, nach ihren Brüdern befragt. Die Beschwerdeführerin selbst sympathisiert mit dem Gedankengut ihrer Brüder, ohne allerdings für die KP-IÖ besonders aktiv gewesen zu sein. XXXX und XXXX flüchteten bereits vor dem Jahr 2004 nach Deutschland. Dennoch gelang es der Beschwerdeführerin, ohne weitere Probleme ein einmonatiges Visum im Jahr 2004 für Deutschland zu erlangen und reiste im September 2004 nach Deutschland. Nach ihrer Rückkehr wurde die Beschwerdeführerin nach Ankunft am Flughafen von der Polizei zwei Tage lang angehalten, verhört, geschlagen und dabei sexuell genötigt; zudem wurde ihr ihr Reisepass abgenommen. Im März 2005 reiste die Beschwerdeführerin erneut nach Deutschland, diesmal illegal, stellte dort am 29.03.2005 einen Asylantrag, welcher in erster Distanz abgelehnt wurde und kehrte daraufhin Anfang Juni 2005 in die Türkei zurück. Die Beschwerdeführerin lebte teilweise in ihrem Elternhaus, teilweise bei anderen Verwandten und Bekannten in Istanbul. Am 20.12.2005 verließ die Beschwerdeführerin erneut illegal die Türkei und reiste am 24.12.2005 in Österreich ein, wo sie am 28.12.2005 einen Asylantrag stellte. Der Bruder der Beschwerdeführerin, XXXX, wurde durch das Staatssicherheitsgericht im Jahr 2005 in Abwesenheit verurteilt. Gegen die Beschwerdeführerin lag eine Vorladung zur Zeugeneinvernahme im Verfahren gegen ihren Bruder XXXX vor; der diesbezügliche Suchbefehl blieb ergebnislos, weil die Beschwerdeführerin nicht auffindbar war. Da XXXX mittlerweile verurteilt worden ist, wurde auch der Suchbefehl gegen die Beschwerdeführerin aufgehoben, sodass aktuell kein Such- oder Haftbefehl gegen die Beschwerdeführerin vorliegt.
Am XXXX heiratete die Beschwerdeführerin in Wien den türkischen Staatsangehörigen XXXX welcher sich seit 24.12.1989 in Österreich aufhält und mit Bescheid des EU-Passes vom XXXX Asyl erhalten hat.
Die Beschwerdeführerin leidet unter einer Anpassungsstörung und einer depressiven Grundstimmung, nimmt allerdings keine Therapie in Anspruch.
1.2.1. Zur Lage in der Türkei:
Ungefähr ein Fünftel der Gesamtbevölkerung der Türkei (72 Millionen) - also ca. 14 Millionen Menschen - ist zumindest teilweise kurdischstämmig. Im Westen der Türkei und an der Südküste lebt die Hälfte bis annähernd zwei Drittel dieser Kurden: ca. drei Millionen im Großraum Istanbul, zwei bis drei Millionen an der Südküste, eine Million an der Ägäis-Küste und eine Million in Zentralanatolien. Rund sechs Millionen kurdischstämmige Türken leben in der Ost und Südost-Türkei, wo sie in einigen Gebieten die Bevölkerungsmehrheit bilden. Nur ein Teil der kurdischstämmigen Bevölkerung in der Türkei ist auch einer der kurdischen Sprachen mächtig.
Die meisten Kurden sind in die türkische Gesellschaft integriert, viele auch assimiliert. In Parlament, Regierung und Verwaltung sind Kurden ebenso vertreten wie in Stadtverwaltungen, Gerichten und Sicherheitskräften. Ähnlich sieht es in Industrie, Wissenschaft, Geistesleben und Militär aus.
Allein aufgrund ihrer Abstammung sind und waren türkische Staatsbürger kurdischer und anderer Volkszugehörigkeit keinen staatlichen Repressionen unterworfen. Aus den Ausweispapieren, auch aus Vor- oder Nachnamen, geht in der Regel nicht hervor, ob ein türkischer Staatsbürger kurdischer Abstammung ist (Ausnahme: Kleinkindern dürfen seit 2003 kurdische Vornamen gegeben werden).
(Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei, Stand: September 2007, S.
15)
Das am 29.06.2006 verabschiedete und am 18.7.2006 in Kraft getretene Anti-Terror-Gesetz (ATG) sieht u.a. eine Wiedereinführung des mit Art. 8 ATG a.F. abgeschafften Propagandadelikts vor. Das ATG sieht eine wenig konkret gefasste Terror-Definition, eine Ausweitung von Straftatbeständen, die Schwächung der Rechte von Verhafteten und eine Ausweitung der Befugnisse der Sicherheitskräfte vor. In seiner veränderten Form droht das Anti-Terror-Gesetz die Meinungsfreiheit weiter zu beschneiden und ermöglicht für viele Handlungen, die nicht in Zusammenhang mit Gewaltakten stehen, die Verurteilung als Beteiligung an Terrordelikten.
(Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei, Stand: September 2007, S.
14)
PKK
Die Kurdenfrage ist eng verflochten mit dem jahrzehntelangen Kampf der türkischen Staatsgewalt gegen die von Abdullah Öcalan gegründete "Kurdische Arbeiterpartei" (PKK) und ihre terroristischen Aktionen. Das in Deutschland und der EU bestehende Verbot der Terrororganisation PKK erstreckt sich auch auf die Nachfolgeorganisationen unter anderem Namen. Die Stärke der PKK in Türkei/Nordirak wird aktuell auf noch 5.000 - 5.500 Kämpfer geschätzt, davon ca. zwei Drittel im Nordirak.
Von 2002 bis 2004 hatte sich die Terrororganisation PKK mehrfach umbenannt (KADEK/KHK/KONGRA-GEL). Mittlerweile ist sie zu ihrer alten Bezeichnung PKK zurückgekehrt. Für die von ihr selbst als politisch bezeichnete Betätigung im Ausland hat sie jedoch die Bezeichnung KONGRA-GEL beibehalten. Ihr Anführer, der zu lebenslanger Haft verurteilte Abdullah Öcalan, befindet sich seit 1999 im Gefängnis auf der Insel Imrali im Marmara-Meer. Kurdischen Quellen zufolge soll sich die PKK wieder verstärkt der Anwerbung "junger Kämpfer" widmen. Nach Berichten PKK nahe stehender Medien sind zahlreiche neue Guerillakämpfer in die Reihen der "Volksverteidigungskräfte" HPG aufgenommen und danach in ihre Einsatzgebiete entsandt worden.
Nach türkischen Angaben kamen zwischen 2003 und 2006 359 PKK-Terroristen, 203 türkische Soldaten, 21 Polizisten und 22 Dorfschützer zu Tode. Seit dem Wiederaufflammen der Kämpfe im Jahr 2006 sollen nach Presseangaben mindestens 110 PKK-Mitglieder und 78 Soldaten ums Leben gekommen sein.
Nach mehreren Waffenstillständen verkündete die PKK am 1. Oktober 2006 erneut einen "einseitigen "Waffenstillstand". Trotzdem kam es weiterhin zu Auseinandersetzungen. Erstmals seit langer Zeit hat die PKK 2005 und 2006 auch wieder Bombenattentate gegen touristische Ziele verübt, [...]
Weitere Terroranschläge auf Sicherheitskräfte, vorwiegend im Südosten der Türkei, führten vor den türkischen Wahlen zu einer zusätzlichen Anspannung der innenpolitischen Situation.
(Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei, Stand: September 2007, S. 17, 18)
Politische Opposition
Das türkische Verfassungsgericht hatte früher in zahlreichen Fällen von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Parteien zu verbieten. Die Schließungsverfahren richteten sich entweder gegen islamistische Parteien, z.B. 1998 die "Wohlfahrts-Partei" (Refah Partisi), 2001 die "Tugend-Partei" (Fazilet Partisi), oder pro-kurdische Parteien, z. B. DEP, HADEP. Mit dem Reformpaket vom 11.01.2003 hat die AKP-Regierung Reformen des Parteien- und Wahlgesetzes beschlossen sowie Partei- und Politikverbote erschwert.
Trotzdem wurde 2003 ein Verbotsverfahren gegen die kurdisch orientierte "Demokratische Volkspartei" (DEHAP), die Nachfolge- bzw. Schwesterpartei der HADEP, eingeleitet. Sie hat sich am 19.11.2005 selbst aufgelöst. Die DEHAP stand aufgrund einer mit der PKK und Abdullah Öcalan sympathisierenden Haltung vieler ihrer Mitglieder in der türkischen Öffentlichkeit im Verdacht, Verbindungen zur PKK zu unterhalten. Ihre Nachfolge trat die am 25.10.2005 gegründete "Partei für eine demokratische Gesellschaft" (DTP) an, zu der sich viele führende kurdische Politiker zusammengeschlossen haben und die zumindest teilweise noch mit der PKK symphatisiert. Ziel der DTP sei die friedliche Lösung des Kurdenkonflikts, verlautet aus der Partei, an deren Spitze einige der ehemaligen kurdischen Parlamentsabgeordneten stehen, die enge Kontakte zur Menschenrechtspreisträgerin Leyla Zana unterhalten.
(Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei, Stand: September 2007, S.
12)
Von der Vielzahl gewaltbereiter, linksextremistischer, zumeist kommunistisch ausgerichteter Organisationen in der Türkei sind nur noch sehr wenige existent und aktiv. Unter ihnen können die ¿Türkische Kommunisitische Partei/Marxisten Lenenisten' (TKP/ML) und ihre Splittergruppen sowie die'Revolutionäre Volksbefreiungspartei - Front' (DHKP-C) mit ihrem bewaffneten Flügel DHK-C trotz erheblicher Schwächung, vor allem durch eine intensive Strafverfolgung von Funktionären und Anhängern in der Türkei, als die aktivsten Organisationen angesehen werden. [...] Die ¿Türkische Kommunistische Partei/Marxisten Leninisten' (TKP/ML), die Verteidiger der maoistischen Linie, die sich als Nachfolger des Erbes von Kaypakkaya betrachten, spalteten sich 1993/94 in die TKP/ML (Hareketi) und die TKP(ML). Anfang der 90er Jahre suchte die als radikal-revolutionär geltende ¿Türkiye Köyli Isci Hareketi' (Bauern- und Arbeiterbewegung der Türkei - TKIH) den Anschluss an die TKP/ML (Hareketi). Hieraus entstand die ¿Marksist-Leninist-Komünist-Partisi' (Marxistische Leninistische Kommunistische Partei - MLKP). Ein Flügel der TKP/ML (Hareketi) wandte sich gegen den Zusammenschluss und gründete die ¿Kommunistische Partei - Aufbauorganisation' (Komünist Partisi-Insa Örgütü - KP/IÖ), die die alte Linie der TKP/ML (Hareketi) verteidigt. Auch diese Spaltung führte zu blutigen internen Kämpfen zwischen der MLKP und der KP/IÖ.
Die TKP(ML) wurde auf ihrem ersten Kongress am 15. September 2002 von Teilen ihrer Anhängerschaft wegen ihrer fehlerhaften Taktik und Politik kritisiert und hat sich anschließend in die ¿Maoistischen Kommunistische Partei' (MKP) umbenannt. Im Juni 2005, während des MKP-Kongresses in Ovacik (Provinz Tunceli), wurde der Konggressort von der türkischen Armee bombardiert, wobei 17 MKP-Kader, darunter viele hohe Funktionäre der Partei, umgekommen sind.
(Verfassungsschutz des Landes Nordrhein-Westfalen, Historische Entwicklung der politischen Linksbewegung in der Türkei, August 2006, S. 10, 12)
MLKP (Marxistische Leninistische Kommunistische Partei). Die MLKP wurde in den letzten Monaten für verschiedene Bombenanschläge verantwortlich gemacht. Es kam auch zu Festnahmen und Verhaftungen von MLKP-Mitgliedern und angeblichen MLKP-Mitgliedern.
MKP (Maoistische Kommunistische Partei-Volksbefreiungsarmee). Gegen die MKP haben die türkischen Streitkräfte zahlreiche Operationen durchgeführt. Ebenso wurden zahlreiche MKP-SympathisantInnen in den letzten Monaten festgenommen. In gewissen Fällen kam es auch zur Verhaftung von MKP-Mitgliedern und vermeintlichen MKP-Mitgliedern wegen"Zugehörigkeit zu einer illegalen Organisation".
TKP-ML/TIKKO (Kommunistische Partei der Türkei/Marxisten-Leninisten/Befreiungsarmee der ArbeiterInnen und Bauern der Türkei). Die TKP-ML/TIKKO trat im Berichtszeitraum nicht als offensichtliche Urheberin von Terrorakten in Erscheinung. Im April und Mai 2006 kam es jedoch gehäuft zu Festnahmen und Verhaftungen von mutmasslichen Mitgliedern der TKP-ML/TIKKO. Die Festgenommenen wurden der "Mitgliedschaft in einer illegalen Organisation" beschuldigt.
(Schweizer Flüchtlingshilfe, Türkei - Zur aktuellen Situation - Mai 2006, S. 9f)
Exilpolitische Aktivitäten
Nur türkische Staatsangehörige, die im Ausland in herausgehobener oder erkennbar führender Position für eine in der Türkei verbotene Organisation tätig sind und sich nach türkischen Gesetzen strafbar gemacht haben, laufen Gefahr, dass sich die türkischen Sicherheitsbehörden und die Justiz mit ihnen befassen, wenn sie in die Türkei einreisen. Es ist davon auszugehen, dass sich eine mögliche strafrechtliche Verfolgung durch den türkischen Staat insbesondere auf Personen bezieht, die als Auslöser von als separatistisch oder terroristisch erachteten Aktivitäten und als Anstifter oder Aufwiegler angesehen werden.
(Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei, Stand: September 2007, S.
25f)
Behandlung Abgeschobener nach ihrer Rückkehr in die Türkei
Ist der türkischen Grenzpolizei bekannt, dass es sich um eine abgeschobene Person handelt, wird diese nach Ankunft in der Türkei einer Routinekontrolle unterzogen, die einen Abgleich mit dem Fahndungsregister nach strafrechtlich relevanten Umständen und eine eingehende Befragung beinhalten kann. Abgeschobene können dabei in den Diensträumen der jeweiligen Polizeiwache vorübergehend zum Zwecke einer Befragung festgehalten werden. Gleiches gilt, wenn jemand keine gültigen Reisedokumente vorweisen kann oder aus seinem Reisepass ersichtlich ist, dass er sich ohne Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland aufgehalten hat. Die Einholung von Auskünften kann je nach Einreisezeitpunkt und dem Ort, an dem das Personenstandsregister geführt wird, einige Stunden dauern. In neuerer Zeit wurde dem Auswärtigen Amt nur ein Fall bekannt, in dem eine Befragung bei Rückkehr länger als mehrere Stunden dauerte.
Besteht der Verdacht einer Straftat, werden strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet. Wehrdienstflüchtige haben damit zu rechnen, gemustert und ggf. einberufen zu werden (u.U. nach Durchführung eines Strafverfahrens). Es sind mehrere Fälle bekannt geworden, in denen Suchvermerke zu früheren Straftaten oder über Wehrdienstentziehung von den zuständigen türkischen Behörden versehentlich nicht gelöscht worden waren, was bei den Betroffenen zur kurzzeitigen Ingewahrsamnahme bei Einreise führte.
Aufgrund eines Runderlasses des Innenministeriums vom 18.12.2004 dürfen keine Suchvermerke mehr ins Personenstandsregister eingetragen werden. Angaben türkischer Behörden zufolge wurden Mitte Februar 2005 alle bestehenden Suchvermerke in den Personenstandsregistern gelöscht. Es besteht für das Auswärtige Amt somit keine Möglichkeit mehr, das Bestehen von Suchvermerken zu verifizieren, auch nicht über die bisher damit befassten Vertrauensanwälte.
Das Auswärtige Amt hat in den vergangenen Jahren Fälle, in denen konkret Behauptungen von Misshandlung oder Folter in die Türkei abgeschobener Personen (vor allem abgelehnter Asylbewerber) vorgetragen wurden, im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten durch seine Auslandsvertretungen überprüft. Dem Auswärtigen Amt ist seit vier Jahren kein Fall bekannt geworden, in dem ein aus der Bundesrepublik Deutschland in die Türkei zurückgekehrter abgelehnter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten gefoltert oder misshandelt wurde. Auch die türkischen Menschenrechtsorganisationen haben explizit erklärt, dass aus ihrer Sicht diesem Personenkreis keine staatlichen Repressionsmaßnahmen drohen. Misshandlung oder Folter allein aufgrund der Tatsache, dass ein Asylantrag gestellt wurde, schließt das Auswärtige Amt aus.
(Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei, Stand: September 2007, S.
37f)
In der Türkei gibt es keine "Sippenhaft" in dem Sinne, dass Familienmitglieder für die Handlungen eines Angehörigen strafrechtlich verfolgt oder bestraft werden. Die nach türkischem Recht aussagepflichtigen Familienangehörigen - etwa von vermeintlichen oder tatsächlichen PKK-Mitgliedern oder Sympathisanten - werden allerdings zu Vernehmungen geladen, z.B. um über den Aufenthalt von Verdächtigen befragt zu werden. Werden Ladungen nicht befolgt, kann es zur zwangsweisen Vorführung kommen.
Dem Auswärtigen Amt liegen keine Anhaltspunkte vor, dass Personen, die in Deutschland einen Asylantrag gestellt haben und die z. B. eine strafrechtliche Verfolgung oder Gefährdung durch "Sippenhaft" in der Türkei behaupten, bei Rückkehr in die Türkei eine Gefährdung durch Folter und Misshandlung allein aufgrund der Tatsache droht, dass ein Asylantrag gestellt wurde.
(Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei, Stand: September 2007, S. 22ff)
Die Lebensverhältnisse in der Türkei sind weiterhin durch ein starkes West-Ost Gefälle geprägt. [...] In der Industrieregion Kocaeli (Marmara-Region) bei Istanbul als "reichster" Provinz ist das Einkommen acht- bis zehnmal höher als in den Agrarprovinzen Mus, Agri und Bitlis im Osten des Landes. Einkommensniveau und Lebensstandard sind aber auch in den Großstädten Gaziantep und Kayseri mit großen Industriezonen hoch und entsprechen weitgehend mitteleuropäischem Standard. [...]
Die Arbeitslosenquote liegt deutlich über den offiziell angegebenen 9,1 %. [..] Da der hohe Anteil informeller Beschäftigung und der aktuelle Mindestlohn von 380,46 YTL (223 Euro) die Versorgung der Familie durch Erwerbseinkommen oft nicht gewährleistet und die soziale Unterstützung durch den Staat nur unzureichend ist, sind Bedürftige darüber hinaus im wesentlichen auf die Unterstützung der Großfamilie und religiöser Stiftungen angewiesen.
(Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei, Stand: September 2007, S.
35)
In der Türkei gibt es neben dem staatlichen Gesundheitssystem, das eine medizinische Grundversorgung garantiert, mehr und mehr leistungsfähige private Gesundheitseinrichtungen, die in jeglicher Hinsicht EU-Standard entsprechen. Das türkische Gesundheitssystem verbessert sich laufend. [...]
Eine medizinische Versorgung sowie die Behandlungsmöglichkeit psychischer Erkrankungen ist grundsätzlich türkeiweit gegeben.
(Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei, Stand: September 2007, S.
36f.)
1.2.2. Gutachten des Sachverständigen (SV) im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 01.04.2008 zum gegenständlichen Fall zur Gefährdung der Beschwerdeführerin (BW), dessen Inhalt als Sachverhalt festgestellt wird (vgl. Verhandlungsprotokoll, VL=Verhandlungsleiterin):
Meine Recherchen über meinen Vertrauensanwalt in Istanbul haben ergeben, dass seitens der türkischen Behörden derzeit kein aktueller Such- oder Haftbefehl gegen die BW vorliegt. Es gab allerdings wegen des Bruders der BW vom Staatssicherheitsgericht eine Vorladung zur Zeugeneinvernahme der BW, die dieser Ladung allerdings nicht entsprochen hat und nicht erschienen ist. Deshalb gab es in der Folge einen Suchbefehl gegen die BW, um sie als Zeugin vor Gericht zu bringen. Dieser Suchbefehl ist auch ergebnislos geblieben, weil die BW nicht auffindbar gewesen ist. Durch die Verurteilung des Bruders XXXX durch das Staatssicherheitsgericht in Abwesenheit im Jahr 2005 wurde somit dieser Suchbefehl aufgehoben. Die von der BW geschilderten Anhaltungen und kurzen Festnahmen stehen in der Türkei auf der Tagesordnung. Solche Anhaltungen werden nicht auf richterliche Anordnung, sondern im Zuge polizeilicher Maßnahmen durchgeführt, weil bis 2006 die Anhaltungen durch die Polizei immer wieder vom Staat belohnt wurden, weshalb die Polizisten ohne Genehmigung in die Kaffeehäuser gegangen sind und Leute kurzfristig festgenommen haben und ohne richterliche Genehmigungen Hausdurchsuchungen durchgeführt haben. Auf diese Art und Weise wurde versucht, einerseits die Leute einzuschüchtern, andererseits wurde gehofft, so irgendeinen politischen Aktivisten zu finden und ein Geständnis zu erlangen, um zu einer Belohnung zu kommen. Diese Durchsuchungen hat man auch benützt, um die Leute dazu zu bewegen, mit der Polizei zu kooperieren und ihr Informationen zu geben.
Die BW hat derzeit in der Türkei von staatlicher Seite keinerlei Probleme, da der Bruder vom Gericht bereits verurteilt worden ist und der Suchbefehl nicht mehr aktuell ist. Theoretisch könnte sich die BW in irgendeiner türkischen Metropole niederlassen, solange sie nicht politisch aktiv wird, und dort unbehelligt leben. Das Problem ist, dass sie durch ihre Heirat nicht mehr unter der Obhut der Familie ist, daher wird sie von der Familie und den Verwandten nicht mehr unterstützt. Als allein stehende und ungebildete Frau wie im Fall der BW wird sie es in der dominanten Männergesellschaft überall in der Türkei schwer haben, dort zu leben. Sobald bekannt wird, dass sie allein stehend ist, wird sie ständig belästigt und in der Nacht wird man versuchen, sie zu verängstigen, damit sie sich mit solchen Leuten abgibt. Bei einer Anzeige bei der Polizei gegen Unbekannte wird sie keinen Erfolg haben, sie wird auch nicht von der Polizei unterstützt werden, außer sie gibt Namen und Adressen bekannt. Diese Leute könnten dann strafrechtlich verfolgt werden. So wird sie es erst recht schwierig haben, wenn durch sie jemand gerichtlich verfolgt würde. Diese Probleme würden der BW auch in Istanbul drohen. Es bleiben 2 Alternativen, entweder sie lässt alles über sich ergehen, oder sie muss die Stadt verlassen und irgendwo anders hingehen.
Grundsätzlich ist die Stellung eines Asylantrags im Ausland in der Türkei nicht strafbar, weil die Beamten wissen, dass man im Ausland wegen einer Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung um Asyl ansucht, und hierfür auch politische Sachen vorbringt bzw. behauptet. Solche Leute werden diesbezüglich nicht verfolgt oder tiefere Recherchen durchgeführt.
(vgl. Verhandlungsprotokoll vom 01.04.2008, OZ 12Z, Seite 10 f)
2. Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus folgender Beweiswürdigung:
2.1. Die Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin ergeben sich aus ihren eigenen diesbezüglich glaubwürdigen Angaben im gesamten Asylverfahren sowie aus den von ihr vorgelegten Dokumenten.
Das Vorbringen der Beschwerdeführerin zu den Schikanen durch die Polizei sowie den mehrfachen Hausdurchsuchungen und Verhören erwies sich zwar in Details als inkonsistent und divergierend hinsichtlich der Dauer ihrer Anhaltungen sowie den Zeitpunkten und Zeiträumen ihrer Mitnahmen, doch geht der Asylgerichtshof vor dem Hintergrund der unter 1.2. getroffenen Länderfeststellungen sowie des Sachverständigengutachtens davon aus, dass im Gefolge der staatlichen Suche nach den beiden Brüdern XXXX und XXXX, insbesondere XXXX, es plausibel erscheint, dass die Beschwerdeführerin, welche im Haushalt ihrer Eltern lebte, mehrfach, wie die anderen im Haushalt lebenden Familienmitglieder auch, von der Polizei mitgenommen und verhört worden ist, um Details zum Aufenthaltsort ihrer Brüder in Erfahrung zu bringen.
Der Asylgerichtshof geht allerdings nicht davon aus, dass die Beschwerdeführerin eine politisch aktive Rolle in der KP-IÖ gespielt hat und vor diesem Hintergrund etwa von der Polizei gesucht worden sei: Im Rahmen der Einvernahmen vor dem Bundesasylamt (vgl. Einvernahme vom 29.08. 2006) und vor dem unabhängigen Bundesasylsenat war die Beschwerdeführerin nicht in der Lage, konkrete Angaben zu den Zielen, der Struktur, den leitenden Personen, der Parteienfinanzierung oder den Methoden der KP-IÖ zu machen. Die Beschwerdeführerin gab dazu selbst an, nur in "ganz, ganz untergeordneter Rolle" (Aktenseite 83) tätig gewesen zu sein. Mit der von ihr behaupteten vier- bis fünfjährigen Aktivität für die Partei sind die Wissenslücken nicht in Einklang zu bringen und wird deshalb nicht davon ausgegangen, dass die Beschwerdeführerin mehr als eine Sympathisantin gewesen ist. In diesem Zusammenhang wird auch darauf hingewiesen, dass die Beschwerdeführerin sich hinsichtlich ihrer Angaben zur Zeitspanne ihrer angeblichen Aktivität für die KP-IÖ in erhebliche Widersprüche verwickelte (siehe Aktenseite 85). Eine exponierte politische Aktivität der Beschwerdeführerin wird auch deshalb als unwahrscheinlich gewertet, weil die Beschwerdeführerin offenbar problemlos im September 2004 ein Visum für Deutschland erhalten und legal ausreisen konnte, weshalb nicht davon auszugehen ist, dass der Beschwerdeführerin von Seiten der Polizei oder Staatssicherheit eine staatsfeindliche oder oppositionelle Haltung unterstellt eingestuft worden ist. Auch aus der zweitägigen Anhaltung der Beschwerdeführerin nach ihrer Rückkehr aus Deutschland im Oktober 2004, im Zuge derer es zu Misshandlungen der Beschwerdeführerin kam, lässt sich nicht ableiten, dass die Beschwerdeführerin ernsthaft als staatsfeindlich eingestuft worden wäre, zumal sie nach zwei Tagen ohne weitere Auflagen wieder entlassen wurde und nicht vor Gericht gestellt wurde. Der (vorläufige) Entzug des Reisepasses wiederum würde sich ausgehend von dem Sachverständigengutachten als polizeiliche Maßnahme bzw. Repression im Zusammenhang mit der Suche nach XXXX erklären; die Beschwerdeführerin hat nach eigenen Angaben nicht mehr versucht, ihren Reisepass wieder zu erlangen.
Die über die Feststellungen hinausgehenden Angaben der Beschwerdeführerin zu ihrer angeblichen Bedrohungssituation durch die Polizei, insbesondere nach ihrer zweiten Rückkehr aus Deutschland nach dem Juni 2005, erwiesen sich als vage und widersprüchlich, sodass sie dem vorliegenden Erkenntnis nicht zugrunde gelegt werden konnten. Im Rahmen ihrer Einvernahme in der Erstaufnahmestelle am 09.01.2006 gab die Beschwerdeführerin zu ihrer Zeit in der Türkei nach ihrer zweiten Rückkehr aus Deutschland an, dass sie illegal in Istanbul gelebt habe und dort an einem Begräbnis im vermummten Zustand teilgenommen habe und Parolen gerufen habe. Sie sei jedoch dabei nicht angehalten worden. Sie habe danach nicht mehr zu Hause gewohnt; die Polizei sei jedoch nach Hause gekommen und habe ihren Vater und ihre Schwester belästigt. Bei ihrer zweiten Einvernahme am 29.08.2006 gab die Beschwerdeführerin wiederum an, dass sie zuerst bei ihrem älteren Bruder und dann bei ihrem Vater gelebt habe und nach ihrem Weggang vom Haus ihres Vaters dieses gestürmt worden sei. Sie sei danach nie mehr dort gewesen. Dies sei etwa Mitte April 2005 gewesen. Ein paar Wochen danach, als sie bei ihrer älteren Schwester gewesen sei, sei nochmals ihr Elternhaus gestürmt worden. Ihr Vater sei nach ihr gefragt worden. Von Anhaltungen in diesem Zeitraum (nach ihrer zweiten Rückkehr in die Türkei bis zu ihrer Ausreise) war nicht die Rede. Auf die Frage, wann der letzte Vorfall vor ihrer Ausreise nach Österreich stattgefunden habe, antwortete die Beschwerdeführerin, dass man sie nicht finden habe können, da sie sich versteckt und illegal gelebt habe. Es sei deswegen nichts passiert. Man habe lediglich bei ihren Eltern, bei ihrer Schwester und bei ihrem Bruder nach ihr gefragt (Aktenseite 85). In der mündlichen Verhandlung vor dem Asylgerichtshof dagegen gab die Beschwerdeführerin an, im Zeitraum vom Oktober 2004 bis März 2005 drei bis vier Mal mitgenommen worden zu sein und nach ihrer zweiten Rückkehr aus Deutschland im Juni 2005 zwei Mal mitgenommen und für ein bis zwei Tage auf der Polizeistation angehalten worden zu sein. Dabei sei sie über ihren Bruder gefragt worden, zumal sie zur Gerichtsverhandlung ihres Bruders geladen worden, aber nicht erschienen sei. Dies widerspricht allerdings den Erhebungsergebnissen, wonach der Suchbefehl zur Zeugeneinvernahme der Beschwerdeführerin ergebnislos geblieben ist, weil die Beschwerdeführerin nicht angetroffen bzw. gefunden werden konnte. Im Jahr 2005 erging auch das Urteil in der Verhandlung gegen ihren Bruder XXXX, wodurch eine weitere Suche nach der Beschwerdeführerin zur Zeugeneinvernahme sich als überflüssig erweisen musste. Der Asylgerichtshof geht daher nicht davon aus, dass die Beschwerdeführerin nach ihrer zweiten Rückkehr aus Deutschland persönlich weiteren Übergriffen durch die Polizei ausgesetzt gewesen ist.
Auch die erstmals im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Asylgerichtshof getätigten Aussage der Beschwerdeführerin, wonach sie im Zeitraum vom September 2004 bis März 2005 aktiv bei Demonstrationen dabei gewesen und auch beobachtet worden sei, können dem Erkenntnis nicht zugrunde gelegt werden, weil diese Angaben nicht nur ausgesprochen unsubstantiiert waren, sondern auch erst erstmalig in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vorgebracht wurden, sodass von einer nicht glaubwürdigen Steigerung des Vorbringens ausgegangen wird.
Auch für exilpolitische exponierte Aktivitäten haben sich im Rahmen des Vorbringens der Beschwerdeführerin keine substantiierten Hinweise ergeben. Von einer Gefährdung in dieser Hinsicht kann daher auch nicht ausgegangen werden.
Zusammengefasst geht der Asylgerichtshof vor dem Hintergrund des Sachverständigengutachtens und der Länderfestestellungen davon aus, dass für die Beschwerdeführerin keine aktuelle Bedrohungssituation besteht. Von einer konkreten aktuell bestehenden Gefährdung der Beschwerdeführerin im Zuge einer Sippenhaft kann somit nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden.
2.2. Die Feststellungen zur Situation in der Türkei stützen sich auf die zitierten Quellen. Dabei handelt es sich um aktuelle Informationen des deutschen Auswärtigen Amtes. Angesichts der Seriosität der genannten Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen, denen der Beschwerdeführer weder in seinen schriftlichen Ausführungen noch in seinem mündlichen Vortrag im Rahmen der Einvernahme vor dem Bundesasylamt und in der Verhandlung ausdrücklich bzw. substantiiert entgegengetreten ist, besteht für den Asylgerichtshof kein Grund, an der Richtigkeit dieser Angaben zu zweifeln.
Aus dem Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes, Punkt IV., geht hervor, dass sich solche türkische Staatsangehörige, die nicht im Besitz eines türkischen Reisedokumentes sind, oder dann, wenn der türkischen Grenzpolizei bekannt wird, dass es sich um eine abgeschobene Person handelt, einer Routinekontrolle unterziehen müssen, die im Wesentlichen eine Identitätskontrolle (Abgleichung des Fahndungsregisters, eingehende Befragung) ist. Der genannte Bericht spricht aber nicht davon, dass Kurden bei einer Routinekontrolle etwa systematisch nur wegen ihrer Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe misshandelt und gefoltert würden, sondern diese Gefahr besteht vielmehr dann, wenn der konkrete Verdacht besteht, dass die betreffende Person Mitglied oder Unterstützer der PKK oder einer anderen illegalen Organisation ist. Dies trifft auf den Fall des Beschwerdeführers nicht zu, die nicht durch exponierte oppositionelle oder separatistische Aktivität aufgefallen und auch nicht exilpolitisch tätig geworden ist und gegen die kein Haft- oder Suchbefehl besteht. Vor diesem Hintergrund ist nicht mir maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin misshandelt oder gar gefoltert werden würde. Den Berichten zufolge wird bei der Rückkehr die betreffende Person an die zuständigen Sicherheitsbehörden übergeben, wobei in weiterer Folge Misshandlungen durch die Sicherheitsbehörden nicht auszuschließen sind. Bei den im Bericht des Auswärtigen Amtes dargestellten Abschiebungsfällen lag den Misshandlungen jeweils eine politische, gegen das staatliche Interesse gerichtete Aktivität des Betroffenen (bzw. ein solcher Verdacht) zu Grunde. Ausgehend vom festgestellten Sachverhalt ist dies im Fall der Beschwerdeführerin nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen.
Was die in der Beschwerde angeführte Gefährdung von Kurden bei der Rückkehr in die Türkei anlangt, wurde in den dort zitierten Fällen stets ein besonderer - meist auch zutreffender - politischer Vorwurf gemacht und war nicht nur aufgrund der (bloßen) Volksgruppenzugehörigkeit eine Gefahr gegeben, bei der Rückverbringung einer Gefährdung nach Art. 3 EMRK ausgesetzt zu sein. Für die Beschwerdeführerin, die den Recherchen des Sachverständigen zufolge nicht gesucht wird, bedeutet dies, dass sie bei einer Rückkehr in ihre Heimat nicht mit einer asylrelevanten Gefährdung im Sinne des Art. 3 EMRK zu rechnen hätte.
3. Rechtlich ergibt sich folgendes:
3.1. Gemäß § 75 Abs. 7 Z 1 Asylgesetz 2005 idgF sind Verfahren, die am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängig sind, vom Asylgerichtshof weiterzuführen; Mitglieder des unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, haben alle bei ihnen anhängigen Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen.
Da im vorliegenden Verfahren bereits vor dem 1. Juli 2008 eine mündliche Verhandlung vor der nunmehr zuständigen Richterin stattgefunden hat, ist von einer Einzelrichterzuständigkeit auszugehen.
Gemäß § 23 Abs. 1 AsylGHG idgF sind, soweit sich aus dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.
Gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005, BGBI. I Nr. 100/2005, sind alle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt. Die §§ 24, 26, 54 bis 57 und 60 dieses Bundesgesetzes sind auf diese Verfahren anzuwenden. § 27 ist auf diese Verfahren mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Behörde zur Erlassung einer Ausweisung zuständig ist und der Sachverhalt, der zur Einleitung des Ausweisungsverfahrens führen würde, nach dem 31. Dezember 2005 verwirklicht wurde. § 57 Abs. 5 und 6 ist auf diese Verfahren mit der Maßgabe anzuwenden, dass nur Sachverhalte, die nach dem 31. Dezember 2005 verwirklicht wurden, zur Anwendung dieser Bestimmungen führen.
Gemäß § 44 Abs. 1 AsylG idF BGBl. I Nr. 101/2003 sind Verfahren über Asylanträge und Asylerstreckungsanträge, die bis zum 30.04.2004 gestellt wurden, nach den Bestimmungen des AsylG 1997, BGBl I Nr. 76/1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002 zu führen. Nach § 44 Abs. 3 sind die §§ 8,15, 22, 23 Abs. 3, 5 und 6, 36, 40 und 40a idF BGBl. I Nr. 101/2003 auch auf Verfahren gemäß Absatz 1 anzuwenden.
Da der im Beschwerdefall zu beurteilende Asylantrag nach dem 01.05.2004 gestellt wurde, wird das gegenständliche Beschwerdeverfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes idF BGBl. I Nr. 101/2003 geführt.
Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat der Asylgerichtshof, sofern die Beschwerde nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Er ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Verwaltungsbehörde zu setzen und den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.
3.2. Zu Spruchteil I (Asylantrag):
Gemäß § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel 1 Abschnitt A Ziffer 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht und keiner der in Artikel 1 Anschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.
Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes 1997 ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentraler Aspekt der dem § 7 AsylG 1997 zugrunde liegenden, in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung (vgl. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334). Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sei, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen (vgl. VwGH 25.1.2001, 2001/20/0011; VwGH 21.09.2000, 2000/20/0241; VwGH 14.11.1999, 99/01/0280). Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 19.04.2001, 99/20/0273; VwGH 22.12.1999, 99/01/0334). Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 19.10.2000, 98/20/0233; VwGH 09.03.1999, 98/01/0318).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.3.1995, 95/19/0041; 27.6.1995, 94/20/0836; 23.7.1999, 99/20/0208; 21.9.2000, 99/20/0373; 26.2.2002, 99/20/0509 mwN;
12.9.2002, 99/20/0505; 17.9.2003, 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist;
sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (VwGH 22.3.2000, 99/01/0256 mwN).
Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht - unter dem Fehlen einer solchen ist nicht zu "zu verstehen, dass die mangelnde Schutzfähigkeit zur Voraussetzung hat, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht" (VwGH 22.3.2000, 99/01/0256) -, kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichem Schutz einen - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat (vgl. VwGH 22.3.2000, 99/01/0256 im Anschluss an Goodwin-Gill, The Refugee in International Law2 [1996] 73; weiters VwGH 26.2.2002, 99/20/0509 mwN; 20.9.2004, 2001/20/0430). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Grund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert werden kann. In diesem Sinne ist die oben verwendete Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat "nicht gewillt oder nicht in der Lage" sei, Schutz zu gewähren (VwGH 26.2.2002, 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (vgl. VwGH 22.3.2000, 99/01/0256).
Besteht für den Asylwerber die Möglichkeit, in einem Gebiet seines Heimatstaates, in dem er keine Verfolgung zu befürchten hat, Aufenthalt zu nehmen, und ist ihm dort die Inanspruchnahme inländischen Schutzes auch zumutbar, so liegt eine inländische Fluchtalternative vor, welche die Asylgewährung ausschließt (vgl. VwGH 24.3.1999, 98/01/0352; 15.3.2001, 99/20/0134; 15.3.2001, 99/20/0036). Das einer "inländischen Fluchtalternative" innewohnende Zumutbarkeitskalkül setzt voraus, dass der Asylwerber im in Frage kommenden Gebiet nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jegliche Existenzgrundlage entziehen (VwGH 8.9.1999, 98/01/0614, 29.3.2001, 2000/20/0539).
Aus den Sachverhaltsfeststellungen ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin keine asylrelevante Verfolgung im Sinne der GFK glaubhaft zu machen vermochte. Auch haben die Erhebungen des Sachverständigen ergeben, dass gegen die Beschwerdeführerin kein Such- oder Haftbefehl, weder auf regionaler noch nationaler Ebene, vorliegt. Zudem ist die Beschwerdeführerin nicht exilpolitisch in Erscheinung getreten.
Zusammengefasst geht vor diesem Hintergrund der Asylgerichtshof davon aus, dass der Beschwerdeführerin nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer Verfolgung im Sinne der GFK droht. Auch aus der Tatsache, dass der Bruder der Beschwerdeführerin verurteilt wurde, ergibt sich nunmehr aktuell keine Gefahr, dass die Beschwerdeführerin im Rahmen einer de facto ausgeübten Sippenhaft gesucht, eingeschüchtert oder misshandelt würde.
Es liegen auch keine der in den Feststellungen zu Punkt 1.2. genannten sonstigen Gefährdungsmomente vor, und es ergibt sich aus diesen Feststellungen auch, dass die Beschwerdeführerin allein wegen der Asylantragstellung keine Repressionen zu befürchten hat.
3.3. Zu Spruchteil II (Subsidiärer Schutz))
Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG hat die Behörde im Falle einer Abweisung eines Asylantrages von Amts wegen bescheidmäßig festzustellen, ob eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Herkunftsstaat zulässig ist.
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