"Jacomo Tentor f."


Überlegungen zur hypothetischen



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Überlegungen zur hypothetischen

Romreise Tintorettos

Am 31. Mai 1994 jährt[e] sich zum vierhundertsten Male der Todestag Jacopo Robustis, Il Tintoretto. Seiner in Rom469 zu gedenken, ist weniger abwegig als es aufs erste scheinen mag, erlebte doch im nämlichen Lustrum das malerische Hauptwerk eines der beiden grossen Vorbilder des Venezianers, Michelangelos Jüngstes Gericht, seine atemberaubende restauratorische Wiederauferstehung. Buonarrotis neugewonnene Farbigkeit, eine neu erfahrbare Atmosphäre, ein neues Raumgefühl, das von den Wänden und der Decke der Sixtina ausgeht, stellen über die Problematik, die Kontroversen und die Polemiken hinaus, die diese Restaurierung aufwerfen mochten und mögen,470 eine Fülle von Fragen an die Forscher, die sich mit der Rezeption des Florentiners, sein Weiterwirken namentlich in der Palette des Manierismus, befassen. Der Kolorist Michelangelo ist, dank einer mechanisch-chemischen Manipulation seines Chef-d'euvres, wie es keinem Werk seiner Zeitgenossen so krass wiederfuhr, zum Protagonisten aktuellster Betrachtung und Analyse geworden, dank derer wohl so manche Cinquecento-Kunstgeschichtsauffassung korrigiert, wenn nicht neugeschrieben werden muss. Von Tintoretto im fernen Venedig hat man gesagt, er habe sich das Werkstattmotto "Il disegno di Michelangelo e'l colorito di Titiano" beherzt (eigentlich eine unpersönliche und idealistisch theoretisierende Formulierung Paolo Pinos471 in seinem Traktat von 1548 – just im Jahr des dieser Maxime so entgegenkommenden Sklavenwunders). Und in der Tat ist sein "Michelangiolismus" Leitfaden seiner frühen Laufbahn als Autodidakt und begierig Lernender. Wer sich über Jacopos Disegno beugte, hatte bisher verständlicherweise die formalen Anleihen bei Skulptur und Malerei Buonarrotis im Auge, während der direkteste Weg seiner Rezeption in einem Augenschein der Vorbilder angenommen wurde. Mit der Neubewertung der Malerei der Sixtina stellt sich allerdings nun die Frage, ob "disegno" nicht auch die koloristischen Komponenten mitbeinhalten müsste, wo diese doch unverbrüchlich und violent die formalen Belange beeinflussen und dementsprechend das Tun der ersten Manieristengeneration zutiefst geprägt haben. Hätte somit nicht auch "il colore di Michelangelo" auf den jungen Venezianer wirken müssen, wenn er sich vor Ort an seinem genialen Vorbild hätte schulen können?


Doch holen wir aus:

Spätestens seit Rodolfo Pallucchini's grundlegendem Buch zur 'Giovinezza' Tintoretto's472 ist es um das Für und Wider einer unüberlieferten Bildungsreise des jungen Färbersohnes nach Rom, wo er die wesenlichen Impulse des tosko-römischen Manierismus empfangen habe, nicht still geworden. Pallucchinis These (wiederholt 1964473 und 1982474), die auf einer Kette von früheren Vermutungen (E.v.d.Bercken–A.L.Mayer 1916–18, 1923, 1942, M.Pittaluga 1925,475 M.Dvorák 1927, N.Pevsner 1928, W.Arslan 1937, J.Wilde 1938, S.H.Levie 1953, A.Hauser 1964, S.J.Freedberg 1971 u.a.) fusste und der Paola Rossi noch 1982 immerhin das Prädikat einer eher zu bejahenden 'vexata quaestio'476 zueignete, wurde von der Forschung mit Vorsicht gebilligt, stillschweigend zur Kenntnis genommen, mit Argumenten für eine alternative Rezeptionsmöglichkeit lieber zurückgedrängt wie D.R.Coffin 1951,477 oder mit Gefühlen des Unbehagens verworfen, ohne aber Beweismittel dafür anzuführen.

Aktualität erhielt die Frage nun wieder jüngst durch die Dissertation von Katharina Dobai von 1991,478 welche den Einfluss der florentinischen Skulptur auf Tintoretto analysierte und unter dem Eindruck zeitlich auseinanderliegender Indizien sogar mehrere Aufenthalte Jacopos in Rom nicht von der Hand wies (dies wohl auf der Fährte S.H.Levie's, der schon 1953 eine solche Reise zwischen März und November 1552 einzugrenzen versucht hatte!)479 und schliesslich Lea Salvadori Rizzi 1994, die eine persönliche Kenntnisnahme von Fresken Raffaels in Rom in den Jahren 1543–44 für erwägbar hält.

Den affirmativen Stimmen wie jener A.Hausers von 1964/79 standen und stehen aber auch immer schon die Zweifler gegenüber: angeführt von L.Coletti (1940), H.Tietze (1947, der gleichsam die jüngste Restaurierung vorausahnend sagte: "Der Künstler... ist nicht lernend unter der Decke der Sixtina gesessen.") und B.Berenson (1954, welcher lapidar aussprach: "Il Tintoretto non si mosse da Venezia.") oder neuerdings auch Paola Rossi, die inzwischen auf die Unbelegbarkeit der Unternehmung einschwenkte, gefolgt von Robert Echols (1996:480 "La visita a Roma non ebbe mai luogo."), geschweige all derer, die wie H.Thode (1901) oder D.v.Hadeln auf einen persönlichen Kontakt mit der Bildungsmetropole nicht eingehen wollten, sprich, ihn so gut wie ausschlossen.



Die oberflächlichere Historiographie hingegen hat sich Tintorettos 'Grand Tour' seit längerem voll zu eigen gemacht, obwohl sie den Aussagen 'ex silentio' Carlo Ridolfis (1642, 1648)481 widerspricht, Jacopo habe seine Heimatstadt bzw. das engere Territorium Venedigs (mit Ausnahme eines späten Besuchs bei den Gonzaga in Mantua 1580) nicht überschritten.
Ridolfis biographische Aussagen gehen immerhin auf Jacopos Sohn Domenico (1560–1635) zurück, den er selbst noch gekannt hat und dessen lebendige und anekdotenreiche Ausführungen der gesondert und den Maraviglie vorausgehend publizierten Vita Jacopos von 1642 zugrundeliegen dürften. Allerdings liegt zwischen der literarischen Verarbeitung des Stoffes und dem Zeitraum des Lebensabschnittes, der uns interessiert, ein gutes Jahrhundert, und schiebt sich zwischen die Rezeption von Sohn und Schriftsteller eine nicht unbeträchtliche Mythifizierung des (übrigens von beiden keineswegs übermässig geliebten) Helden, die vom einen geduldet und vom anderen gewollt sein dürfte: der an prominentem Auftragswesen kränkelnden Bottega kam eine geschönte, dramatisierte Publizität zugute und Ridolfi, der selber von seiner eigenen affinen Epigonen-Kunst lebte, war wohl ein Parti pris nicht ganz abhold, wenn es darum ging, die Tugenden des imitierten Protagonisten ins Glanzlicht des Genies zu stellen.
Genie aber besass vor allem jener, der seit Vasaris Viten mit Begabung auf die Welt gekommen war, die es lediglich am Vorbild geeigneter Meister auszubauen und zu schleifen galt. Das Wann und Wo einer Formation erhält bei den meisten frühen kunsthistorischen Autoren deshalb nicht wenige Beachtung. Hinzu kam im Falle Ridolfis der nicht unwesentliche Republikstolz des in Opposition zu Vasari schriftstellernden (Wahl-) Venezianers, in Tintoretto einen echten Spross der Lagunenstadt zu sehen, der nicht das Homonym einer fremden Herkunft trug, wie die meisten seiner prominenten Zeitgenossen. So sollte die Herkunft seiner Maniera, seines Stils, Disegno und Colore nach Möglichkeit auch im in Venedig anstehenden Boden wurzeln oder zumindest dank möglichst indirekter Vermittlung ausgebildet worden sein.
Des weiteren war das Lebenswerk Robustis zu Zeiten Ridolfis bereits ein abgeschlossenes Universum sozial-religiösen Grundgehaltes einer typisch venezianischen Prägung, die nach dem Kirchenkonflikt und Interdikt im Umkreis des streitbaren Paolo Sarpi, den Anspruch auf Autonomie gegenüber Rom fortsetzte. Die gegenreformatorische Frömmigkeit vom Genre Tintorettos war gegen die Mitte des 17. Jahrhunderts noch immer von so grosser Überzeugungskraft und Dynamik, dass mit der löblichen Ausnahme Palmas, Nachahmer und Nachfolger sich lange nur als namenschwache Epigonen auszuweisen verstanden, bis neue mitunter wieder ausservenezianische Impulse die Szene belebten. So war für Ridolfi und einen 'venezianissimo' wie Boschini die Figur Tintorettos über die des Malers der Republik hinaus Politikum, Meta einer Zeitentwicklung, Ausdruck der Identifikation mit einem zweiten verborgeneren Wesenszug der Venezianità, die sich der geschäftige Normalbürger und seine gestrenge Obrigkeit für gewöhnlich verbaten: träumerische Exkursivität, genialischer Weitflug, Schnell- und Leichtlebigkeit, überbordende Produktivität und glutvolle Hingabe an Ideen und Prospektionen.
Der Traum war das Gegenmittel, ein nicht minder nutzloses Triak gegen die Gewissheit des heimlichen Niedergangs der Stadt. Tintoretto war unter der Künstlerschaft des Cinquecento die letzte positivistische Heldengestalt, derer man sich erinnern, auf die man sich beziehen konnte, wollte man einer Renovatio überhaupt noch entgegensehen, waren doch Ricci, Piazzetta, Pittoni und Tiepolo wie ihre dekorativeren Zeitgenossen, etwa Guardi und Canaletto, noch lange nicht in Sicht!
Sind unter den genannten Auspizien die Aussagen der Historiographen glaubwürdig, lässt sich die Formierung des jungen Tintoretto durch das Gespinst ihrer Klitterungen, Anekdoten und engagierten Annahmen rekonstruieren? Ist das Bild des genialischen Autodidakten eine Fälschung? Auf die Gretchenfrage reduziert:
War Jacopo Tintoretto in Rom?482
Rodolfo Pallucchini glaubte 1950 auf Grund ikonologischer und linguistischer Indizien eine Bekanntheit Jacopos mit damals neuesten, ja spektakulärsten Bildschöpfungen feststellen zu können, die kaum ohne direkte Berührung als Auslöser manieristischer Tendenzen im fernen Venedig hätten wirken können, wären sie lediglich über mündliche oder zeichnerische Kunde an den Adressaten gelangt: so etwa Francesco Salviatis und Jacopino del Contes Fresken-Zyklus in San Giovanni Decollato oder Daniele da Volterras Kreuzabnahme und Himmelfahrt Mariens in Santa Trinità ai Monti. Michelangelos Bekehrung des Saulus in der Cappella Paolina483 hatte früher schon Max Dvorák als Vorbild für die Hauptmotive des Sklavenwunders in die Schranken gerufen und E.v.d.Bercken und A.Mayer sahen (gefolgt von R.Pallucchini484 und R.Tozzi)485 in den zahllosen Zitaten der 'Anticaglie', voran dem Bramante-Tempelchen des Brüsseler Markus-Modello unwiderrufliche Zeichen einer Bekanntheit mit römischer Renaissancearchitektur und antiker Ruinenlandschaft.
Mit C.Goulds Beitrag von 1962486 zum Einfluss der serlianischen Architektur-Tafeln auf die venezianische Kunst wurde der Verweis auf die 'antichità romana' als hinreichenden Beweis eines Rombesuchs zwar gegenstandslos, doch griff lange niemand diesen interessanten Faden der Wahrheitsfindung auf. Allein ein eingehendes Studium aller Anleihen Tintorettos im Fundus des Musterbucharchitekten benötigte einen eigenen Essay für sich, der veranschaulichte, wie intensiv sich Jacopo während gut einem Jahrzehnt mit Bau- und Dekorationsformen der Traktate befasste, sie kombinierte, abwandelte und so völlig unarchitektonisch rezipierte. Uns mögen wenige Detailbetrachtungen genügen, die einen Augenschein vor Ort durch Jacopo unwahrscheinlich machen:
Der Madrider alttestamentliche Deckenzyklus, den Velazquez für Philipp IV. in Venedig erstand, enthält die 'poesia' von Esther vor Assuer mit einer untersichtigen Trajans- oder Marcantonssäule487 im mittleren Himmelsfeld (Abb.0, sie erscheint in der kleinen [Cassone-]Szene des Muzius Scaevola in Wien erneut, Abb.0). Auf jeden Rombesucher wirkt die reale Bänderung der Bilderfriese nur merklich ansteigend, ja, wegen des enormen Säulendurchmessers eher fast horizontal gelagert (Abb.0). Tintoretto lässt sie in übertriebener Steile an einem viel zu engen Schaft emporschlingen, ganz im Sinne seiner Vorlage in Serlios drittem Buch delle antichità di Roma ecc. (1540, III, fol.LXIII, Abb.0). In beiden Wiedergaben ist zudem die reale, schriftbandanaloge Rechtsläufigkeit des Monumentes invertiert; in der Vorlage ein banales Resultat des seitenverkehrenden graphischen Druckverfahrens! Auch die massige Untersicht der Deckplatte (und der bis 1589 statuenlose Abschluss) ist eher vom Drucke abzuleiten, als der Naturanschauung abzugewinnen. Tintorettos Detailtreue und hohe Beobachtungsgabe hätten innerhalb des Lustrums zwischen Sklavenwunder und der Bamberger Himmelfahrt Mariens eine solche 'trascuratezza' kaum erlaubt.488 Der nachweislich von antiker und zeitgenössischer Skulptur und Reliefplastik faszinierte Novize, der die Antiken der Sammlung Grimani und der Gonzaga in Mantua, wohl auch die des Marco Mantova Benavides in Padua studierte und rezipierte, hätte kaum die Charakteristik und die 'istorie' der beiden römischen Monumentalsäulen übersehen und in der Folge seiner malerischen Wiedergabe so wenig Plastizität verliehen – wie dies hingegen für den Stecher einer kumulativen Schautafel unbedenklich war.
Ähnlich aufschlussreich ist die genauere Betrachtung des Bramante-Tempelchens im Brüsseler Präsentationsentwurf für das Gewitterwunder bzw. der Rettung der Gebeine Marci vor der Verbrennung: Das römische Petrus- und Pilgermonument in San Pietro in Montorio, am Abhang des Gianicolo in klösterlicher Umbauung eingeengt (Abb.76), wird hier, der Markusvita angepasst,489 in die isolierte Meeresnähe (am Grossen Hafen) Alexandriens versetzt (an dessen Ostsporn in der Tat einst ein Isistempel lag). Vielleicht soll das Gebäude die Gründungskirche der christlichen Gemeinde bedeuten und in der Folge die heiligen Gebeine empfangen, von wo aus sie schliesslich nach Venedig gelangten. Tintorettos Bramantezitat unterscheidet sich vom realen Bauwerk wie in seiner perspektivisch möglichen Erscheinung ganz wesentlich – mit Abweichungen, die mit dem Tempietto Federigo Baroccis in der Flucht des Aeneas490 und seiner Entwurfszeichnung in Florenz geradezu identisch sind. So manchem Forscher und namentlich Pallucchini erschien Tintorettos Tempelchen trotzdem als Nachhall des römischen Reiseeindrucks. Indessen ist weder die Höhenentwicklung des Obergeschosses noch die Kuppel am Bauwerk dank der zwingenden Nahsichtigkeit so imponent zu spüren, während dies der graphische Aufriss Serlios nach der 'Ur- oder Idealfassung' Bramantes im dritten Buche der antichità di Roma (Folioausgabe 1540)491 erlaubt (Abb.77). Nur Serlios Unterschlagung der in Wirklichkeit prominenten Sockelbasis dürfte Tintoretto dazu verleitet haben, auf die Freitreppenringe ganz zu verzichten. Auch die malerischen Freiheiten wie Karyatiden und die Verbreiterung des Portikus und der Türe, der Verzicht auf den Triglyphenfries und den zweiten Dachtraufenring mag nur vom Stiche ausgehen, dessen sich Tintoretto später noch einmal in der Ultima Cena von San Polo entfernt erinnern wird (noch bis in die 60erJahre sind solcherlei graphische Anleihen und Kombinationen keine Seltenheit...).
Tintoretto ist jedoch nicht Graphikausbeuter genug, sich nicht auch mit seiner wirklichen städtischen Umgebung auseinanderzusetzen: im genannten Modello stammt der kuriose Dreisäulen-Portikus wie erwähnt vom Vorplatz der Scuola Grande di San Marco, nämlich dem Sockel des damals noch vergoldeten Colleoni Verrocchios (Abb.73,74), eine Bildidee, die im Wiener Cassonetäfelchen mit der Anbetung des goldenen Kalbes wiederkehrt und dort vielleicht ironisch gemeint ist (Abb.0).492
Bleiben die oft flüchtigen stereotypen Hintergrund-Zitate von antikisierenden Bauwerken und Ruinen, ja selbst einer Ansicht der Engelsburg, in Ausblicken freiluftiger Szenarien oder Porträts. Sofern diese nicht frei erfunden sind, wiederholen sie Formen und Formeln wie sie die Graphik Campagnolas und des Tiziankreises längst verbreitet hatten und die auch in die Freskenwelt des jungen Veronese eindrangen.493 Vom frühen San Demetrio von San Felice494 über das Sansovino-Porträt in Genf zum Bildnis des Gabriele Emo in Columbia und dem Sammlerbildnis in Privatbesitz mit je einer Engelsburg-Vedute,495 zum Ottavio Strada in Amsterdam uam., lässt keiner der Ausblicke auf einen realen Bezug schliessen, der nicht durch graphische 'Ricordi' und manualistische Topographien abgedeckt wäre.
Vergessen wird ob der nicht seltenen malerischen Einarbeit von 'Anticaglie' im Opus Tintorettianum die Existenz von zahllosen antiken Skulpturen, Reliefs und Abgüssen in damals öffentlichen und privaten Sammlungen Venedigs (man denke an den Sammler Odoni, die Familien Marcello, Grimani, d'Anna, Contarini ja Pietro Bembo selbst u.a.) und der näheren Terraferma, von denen nur bescheidene Reste im Museo Archeologico überdauert haben, nicht zu sprechen von den heute verschwundenen Antikenschätzen, die sich in der Benavides-Sammlung in Padua496 oder im Besitz der Gonzaga zu Mantua häuften.
Als Hauptargument des 'soggiorno romano' gilt seit je Jacopos 'Michelangiolismus' der mittvierziger Jahre bis zum Sklavenwunder von 1547/48. Schon Borghini nennt im Riposo von 1584497 Michelangelo als Quelle intensivsten Studiums. Ridolfi bestätigt dies,498 führt aber als Arbeitsmaterial Abgüsse nach den vier Tageszeiten der Cappella Medicea in Florenz an, die Daniele da Volterra laut Vasari erst 1557499 schuf und die somit nicht die erste Quelle der Inspiration sein können. Vielmehr dürfte Tintoretto schon seit den frühesten Kontakten zu Aretin oder Sansovino als Mittler des toskorömischen Formengutes (das sowohl Raffael500 wie Giulio Romano miteinbezieht und die Ausschliesslichkeit Michelangelos einschränkt) an Zeichnungen oder Bozzetti gelangt sein,501 die in Künstlerkreisen um Tizian, die beiden Salviati und Sammler vom Zeuge der Contarini und des Kardinal Grimani zirkulierten. Die mit "1540" datierte und signierte Sacra Conversazione Molin502 (Abb.0) ist nicht nur Paradebeispiel für Jacopos Eklektizismus: vereinigt er in ihr nicht nur formale traditionelle Elemente Bonifazios (im knienden Franziskus), farbliche Lottos und inventive wie den querliegenden Bambino Pordenones, sondern unverkennbar allusive wie die Madonna mit dem überschlagenen Bein nach der Medicifigur Buonarrotis (deren Haltung nur noch in der Präsentationszeichnung der Madonna del Silenzio von etwa 1540 bzw. in Reproduktionen wie der Bonasones wiederkehrt Abb.0). Nicht dass Jacopo die Figur in situ zu Florenz konterfeite: die Finitura der blossen Füsse und die Abstützung der Rechten sind klare Hinweise auf ein verkleinertes Vorbild im Sinne der Pariser Bronzekopie (Abb. 0) oder des verlorenen Berliner 'Modelletto', die der Kunsthandel in den Norden brachte.
Jacopos früher Michelangiolismus (den der vergangene Schwarz-Weiss-Kunsthistorizismus sicherlich übertrieben hat) ist in allen Fällen ein selektives Zitieren von immer wieder neu aufgegriffenen Einzelposen mit recht geringem Variationsspektrum, was auf die Verwendung von wenigen 'modelletti'503 oder aber graphischen Vorlagen schliessen lässt.
Überdies geben Szenerien wie die der verschiedenen Lavanda-Versionen (mit Michelangelos ohnehin nur graphisch tradiertem 'Schuhauszieher'-Motiv!), des Sklavenwunders (mit den Rückenansichten der Medici-Allegorien) oder der Kreuzauffindung in S.M.Materdomini (Abb.150) nie ein homogenes monumentales architektonisches oder skulpturales Ambiente wieder, das Figuren und Grund zusammenband, wie es die Sixtina mit ihren Szenenfolgen und dem Jüngsten Gericht, die Paolina mit ihren gewaltsamen Freskoteppichen, die obengenannten Oratoriums- und Kapellen-Zyklen der Toscorömer boten, noch spielt die originale orchestrale Farblichkeit, die in den letzten Jahren wieder zutagetrat, die geringste Rolle. Jacopo 'koloriert' in einer ihm eigentümlichen Regie nach den Zwängen des Helldunkel (was ihn in der Vergangenheit dem Aspekt des ungereinigten Sixtina-Dekors in unerlaubter Weise nähern liess!), während doch der 'neue' Buonarroti eine dionysisch-parataktische Farbfleckenstrategie bietet, die von atemberaubender Klanggewalt ist und erst heute verstehen lässt, wie der Farbmanierismus eines Salviati, Rosso und Pontormo, eines Bronzino und Primaticcio zustandekam.
Die direkte Berührung eines so lernbegierigen autodidaktischen Färbersohnes von besonders regem Interesse für technisch-handwerkliche Belange mit einem Wahlpatronat dieser Monumentalität, Ausdruckskraft und Spiritualität hätte ganz andere, tiefgreifendere und anhaltendere Grundwellen der Rezeption ausgelöst, als es die Akolyten 'zweiter Hand', Daniele, Salviati oder del Conte vermocht hätten, ja es ist fraglich, ob in Rom Jacopo nicht ein ganz anderer geworden wäre, hätte er den Schock des einsamen Vorbildes in kruder Unmittelbarkeit erlebt. Die beredten apollinischen Tonalitäten Tizians liessen sich noch als Anreiz der Herausforderung assimilieren, ein handgreiflich übermächtiger Furor Michelangelos verbat jeden Metabolismus, traf er einen noch unfertigen und wehrlosen Venezianer von der Sensibilität Jacopos. Hatte nicht selbst der Cadoriner im eigentlich souveränsten Reifealter seine Romimpression von 1545 nur mit schwerer Identitätskrise überstanden!? Gerade die chamäleonhafte Fähigkeit des noch orientierungslosen Tintoretto, der in seinen Anfängen nachweislich Carpaccio und mit gewisser Wahrscheinlichkeit Tizian kopierte504 in der Gebärdensprache und Handschrift eines Bonifazio, eines Schiavone zu malen oder in Posen und Gewändern eines Veronese, Bordone, Bassano, oder gewalttätig wie Giulio Romano oder Pordenone aufzutreten verstand, hätte ihm erlaubt, den ihm heiligsten Prodromos des Disegno nachhaltiger und expressiver zu imitieren, als es etwa im Schlüsselwerk seiner Aszendenz in den Olymp der Zeitgenossen, dem Sklavenwunder der Fall war.
Die Hauptzeugen, die einst für die Argumentierung eines Rombesuchs hinreichend zu genügen schienen, nämlich die Fresken im Oratorium von San Giovanni Decollato und jene in Sta.Trinità ai Monti haben inzwischen bis auf formale Anlehnungsindizien nicht zuletzt dank jüngerer Restaurierungen ihre Überzeugungskraft eingebüsst, da sie technisch, farbkompositionell und in der Behandlung des Helldunkel nur noch wenige Anknüpfungspunkte bieten, die über eine graphische Tradierungsmöglichkeit hinausweisen dürften.

Um so originelle Kompositionen Robustis anzuregen wie Mariae Tempelgang, die Bamberger Himmelfahrt Mariens, das Agneswunder, die turbulenten Gerichtsszenen der Madonna dell'Orto oder die dortigen Orgelprospekte mit den gewaltsamen Martyrien von Peter und Paul, schliesslich die Grablegung von Bridgewaterhouse,505 sind zu viele Vermittlungswege zu berücksichtigen, als dass auf einen so selektiven Augenschein in Rom geschlossen werden kann. Beispielshalber geht die Kreuzabnahme Danieles von 1541 mit ihrer Vielzahl an Leitern, die vielzitierte perspektivische trauernde Frauengruppe mit der ohnmächtigen Maria (die bei Tintoretto seitenverkehrt wiedererscheint und deren Nachhall in zahlreichen weiteren Kreuzabnahmen, wie jener in Caen, La Spezia, Wien, Nancy, Strassburg und Venedig, San Cassiano zu spüren ist) möglicherweise auf das noch in London erhaltene Wachsmodell Jacopo Sansovinos zurück,506 das er etwa 1510 für Perugino anfertigte, welches Vasari bewunderte und das mehrfache Nachahmung fand.507 Wenn nicht Sansovino selbst die eigene, wenn auch in der Trägergruppe an Raffaels Deposizione Borghese von 1507 erinnernde Schöpfung an Tintoretto weitergab, so besteht zumindest die Spekulation, dass Zeichnungen für und nach Volterras Fresko Vasari 1542 in die Lagunenstadt gelangten, sofern sie nicht längst in graphischen Ricordi und Reproduktionen greifbar waren.508


Nimmt man an, Tintoretto habe formal wie koloristisch-tonal seine wesentlichsten Impulse für seinen 'Michelangiolismus' über die Vermittlung von Modelletti, Abgüssen und Graphiken erhalten können, die indirekte Rezeption sei über Werke Francesco Salviatis, Sansovinos und Vasaris in Venedig geschehen, so stellt sich die Frage, was hätte ein direkter Kontakt mit dem malerischen Oeuvre Buonarrotis in Rom ausgelöst, wie hätte sich eine solche Begegnung im so stark beeinflussbaren Gemüt des Neophyten, in seinem noch tastenden Frühwerk abgezeichnet? Dem Historiker ist das 'Was wäre gewesen wenn...' zwar eine verbotene Frucht, doch dürfen wir uns zumindest fragen, warum der Niederschlag einer sicher unvergesslichen direkten Begegnung mit des Meisters Sixtina im so reichhaltigen von Domenico referierten biographischen Material Ridolfis nicht im geringsten aufscheint, und dass die Palette des jungen Venezianers mitnichten über das weich-harmonische Kolorit Veroneses, den Schmelz Tizians, das emailhafte Farb-Cloisonnieren Lottos, oder das sfumateske Mischen Schiavones hinausgeht. Die provokanten Farbklänge und Dissonanzen des soeben wiedergeborenen Michelangelo509 hätten einen Tintoretto ebenso betroffen machen, ja überwältigen müssen, wie beispielshalber einen Pordenone, der mit Sicherheit den Florentiner, aber auch Raffael, Peruzzi und Giulio in seinen Fresken reflektierte, wann immer man die oder jene Romreisen des Friulaners ansetzen will.
Schliesslich wird man einwenden müssen, eine Bildungsreise von Venedig nach Rom eröffnete auch dem eiligsten Reisenden ungezählte weitere Möglichkeiten des Studiums, wenn nicht der direkten Berührung mit der zeitgenössischen Avantgarde. Weder sind uns biographische noch stilgeschichtliche Indizien fassbar geworden, die eine Station Robustis etwa in Parma, Bologna, Florenz, Siena oder gar Urbino wahrscheinlich machten. Ja, vielleicht ist sein hermetisches Einzelgängertum, das nur unumgängliche visuelle Einflüsse aus seiner nächsten Umgebung zuliess, wie Tizian, Bordone, Schiavone und Veronese, Ausdruck eines asketischen Verzichtes auf die Lockungen einer überreichen Ferne ist, die das eigene Produzieren zu lähmen drohte. Überdies mochte der zwischen 1545 und 1548 überaus enge Kontakt zu Aretin einer Romreise nicht förderlich gewesen sein; dessen Romüberdruss,510 die Schilderungen der Hofintrigen jener 'Roma puttana', ja selbst die noch druckfrischen Anwürfe an den schroffen Michelangelo eines weitum umstrittenen, schamlosen Giudizio und die wohl nicht sehr ermunternden Nachrichten über Tizians Reise, die schwanke politische Lage wenig vor der Jahrhundertmitte und schliesslich ein enormer Arbeitsanfall Jacopos im Zuge des Sklavenwunders, das Aretin so wortgewandt publik gemacht hatte, sprechen wenig für ein so unzeitgemässes Unternehmen.

Damals muss Tintoretto zudem finanzielle Opfer geleistet haben, um sein stark vergrössertes Atelier511 führen zu können (wo nun eine ganze Serie überbreitformatiger Gemälde entstanden), und im persönlichsten Rahmen wird er der Schwiegerfamilie der Episcopi verbunden wenn nicht verschuldet gewesen sein, ehelichte er doch gerade in diesen Jahren die junge Faustina, Tochter Marcos, des Buchführers der Scuola Grande di San Marco.


Für Rom dürfte Jacopo schlechtweg keine Zeit gefunden haben, geschweige die nötigen Mittel für ein damals oneröses Abenteuer: gerade seine malerischen Bravourstücke müssen wenig oder nichts eingebracht haben, galt es doch, sich in der Mittelschicht Venedigs, beim Parrochialklerus und der Staatsnomenklatur und besonders innerhalb der Scuolen, bzw. Laienbruderschaften, einen Namen zu machen. Diese aber geizten mit Aufträgen, oder liessen sich solche weitgehend unentgeltlich oder gegen Aufnahmeversprechen ausführen, sofern es sich um junge, noch wenig arrivierte Artigiani handelte.
Nicht zuletzt liesse sich argumentieren, dass die Attraktivität eines sich wirtschaftlich eben erst erholenden Kunst- und Kulturpoles antipodischer Strukturen wie Rom auf den kaum dreissigjährigen Venezianer, den die ersten mühselig errungenen Erfolge in der heimatlichen Arena krönten, aber auch in Atem hielten, der als zehnjähriger Knabe unvermeidlich von den Greueln des Sacco di Roma gehört haben muss und nun in eher romfeindlichen oder zumindest romkritischen Kreisen verkehrte, nicht sonderlich gross gewesen sein dürfte: der Spott Aretins über die römische Kurie und ihre höfischen Trabanten in Wort, Schrift und Theater war zur allgemeinen Attitüde der freigeistigen Intelligenz Venedigs geworden. Verzeichnete man nicht gerade in den frühen Vierzigerjahren eher den umgekehrten Trend, nämlich den Besuch oder gar die Niederlassung der Toscorömer wie die beiden Francesco (1539/40) und Giuseppe (Porta) Salviati (1539 ff), Giorgio Vasari (1542/43), Bartolomeo Ammanati (1540/43) und anderer aus dem Veneto wie Leone Leoni (1537;1544/46) Michele Sanmicheli (1535;1542 ff), Alessandro Vittoria (1543/51), in der unbeschwerten und reichen Lagunenstadt oder dem näheren Hinterland als Arbeitsfeld? Schliesslich liess sich die Romreise Tizians eher als gesellschaftlich relevantes Ereignis werten (was dem bis anhin namenlosen 'Tintorello' keinen Anreiz bieten konnte), denn als begeisternde Weiterbildungstour.
Auf Tintorettos Liste in Rom zu beziehenden Lernstoffes hätten, sieht man seine künftige Entwicklung im Zeitraffer voraus, nur wenige Namen und Begriffe stehen können; wohl kaum das für den toskanischen Manierismus so zentrale 'Disegno' im zeichnerisch-handwerklichen, perspektivischen oder dekorativen Sinne, weder Kontur noch akribische Komposition; weder 'Anticaglie' noch die theoretischen Lehren der Perspektive. Nur das skulpturale Oeuvre Michelangelos wäre Quelle genug gewesen, den Dürstenden nach Florenz oder Rom zu locken, obwohl doch ein Meister von überragenden Qualitäten, Sansovino, selbst in Venedig lebte und mit Jacopo befreundet war, wie die Widmung auf Jacopos Sansovino-Porträt und das Omaggio der Loggetta im Sklavenwunder ausweisen. Schon die malerischen Leistungen Michelangelos hätten schwerlich genügt, Robusti über Mantua, die buchstäbliche 'Nuova Roma' mit ihrer Fülle an Antiken und modernen Meisterwerken, hinaus in die Fremde gehn zu lassen, wo doch das Gute an zeichnerischem Disegno per Original wie per Kopie im Veneto erreichbar blieb und das Erfinderische der Ignudi und des Giudizio in graphischer Wiedergabe längst zu Verfügung stand. Dass sich Jacopo mit Hartnäckigkeit und grossen Kosten Gipse oder gar Bozzetti Buonarrotis besorgte, wie Borghini, Boschini und Ridolfi zu verstehen geben, bringt sich zwar immer noch schlecht in zeitlichen Einklang mit dem Frühwerk (es müsste darüber noch manches geforscht werden!), spiegelt jedoch den eigentlichen Focus Tintorettoschen Interesses am plastischen Vorbild, nicht am malerischen (dessen titanischer Vertreter stets Tizian mit langem Abstand vor Veronese und den anderen Vertretern der 'Venezianità' bleiben sollte...).
Fazit der überwiegenden Argumente ist wohl, dass Tintoretto nie in Rom war und kaum, sofern er reiste, bis Florenz gelangte. Wo er indessen als Lernender hätte gewesen sein können, hat Roland Krischel inzwischen aufzuzeigen versucht.512

49

133 Jacopo Tintoretto Esther vor Assuer Prado Madrid



134 Jacopo Tintoretto Muzius Scaevola Detail, Holztafel Kunsthistorisches Museum Wien

135 Colonna Marcantons an der Piazza Colonna Rom

136 Sebastiano Serlio Libro terzo delle antichità di Roma Colonna istoriata

50

137 Jacopo Tintoretto Sacra Conversazione ‘Molin‘ (1540) Field Collection Los Angeles



138 Giulio Bonasone Madonna del Silenzio Kupferstich 1561

139 Michelangelo-Kopist Bronzeversion der Madonna Medici Paris Louvre

Zu Tintorettos Raumverständnis

"...de prospetiva, che par mostruosa

fata tuta al contrario de Natura."

Marco Boschini, Carta del Navegar pitoresco,

Venezia 1660,Vento quinto, 273,4-5


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