Gender Studies entstanden aus der sich im Zuge der 68er-Studentenbewegung formierenden Frauenbewegung (→ soziale Bewegungen), Frauenforschung und feministischen Wissenschaft als Reaktion auf Diskriminierungserfahrungen von Frauen in Gesellschaft und Wissenschaft. Frauenforschung versteht sich als für die Belange von Frauen parteiische und emanzipatorische Wissenschaft mit dem Ziel der Aufdeckung und Abschaffung von strukturellen Benachteiligungen von Frauen in rechtlichen, politischen, ökonomischen und sozialen Bereichen. An der herrschenden Forschung wurde v.a. kritisiert, dass sie trotz ihres Objektivitätsgebots wissenschaftliche Forschung und Theorie aus der Perspektive von Männern betreibe und dass dabei männliche Interessen dominieren, während Frauenerfahrungen und -interessen unberücksichtigt blieben. So beschäftigten sich die ersten Frauenforscherinnen insbes. mit Forschungen über Alltagserfahrungen von Frauen und ihrer gesellschaftlichen und sozialen Stellung. Themen wie sexuelle Unterdrückung und → häusliche Gewalt insbes. von Männern gegenüber Frauen und Kindern wurden zu Beginn der Frauenforschung Gegenstand von Untersuchungen, ebenso wurde die spezifische Beteiligung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt im Kontext von geschlechtsspezifischen Tätigkeiten (sog. Frauenberufen), dem Entlohnungssystem und der beruflichen Karrieremöglichkeiten sowie der → Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsleben thematisiert. Fragen zur → Sozialisation von Mädchen und Jungen stellen einen weiteren Schwerpunkt der Frauen- und später der Geschlechterforschung dar.
Im Zuge der Kritik an einer isolierten Erforschung von weiblichen Lebenswelten verbunden mit dem Anspruch, dass eine Veränderung von Lebensqualitäten nur bei einer Veränderung weiblicher und männlicher Lebenszusammenhänge möglich sei, entwickelte sich die Frauenforschung weiter zu G. S., verstanden als kritische Analyse des Geschlechterverhältnisses insgesamt. Um die Lebenswirklichkeit von Frauen zu verstehen, bedarf es nach diesem Verständnis immer auch eines Inbeziehungsetzens zur männlichen Lebenssituation. In diesem Kontext entstanden erste Ansätze zur kritischen Männerforschung, die sich z. B. mit dem Konzept hegemonialer Männlichkeit (Conell) und dem gesellschaftlichen und sozialen Prozess der Herstellung von Männlichkeit und der männlichen Sozialisation befassen. Diese der antisexistischen Männerbewegung verbundene Männerforschung untersucht bewusst den Zusammenhang von männlichen Lebenserfahrungen und Geschlecht und teilt die Grundannahme der feministischen Theorie, dass die traditionellen Wissenschaften weder Frauen noch Männer als Geschlechtswesen wahrgenommen haben. Gender ist damit zur zentralen theoretischen Analysekategorie geworden und meint die soziale Konstruktion des Geschlechts im Unterschied zu »sex« als physiologisch-biologisches Geschlecht. Im Begriff der Geschlechterdifferenz bündeln sich die kulturellen und sozialen Unterschiede als Ergebnis von Sozialisationsprozessen und der Interaktion mit der Umwelt. Strukturelle Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern, unterschiedliche kulturelle Normen und soziale Zuschreibungen sind gesellschaftlich so wirkungsvoll, dass die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht über Lebenschancen entscheidet (→ Chancengleichheit). Diese Unterschiede werden nicht als naturgegeben angesehen, sondern in ihrem historischen und sozialen Kontext begriffen. Die einseitige Untersuchung der durch das Geschlecht entstehenden strukturellen Ungleichheiten wird zunehmend kritisiert: Wenn der Ausschluss von Frauen aus vielen gesellschaftlichen Bereichen das Resultat des bestehenden Geschlechterverhältnisses ist, ist nicht isoliert die Situation der Frauen zu verändern, sondern die Organisation des Geschlechterverhältnisses und die Beziehungen zwischen den beiden Geschlechtern insgesamt. Der Fokus der G. S. liegt also nicht auf Untersuchungen zu einem der beiden Geschlechter, sondern auf den sozial konstruierten Verhältnissen zwischen beiden Geschlechtern.
Im letzten Jahrzehnt wurden an Universitäten und Fachhochschulen Institute und Studiengänge für G. S. ausgebaut, was insgesamt zu einer Ausweitung der Forschungsfelder und einer intensiven wissenschaftstheoretischen Debatte geführt hat. Die Geschlechterdimension in ihrer Relevanz für soziale, kulturelle und persönliche Verhältnisse gilt heute in der Wissenschaft als grundsätzlich akzeptiert und findet Eingang in viele Disziplinen. Es finden sich zahlreiche Veröffentlichungen aus Genderperspektive, die sich mit dem Wissenschaftsverständnis der jeweiligen Disziplin, den Forschungsfragen und -methoden unter Genderaspekten befassen und ein neutrales Wissenschaftsverständnis, das die Einflüsse der forschenden Subjekte ausklammert, ablehnt. In der sozialen Arbeit ist ein reflexiver Umgang mit der Genderfrage aus doppelter Perspektive notwendig: Zum einen bedarf es der Reflexion der spezifischen Belange und Problemlagen des weiblichen und männlichen Klientels, wobei Frauen den Hauptanteil unter den erwachsenen Klient/innen ausmachen und z. B. die → Armutsforschung das Geschlecht als besonderes Armutsrisiko definiert. In der Jugendarbeit liegen theoretisch fundierte Konzepte für eine geschlechtsbewusste Pädagogik vor, die sowohl das Geschlechterverhältnis zwischen den Jugendlichen als auch zwischen den Jugendlichen und sozialen Fachkräften reflektieren (→ Geschlechtsspezifische Kinder- und Jugendarbeit). Zweitens spielt der Genderaspekt bzgl. der sozialen Fachkräfte eine wichtige Rolle, denn in der sozialen Arbeit sind zu fast 2/3 Frauen beschäftigt, und es findet sich auch hier eine geschlechtsspezifische Segregation: Je nach Tätigkeitsbereich und Hierarchiestufe ist der Frauen- und Männeranteil unterschiedlich. So finden sich z. B. in Leitungspositionen weit mehr Männer als dies ihrem Anteil an der Gesamtheit der berufstätigen sozialen Fachkräfte entsprechen würde. Kritische Einwände gegen G. S. sehen die Gefahr einer Verwässerung der Belange von Frauen und eine Entpolitisierung der Frauenforschung sowie die Aufgabe der kritischen Positionierung eines feministischen Wissenschaftsverständnisses.
Lit. Becker u. a.: Handbuch; Böhnisch u. a.: Soziale Arbeit; Rose: Gender; Schößler: Gender Studies.
Angelika Ehrhardt
stopper
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