Evangelisches Gemeindelexikon



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fohann Albrecht Bengel


Jahr 1836 ohne merkliche Änderung ver­streichen, so wäre freilich ein Hauptfehler in meinem System und man müßte eine Über­legung anstellen, wo er stecke«. Jedenfalls gegenüber ungeduldiger Naherwartung im schwärmerischen P. bedeutete dieses späte Datum von 1836 heilsame Ernüchterung. Bleibende Verehrung erwarb sich Bengel durch seine weitverbreitete Schriftausle­gung im »Gnomon Novi Testamenti« 1742. Durch seine Schrift gegen Zinzendorf und die Brüdergemeine hat er dem Herrnhuter- tum nach anfänglichen Erfolgen bis in die Erweckungszeit hinein den Eingang nach Württemberg blockiert. Friedrich Christoph Oetinger (1702-1782), ein Schüler und Freund Bengels, württembergischer Pfarrer und Prälat, ist der originellste und tiefsin­nigste unter den Schwabenvätern. Er hat Speners Verlangen nach einer aus der Bibel entfalteten »philosophia sacra« zu erfüllen versucht. Von Luthers dynamischem Got­tesbegriff aus, daß Gott das Leben ist, entfal­tet er seine gegen den aufklärerischen ab­strakten Gottesbegriff gerichtete Theologie, in der das »Leben« zum Urbegriff wird. Was Gott geschaffen hat, Organisches und Anor­ganisches, ist voller Leben. »Theologie und Chemie sind bei mir ein Ding«. Von der Theosophie Jakob Böhmes, der Kabbala und von Swedenborg (1688-1772) angeregt, will er aus seelsorgerlichem Bemühen das



schwäbische Kirchenvolk vor einem Absin­ken in die flache Aufklärungsfrömmigkeit abschirmen. Unverkennbar sind die Anstö­ße, die von ihm auf die Philosophie des deut­schen —> Idealismus, vor allem auf Schelling und Hegel, ausgegangen sind,

  1. DER NIEDERRHEINISCHE REFORMIERTE P.

In ihm mischen sich starke mystische Züge mit reformierter Zucht und Nüchternheit. Wo er Fuß fassen konnte, fanden sich Pfar­rer, Presbyter wie die ganze Gemeinde ein­hellig zusammen unter Verzicht auf alles Konventikeltum. Vom Spenerischen P. nicht unberührt, bestanden hier anfänglich starke Verbindungen mit dem niederländi­schen P., vor allem mit der von Jean de Laba- die (1610-1674) geführten Separatistenge­meinde, deren berühmtestes Glied Anna Maria von Schürmann (1607-1678) wurde. Der Ruf zum »Auszug aus Babel« und zur Separation fand Widerhall; doch konnten sich die von Labadie inspirierten Konventi- kel schließlich nicht durchsetzen. Eindeutig wird man Theodor Undereyck (1635 — 1693), als Pfarrer in Mülheim/Ruhr, später in Bre­men wirkend, als den Begründer des kirchli­chen P. in der deutschen reformierten Kirche anzusehen haben, der noch vor Speners »Pia desideria« erste kirchliche Konventikel in der reformierten Kirche gründete. Neben und nach ihm sind noch die Liederdichter Joachim Neander (1650-1680) und Fried­rich Adolf Lampe (1683-1729) zu nennen. Der bedeutendste Vertreter reformierten P. war jedoch Gerhard Tersteegen (1697-1769). Die quietistische Mystik, die seinen Lebensstil prägt, führt nicht von der Schrift weg. Das Gedankengut der romani­schen quietistischen Mystik, die als Unter­strömung nicht nur im P. überall wahr­nehmbar war, hat Tersteegen in seinem Hauptwerk »Auserlesene Lebensbeschrei­bungen heiliger Seelen« in 3 Bänden 1733-1753 veröffentlicht. Viele Auflagen erlebte seine Gedichtssammlung »Geistli­ches Blumengärtlein«. Gegenüber der auf­klärerischen Grundposition seines Landes­herrn Friedrich II. hat er wie Oetinger seine Distanz in den »Gedanken über die Werke des Philosophen von Sanssouci« »in ruhiger Gelassenheit« kundgetan. Mit Fug und Recht wird man in ihm den Hauptrepräsen­tanten der —> Stillen im Lande sehen, der ih­nen Sammelorte schuf, wo sie sich überpa- rochial treffen und gegenseitig stärken konnten. Man lernte hier wie im P. aller Landschaften den Wanderstab in die Hand zu nehmen, um Gleichgesinnte zu treffen. Tatsächlich ist die überparochiale Arbeit zuerst im P. praktiziert und in ihrem Recht erstritten worden. Hier sind die urchristli- chen Gemeindeversammlungen in Form von Bibelabenden erneuert und ist die Mo­nopolstellung des sonntäglichen Gottes­dienstes als einzige Möglichkeit, als Chri­sten über die Familie hinaus zusammenzu­kommen, durchbrochen worden.

  1. DER SCHWÄRMERISCHE P.

Daneben wucherte überall ein schwärmeri­scher P., besonders in den unruhevollen An­fangszeiten. Der linke Flügel der Reforma­tion war vor allem im süddeutschen Raum nicht völlig zerschlagen worden. Die in laut­losen Zirkeln untergetauchten Taufgesinn­ten, Separatisten, Inspirierten, Schwenkfel- dianer rührten sich wieder, als der P. seine kirchen- und sozialkritischen Thesen auf­stellte. Die Unterwanderung durch diese Seitenströme lag sehr nahe. Groteskes, Lä­cherliches, Verworrenes, Abstoßendes sik- kerte aus diesen Zirkeln auch in das Strom­bett des kirchlich gesonnenen P. ein. Daß ein gewisses Schwärmertum oft gefühlsmä­ßiger Überhitzung eine besondere Gefahr für den ganzen P. wurde, ein Überwuchern rein emotionaler Frömmigkeit ohne die harte Zucht nüchterner Besinnung seine stete Versuchung geblieben ist, ist nicht zu über­sehen.

Drei Gestalten unter den radikalen Pietisten sind unübersehbar neben den zahllosen, die mit Recht vergessen worden sind. Johann Wilhelm Petersen (1649-1727) und seine visionär veranlagte Frau Johanna Eleonora geb. Merlau (1644-1724) verbreiteten durch ihre Schriften die Lehre vom Tausendjähri­gen Reich. Von der englischen Böhme-Schü­lerin Jane Leade (1624-1704) übernahmen und propagierten sie die Lehre der —» Allver­söhnung, die in einer großen Breite den gan­zen Protestantismus bewegte, die Frühauf­klärung einbezogen. Sollten ewige Höllen­strafen für die christusferne Welt das letzte Wort Gottes sein? Das Ehepaar Petersen be­stritt auch die Einmaligkeit der Offenba­rung. Sie lehrten die fortlaufende, die sich in inneren Kundgebungen und Gesichten kundtut. Die Visionen der Rosamunde von Asseburg (1672-1712), eine Verquickung von chiliastischer Apokalyptik und eroti­scher Jesusminne, gaben sie in ihren Schriften weiter. Anders stand es um Ernst Christoph Hochmann von Hochenau (1670-1721), der unverdrossen durch Deutschland wanderte, um zum Auszug aus Babel im Hinblick auf den baldigen Anbruch des Tausendjährigen Reiches zu rufen. Drei­ßigmal ließ er sich geduldig einsperren. Fe­ste Gemeinden gründete er nicht. Er stiftete nur Unruhe, die sich wieder legte. Seine Lo­sung war: »Ich finde am besten, alle Secten zu verlassen und Jesus allein anhangen«. Gottfried Arnold (1660-1714) war eine Zeitspanne hindurch die große Gestalt des radikalen P. Am stärksten, ja epochema­chend wirkte er durch zwei Veröffentli­chungen. Unter der Reihe der Schriften über die Urchristenheit ist es: »Die erste Liebe, d.i. wahre Abbildung der ersten Christen nach ihrem lebendigen Glauben und heili­gen Leben«. Noch stärker schlug das zwei­bändige Werk »Unparteiische Kirchen- und Ketzerhistorie« von 1699/1700 ein, eine Kir­chengeschichte von Anbeginn bis zum Jahre 1688. Er verurteilt in ihr die Verketzerung, rechtfertigt aber nicht die Ketzer. Die Ur­christenheit zeigt wohl das Bild der wahren Kirche und bleibt Vorbild für spätere Ge­schlechter. Doch sie ist ihr Kindesalter und soll noch heranreifen. Der Ablauf der ganzen Geschichte steht unter dem Signum der Verhülltheit Gottes, in dem sich das »luthe­rische Töten und Lebendigmachen« ab­zeichnet. Die Sinnhaftigkeit der Geschichte kann nur geglaubt werden. Gottes geheime Führung ist die Mitte der Geschichte, in der er sich immer neu unter der Maske des Wi­derspiels versteckt. Das ist der lutherische Zug bei Gottfried Arnold. Man versteht ihn weder vom —> Spiritualismus noch von Ja­kob Böhme vollständig. Gewiß ist bei ihm das Alarmierende sein Angriff gegen herrschsüchtige Theologen aller Zeiten und sein Eintreten für die Verketzerten. Doch er will mehr, wenn er mahnt, die trennenden Schrämten zwischen den Konfessionskir­chen nicht als unüberwindbar anzusehen, ohne die -* Wahrheitsfrage auszuklammern. Er, der einst »Babels Grablied« •anstimmte, schloß Frieden mit der Kirche .und wurde Pfarrer. In seinem Buch von 1704 beschreibt er »Die geistliche Gestalt eines evangeli­schen Lehrers nach dem Sinn und Exempel der Alten. . .«. Hier zeichnet er ihn als einen Diener, der zu Gott hin ruft und sich ganz für den Nächsten hingibt. Aus einem kirchen­feindlichen Individualismus ist er heimge­kehrt in die besten Traditionen des kirchli­chen P., ohne sich selbst untreu zu werden. Seine Choräle von biblischer Tiefe und Sprachgewalt werden noch heute gesungen. Der radikale P. erlosch, soweit er nicht in die Aufklärung einmündete. Der klassische P. in seinen vielerlei Ausprägungen und Ge­stalten, der später von der Aufklärung über­rollt wurde, meldete sich in der Erwek- kungsbewegung jedoch neu und vollmächtig zu Wort, um neu wirkungskräftig zu wer­den.

Lit.: K. Aland (Hg.), Pietismus und Bibel, 1970-E. Beyreuther, Geschichte des P., 1978 - Ph. J. Spe- ner (hg. E. Beyreuther), Umkehr in die Zukunft. Reformprogramm des P.; Pia desideria, 197 5 — ders., Ziegenbalg, Bahnbrecher der Weltmission, 1968 - ders., A. H. Francke und die Anfänge der ökumenischen Bewegung, 1957 - ders., A. H. Francke, Zeuge des lebendigen Gottes, 19693- ders., Selbstzeugnisse A. H. Franckes, 1963 - ders., Biographie Zinzendorfs, Bd 1: Der junge Zinzendorf, 1957-Bd. 2: Zinzendorf und die sich alle hier beisammen finden, 1959-Bd. 3: Zinzen­dorf und die Christenheit. 1961 - ders., Studien zur Theologie Zinzendorfs, 1962 - ders., N. L. v. Zinzendorf in Selbstzeugnissen und Bilddoku­menten, 19752- A. H. Francke, Werke: Auswahl (hg. E. Peschkel), 1969 - Hermann Dörries, Geist und Geschichte bei Gottfried Arnold, 1963 - C. P. van Andel, Gerhard Tersteegen. Leben und Werk - sein Platz in der Kirchengeschichte, 1973

Beyreuther

IV. Einzelpersönlichkeiten im Übergang zur Erweckungsbewegung. Keiner der gro­ßen pietistischen Bewegungen zuzuordnen und doch durch mancherlei Fäden mit ihnen verbunden sind Persönlichkeiten wie der schweizer Theologe und Schriftsteller J. K. Lavater (1741-1801), der Arzt und Schrift­steller H. —» Jung-Stilling, der Dichter M. —» Claudius und vor allem der Schriftsteller J.



  1. Hamann (1730-1788). Dieser wurde durch seine philosophischen Schriften nicht nur ein Bahnbrecher der literarischen Bewe­gung des »Sturm und Drang« (J. G. Herder, J. W. Goethe), sondern auch einer der wichtig­sten Anreger der Erweckungstheologie (—» Erweckungsbewegung). Nach unabge­schlossenem Universitätsstudium zunächst Mitarbeiter eines Rigaer Handelshauses, kam er 1758 während einer unglücklichen Handelsmission in London über dem Lesen der Bibel zur Bekehrung. Von ihr gibt er in seinen »Gedanken über meinen Lebenslauf« (erst 1821 veröffentlicht) Zeugnis. Das dar-





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