Spontane Generation einer Fälschung



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#26818


Giorgio Politi

Spontane Generation einer Fälschung


Michael Gaismair und „“seine“„ sogenannte Landesordnung

Meine Beschäftigung mit Gaismair und der sogenannte Landesordnung war Teil einer breiteren vergleichenden Untersuchung über den Ursprung und den Charakter der Territorialstaaten im ausgehenden Mittelalter unter besonderer Berücksichtigung Norditaliens, Spaniens und des Deutschen Reichs. Eine sorgfältige Analyse der großen Konflikte, die die Entstehung des Territorialstaates fast überall in Europa begleiteten haben, besonders insbesondere aber die Betrachtung der beiden größten Revolutionen in Kastilien und in Deutschland der Jahre 1520-/21 und bzw. 1525-/26, hatte überzeugten mich überzeugt, daßdass das Vorbild der Revolution des gemeinen Mannes und die davon abgeleitete These einer frühneuzeitlichen Auseinandersetzung zwischen proto-absolutistischen und korporativ-bündischen Staatsmodellen verallgemeinert werden sollte. 1 Genau in dieser Hinsicht war für mich die sogenannte Lande­sordnung, als mögliches Manifest eines solchen Staates von außergewöhnlichem In­teresse.

Einige Dinge waren aber nicht ganz klar. Vor allem ließ die das Frage Problem der Überlieferung des Textes viele Fragen offen. Es ist allgemein bekannt, daßdass die sogenannte Landes­ordnung durch in Form von drei handschriftlichen Abschriften zu uns gelangt ist, die im Haus-, Hof- u. Staatsarchiv Wien, im Diözesanarchiv Brixen und im ehemaligen Königlichen, heute Staatlichen Archiv Bozen aufbewahrt wurden, zu uns gelangte; .2 Eeinige Forscher, wie z. B. Macek, haben betrachteten diese Streuung sogar als Beweis für die Verbreitung der Landes­ordnung während des tirolischen Tiroler Bauernkrieges angesehen. 3

Die letzte dieser Abschriften, d. h. die Bozener, gilt seit dem Zweiten Weltkriege als verschollen. N; niemand hat benutzte sie mehr benutzt, nachdem seitdem sie A. Holllaender, der sie als “„die älteste, gleichzeitige Fassung„ “ der Urkunde betrachtete, seiner berühmten Ausgabe ivon Sm Schlern von aus dem Jahre 19332 “„zugrunde gelegt“ hatte.4 legte„. Gluücklichererweise sind die zwei anderen Abschriften noch vorhanden:. jeder Jeder neue Erörterung des Überlieferungsproblems muß muss deshalb von diesen zwei Abschriften ausgehen.5

An dieser Stelle ist kam mir eine Idee gekommen, die meine Forschung in eine ganz neue Richtung lenken sollte. Ich habe nahm eine Prüfung der Wasserzeichen vorgenommen, was die alle meine Vorgänger außer Acht gelassen habenhatten.

Die erste Abbildung (Vglvgl. Abb. 1) zeigt drei Wasserzeichen (Ochsenköpfe mit einer zweikonturiger Schlange mit doppelter Kontur). Das erste Wasserzeichen : das Das erste Wasserzeichen ist in der Wiener Abschrift der Landesordnung ersichtlichzu finden, die Aaanderen [welche anderen???] sind werden in der Wasserzeichenkartei Piccard im Hauptstaatsarchiv Stuttgart aufbewahrt und sind mit „Löbau 1526“ und „Kassel 1528“ datiert. Dann folgt erstens ein Beispiel des Wasserzeichens der Brixner Abschrift; , zweitens eine Tafel aus dem berühmten Werk von Briquet, datiert mit „Comorn im 1596“. U; und schließlich gibt es endlich ein anderes weiteres Wasserzeichen aus der Kartei Piccard, datiert mit „Murrhardt 1594“ (vVgl. Abb. 2).6

Das Ergebnis der Untersu­chung war so scharfsinnig tranchant wie erstaunlich:. die Die Wiener Abschrift stammte aus den Jahren von 1525 bis -1529, also zeitgleich mit der tirolischen Tiroler Revolution des gemeinen Mannes; die Brixner Abschrift erfolgte hingegen unzweifelhaft erst am Ende des sechszehnten Jahrhunderts. D: diese Schlußfolgerung Schlussfolgerung wurde auch von der einer paläographischen paläografischen Analyse bestätigt.

Wir wissen nicht, ob der Wiener Text eine Urfassung darstellt. Die Brixner Urkunde hingegen kann – , alleine schon aus rein zeitlichen Gründen – , nichts anderes als eine Kopie sein. Doch belehrt uns die klassische Philologie genauso wie die moderne Psychologie, daßdass man keinen ziemlich langen Text fehlerlos abschreiben kann. So beweist eine genaue Untersu­chung des Brixner Textes nicht nur, daßdass solche Fehler vorhanden sind, sondern auch, daßdass einige davon sozusagen zeitbedingt sind, d. h. sie entstammtensind spezifisch konkret aus derdurch die zeitlichen Entfernung des Kopisten zu den Ereignissen und bzw. zur Lage Tirols zu Beginn des 16. Jahrhunderts bedingt. Das klarste und offensichtlichste Beispiel dafür ist das völlige Unverständnis des Brixner Schreibers gegennüber der ganzen Welt der Bergwerke, ein wirtschaftlicher Zweig, der am ende Ende des 16. Jahrhunderts schon längst von der tirolischen Tiroler Bühne abgeetreten treten war. Noch viele andere Stellen könnten zitiert werden. Beispielsweise : z. B. durchschaut blickt unser Kopist keineswegs, was sich an zwinglianischer Weltanschauung “„von menschlicher und göttlicher Gerechtigkeit„ “ hinter dem Ausdruck „gesatz Gottes“ verbirgt, den er trivial als „gepot Gottes“ wiedergibt.7

Kommen wir nun auf die Bozener Fassung zu sprechen. D; die landläufige, von mir kurz vorher angesprochene Meinung, die ich kurz vorher in Erinnerung gerufen habe, wonach diese verloren gegangen sei, stimmt nicht ganz, ; denn exakter und im Sinne der Urkundenlehre gesprochen, sind nur deren äußere Merkmale verloren gegangen, d. h. das Papier, die Tinte, die Schreibweise, keineswegs aber der Inhalt. Mehr als ein Jahrhundert vor Hollaenders Ausgabe wurde nämlich die Bozener Abschrift in einem handschriftlichen Sammelband, der heute in der Bibliotheca Dipauliana des Ferdinandeums aufbewahrt istwird, niedergeschrieben; . diese Diese Abschrift erschien dann im Urkunden-Band der Geschichte der Regierung Ferdinands I. des Ersten von Franz Bernhard von Bucholtz, das die 1838 in Wien publiziert wurdeerschienen ist.8 Wenn uns also weder ein Wasserzeichen noch ein paläografischer Beleg im Bezug auf die Bozener Ab­schrift zur Verfügung stehensteht, so kann jedenfalls zumindest die Philologie recht gut weiterhelfen. Der Bozener Kopist machte nämlich dieselbe Fehler wie der Brixner, also Fehler, die ebenfalls zeitbedingt sindwaren. E; er versteht z. B. nicht mehr die ideologische Prägnanz des Eigenschaftswortes „gemein“ und, die der Fahne der Revolution von 1525 , und verwechselt überdies die „gemaines lands notturft“, d. h. die Bedürfnisse des neuen Landes, welches dieas letztlich die privilegierten Stände von Adel und Geistlichkeit vertrieben hat hat, mit der „gemainer landsnotturft“, d. h. mit den die täglichen Nöten eines Landes.9 Es ist also ganz klar, daßdass auch die Bozener Abschrift eine Kopie ist, die derselben politischen und religiösen Atmosphäre wie die Brixner Abschrift entstammt, also etwa gegen Ende des 16. Jahrhunderts zu datieren ist.

Damit ist aber noch nicht alles gesagt. Der Wiener Abschrift 10 wurde eine sich noch heute darauf befindende eigenhändige, auf den 8. Oktober 1932 datierte Anmerkung von A. Hollaender, mit der er eine wichtige Auskunft erteilt, hinzugefügt. Diese kommt beigelegt befindet sich noch heute eine eigenhändige Anmerkung von A. Hollaender, datiert am 8. Oktober 1932, mit der er eine wichtige Auskunft erteilt, die in seinem berühmten Schlern-Aufsatz nicht mehr vorkommt.

Die Anmerkung von A. Hollaender lautete folgendermaßen:

:

Inliegendes Aktenstück ist die „ “Landesordnung“„ Michel Gaismairs ... [Ist Sie] ist eine erweiterte Ab­schrift der heute im Königlichen Staatsarchiv in Bozen ... lagerndes lagernden Fassung. Präambel „ “Das ist die lannßordnung, so Michel Gaismair gmacht hat...“ „ und (verstümmelte) Schlußsatz Schlusssatz „“... wen er fürst wurd hinnderm ofen„ fehlen hier, dafür sind zwei in der Bozener Fassung nicht vorfind-lichen neue Artikel interpoliert (fol. 5a): “Man soll ain wag, ain ellen und ainerlay satzung im ganzen lannd haben, — man soll die confinen und päß in gueter verwarung haben ... ...“„ 11


Warum ist diese Auskunft von entscheidender Bedeutung? Einer der häufigeren Fehler, die beim Abschreiben geschehen, ist zweifelsohne jener, den die Philologen als den „saut dau mèême au mèême“ kennen. Es ist das unbewußte unbewusste Verlangen des Abschreibers, seine Arbeit zu verkürzen:. der Der Abschreiber springt von ei­nem Wort bis zum nächsten, einem anderen identischen Wort weiter im Text weiter, ; die dazwischenliegenden Wörter werden beseitigtausgelassen.12

Das ist auch in unserem Fall geschehen. In diesem Teil des Textes besteht nämlich die sogenannte Landesordnung aus einer Reihe von kurzen Sätzen, die alle mit „Man soll“ beginnen. E; es ist ganz klar, daßdass der Abschreiber die zwei Sätze zwischen „Man soll hinfuran nur ain markht“ und „Man soll ain taphere suma“ übersprungen hat.13 Das bedeutet aber auch, daßdass die Wiener Abschrift keine Kopie der Bozener ist, sondern genau das Gegenteil (vgl. Abb. 3). (Vglvgl. Abb. 3). Ein anderer Fehler bestätigt dieses Ergebnis; . im Im Ar­tikel der Landesordnung, der der Landwirtschaft gewidmet ist, und wo gesagt wird, daßdass “„man möchte auch an vill orten ölpaumb setzen„, “, hat der Kopist den Buchstaben „u“ vergessen und nur das diakritische Zeichen angebracht. Das war , das in der gotischer Schrift üblich, war, um es zu unterscheiden, sodaßdass man dort tatsächlich „ölpamb“ liest (Vglvgl. Abb. 4); ). die Die Lesart der Boze­ner Fassung war genau „olpam“. Solche und viel andere Belege beweisen, daßdass auch die Bozener Fassung eine Kopie der Wiener ist, ; es ist sogar sehr wahrscheinlich, daßdass dieselbe Person beide Kopien angefertigte hat.

Daraus kann man folgendes Folgendes schließen:. erstens Erstens hat die derzeitige Verteilung der Abschriften der sogenannten Landesordnung in auf drei verschiedene Archive weder etwas mit ihrer Entstehung noch etwas mit einem vermutlichen Umlauf etwas zu tun, sondern ist lediglich das Ergebnis der Aufteilung des fürstbischöflichen Archivs nach der Aufhebung des Hochstiftes Brixen im Jahre 1803.14 Z; zweitens gibt es keineswegs drei Fassungen der Landesordnung, sondern nur eine, nämlich: eine, die während der tirolischen Tiroler Revolution entstanden ist (also die Wiener Abschrift) und zwei Kopien derselben, die fast siebzig Jahre später in der fürstbischöfli­chen Kanzlei angefertigt wurden.

Warum man diese Kopien gerade da dort an­gefertigte hat, ist nicht schwer zu erraten. Nachdem sich die Bauern das ganze Jahrhundert hindurch ruhig verhaltet hatten, brach in Oberösterreich zwischen 1594 und 1597 ein neuer Bauernkrieg aus. A; andere Bauernunruhen begannen 1596 in im Allgäu. ; 1605 fürchtete man sogar in sogar in Innsbruck, daßdass der sogenannte Rettenberger Aufruhr der bischöflich-augsbürgischen augsburgischen Bauern vom benachbarten Allgäu auf Tirol übergreifen könnte.15 Diese Kette von Revolten mußte musste zweifellos die alte Urkunde von 1525 wieder interessant werden lassen.

Diese Urkunde ist aber anonym. W; wir besitzen keinen Beleg aus jener Zeit, der beweist, daßdass sie mit Gaismair etwas zu tun hatte. D; die Verknüpfung dieses Textes mit der Gestalt des berühmten Bauernführers kann also nur das Werk eines späteren Kopisten sein. Deshalb muß muss man sich fragen, ob : berühen die Präambeln und die Schlußsätze Schlusssätze der Bozener und der Brixner Abschrift, in denen der Name Gaismair vorkommt, auf irgendeiner sachlichen Angabe beruhen oder reflektiert ob diese Verknüpfung nur eine Gaismair-Sage reflektiert, die jede Störung der bestehenden Ordnung im nunmehr katholischen-habsburgisch geworden Tirol auf die Gestalt des großen Revolutionärs zurückführte, wie dies z. B. die das Verhörung von Balthasar Dosser im Januar 1562 zu belegen scheint?16

Ich habe den dritten Teil meines Buchs einer analytischen Überprüfung aller biographischen biografischen Angaben über Gaismair – von seiner Flucht von aus Innsbruck bis zu seinem Tode in Padua – gewidmet. J; jede Angabe wurde immer auf der Grundlage der Originalquellen überprüft.17 Ich habe daraus den Schluß Schluss gezogen, daßdass die Zeitgenossen dem Brixner Sekretär keinen Text zugeschrieben haben, der mit der sogenannten Landesordnung identifiziert werden kann, zuschrieben. Die einzige Ausnahme ist eine Stelle der Annales Novacellenses, die lateinisch verfaßte verfasste Kronik Chronik des Stiftes Neustift, die J. Bücking als Augenzeugenbericht betrachtet und zur Unterstützung seiner These über die Verfassung einer der ersten Landesordnung beifügt.18 -gebracht hat. Dieser Bericht über die Plünderung von Neustift während des Bauernkrieges enthält tatsächlich Zitate ebenso sowohl aus der sogenannten Landesordnung wie als auch aus der Urkunde, die Bücking für die erste Landesordnung hält. Aber es gibt kei­nen Anlassß, sich darüber zu wundern, denn der ; dessen Verfasser ist nämlich keineswegs der Neustifter Dekan Franz Premenstainer, gestorben am 13. mai Mai 1527, wie Bücking erstaunlicherweise behauptet, sondern der spätere Stiftsarchivar Caspar Remich. Letzterer wirkte , der in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wirkte und verfügte der sowohl über die „Ordnungen, über alle „beschwärungen“, die im Klosterarchiv Neustift aufbewahrt warenwurden, als auch wie über die Lan­desordnung, verfügte, die er im fürstsbischöflichen Archiv leicht einsehen könnte.19

Bis heute hat man die sogenannte Landesordnung immer mit der festen Überzeugung ausgelegt, wonach sie Gaismair habe sie als Programm oder Manifest eines geplanten, revolutionären Einfalls in die Grafschaft Ti­rol im Frühling 1526 geschrieben hatteverfasst. A; alles, was nicht zu in dieser Verknüpfung passte, nicht hineinpaßte, wurde in den Hintergrund gerückt oder kaum beachtet. Jetzt aber, da alles bezweifelt werden mußmuss, muß muss man jeden Widerspruch, jede Seltsamkeit und , jede Spur im des Textes sorgfaltig sorgfältig bewerten. Nachdem die Überlieferungsfrage positiv gelöst worden ist, besitzen wir zwar einen festen Text unserer Urkunde, wir haben aber auch viel verloren. W: wir wissen jetzt so nichtweder, wer diese Urkunde verfasste, ßt hat, noch wo, wie und warum diese Urkundesie verfaßt verfasst wurde.

Wurde dieses Schriftstück wirklich als eine Art Landesordnung abgefaßtabgefasst? Daran kann man zweifeln. D: die unbekannten Empfänger des Aufrufes hatten nämlich schwören mußenmüssen, daßdass sie “„ain gantz christenliche satzung aufrichten wellet„; “. Eein wenig später sieht vorsieht man andererseits vor, daßdass “„ain wag, ain ellen und ainerlay sa­tzung im gantzen Land„ “ eingerichtet werden soll. Warum aber verordnet ein Text, der selbst eine Landesordnung sein sollte, die Abfassung einer Landesordnung?20

War dieses Schriftstück wirklich als Gesetzestext, wenngleich vielleicht sogar als ein revolu-tionäres Dokument, abgefaßt abgefasst worden? Das ist fraglich. Dem Brixner Kopisten ist ein seltsamer, dafür bezeichnender Fehler unterlaufen:. die Die „viertlhaubtleut“, die laut Wiener Abschrift sollen über das „gantz land“ gesetzt verteilt wurden, werden, werden ausgelassenbeseitigt: „“so soll wier haubtleith uber das gantz land gesetzt werden„. “.21 Die Meinung des Kopistes Kopisten ist ganz klar:. das Das Schriftstück beginnt mit einer Ansprache: “„Anfangklich so werdt jr geloben und sweren„ “ – — was so viel bedeutet, daßdass hier jemand spricht. Ein wenig später begegnet man einem anderen Artikel in ähnlicher Form: “„der zöll halben säh mich„. “. So hegt unser Kopist, wenn er später den für ihn nunmehr ungewohnten „viertlhauptleute“ be­gegnet, keine Zweifel mehr. H: hat er nicht den Text Michael Gaismair zugeschrieben? Und wer war Gaismair? “„Der Michl Gaissmair was ein haubtman„. “.22 Das Schriftstück kann nichts anderes sein, als eine Rede, die der Hauptmann Gaismair an die anderen Hauptmänner richtet, die mit ihm in der die Grafschaft Tirol einbrechen eindringen werdenwollten. So hat interpretierte der Brixner Kopist die ganze Urkunde als den Text einer Rede, – oder vielleicht als eine oratio ficta, – interpretiert. Man muß muss jedoch hervorheben, daßdass eine solche Perspektive trotz des Mißverständnisses Missverständnisses bezüglich der „viertelhauptleute“ durchaus möglich ist.23

So wird die sogenannte Landesordnung, losgelöst von jedem archivalischen Kontext und ohne jede feste Autorenschaft, ein wirkliches Buch mit sieben Siegeln. Bildet diese Urkunde einen einheitlich abgefaßten abgefassten Text oder ist sie bloß eine Liste von kaum ubereinstimmenden übereinstimmenden Meldungen bzw. Anklagepunkten, die z. B. von einem Richter oder Kontroversisten zum eigenen Gebrauch verfaßt verfasst wurden? Sicherlich ist dieses angebliche Manifest voll von Seltsam-keiten, Schwierigkeiten und Widersprüchen. Nur um einige davon in Erinne-rung zu rufen:. so ist dDie Sprache des Bergwerkartikels ist viel volkstümlicher und umgangssprachlicher als die des übrigen Textes; der Pfannhausartikel erscheint als Fremdkörper; einerseits bemüht man sich, eine sparsamere Verwaltung zu errichten, auf der anderen Seite zählt man nichts weniger als elf Ertragsquellen auf, was völlig absurd ist. D; dem Zinsartikel gemaßgemäß, “„ist es zubedenkhen, das gemeine landtschaft ain kriegs cossten ain zeitlang brauchen werde„, “. W, wenige Seiten weiter später scheint dagegen kein Krieg mehr bevorzustehen scheint – „— “man soll ain taphere suma gellts zum vorrat machen, ob das Land ain unversehner krieg überfiel„.“.24

Dennoch können in einem solchen derartigen Nebel einige Fixpunkte festgemacht werden. Es ist vor allem ganz klar, daßdass die Ursachen, die im vorigen Jahrhundert so heftige Debatten über diese Urkunde ausgelösten haben, völlig grundlos haltlos sind:. dieses Dieses Schriftstück enthält nämlich nichts, was an den modernen Kommunismus erinnern könnte.

Der berühmte Bergwerksartikel ist näm­lich keine Vorwegnahme des Kommuni­smus. Man hat sagtegesagt, daßdass hier Gaismair hierin die tirolische Tiroler Bergwerke verstaatlicht verstaatlichen (Bücking, Blickle) oder sozialisiert sozialisieren wollte (Franz).25 D; das war aber doch gar nicht nötig, weil sich die Bergwerke bekanntlich bereits in Staats- bzw. fürstlichem Besitz befanden. Wie im zeitgenössischen Spanien oder in der benachbarten Republik Venedig das Obereigentum der Bodenschätze eindeutig dem Herrscher zustand, der sie einem Privatmann bzw. einer Privatgesellschaft gewiß gewiss verpfänden, aber nicht verkaufen konnte.26

Daran erinnert uns doch der Wortlaut des Bergwerkartikels selbst, wo am Schluß Schluss des ersten Absatzes steht, daßdass sich der Adel und die verhaßten verhassten Handelsgesellschaften in fürstliche „vermugen gereicht“ habenhätten.27 So bedeuten die hier vorgesehenen politischen Maßnahmen keine weder eine Sozialisierung noch eine Verstaatlichung im Sinne des heutigen Kommunismus, sondern –, genauer ge­sagt – , einen Loskauf von Regalien, unentgeltlich und gewaltsam durchgeführt, was sicherlich eine revolutionäre Maßnahme war, doch ganz im Sinne des 16. Jahrhun-derts.

Wie E. P. Thompson geschrieben hatschrieb, ist kein Sieg in der Geistesgeschichte sei so durchschlagend gewesen wie jener des Physiokratismus im 18. Jahrhundert, ; und zwar derart, daßdass selbst die Erinnerung an den Wirtschaftsdirigismus, die der unsere europäische Gesellschaft das ganze Mittelalter und ancien Régime hindurch charakterisiert hathabe, auch beim Fachmann fast verschwunden istsei.28

Dessen muüssßte sich jeder Forscher bewußt bewusst sein, um krasse Anachronismen zu vermeiden. Der zweite Pfeiler der ur-sozialistichen Deutung der sogenannten Landesordnung war der Handelsartikel. Konkret sieht man darin drei Hauptmaßnahmen vor: die Zwangsverlegung aller handwerklichen bzw. textilen Betriebe nach Trient, ; den Zwangsverkauf einiger unabgeklärter??? [nicht deklarierter???] Waren in einigen bestimmten Laden Läden im Land; sowie die Einsetzung eines öffentlichen Amtmannes, der die Durchführung dieser wirtschaftlichen Maßnahmen überwachen sollte. 29

Die zeitgenössischen Schlüsselwörter dieses Artikels sind sehr einfach und lauten: mittelalterliches Stadtrecht — – oder, besser gesagt „, städtisches Sonderrecht“ — – und Höchstpreise – , genauer gesagt „calmiere“ — – wobei es vielleicht bezeichnend ist, daßdass uns keine exakte deutsche Übersetzung dieses Wortes zur Verfügung steht.

Erstaunlicherweise haben die Forscher bisher geglaubt, daßdass dieser Artikel jeden Privathandel bzw. jedes private Handwerk verbiete; im Text aber findet man keine Spur davon, ganz im Gegenteil:. Wwenn die­ser nämlich der Fall gewesen wäre, über wen hätte der vorgesehene Amtmann dann wachen sollen? Es ist doch klar, daßdass dieser Amtmann darauf achten mußtemusste, daßdass der Konsument von Kaufmännern und Handwerkern nicht betrogen wirdwurde.

Die Forscher haben glaubten somit geglaubt, daßdass dieser Artikel einen Verkauf zu reinen Schleuderpreisen verordnet habe; im ganzen an­cien Régime aber wurde der rechte Gewinn des Kaufmanns bzw. des Handwerkers unter den Kosten subsumiert und keineswegs als Profit angesehen. Wenn die adeligen Gemeindeausschüße Gemeindeausschüsse der norditalienischen Städte einen Fleisch- oder „Brotcalmiere“ erstellen sollten, mußten mussten die sie soge­nannten „esperienze“ (Prüfungen) durchführen. S: sie gingen z. B. aufs Land, kauften eine Kuh und , führten sie in die Stadt. Dort zahlten , indem sie alle Ungelder Umnkostenzahlten, um sie dann zu schlachten und zu verkaufen. So konnten sie endlich den Ladenpreis aller Fleischteile fixieren und vor allem den rechten Gewinn der Metzger ausmachen, was das eigentliche Ziel der ganzen Handlungskette dar-stellte. In der zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts errichteten alle Stadträte des Herzogtums Mailands die sogenannten „macelli pubblici“ (öffentliche Schlachthöfe) und zwangen alle Metzger, weil sie nicht gewillt waren, das „calmiere“ zu beachten, ihr Fleisch nur dort zu schlachten und zu ver­kaufen. Auf diese Weise konnte , so daß der „officiale delle vettovaglie“, der stadtische städtische Lebensmittelamtmann, Preise und Güte der Ware überwachen konnte.30

Die Zusammenziehung aller Vertreter ei­nes handwerklichen bzw. kommerziellen Zweigs auf einen einzigen, überschaubaren Platz, um sie besser kontrollieren zu können, war in den mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Städten keine seltene Maßnahme. Noch heute heißen einige Straße im Zentrum meiner Geburtsstadt Mailand „via Orefici“ (Goldschmiedstraße), „via Armorari“ (Waffenschmiedstraße), „via Speronari“ (Spornschmiedstraße). Oft bestand –, wie oben gesagt –, ein enger Zusammenhang zwischen der Konzentrierung der Gewerbe und der Höchstpreise. O; oft stellten die amtlichen Fixierung der Höchstpreisefixierungen keine Wahl, sondern eine echte Not dar. D: der Konsument hatte nämlich nicht mit einzelnen, gegenseitig konkurrierenden KaufmännerKaufleuten, sondern mit zunftorganisier-ten Gegenparteien zu tun, die monopolistisch wirkten und deshalb ggf.gegebenenfalls auch Monopolpreise aufzwingen erzwingen konnten.

So stellen „läden“ im Land und „ambtman über den handel“ durchaus geläufige Erscheinungen dar. Auch die Verbote, im Land weder Handwerk noch Zwischenhandel bei mit Textilien zu betreiben, kommen gewöhnlich in den städtischen Statuten vor. Solche Maßnahmen waren aber zu schwerwiegend und, zu bauernfeindlich, um diese konkret anzuwenden. Ihre ; deren Durchführung hatte hätte nämlich die völlige Vernichtung der bäuerlichen Wirtschaft bedeutet. Als anderer-seits der Zürcher Bürgermeister Hans Waldmann 1489 solche Gesetzte vom Kleinen Rate einführen ließ, löste dieser unglückliche Entschluß Entschluss die größte Bauernempörung in der ganzen Geschichte des Kantons aus.31

So schließt sich der Kreis meiner Forschung:. die Die sogenannte Landesordnang Landesordnung erweist sich bei genauerer Betrachtung als kein bäuerliches Manifest. Ganz im Gegenteil:. Sie , weist sie doch starke stadtzentrische Züge auf, so daßdass sie kein vernünftiger Mensch eingesetzt hätte, um damit für sich unter den Bauern für sich zu werben. Gaismair aber, der seine fünf Sinne bestens beisammen hatte, hatte verfügte immer über ein rein bäuerli­ches Gefolge. Die inhaltliche Analyse scheint also die Ergebnisse der formellen Durchforschung zu bestätigten, die die Trennung zwischen dem berühmten Bauernführer und dem Text, der ihm lange Zeit – keineswegs gar nicht immer einstimmig – zugeschrieben wurde, immer größer offensichtlicher werden lassen.

Meine Arbeit hat fand ein relativ breites Echo gefunden; meine Thesen wurden in vielen Universitäten und intellektuellen Kreisen zu in Innsbruck, Zürich, Bellinzona, Brixen, Bozen, Trient, Trieste, Torre Pellice und Perugia und sowie in vielen wissenschaftlichen Zeitschriften erörtert. Unter den Teilnehmern an dieser Debatte hat zeigte sich nur Aldo Stella, der sich sein ganzes Leben lang mit dem traditionellen Gaismairs-Bbild beschäftigte hat, sich skeptisch erwiesen. ; Dieter Girgensohn hat versuchteseinerseits versucht, Gaismair zumindest als Urheber statt als Verfasser der sogenannten Landesordnung darzustellen. anzugeben. Niemand aber hat widerlegte meine Analyse mit irgendeiner Angabe widerlegt. Deshalb muss meine These, wie es in allen Wissenschaften üblich ist, bis zum Gegenbeweis für gültig gehalten werden.

Literatur
Politi G.., Gli statuti impossibili. La rivoluzione tirolese del 1525 e il “programma” di Michael Gaismair, Torino 1995.

—, Michael Gaismair. Tutti gli scritti autografi, Geschichte und Region/Storia e regione III, Bozen/Wien 1994, 161-187.

—, La fenice del mito. Ancora sulla cosiddetta Landesordnung già attribuita a Michael Gaismair, Geschichte und Region/Storia e regione XIV n. 1, Innsbruck-Wien-Bozen/Bolzano 2005, 192-213.

—, Oltre il documento. L’assassinio di Michael Gaismair e le fantasie degli storici, in: C. Azzara-E. Orlando-M.Pozza-A. Rizzi (Hg.), Historiæ. Scritti per Gherardo Ortalli, Venezia 2013, 209-217.

—, Rivolte contadine e movimenti comunali. Una tesi, in: S. Gasparri-G. Levi-P. Moro (Hg.), Venezia. Itinerari per la storia della città, Bologna 1997, 159-191.

Diago Hernando M., Le comunidades di Castiglia (1520-21). Una rivolta urbana contro la monarchia degli Asburgo, Milano 2001.



1 Politi, Rivolte contadine, movimenti comunali, 159-191.

2 Politi, Gli statuti impossibili, 113 ff.

3 Macek J., Der Tiroler Bauernkrieg und Michael Gaismair, Berlin (Ost) 1965, 95.

4 Hollaender A., Michel Gaismairs Landesordnung 1526. Entstehung-Bedeutung-Text, Der Schlern XIII (1932), 375-383; — , Michel Gaismairs Landesordnung 1526 (Schluss), ibidem, 425-429

5 Haus-, Hof- u. Staatsarchiv Wien, Reichskanzlei, Oesterreichischen Akten, Abteilung Tirol, Generalia Faszikel 2, 3a-6a; Archivio diocesano Bressanone/Brixen, Archivio aulico/Hofarchiv, N. 16575.

6 Politi, Gli statuti impossibili, 126-134

7 Ibidem, 134-145

8 Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum Innsbruck, Bibliotherca Dipauliana, Sammelband Dip. 1082, 12r-18r; F. B. von Bucholtz, Geschichte der Regierung Ferdinand des Ersten. Urkunden-Band, Wien 1838, 651-655.

9 Politi, Gli statuti impossibili, 149-150

10 Vgl. n. 5.

11 Politi, Gli statuti impossibili, 150 f.

12 Brambilla Ageno F., L’edizione critica dei testi volgari, Padova 21984, 67.

13 Politi, Gli statuti impossibili, 329/20 ff. (vgl. Abb. 3).

14 Politi, Gli statuti impossibili, 113-122.

15 Kamen H., Il secolo di ferro 1550-1660, Bari 1975, 432, 438, 440-444, 452 (orig. The Iron Century. Social Change in Counter-Reformation Europe 1550-1660, London 1971); Evans R.J., Felix Austria. L’ascesa della monarchia asburgica: 1550-1700, Bologna 1981, 135 (orig. The Making of the Habsburg Monarchy, 1550-1700. An Interpretation, Oxford 1979); Palme R., Reformation, Bauernempörung und Täufertum in Tirol (1519-1564), in Fontana J. et al, Geschichte des Landes Tirol, II, Bozen-Innsbruck-Wien, 1986 160

16 Delmonego E., Entwicklung des Gerichtes und der Gemeinde Lüsen von den Anfängen bis zur Gegenwart, in Id (Hg.), Lüsen. Natur, Kultur., Leben, Lüsen 1988, 102-106.

17 Politi, Gli statuti impossibili, Parte terza. L’opera e la vita, s. 193-278.

18 Politi, Gli statuti impossibili, 279-286; Stiftarchiv Neustift, Cod. 15, Annales Collegii Novacellensis …; Bücking J., Michael Gaismair: Reformer – Sozialrebell – Revolutionär. Seine Rolle im Tiroler Bauernkrieg (1525-32), Stuttgart 1978, 62 ff.

19 Innerhofer Th (Hg.), 850 anni Abbazia di Novacella, Catalogo della 1a mostra provinciale, Bressanone 1992, 252; Politi, Gli statuti impossibili, 286.

20 Politi, Gli statuti impossibili, 46; 325/I,16-19; 329/V, 29-30

21 Ibidem, 328/III, 39-41; 342/VII, 9-12.

22 “Ein new lied, wie es vor Rastat mit den pauren ergangen ist”, in Hollaender A., Michel Gaismairs Landesordnung 1526, 375.

23 Politi, Gli statuti impossibili, 325/I-1; 327/III-1

24 Ibidem, 327/II, 34-39; 329/V, 33-34.

25 Bücking J. op. cit., 85-89; Blickle P., Die Revolution von 1525, München-Wien 1981, 225; Franz G., Der deutsche Bauernkrieg, Darmstadt, 111977, 158-159

26 Politi, Gli statuti impossibili, 97-99.

27 Ibidem, 330/VI-24.

28 Thompson E.P., Società patrizia, cultura plebea, Otto saggi di antropologia storica sull’Inghilterra del Settecento a cura di E. Grendi, Torino, 21981, 70.

29 Politi, Gli statuti impossibili, 328/IV 30-329/V 12.

30 Politi G., La società cremonese nella prima età spagnola, Milano 2002, XXIII-XXXVI.

31 Politi, Gli statuti impossibili, 294-295; Dietrich Ch., Die Stadt Zürich und ihre Landgemeinden während der Bauernunruhen von 1489 bis 1525, Frankfurt a.M.-Bern-New York 1985.


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