Evangelisches Gemeindelexikon



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Kahler, Martin, *6.1.1835 Neuhausen bei Königsberg, 17.9.1912 Freudenstadt. Stu­dium der Theologie bei Rothe in Heidelberg, A. —» Tholuck und J. Müller, als dessen Schü­ler er sich verstand, in Halle. Von J. T. Beck in Tübingen beeinflußt in ntl. Exegese. Promotion über das Gewissen, Privatdozent in Halle, dann in Bonn Nachfolger A. Ritschls als a.o. Professor in Systematik und NT. In gleicher Funktion wieder in Halle 1867 und als Leiter des Schlesischen Kon­vikts. 1879 als Nachfolger J. Müllers Ordina­rius für systematische Theologie und NT bis zu seinem Tod.

K. versuchte, eine eigenständige Antwort auf die Fragen des 19. Jh.s nach —> Gewissen, —» Geschichte und Christologie zu geben. Ausgehend von der im Gewissen des einzel­nen sich unmittelbar manifestierenden Got­tesbeziehung fragt K. nach der vollen Ver­wirklichung jenes Bezugs zu Gott in Reli­gion und Sittlichkeit. Diese Problemstel­lung führt K. zum Glauben des gerechtfertig­ten Sünders, dem Rechtfertigungsglauben als Ausgangspunkt seines theologischen Denkens. In seiner Dogmatik, der »Wissen­schaft der christlichen Lehre« (1883-1887), hat K. diesen Ansatz in drei konzentrischen Kreisen als »christliche Apologetik«, »ev. Dogmatik« und »theologische Ethik« ent­faltet.

Zeitlebens hat K. sich mit dem Problem der Geschichte, d.h. mit dem Verhältnis von Geschichte und Glaube, Relativem und Ab­solutem auseinandergesetzt, ohne von sei­nem Ansatz zu einer befriedigenden Lösung zu gelangen. Nach anfänglich positiver Auf­nahme der historisch-kritischen Forschung wendet sich K. mit zunehmender Radikali­tät gegen die Abhängigkeit des Glaubens von historischer Forschung in der Leben-Jesu- Bewegung. Im Interesse eines »sturmfreien Gebietes« des Glaubens und seiner unmit­telbaren —> Heilsgewißheit vertritt K. statt des historischen Jesus der Leben-Jesu-For- schung den Christus des Glaubens. Maßge­bend ist nicht das Historisch-Geschichtli­che, sondern das Geistig-»Obergeschichtli­che«. Seine bekannteste Schrift ist: »Der so­genannte historische Jesus und der ge­schichtliche, biblische Christus (1892, 19613). Aufs engste hängt damit K.s Ver­ständnis der Bibel als »Urkunde für den Vollzug der kirchengründenden Predigt« zu­sammen. Im Anschluß an Paulus und die -» Reformation ist K. christozentrischer Theo­loge. Im Mittelpunkt steht das auf die Ge­genwart des auferstandenen Versöhners be­zogene Heilswerk. In seinem bedeutendsten Buch »Zur Lehre von der Versöhnung« (1898, 19372) hat K. diese Lehre in Ausein­andersetzung mit A. Ritschl und W. Herr­mann (—» liberale Theologie) exegetisch und systematisch großartig entfaltet. K.s Kreuz und Auferstehung Jesu Christi zusammen­fassende Versöhnungstheologie spannt ei­nen Bogen vom »Individualismus« der Ver­söhnten in der —> Rechtfertigung zum escha- tologischen »Universalismus« der Versöh­nung zwischen Schöpfung und Schöpfer, die durch die Sendung (Mission) der Versöhnten geschichtlich miteinander verbunden sind. Lit.: Theologe und Christ, K.s Selbstbiographie und Ergänzung durch Anna K., 1926 - M.K., Ge­schichte der protestantischen Dogmatik im 19. Jh., 1962 (mit Bibliographie)

Link/Th. Brandt




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